Berthold brecht
Bertold Brecht
Von Oliver Salewski Lebenslauf:
1. Herkunft und Jugend
Am 10. Februar 1898 wird Bertolt (eigentlich Bertold Eugen) Brecht in Augsburg geboren. Sein Vater, der kaufmännische Angestellte Bertold Friedrich Brecht (1869-1939) und die Mutter Sofie, geborene Brenzing(1871-1920), gehören zum angesehenen Bürgertum der Stadt. Nach dem Besuch der Volksschule tritt Bertolt 1908 in die erste Klasse des Augsburger Königlichen Bayerischen Realgymnasiums ein; sein Freund Caspar Neher (1897-1962), der später als Bühnenbildner berühmt wird, besucht die selbe Schule.
Als Gymnasiast schreibt Brecht die ersten provozierenden Gedichte, in der eine Opposition gegen die herrschende Moral seiner bürgerlichen Umgebung deutlich wird.
Es entsteht sein erstes Drama "Die Bibel". Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges lassen sich Brecht und seine Freunde zuerst von der allgemeinen nationalen Begeisterung anstecken; als die ersten Berichte von den schrecklichen Ereignissen an der Front eintreffen, distanziert sich Brecht von jeder Kriegsbegeisterung. Über seine Schulzeit schreibt er später an Herbert Ihering: "Während meines 9jährigen Eingewecktseins in einem Augsburger Realgymnasiums gelang es mir nicht, meine Lehrer wesentlich zu fördern." (Sinn und Form 1958, H.1, S.31).
Kurz vor Ostern 1917 legt Brecht das "Notabitur" ab und immatrikuliert sich Ende des Jahres an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Jetzt reist er zwischen München und Augsburg hin und her; gemeinsam mit Freunden werden die Theaterereignisse in beiden Städten aufmerksam verfolgt. Im Sommersemester beginnt Brecht mit dem Medizinstudium, wird aber als Sanitätssoldat eingezogen und erlebt das Kriegsende in einem Augsburger Lazarett. Während der revolutionären Unruhen nach Auflösung des Kaiserreichs engagieren sich Brecht und Neher im Münchener Kulturleben. Brechts Stück "Baal" wird fertig. Im "Baal" deutet sich die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Moral erstmals an; der Held des Stücks bricht aus der bürgerlichen Gesellschaft aus und wird asozial.
Er stirbt, weil er als Individuum in einer asozialen Gesellschaft nicht leben kann. 1919 wird Brechts erster Sohn Frank geboren; Mutter ist seine Ju-gendfreundin Paula ("Bie") Banholzer. Brecht sucht Kontakte mit Theatern und Verlegern und verfaßt Theaterkritiken für die USPD-Zeitung "Volkswille". Da er kaum noch an Vorlesungen teilnimmt, wird er 1921 exmatrikuliert. Im November fährt er nach Berlin und versucht auch dort, einen Theater-Vertrag zu bekommen; seine finanzielle Lage ist hoffnungslos; Brecht wird wegen Unterernährung in die Charitè eingeliefert. Der Verleger Kiepenheuer veröffentlicht den “Baal” in einer Auflage von 800 Exemplaren.
Endlich gelingt es Brecht mit den Münchner Kammerspielen einen Vertrag als Dramaturg abzuschließen. Es entsteht ein zweites Stück, "Trommeln in der Nacht", in dem sich Brecht mit dem revolutionären Kampf der Spartakisten beschäftigt. 1920 starb seine Mutter; zwei Jahre später heiratet Brecht die Sängerin Marianne Zoff. Für das Stück "Trommeln in der Nacht" wird ihm der Kleist-Preis durch Herbert Ihering verliehen. Brecht lernt den damals schon bekannten Schriftsteller Lion Feuchtwanger (1884-1954) kennen, mit dem er später oft zusammenarbeitet. Feuchtwanger zeigt sich begeistert von dem jungen Autor.
Angeregt durch Karl Valentin entstehen mehrere Einakter. In München wird "Trommeln in der Nacht" uraufgeführt; dabei werden erstmals Mittel der Verfremdung auf der Bühne eingesetzt; die Fabel des Stücks widerspricht der Erwartung der Zuschauer. Statt revolutionäres Engagement zu beweisen, bleibt der Held, ein aus dem Krieg heimgekehrter Soldat, im bürgerlichen Millieu und schläft mit seiner "beschädigten" Braut, während draußen um die politische Zukunft Deutschlands gekämpft wird. Die Uraufführung von "Im Dickicht" (späterer Titel "Im Dickicht der Städte") am Münchener Residenztheater löst Proteste aus; das Stück wird vom Spielplan abgesetzt. Schauplatz ist die amerikanische Stadt Chicago, die als Kulisse für die Darstellung der Einsamkeit des Menschen in der Großstadt dient. 1923 wird Hanne, Tochter Brechts und Marianne Zoffs geboren, die sich später unter dem Namen Hanne Hiob einen Namen als Schauspielerin macht.
1924 wird in München das "Leben Eduard des Zweiten von England" aufgeführt, das Brecht gemeinsam mit Lion Feuchtwanger übersetzt hat. Mit dieser Marlowe-Bearbeitung sollte die erstarrte Shakespeare-Tradition auf deutschen Bühnen gebrochen werden.
2. Berlin
1924 siedelt Brecht nach Berlin über und arbeitet unter Max Reinhardt als Dramaturg am Deutschen Theater. Er wohnt mit seiner späteren zweiten Frau Helene Weigel zusammen. Gemeinsam mit ihr, Caspar Neher und Elisabeth Hauptmann arbeitet er an verschiedenen Berliner Theatern.
1926 wird Brechts zweiter Sohn Stephan (Mutter: Helene Weigel) geboren. Ein Jahr später erscheint die "Hauspostille", eine Sammlung von Gedichten aus den Jahren 1915-1926. In Berlin sind die Widersprüche der bürgerlich-kapitalistischen Welt nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs besonders augenfällig. Brecht und seine Mitarbeiter erkennen, daß mit den Mitteln des traditionellen Theaters das moderne Publikum nicht mehr angesprochen werden kann. Zeitweilig arbeitet Brecht an der revolutionären Piscator-Bühne mit. Nach älteren Plänen entsteht das Stück "Mann ist Mann", in dem die Fabel um den Packer Galy Gay erzählt wird, der nicht nein sagen kann und deshalb in einen brutalen, entindividualisierten Kolonialsoldaten "ummontiert" wird.
Brecht setzt neue Mittel auf der Bühne ein: die Zuschauer erhalten Einblick in das Geschehen hinter den Kulissen; das Stück enthält Songs, die den Gang der Handlung kommentierend unterbrechen. 1927 lernt Brecht den Komponisten Kurt Weill (1900-1950) kennen; es entsteht das Songspiel "Mahagonny". Die "Hauspostille" erscheint und Brecht wird von seiner ersten Frau, Marianne Zoff, geschieden. Die Freundesgruppe um Brecht beschäftigt sich in den späten zwanziger Jahren mit politisch-ökonomischen Problemen und studiert die Schriften von Karl Marx. Brecht wird besonders durch seinen Freund, den marxistischen Kritiker Walter Beniamin (1892-1940) beeinflußt, der ihn weiter mit dem Marxismus bekannt macht. In Berlin besucht er die MASCH (marxistische Arbeiterschule) und entscheidet sich am Ende der zwanziger Jahre für die revolutionäre Arbeiterklasse.
Brecht stellt seine Arbeit immer mehr in den Dienst der Arbeiterbewegung, ohne selbst Mitglied der KPD zu werden. Über seine politische Bewußtseinsveränderung schreibt er später:
"Ich bin aufgewachsen als Sohn wohlhabender Leute. Meine Eltern haben mir einen Kragen umgebunden und mich erzogen in den Gewohnheiten des Bedientwerdens und unterrichtet in der Kunst des Befehlens. Aber als ich erwachsen war und um mich sah, gefielen mir die Leute meiner Klasse nicht, nicht das Befehlen und nicht das Bedientwerden. Und ich verließ meine Klasse und gesellte mich zu den geringen Leuten." (GW9, S.
721.)
Als Auftragsarbeit entsteht 1928 "Die Dreigroschenoper", in der das Gaunermilieu als wahres Gesicht der kapitalistischen Gesellschaft entlarvt wird. In Dialogen und den inzwischen weltbekannten Songs, die Kurt Weil vertont hat, wird zugleich die gewohnte Form des Kunstgenusses parodiert. Nach der Uraufführung wird Brecht international bekannt. Am 10. April heiratet er Helene Weigel.
In Leipzig wird 1930 die Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" aufgeführt; Brecht lernt die Komponisten Paul Dessau (geb. 1894-1979) und Hanns Eisler (1898-1962) kennen. Mit verschiedenen Freunden werden die Lehrstücke "Der Ozeanflug", "Die Maßnahme", "Die Ausnahme und die Regel" und "Der Jasager und Der Neinsager" erarbeitet. In den Lehrstücken zeigt sich endgültig die marxistisch-klassenkämpferische Position Brechts; sie dienen der Kritik der eigenen bürgerlichen Position und sind getragen von einem neuen Selbstverständnis zu Fragen der Parteinahme für die kommunistische Revolution, die Sowjetunion und die Kommunistische Partei. Die Tochter Maria Barbara wird geboren, Mutter ist Helene Weigel. Der Verleger Kiepenheuer beginnt mit der Herausgabe einer Reihe unter dem Titel "Versuche", in der in unregelmäßigen Abständen Brechts Werke veröffentlicht werden.
Brechts veränderte gesellschaftspolitische Haltung wird auch für seine Theaterpraxis bedeutsam; in den Jahren zuvor hat sich für Brecht und seine Freun-de herausgestellt, daß die traditionelle Bühne und das klassische Theater nicht mehr in der Lage waren, die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse angemessen darzustellen. Mit der Erarbeitung des "epischen Theaters" distanziert sich Brecht von der traditionellen aristotelischen Dramatik, deren Hauptziel darin bestand, das Publikum durch eine möglichst perfekte Illusion zur Identifikation mit den dramatischen Helden zu bewegen. Brechts neue Konzeption beabsichtigt im Gegenteil eine Distanzierung der Zuschauer, die Theater als Appell an ihre Vernunft erleben sollen, damit die dargestellten Probleme immer wieder neu durchdacht und alle Aussagen kritisch hinterfragt werden können. Zu den Fragen und Problemen der dramatischen Mittel seiner neuen Theaterkonzeption veröffentlicht Brecht verschiedene theoretische Abhandlungen. In Berlin wird die Verfilmung der "Dreigroschenoper" abgeschlossen. Zwischen August 1931 und Februar 1932 produzieren Brecht, der proletarisch-revolutionäre Schriftsteller Ernst Ottwalt und der Regisseur Siatan Dudow den Film "Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?" Unter Mitarbeit von Slatan Dudow, Hanns Eisler und Günther Weisenborn (1902-1969) entsteht das Stück "Die Mutter" nach Gorki, das die Entwicklung einer Arbeiterfrau zur Revolutionärin zeigt.
1929/30 schreibt Brecht "Die heilige Johanna der Schlachthöfe". Das Heilsarmee-Mädchen Johanna versucht vergeblich, das Proletariat mit Bibelsprüchen zu bessern und seine Not mit Almosen zu lindern. Sie scheitert bei ihrem Versuch, die Reichen durch vernünftige Argumente zu ändern und muß erkennen, daß sie nur das Spiel der Kapitalisten unterstützt hat. Das Stück verwendet mit parodi-stischer Absicht Elemente aus Schillers "Jungfrau von Orleans". Im März 1932 wird der Film "Kuhle Wampe" von der Zensur verboten und erst nach einigen Änderungen wieder freigegeben. Die Kämpfe zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten nehmen immer schärfere Züge an.
In Brechts Wohnung beschäftigt sich ein Freundeskreis, der der KPD nahesteht, mit Fragen materialistischer Dialektik; es werden Texte von Hegel, Marx und Lenin gelesen. Die politischen Verhältnisse nach der Machtübernahme durch die Nazis zeichnen sich bereits ab; Brecht und viele seiner Freunde sind auf eine Emigration aus Deutschland vorbereitet.
3. Flucht und Exil
Am 28. Februar l933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, emigrieren Brecht und viele seiner Mitarbeiter aus Deutschland. Über Prag, Wien, Zürich und Paris gelangt Brecht nach Dänemark; dort kauft er auf der Insel Fünen ein Haus und läßt sich mit seiner Familie nieder.
Der "Dreigroschenroman" und das Lehrstück "Die Horatier und die Kuratier" entstehen. Brecht versucht im Exil, gemeinsam mit anderen Emigranten, seine dramaturgische Arbeit fortzusetzen. 1935 reist er nach Moskau; kurze Zeit später erkennen ihm die Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft ab. In Paris nimmt er am Internationalen Schriftstellerkongreß teil und warnt die Welt vor dem Faschismus. Brecht und Eisler versuchen Einfluß auf die Inszenierung der "Mutter" in New York zu gewinnen, können sich aber nicht durchsetzen, werden vor die Tür ge-setzt und müssen mit ansehen, wie die Aufführung ein Reinfall wird. Brecht arbeitet an verschiedenen Emigrantenzeitschriften, zeichnet gemeinsam mit Lion Feuchtwanger und Willi Brendel als Herausgeber der in Moskau erscheinenden Zeitschrift “Das Wort" und bereist mehrere europäische Städte.
Nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs entsteht das Stück "Die Gewehre der Frau Carrar", das im Oktober 1937 in Paris aufgeführt wird. Brecht schildert den vergeblichen Versuch einer Mutter, sich und ihre Kinder aus den Bürgerkriegsereignissen herauszuhalten und ihre Wandlung zur Revolutionärin. Aus mehreren Einaktern wird "Furcht und Elend des Dritten Reichs" zusammengestellt, das ebenfalls in Paris uraufgeführt werden kann. In der Exilzeitschrift “Das Wort" kommt es zu einer Auseinandersetzung mit dem marxistischen Theoretiker Georg Lukacs (1885-1971) über Fragen des Realismus. Im Exil entstehen Brechts bedeutendste Stücke; bei allen Unterschieden von Gestaltungsweise und Thematik ist ihnen gemeinsam, daß sie die Funktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft analysieren und den Zuschauer durch die parabelhafte Darstellung zu Kritik und Veränderung aufrufen. Das Parabelstück "Der gute Mensch von Sezuan" beschreibt die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.
Sezuan steht für alle Orte auf der Erde, in denen Unterdrückung herrscht; die Doppelgestalt Shen Te – Shui Ta verkörpert sowohl die Deformation des Menschen im Kapitalismus als auch die Sehnsucht nach einer humanen Welt. Die Frage, ob man nach humanen Gesetzen in einer kapitalistischen Welt leben kann, wird negativ beantwortet. Die Götter sind den Konflikten gegenüber ohnmächtig; sie können die Widersprüche nicht lösen. Es bleibt die Einsicht beim Publikum, daß eine andere Welt gebraucht wird, die frei von Widersprüchen ist, frei von den Widersprüchen, die ein humanes Leben des "guten Menschen" nicht zulassen. 1938 entstehen einige Novellen und theoretische Schriften unter dem Titel "Der Messingkauf". "Das Leben des Galilei" wird fertiggestellt.
Mit diesem Stück, das später zweimal überarbeitet wird, stellt Brecht den Konflikt des Wissenschaftlers dar, der ein neues Weltbild schafft, das Einfluß auf die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit hat. Galilei versagt aus Angst vor der Obrigkeit, die ihn zwingt, seine Entdeckungen aus dem Bereich von Physik und Astronomie für sich zu behalten. Damit wird die Frage nach dem Verhältnis von wissenschaftlichem Fortschritt und gesellschaftlicher Moral, also die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft, gestellt.
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 bereitet Brecht seine Emigration in die USA vor; Zwischenstation ist die Insel Lidingö vor der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Im selben Jahr stirbt der Vater in Augsburg. Brecht arbeitet an dem Roman "Die Geschäfte des Herrn Julius Cäsar" und schreibt den Hörspieltext "Das Verhör des Lukullus".
Ende 1939 wird auch "Mutter Courage und ihre Kinder" fertig; dieses Stück ist nach der "Dreigroschenoper" Brechts bekanntestes Werk; die Marketenderin Courage verliert ihre Kinder, weil sie der Meinung ist, am Krieg Geld verdienen und ihre Vorteile haben zu können, ohne ihm einen Tribut leisten zu müssen. Der Krieg ist aber kein unabwendbares Schicksal, dem die Menschheit hilflos ausgeliefert ist, sondern wird von Menschen gemacht, die ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen. Diese Warnung vor dem Krieg sollte eigentlich vor Ausbruch des weltweiten Eroberungskrieges der Nazis aufgeführt werden, wurde aber zu spät fertig, um noch Wirkung haben zu können. Als im April 1940 deutsche Truppen in Dänemark und Norwegen einmarschieren, verläßt Brecht Schweden und fährt nach Helsinki. Hier schließt er die Arbeit am "Guten Menschen" ab und kann auch sein Stück "Herr Puntila und sein Knecht Matti" beenden. Der Grundbesitzer Puntila leidet immer dann unter der Unbarmherzigkeit des Kapitalismus, wenn er betrunken ist; im nüchternen Zustand ist er ein unerbittlicher Ausbeuter.
Sein Knecht Matti durchschaut ihn und zeigt das wahre Gesicht des Verhältnisses zwischen Herr und Knecht: der Herr wird zum Knecht des Knechts. Schließlich verläßt Matti seinen Herrn.
Brecht arbeitet an den "Geschichten vom Herrn Keuner" und beginnt mit der Niederschrift der "Flüchtlingsgespräche". Anfang 1941 entsteht unter Mitarbeit von Margarete Steffin "Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui"; eine bittere Komödie, in der mit den Mitteln der klassischen Tragödie die faschistische Terrorherrschaft auf das Chicagoer Gangstermilieu übertragen und so Ausmaß und Größe der faschistischen Verbrechen dargestellt werden. Am 19. April 1941 wird in Zürich "Mutter Courage und ihre Kinder" uraufgeführt; Brecht ist unzufrieden mit dieser Inszenierung, weil er aus den Theaterkritiken entnehmen kann, daß man seine Absicht mißverstanden und aus dem Lehrstück eine Tragödie gemacht hat.
Über Sibirien und Manila gelangt Brecht auf der Flucht vor den nach Finnland vorrückenden Faschisten nach Los Angeles. In Santa Monica, einem Stadtteil von Hollywood, läßt sich die Familie nieder. Durch den schnellen Vormarsch der Deutschen sind die Möglichkeit für eine Theaterarbeit immer geringer geworden; Brecht kann kaum noch mit Tantiemen für Aufführungen seiner Stücke rechnen und versucht deshalb, in der Filmindustrie einen Job zu erhalten. Es bleibt bei den Versuchen, da Brecht mit den Arbeitsverhältnissen in den USA nicht zurechtkommt. In Santa Monica besteht eine deutsche Emigrantenkolonie, zu der auch Freunde Brechts gehören. Durch sporadische Filmaufträge und großzügige Unterstützung von Freunden kann sich die Familie durchschlagen.
Brechts Sohn Frank fällt als deutscher Soldat in Rußland; sein Sohn Stefan wird amerikanischer Staatsbürger und bleibt später in den USA. Die Teilnahme an Diskussionen eines Soziologenkreises um die Theoretiker Max Horkheimer und Herbert Marcuse ("Frankfurter Schule") liefert Brecht Materialien für den "Tui-Roman", einer Satire auf theoretisch-isolierten Intellektualismus. Gemeinsam mit Lion Feuchtwanger schreibt Brecht 1943 "Die Geschichte der Simone Machard", die Geschichte des Kampfes eines Dienstmädchens gegen Kollaboration und Kapitulationsbereitschaft der besitzenden Klasse in Frankreich während der Naziherrschaft. Im Februar 1943 wird wiederum in Zürich "Der gute Mensch von Sezuan" und im September "Leben des Galilei" aufgeführt. Brecht hat Kontakte zum Emigrantenkreis um den Leiter des Malik-Verlages, Wieland Herzfelde; er gehört zu den Mitbegründern des "Nationalkomitees Freies Deutschland".
Der Versuch, alle deutschen Hitlergegner im Exil zu einen, schlägt fehl, weil die Gegensätze zwischen marxistischen und bürgerlichen Intellektuellen nicht überbrückt werden können.
1944 entsteht "Der kaukasische Kreidekreis", eine Parabel um den schlauen Richter, der ein Kind nicht der leiblichen Mutter zuspricht, sondern einem Mädchen, das sich seiner angenommen hat; die Parabel ist eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der kaukasische Kolchosbauern über die richtige Verteilung der Güter unter die Menschen diskutieren, die bereit sind, am Aufbau des Sozialismus mitzuarbeiten. Anfang 1945 beginnt Brecht damit, das Kommunistische Manifest in Verse zu übertragen; es entsteht ein fragmentarisch gebliebenes "Lehrgedicht von der Natur der Menschen". Mit dem englischen Schauspieler Charles Laughton übersetzt er den "Galilei" ins Englische und erarbeitet eine Modellinszenierung. Die Figur des Galilei wird völlig neu umgearbeitet. 1947 wird der "Galilei" mit Charles Laughten in der Hauptrolle in Beverly Hills uraufgeführt. Brecht bemüht sich sofort nach Kriegsende um eine Rückkehr nach Europa.
Am 30. Oktober 1947 wird er vor dem “Komitee für antiamerikanische Umtriebe” des Kommunistenjägers McCarthy über seine Beziehung zur KPD verhört.
4. Rückkehr nach Deutschland
Brecht fliegt am nächsten Tag nach Paris. Am 5. November trifft er in Zürich wieder mit Caspar Neher zusammen.
In der Schweiz sucht er nach Arbeitsmöglichkeiten; es gelingt, in Chur 1948 die von Neher und Brecht bearbeitete und eingerichtete "Antigone des Sophokles” aufzuführen. Brecht schreibt das "Kleine Organen für das Theater" und erlebt die Uraufführung des "Puntila" am Züricher Schauspielhaus. Ende des Jahres verhandelt er in Salzburg über eine Anstellung. Noch weiß Brecht nicht, in welchem Teil des besetzten Deutschlands er sich niederlassen soll; aus Ostberlin erhält er ein Angebot, dort seine Theater-Arbeit fortzusetzen; eine Einreise in die amerikanische Besatzungszone wird nicht gestattet. Brecht bemüht sich um die österreichische Staatsbürgerschaft, die er und seine Frau nach langem Warten 1950 auch erhalten. Schon Ende 1948 reist er kurz nach Ost-Berlin, wo die Arbeit an der “Mutter Courage" sofort begonnen wird.
In Zürich sucht er gemeinsam mit Helene Weigel Mitarbeiter für ein geplantes "Berliner En-semble". Im Sommer 1949 beginnt die Arbeit des Berliner Ensembles, die von der Regierung der DDR großzügig unterstützt wird. In Ost-Berlin endlich findet Brecht alle Voraussetzungen für eine Theaterarbeit, die der praktischen Verwirklichung seiner im Exil ausgearbeiteten Theorie vom epischen Theater dient. Brecht bearbeitet den "Hofmeister" von Lenz” und veröffentlicht die "Kalendergeschichten". Der Verleger Peter Suhrkamp setzt die unterbrochene Reihe der "Versuche" mit Heft 9 "Mutter Courage und ihre Kinder" fort.
Nach einer Probeaufführung der von Paul Dessau vertonten Oper "Das Verhör des Lukullus" wird von der SED heftige Kritik geübt; Brecht arbeitet die Oper um, die nun den Titel "Die Verurteilung des Lukullus" trägt.
Im Oktober 1951 wird Brecht der Nationalpreis 1. Klasse der DDR verliehen. Er bearbeitet Shakespeares "Coriolan" und Anna Seghers "Der Prozeß der Jeane d'Arc zu Ruoen 1431". Im Mai 1953 wird Brecht zum Präsidenten des PEN-Zentrums Ost und West gewählt. Im Sommer desselben Jahres entsteht "Turan-dot oder Der Kongreß der Weißwäscher". Neben der Arbeit mit dem Berliner Ensemble, die zu den großartigsten Theaterexperimenten der Welt gehört, und die zu verschiedenen Modellinszenierungen Brecht'scher Stücke führt, reist Brecht auch ins westliche Ausland.
Während der Unruhen 1953 in der DDR gerät Brecht in einen Konflikt zur Partei; er teilt in einem Telegramm aber seine Ergebenheit mit und schließt sich damit der offi-ziellen Interpretation der Ereignisse als gezielter Störaktionen und Provokationen durch den Westen an. Im Januar 1954 wird Brecht in den künstlerischen Beirat des Ministeriums für Kultur berufen. Das Berliner Ensemble zieht in ein eigenes Haus um, das Theater am Schiffbauerdamm; zur Eröffnung wird die von Brecht neubearbeitete Molière-Komödie "Don Juan" gespielt. Brecht wird Vizepräsident der Deutschen Akademie der Künste und erhält in Moskau im Mai 1955 den Stalin-Friedenspreis.
Kurz darauf beginnen die Arbeiten zum "Courage-Film" in den DEFA-Studios, die jedoch bald wegen Meinungsverschiedenheiten zwischen Regisseur Staudte und Brecht abgebrochen werden. Der Film wird erst fünf Jahre später fertiggestellt.
Es wird viel darüber gemutmaßt, welches Verhältnis Brecht in seinen letzten Jahren zur politischen Führung der DDR hatte. Je nach Standpunkt der Autoren wird einmal jede Differenz geleugnet (DDR-Interpretation) oder ein Widerspruch zwischen Brecht und den führenden SED-Politikern vermutet (Westliche Interpretationen). Möglich wäre, daß Brecht sich für Ost-Berlin entschieden hat, weil er als Marxist am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft mitarbeiten wollte. Belege dafür gibt es allerdings nicht. Später hat er sich dann mehr oder minder zur DDR und ihrer politischen Führung bekannt und verschiedentlich restaurative Tendenzen in der Bundes-republik kritisiert. Sicher ist aber, daß Brecht in vielen Fragen nicht mit der offiziellen Kulturpolitik der DDR übereinstimmte; inwieweit ein Konflikt vorlag, kann freilich erst beantwortet werden, wenn das umfangreiche Material aus dem Nachlaß ausgewertet ist, das erst zu einem Teil veröffentlicht wurde.
Brecht ist am 14. August 1956 achtundfünfzigjährig an einem Herzinfarkt gestorben und wurde auf dem Dorotheenfriedhof in Berlin beigesetzt.
Ideologische Entwicklung Bertold Brechts
Wenn man die politische Philosophie, Entwicklung und Aktivitäten Bertold Brechts in seinem Leben, also während des Faschismus, des Kapitalismus und des Sozialismus, besser verstehten will, muß man zunächst die persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen dieses beeindruckenden Dichters und Dramatiker genau kennen. Man muß sich zwingenderweise die Frage stellen, welche gesellschaftlichen, politischen und persönlichen Zustände und Veränderungen in dieser Zeitspanne (1898-1956) Brecht dazu bewogen haben die marxistische Ideologie als das Ideal des menschlichen Daseins zu begründen. Aus diesem Grund werde ich in den folgenden Abschnitten die ideologische Entwicklung - begleitet mit Einschnitten in das Leben von Bertold Brecht (vgl. Lebenslauf, Wiederholungen dienen dem besseren Verständniss) - erläutern, damit schnell klar wird, wie er zu dieser politisch radikal-linken Denkweise gekommen ist.
Der junge Rebell
Der junge Brecht war schon als Gymnasiast in seiner Heimatstadt Augsburg als ein selbstbewußter Rebell und Anarchist bekannt. Der Aufständige, der sich gegen das vorherrschende Milieu wehrte, gehörte überraschenderweise zu einer der wohlhabenden und bürgerlichen Familien. Sein Vater und sein Bruder Walter, führende Fachmänner in der damaligen Papierherstellungsindustrie, waren bezeichnend für die Zugehörigkeit der Familie zur Oberschicht. Brecht entpuppte sich jedoch in einem Gedicht, welches den Titel “Verjagt mit gutem Grund” trug, als ein Verräter seiner Klasse, aus dem er entstammte:
Ich bin aufgewachsen als Sohn wohlhabender Leute. Meine Eltern haben mir einen Kragen umgebunden und mich erzogen in den Gewohnheiten des Bedient werdens und unterrichtet in der Kunst des Befehlens. Aber als ich erwachsen war und um mich sah, gefielen mir die Leute meiner Klasse nicht, nicht das Befehlen und nicht das Bedientwerden.
Und ich verließ meine Klasse und gesellte mich zu den geringen Leuten.
In einigen Erzählungen Brechts, wie zum Beispiel die Kalendergeschichten, gibt es diverse Andeutungen dafür, daß Brecht sich diese politische radikal-linke Haltung von der Großmutter angeeignet hätte. Die 72 jährige alte Frau wandte sich plötzlich nach dem Tod ihres Mannes vom kleinbürgerlichen Leben ab und führte mit einfachen Leuten, wie etwa einem Pfarrer, ein ungebundenes Leben.
“...
Sie hatte die langen Jahre der Knechtschaft und die kurzen Jahre der Freiheit ausgekostet und das Brot des Lebens aufgezehrt bis auf den letzten Brotsamen...”
Der Kriegsgegner
Brechts rebellischer und interessanterweise auch antikriegerischer Standpunkt brachte ihn in den damals autoritären Gymnasien in diverse Schwierigkeiten. Er empfand einen tiefgründigen und glühenden Haß gegen den Krieg. Das ästhetische Bewußtsein und die Begeisterung der damaligen Bevölkerung für den Krieg in Deutschland deutete Brecht als junger Schüler, als etwas höchst Verwerfliches und Unvernünftiges, die gezielt (seitens der Herrschenden) nur als Propaganda dienen sollte.
Der Akt des Krieges, die Schlacht der Soldaten, das Kämpfen um das Überleben wurde damals als etwas ästhetisch Schönes empfunden, das Brecht direkt als etwas Dummes und Inhumanes zurückwies. So riskierte er in einem Aufsatz seine gesamte Schulkarriere und schrieb: “Der Ausspruch, daß es süß und ehrenvoll sei, für das Vaterland zu sterben, kann nur als Zweckpropaganda gewertet werden. Der Abschied vom Leben fällt immer schwer, im Bett wie auf dem Schlachtfeld, am meisten gewiß jungen Menschen in der Blüte ihrer Jahre. Nur Hohlköpfe können die Eitelkeit soweit treiben, von einem leichten Sprung durch das dunkle Tor zu reden...
”
Nur mit Hilfe eines Lehrers, der mit dem Argument, der Krieg hätte den Geist des sensiblen Schülers völlig in Unordnung gebracht, wurde Brecht vor dem Ausschluß aus der Schule gerettet. Nach dem Brecht seine schulische Laufbahn erfolgreich beendet hatte und den unsystematischen Medizin- und Philosophiestudium in München wegen Einberufung zum Dienst als Sanitäter in einem Lazarett in Augsburg unterbrechen mußte, erlebte er das Schrecken und die Brutalität des Krieges von der furchterregende Seite. Die andauernde Einlieferungen von arm- und beinlosen, schwerverletzten und toten Soldaten von der Front verstärkte seinen Haß und Verneinung gegenüber dem Krieg, die sich deutlich in vielen seiner Theaterstücke (z.B. “Der kaukasische Kreidekreis”), Gedichte und Lieder widerspiegeln läßt. In einem späteren Brief an seinen russischen Freund schildert Brecht nicht nur die Brutalität und Inhumanität des Krieges, sondern auch das unglaubliche Abverlangen der Herrschenden und Mächtigen nach Produktivität des Menschen in jeder Situation.
“...Ich sah, wie Menschen zusammengeflickt wurden, damit sie so rasch als möglich an die Front zurücktransportiert werden konnten, um noch mehr zu töten...
”
Hier macht Brecht klar , daß damals die Menschen (damit ist die große Masse gemeint) in so einer penetranten und unterdrückten Gesellschaft nicht zum Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck benutzt wurden. Die Bürgerlichen, die Aristokraten, die Herrschenden mißbrauchten ihre Machtbefugnisse und schickten Tausende von Soldaten in den Tod, um ihre eigene gesellschaftliche (herrschende) Stellung in einem Land zu sichern oder gar andere Länder zu erobern, um ihre eigene politische und wirtschaftliche Herrschaft zu expandieren.
Der überzeugte Marxist
In seinen jungen Jahren war Brecht als ein Aufständiger gegen das politische System, Kriegsgegner und Antiromantiker mit nihilistischen Zügen bekannt und hatte keine unmittelbare Verbindung zum Marxismus. Der Lyriker, der sich gegen die bürgerliche Welt und Gesellschaftsordnung stellte, hatte sogar zu dem Zeitpunkt (1922/23) - widersprüchlich zu seiner späteren marxistischen Ideologie - eine antikommunistische Denkweise. In Gesprächen und Diskussionen mit Freunden und Bekannten, wie z.B.
Arnold Bronner, zeigte sich Brecht von seiner Kehrseite. Als einmal in einer Debatte die Frage anstand, ob man die Welt verändern müsse, damit die Menschen nicht mehr unter Hunger leiden müssen, dementierte Brecht sehr zynisch:
“Was geht es dich an, wenn die Menschen hungern. Man muß hinaufkommen , sich durchsetzten, ein Theater haben, auf dem man seine eigenen Stücke aufführen kann.”
Dieses Zitat zeigt jedenfalls die historische Tatsache, daß Brecht nicht schon seit jeher ein überzeugter Marxist war und dessen Vorhaben unterstützt hatte. Erst seine tieferen und sehr intensiven Studien über den Marxismus in Berlin im Jahre 1924 bis 1926 mit seinem Lehrer und Ratgeber Fritz Sternberg machten ihn zu einem überzeugten Kommunisten, der nun mit neuen Waffen der marxistischen Theorie gegen die altbekannte, spießige und bürgerliche Weltanschauung und Gesellschaftsordnung vorgehen konnte. Besonders bewundernswert war für Brecht an dieser neuen, theoretischen Weltanschauung, der kritische und entlarvende Umgang mit den totalitären (Faschismus) und liberalistischen (Kapitalismus) Systemen, denen er selbst als Nicht-Marxist ebenso kritisch gegenmüber stand.
Obwohl Brecht ein Kriegsgegner war und sich somit stets gegen Gewalt ausgesprochen hatte, folgte er nach diesem Studium den Weg der Revolution, die notwendig sei, die kapitalistische Gesellschaft zu überwinden, um eine klassenlose, gerechte Gesellschaft herzustellen. Nach Brechts Auffassungen kann Gewalt nur dann akzeptiert werden, wenn am Ende der Gewalt die Gewaltlosigkeit, die Freiheit und Freundlichkeit der kommunistischen (klassenlosen) Gesellschaft bevorsteht. Brecht als Exilschriftsteller in den Vereinigten Staaten, wo viele seiner Stücke entstanden sind, verneinte zwar die Mitgliedschaft der KPD (Kommunistische Partei in der Weimarer Republik) gegenüber des Untersuchungsausschusses antiamerikanischer Umtriebe (“Commitee of Unamerican Activities”), aber er fühlte sich als einen überzeugten Marxisten und setzte sich aufrichtig für die kommunistischen Aktivitäten ein und tat alles, um sie mit seinen Talenten und Fähigkeiten als Dichter und Dramatiker zu fördern. Brechts Begeisterung für die Partei (KPD) vor der Hitlerherrschaft in Deutschland war sehr groß. So schrieb er im Jahre 1930 eines seiner propagandistischen Gedichte, das mit rhetorischen Mittelen eine direkte Suggestivität der Bevölkerung in Deutschland beabsichtigte.
Lob der Partei
Der Einzelne hat zwei Augen Die Partei hat tausend Augen.
Die Partei sieht sieben Staaten, der Einzelne sieht eine Stadt. Der Einzelne hat seine Stunde, aber die Partei hat viele Stunden. Der Einzelne kann vernichtet werden, aber die Partei kann nicht vernichtet werden. Denn sie ist der Vortrupp der Massen und führt ihren Kampf mit den Methoden der Klassiker, welche geschöpft sind aus der Kenntnis der Wirklichkeit.
In dieser Zeit der Ratlosigkeit der Bevölkerung aufgrund des wirtschaftlichen Niedergangs und damit wachsender Armut und Elend in der Weimarer Republik propagierte Brecht - wie viele andere Intellektuelle seiner Zeit auch - für die kommunistische Partei und wollte mit diesem Gedicht das Geimeinschaftsgefühl der Menschen und vor allem ihr politisches Aktionsbewußtsein stärken. Die Stärke und der damit verbundene Erfolg zur Besserung der Zustände verspricht uns Brecht in der politischen Tätigkeit und Einsatz nicht im Individuum selbst, sondern im Kollektiv.
Die letzten drei Zeilen enthalten die Begründung für die kämpferisch-revolutionäre Haltung der selbstlosen Partei. Gleichzeitig wird die “Methode der Klassiker” (damit ist die Methode für die Aufrechterhaltung der Klassengesellschaft gemeint) - kritisiert und als unbrauchbar zurückgewiesen. Die Zeit der Revolution des Proletariats, der unterdrückten Masse ist gekommen und nicht einmal die “Klassiker” könnten sie verhindern. Der notorische Philanthrop Brecht stellt auch in seinem “Lied vom Wasserrad” (1934) die Stärke der unterdrückten und ausgebeuteten Masse ins Zentrum. Mit dem folgenden Refrain im ersten und zweiten Abschnitt des Liedes macht Brecht klar, daß die Herrschenden und Reichen dieser Erde nur durch harte Arbeit der großen, ausgebeuteten Klasse überleben können, und daß diese Klasse das Rückgrad für die Gesellschaft bildet:
Freilich dreht das Rad sich immer weiter Daß, das was oben ist, nicht oben bleibt. Aber für das Wasser unten heißt das leider Nur: das es das Rad halt ewig treibt
In der zweiten Zeile macht Brecht schon Andeutungen darauf, daß dieser Gesellschaftszustand auch irgendwann sein Ende haben wird, und somit noch die Hoffnung besteht, befreit zu werden.
Im dritten Teil des Liedes ändert sich der Refrain von einem passiven, resignierten Zustand zu einem aktiven, revolutionären Standpunkt, der der unterdrückten Masse Mut machen soll: Denn dann dreht das Rad sich nicht mehr weiter und das heiter Spiel, es unterbleibt wenn das Wasser endlich mit befreiter Stärke seine eigene Sach betreibt.
Für den öffentlich-bekennenden sozialistischen Gesellschaftskritiker bot die angeeignete Ideologie eine Reihe von Vorteilen. Er wußte seine Position in der kommunistischen Welt zu nutzen. Sowohl in seiner Exilzeit in der Sowjetunion, als auch während seiner letzten Lebensjahren in Ostberlin wählte er sich den günstigsten Standort aus, der ihm materiellen Vorteile und einen Maximum an Bewegungsfreiheit bot. Mit seinem eigenen Ensemble und Theater in Ostberlin, einem österreichischen Paß in der Tasche und dem Urheberrecht seiner Werke in den Händen eines westdeutschen Verlegers, konnte Brecht sich der Verfolgung seiner künstlerischen und politischen Ziele widmen.
Der Nihilist und Parteikritiker
Die kommunistische Gesellschaftsform, die sich Marx ausgedacht hatte, erwies sich zum größten Bedauern von Brecht in der Praxis als nicht durchführbar.
Nach der Oktoberrevolution von 1917 in Rußland entwickelte sich das stalinistische System, das dem Faschismus mit ihren menschenfeindlichen Zügen sehr ähnelte. Die Staatsform war weit davon entfernt kommunistisch zu sein. Der Terror während der Stalin-Zeit und die Kulturrevolution Maos in China standen im krassen Gegensatz zum Versprechen von freier Entfaltung der Persönlichkeit. Die Volksdemokratien waren nichts anderes als kommunistische Diktaturen. Die Wahlen wurden entweder gefälscht oder manchmal war gar keine Fälschung nötig, weil die kommunistische Partei der einzige Kandidat war. Das Recht auf freie Meinungsäußerung war sowieso nicht vorhanden.
Selbst der gläubige Marxist Brecht mußte diese Tatsachen in seinem Tagebuch im Jahre 1943 eingestehen: “Im Faschismus erblickt der Sozialismus sein verzerrtes Spiegelbild. Mit keiner seiner Tugenden, aber allen seinen Lastern.” Die Befürchtung, daß auch er als ein intellektueller Unterstützter des Marxismus von Stalin mißbraucht werden könne, führte ihn dazu die Sowjetunion zu verlassen und nach den USA zu emigrieren. Innerlich wurde der marxistische Autor förmlich “aufgefressen”. Der kommunistische Staat als Lösung zur Unterdrückung im Kapitalismus und Faschismus erwies sich als misanthropisch. Brecht versank deshalb in einem Dilemma.
Ihm blieb keine geeignete Ideologie zur Deutung der Wirklichkeit. Die Persönlichkeit Brechts zu dem Zeitpunkt läßt sich mit der Figur des Richters Azdak im “kaukasischen Kreidekreis” gleichsetzen. Azdak ist ein widersprüchlicher Mensch. Er ist ein intellektueller Mann (“geistiger Mensch”, wie er sich nennt), der irrational handelt, ein Rebell, der sich gegen das vorherrschende Milieu wehrt, aber trotzdem opportunistische Charakterzüge aufweist (d.h. er paßt sich der Situation an.
). Dieser Nihilismus prägt sich auch stark in vielen seiner politischen Gedichte:
Der Radwechsel
Ich sitze am Straßenhang. Der Fahrer wechselt das Rad. Ich bin nicht gern, wo ich herkomme. Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre. Warum sehe ich den Radwechsel mit Ungeduld?
Auf die Ratlosigkeit Brechts deutet in diesem Gedicht das lyrische Ich.
Es sitzt am Straßenrand und scheint keine Wirkung auf die Geschehnisse zu haben. Der Fahrer, der eine Panne an seinem Fahrrad reparieren möchte, symbolisiert die Not und das Dilemma in der Gesellschaft (und zwar in allen Gesellschaftsformen: Faschismus, Kapitalismus, Sozialismus/Stalinismus). In der dritten und vierten Zeile identifiziert sich Brecht mit dem lyrischen Ich und weist darauf hin, daß er weder wo er herkommt (Faschismus) glücklich war, noch wo er hingeht (Sozialismus) glücklich sein wird. Daß der Radwechsel mit Ungeduld erwartet wird, zeigt noch, daß Brecht sein letztes Stück Hoffnung nicht aufgegeben hat. Der erfolgte Radwechsel soll dann die neu entstandene, freundlichere Welt symbolisieren. Nach seinem Exilleben in den USA geriet Brecht durch solche Dichtungen und andere kontroverse Stücke - besonders durch “Die Maßnahme” - in einige Schwierigkeiten mit der damaligen SED im Ostberlin.
Die Partei verbot nämlich zahlreiche Aufführungen der Stücke, darunter auch “Die Maßnahme”. Brecht konnte sich aus diesen Zwängen nur mit Hilfe satirischen Erzählungen, wie “Die Lösung”, befreien, die ich kommentarlos als Beispiel anführe:
Die Lösung
Nach dem Aufstand des 17. Juni ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands in der Stalinallee Flugblätter verteilen auf denen zu lesen war, daß das Volk das Vertrauen der Regierung verscherzt habe und es nur durch doppelte Arbeit zurückerobern könne. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?
Ausgewählte Stücke und Interperation “Mutter Courage und ihre Kinder”
Inhaltsangabe
Die Handlung spielt im Dreißigjährigen Krieg, spielt über viele Jahre hinweg und ist in 12 prägnante Einzelszenen geteilt, die aneinandergereiht wurden. Vor jeder Szene wird ein Überblick gegeben, was in dieser Szene passiert um so die Spannung zu nehmen. Damit soll man sich schon während des Lesen über die Person “Courage” ärgern und zum Nachdenken angeregt werden.
Anna Fierling, auch Mutter Courage genannt, zieht mit ihrem Marktwagen, ihren beiden Söhnen, dem mutigen Eilif, dem ehrlichen, aber dummen Schweizerkas und ihrer stummen Tochter Kattrin durch die Lande.
In Südschweden wird Eilif von einem Feldwebel für den Krieg geworben. Die sehr pessimistisch eingestellte Mutter Courage sagt dem Feldwebel den Tod voraus, aber auch , daß ihre eigenen Kinder den Tod finden werden. Zwei Jahre später sieht sie ihren Sohn Eilif als Held in Polen wieder. Seine Heldentat, er hat einem Bauern sein Vieh gestohlen, quittiert sie mit einer Ohrfeige. Gemeinsam mit einem finnischen Regiment gerät Mutter Courage in Gefangenschaft der Katholiken.
Als Schweizerkas die Regimentskasse in Sicherheit bringen will, wird er ertappt, was eine Verurteilung vor dem Feldgericht zur Folge hat. Um ihn auslösen zu können, verpfändet Mutter Courage ihren Wagen, doch sie feilscht so lange, bis Schweizerkas erschossen wird. Als ihr Wagen mutwillig zerstört wird, möchte sie sich beim Rittmeister beschweren, doch sie besinnt sich, denn es ist ihrer Meinung nach besser, im Krieg Handel zu treiben als Gerechtigkeit zu suchen. Ein protestantischer Feldprediger hilft ihr, sich dem Heer der Katholischen anzuschließen. Der Feldprediger macht ihr auch Heiratsanträge, die sie jedoch ablehnt, da der Frieden näherrückt, und dies eine schlechte Zeit zum Heiraten für Mutter Courage ist. Aufgrund eines Überfalls auf Kattrin wechselt Mutter Courage die Front, aber durch den Tod König Gustavs, ist der Frieden unaufhaltbar.
Eilif wird zum Tode verurteilt, weil er eine Bauersfrau umgebracht hat. Vier Jahre vergehen. Ein paar kaiserliche Soldaten zwingen einen Bauern, ihnen einen Schleichweg in die Stadt Halle zu zeigen, da sie Halle stürmen wollen. Kattrin belauscht das Gespräch, steigt auf das Dach des Hauses und trommelt die Bewohner der Stadt wach, um sie zu warnen. Sie schafft es auch, wird jedoch von einem Soldaten vom Dach heruntergeschossen. Mutter Courage zieht mit ihrem Wagen alleine weiter.
Sie hat alle drei Kinder verloren und nichts aus dem Krieg gelernt.
Charaktere der Kinder:
Eilif: Eilif ist der ältere und tapfere Sohn. Er stirbt, weil er sich selbst treu bleibt und so im Sinne seiner Mutter handelt. Im Krieg ist er der große Held, weil er brutal die Bauern erschlägt und ihnen das Vieh raubt. Er wird für seine Tat ausgezeichnet. Im Frieden tut er das gleiche, aber nun ist es ein Verbrechen, und er wird erschossen.
Eilif wird hingerichtet, weil er sich nicht den gegebenen Umständen anpassen kann, und nicht gelernt hat, sich im Frieden anders zu verhalten, als im Krieg.
Schweizerkas: Schweizerkas ist so ehrlich, daß er die Regimentskasse auch dann nicht an den Feind ausliefern will, als sein Leben bedroht wird. Er hat dabei nicht den eigenen Vorteil im Sinn, sondern handelt nur ehrlich, so wie es ihm seine Mutter gelehrt hat. Auch er kann nicht abwägen, wie in einer besonderen Situation gehandelt werden muß.
Kattrin: Um Kattrin, ihre stumme Tochter, ist die Mutter Courage besonders besorgt, doch die verunstaltende Wunde erhält Kattrin, als sie für ihre Mutter Waren abholt. In der zehnten Szene versucht Kattrin mit Trommelschlägen die Bürger der Stadt Halle vor dem bevorstehenden Überraschungsangriff zu warnen.
Diese völlig uneigennützige Tat kostet Kattrin das Leben. Die Bauern, denen das Haus gehört auf dessen Dach Kattrin trommelt, sind genauso wie Courage. Sie wollen sich heraushalten, auch wenn Mitmenschen dabei ums Leben kommen. Die Schrecken und Grauen des Krieges haben es nicht geschafft, die Leute aus ihrer egoistischen Haltung herauszureißen, da sie nur den eigenen Vorteil sehen. Kattrin handelt aber ohne Eigennutz, aus rein sozialen Motiven.
Interpretation:
Mutter Courage will ihre Kinder aus dem Krieg heraushalten, als sie jedoch einem Feldwebel eine Schnalle verkaufen will, wirbt ein anderer Werber ihren Sohn Eilif an.
Hier zeigt sich ein Widerspruch zwischen Mutter und Händlerin. Sie stellt die Interessen der Händlerin über die der Mutter. Ihr Programm, sich aus dem Krieg rauszuhalten und vom Krieg zu verdienen, kann sie nicht verwirklichen, sie muß dem Krieg auch etwas geben. Das Verhältnis der Courage zum Krieg ist wirtschaftlich, d. h. sie sucht im Krieg ihren Vorteil.
Sie muß den Krieg also bejahen. Während andere sich über den Frieden freuen, bedeutet er für sie den Ruin. So wie sie auch ihren ersten Sohn während eines Handels verloren hat, so verliert sie auch ihren 2. Sohn, Schweizerkas. Sie ist zu spät dazu bereit gewesen, ihre Existenzgrundlage ( ihr Karren) für das Leben ihres Sohnes einzutauschen. Sie stellt wieder ihr wirtschaftliches Interesse vor das Leben ihrer Kinder.
Brecht will auffordern, sich entweder für oder gegen den Krieg zu bekennen. Man kann nicht nur Nutzen aus dem Krieg ziehen, denn er ist immer mit Tod, Verlust und Zerstörung verbunden.
Courage bezahlt ihre ökonomischen Interessen mit dem Verlust ihrer drei Kinder und am Ende auch mit dem persönlichen Ruin. Die Uneinsichtigkeit der “kleinen Leute” hält die Kriege der “Großen” am Leben und macht sie immer wieder möglich. Dieses Antikriegsdrama ist ein Paradebeispiel für Brechts “episches Theater”.
Der kaukasische Kreidekreis
Inhalt:
"Der Kaukasische Kreidekreis" ist heute eines der meistgespieltesten Stücke auf deutschen Bühnen.
Brecht erzählt hier alte Motive, die sich ebenso in der Bibel wie in alten chinesischen Märchen finden, auf seine Weise neu: Nach einem Staatsstreich gegen den Großfürsten wird der reiche Gouverneur Abaschwili hingerichtet. Seine Frau kann entkommen, läßt aber ihren Sohn Michel einfach zurück, da sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist.. Die Magd Grusche nimmt sich nach einigem Zögern des Kindes an und flieht mit ihm ins Gebirge, da der Thronfolger überall gesucht wird, und 1000 Piaster auf seine Ergreifung ausgesetzt sind. Grusche hat kaum Geld, um Michel zu ernähren, und deswegen erwägt sie schon, ihn einfach vor der Tür eines Bauernhofes auszusetzen, doch sie bringt es nicht über’s Herz. Die Schergen des Fürsten Kazbeki, die Panzerreiter sind ihr auf den Fersen, Grusche entkommt ihnen jedoch immer mit Glück.
Im Gebirge gelangt sie dann endlich zu ihrem Bruder, der inzwischen mit einer sehr frommen Frau verheiratet ist. Obwohl sie mit dem Soldaten Simon verlobt ist, heiratet sie einen angeblich sterbenskranken Bauern, um ihr Ziehkind durch ein "Papier mit Stempel" angesichts des wachsenden Mißtrauens ihrer Schwägerin zu legitimieren. Dieser Bauer erweist sich aber plötzlich als kerngesund nachdem die Nachricht über das Ende des Krieges eintrifft. Nach dem Bürgerkrieg kehrt die Gouverneurin zurück und will die Herausgabe ihres Kindes erstreiten. Der Fall wird von dem einfachen, aber schlauen Dorfschreiber Azdak verhandelt, der im Krieg zu Amt und Würden gelangt ist und beim Volk als Armeleuterichter gilt. In dem nun zu verhandelnden Fall ordnet er an, den Beweis der Mutterschaft zu erbringen.
Der Richter läßt das Kind in einen Kreidekreis stellen. Beide Frauen sollen gleichzeitig versuchen, das Kind zu sich aus dem Kreis herauszuziehen. Schließlich erweist sich Grusche als die wahre Mutter des Kindes, da sie zuerst losläßt, damit dem Kind kein Leid geschieht. Nicht Erbrecht und Blutsbande entscheiden, sondern wahre Liebe und Aufopferung, die sich durch die soziale Mutterschaft entwickelt haben.
Charakteristik der Personen:
In der Ziehmutter des Kindes, Grusche Vachnadze, und dem Richter Azdak hat Brecht zwei seiner vielschichtigsten und beeindruckendsten Bühnencharaktere geschaffen. Somit wird der Kreidekreis gleichzeitig zu einem persönlichen Psychogramm zweier gewöhnlicher Menschen, die Ungewöhnliches leisten.
Grusche Vachnadze ist eine einfache Dienstmagd, die durch eine Verkettung von Zufällen dazu kommt, Michel in Obhut zu nehmen. Sie weiß, wie gefährlich es ist, mit dem Gouverneurserben erwischt zu werden, und sie braucht eine ganze Nacht, bevor sie der “schrecklichen Verführung der Güte” erliegt. Sie erkennt, daß das Leben des Kindes von ihr abhängt, und das sie sich dem Anspruch des Kindes auf ihre Hilfe nicht entziehen kann. Grusche verkörpert jedoch die Ausnahme, so sehr sie auch schnell weg möchte, das hilfsbedürftige Kind liegen zu lassen, bringt sie nicht fertig. Sie unterscheidet sich darin nicht nur von der Frau des Gouverneurs, die sich mehr um ihre teuren Kleider als um ihr Kind kümmert, sondern von allen umstehenden Personen, die sich vor der Verantwortung drücken, und nur ihr eigenes Interesse wahren, indem sie sich selbst in Sicherheit bringen. Grusche tut das Ungewöhnliche, sie zeigt die andere, unter den herrschenden Verhältnissen ungewöhnliche, Möglichkeit: Opferbereitschaft aus sozialen und humanitären Gründen.
Deswegen bringt sie es auch nicht fertig, Michel einer fremden Bäuerin zu überlassen, obwohl viele Argumente dafür sprechen, zu sehr hat sie Michel schon ins Herz geschlossen.
Die Volksgestalt Azdak ist eine vergnügliche Bühnenfigur, sie ist jedoch nicht für unverbindliches Zuschauervergnügen gedacht. Azdak ist eigentlich Dorfschreiber, der aus einer Laune der Panzerreiter heraus, für 2 Jahre zum neuen Richter gemacht wurde. Während dieser zwei Jahre verdreht er das Recht zum Nutzen der armen Leute, und stellt damit beinahe so etwas wie Gerechtigkeit her. Doch am Ende der 2 Jahre fürchtet er schon das Schlimmste, wird jedoch vom Großfürsten nicht nur gerettet, sondern er darf sein Amt weiter ausüben. Somit hat er über den Fall von Michel zu entscheiden, und nach Anwendung der Kreidekreisprobe beweist er einmal mehr seinen Gerechtigkeitssinn und spricht Grusche das Kind zu.
Azdak beweist tiefe Menschlichkeit und soziale Weisheit, obwohl seine Erscheinung auf einen lustigen, gefräßigen und einfachen Dorfschreiber schließen läßt. Das Leitwort seiner Rechtsprechung wird von den Panzerreitern so definiert: “Immer war der Richter ein Lump, jetzt soll ein Lump der Richter sein.” Azdak richtet immer parteilich zugunsten der Armen, nicht ohne vorher von den Reichen Geld zu nehmen. Er achtet zwar streng auf die Würde des Gerichts, verwendet aber das Gesetzbuch, Sinnbild des Rechts der Ausbeuter, als Sitzkissen. Azdaks Richterschaft ist jedoch gebunden an eine Ausnahmesituation, so legt er seine Tätigkeit auch nieder, nachdem er ein letztes Mal für die Armen entschieden hatte.
Interpretation:
Ein umstrittener Teil des Stücks ist das Vorspiel, in dem es um den Streit zwischen zwei Ortschaften geht.
Streit ist es jedoch kein wirklicher, da das Ergebnis schon vorher feststeht, es keine wirkliche Opposition gibt. Die Vernunft soll bestimmen, und der Streit wird sicher auf einvernehmliche Weise geklärt. Das Vorspiel soll die Einleitung zum eigentlichen Stück sein, jedoch ist der Streit um ein Stück Land nicht unbedingt dem um ein Kind gleichzusetzen.
Das Vorspiel wurde von den westlichen Kritikern als typisch für das kommunistische System bezeichnet und als lächerlich verworfen, so daß die ersten Aufführungen im Westen einfach gleich mit dem eigentlichen Stück beginnen.
Kritikbeispiele: “Bolschewistisches Einwickelpapier”, “Idyll in Rosa..
.ein Kindermärchen aus dem man die Hexe herausgeschnitten hat”.
Doch auch im Osten fand man nicht viel gefallen am Vorspiel, so wurde z.B. der an den Haaren herbeigezogene Zusammenhang zwischen Vorspiel und Geschichte kritisiert.
Ein Aspekt der Kritik in dem Stück ist Brechts Kritik an der Macht des Geldes, die allgegenwärtig ist.
Es entsteht eine ganze soziale Werteskala, auf die Azdak Bezug nimmt wenn er sich nach dem Anwaltshonorar erkundigt: “Ich frag, weil ich ihnen anders zuhör, wenn ich weiß, sie sind gut”. Zwischen der in Rede stehenden Summe und der moralischen Qualität der Person besteht ein direkt umgekehrtes Verhältnis. Die lauterste Person hat auch den geringsten Wochenlohn, Grusche bekommt 2 Piaster in der Woche, der Preis für ein wenig Milch. Die Panzerreiter sind alle für Geld zu haben, die Mutter des Bauern, den Grusche zum Schein heiraten soll, verlangt 400 Piaster dafür, und je höher man in der Hierarchie aufsteigt, desto schwindelerregender werden die Beträge. Anstatt Millionenbeträge für die Armee zu verwenden, wanderten sie einfach in die Taschen der korrupten Fürsten.
Der Protest gegen den Krieg ist ein weiteres zentrales Thema des Stücks.
Schon das Vorspiel ist nach dem 2.WK angesiedelt, und alles ist zerstört. Grusches Verlobter Simon muß in den Krieg ziehen und so verliert sie ihn beinahe. Einige Lieder greifen diese Thematik auf, wie Azdaks Antikriegslied, das er noch vor seinem Großvater hält. Der Höhepunkt des Themas ist sicher die gespielte Gerichtsverhandlung, wo Azdak als Großfürst die Friedensschwüre des fetten Fürsten lächerlich macht und mit den knappen Worten schließt: “Fürsten kämpften, kämpften um Kriegslieferungskontrakte”.
Das zentrale Thema des Stücks ist natürlich die Gerechtigkeit.
Die Kreidekreis-Probe findet man schon in der Bibel oder in chinesischen Volksstücken, nur das dort die leibliche Mutter mit der Gewinnerin der Probe übereinstimmt. Für Brecht beruht die Mutterschaft also mehr auf Menschlichkeit und sozialen Aspekten, als auf Blutsbanden. Es steht also eine eindeutig sozial motivierte Rechtsfindung zur Diskussion.
Azdak’s Urteil ist rein juristisch nicht tragbar, im Lichte menschenwürdigen Denkens und Handelns ist es jedoch das einzig mögliche: die Entscheidung für die Mütterlichkeit als humanes Prinzip.
Überhaupt ist Azdak’s gesamte Rechtsprechung eindeutig mit einer Klassenjustiz gleichzusetzen, die Angehörigen der feindlichen Klassen wie der Gouverneur, seine Frau, der Großfürst, der Fürst und die Grundbesitzer haben somit im vorhinein jeglichen Anspruch auf Recht verspielt. Azdak’s Mitleid mit den Armen äußert sich in Rache und Unrecht gegenüber den “Klassenfeinden”.
Trotz Brecht’s genialer dichterischen Kunst, die Azdak im bestmöglichen Licht erscheinen läßt, vertritt Brecht hier die Vergewaltigung des allen Menschen zustehenden Rechts im Klasseninteresse. Insofern entfernt sich das Stück also von der eigentliche Aussage der Kreidekreis-Probe, die da lautet, “Gerechtigkeit sei dein höchstes Ziel”.Die heilige Johanna im Wandel der Literatur
Um in die Geschichte der heiligen Johanna einzuführen möchte ich zuerst etwas über die historische Johanna erzählen:
Historische Johanna
Unter dem französischen König Philipp II. August, dem es gelang die Macht der großen Feudalherren einzuschränken, begann der Machtkampf zwischen England und Frankreich. Zum offenen Ausbruch kam es, als die englischen Verwandten des Königsgeschlechtes von Frankreich, welche 1334 ausgestorben waren, Ausspruch auf den französischen Thron geltend machen wollten. Dies lehnte Frankreich entscheidend ab, und schon griffen die Engländer zu den Waffen und besetzten weite Teile Frankreichs.
Als die Eindringlinge die Stadt Orleans belagerten, trat das Bauernmädchen JEANNE D’ARC auf. An der Spitze einer Truppe brachte sie der belagerten Stadt Entsatz den Sieg und führte den jungen König Karl in einem legendär gewordenen Siegeszug zur Krönung nach Reims. Obwohl sie bald darauf von den Engländern gefangen genommen und 1431 als Hexe verbrannt wurde, hatte das französische Heer durch ihr kühnes Vorgehen, soviel Selbstvertrauen gewonnen, daß das Heer den Krieg endgültig für Frankreich entscheiden konnte. Jeanne d’Arc wurde heilig gesprochen. Diese Person, Jeanne d’Arc bewegte viele Dichter dazu, sie in einem Stück ihrer Auffassung nach darzustellen. Zwei von ihnen sind Friedrich Schiller und Bertold Brecht auf die ich nun noch etwas näher eingehen möchte.
Schiller’sche Johanna
1801 wurde die Jungfrau von Orleans erstmals aufgeführt!
Die romantische Tragödie, “Die Jungfrau von Orleans” spielt in Frankreich im 15. Jahrhundert. Es herrscht Krieg mit England und das Land ist gespalten. Der Machtkampf der Herzöge von Orleans und Burgund erleichtert den Engländern das Vordringen in Frankreich. Der Norden von Frankreich ist bereits besetzt und gemeinsam mit den Engländern belagert der Herzog von Burgund, welcher sich den Engländern angeschlossen hat, Orleans.
Thibaut d’Arc, Vater von drei Töchtern verheiratet noch schnell, bevor der Krieg in die Gegend zieht, seine beiden Töchter Margot und Louison mit ihren Freiern.
Er will auch Johanna seine jüngste Tochter mit ihrem Bewerber Raimond verheiraten, doch fühlt sich Johanna zu höherem berufen. Sie hat Stimmen vernommen, die ihr den Auftrag gaben, ihr Land von den Engländern zu befreien und ihren König in Reims zu krönen.
Als Johanna vernimmt, dass die Engländer vor Orleans stehen, hält sie nichts mehr in ihrem kleinen Dorf und sie zieht in die Schlacht. Johanna gewinnt die Schlacht und befreit Orleans von seinen Belagerern. Diese Tat dringt bis an die Ohren von Karl VII und dieser tritt Johanna in Chinon gegenüber..
.
Mit dem Bild der Himmelskönigin auf ihrer Fahne, zieht sie mit den Franzosen von Sieg zu Sieg. Im Lager der Engländer verbreitet sich in der Zwischenzeit die Nachricht von der unbesiegbaren Jungfrau wie ein Lauffeuer und lähmt die englischen Unternehmungen. Johannas Fähigkeiten sind aber nicht nur auf dem Schlachtfeld zu finden, denn es gelingt ihr mit höchstem diplomatischen Geschick den abtrünnigen Herzog von Burgund wieder für Frankreich zurückzugewinnen.
Durch ihre Taten werden die tapfersten Ritter, Dunois und La Hire auf sie aufmerksam und halten um ihre Hand an. Doch Johanna muß alle derartigen Anträge zurückweisen, da sie nur ihrem göttlichen Auftrag dienen darf und aller irdischer Liebe versagen muß.
Talbot, der Anführer der Engländer fällt im Kampf und der Weg für Johanna scheint nun frei zu sein. Da taucht ein schwarzer Ritter auf, der Johanna davon abrät weiterzukämpfen und er warnt sie auch vor der Krönungsstadt Reims und verschwindet wieder.
Doch Johanna läßt sich nicht einschüchtern und sucht sich den nächsten Gegner, den sie in Lionel findet. Durch ein plötzlich in ihr aufkeimendes Gefühl wird ihr verwehrt, ihn zu töten und läßt ihn flüchten. Johanna fühlt sich daraufhin schuldig, denn ihre Gedanken schweifen immer wieder zu Lionel ab. In diesem Konflikt zwischen Liebe und Pflichtgefühl nimmt sie an der Krönungsfeier in Reims teil.
In der Stunde ihres größten Erfolges, der Krönung von Karl VII, verspürt sie das Gefühl, daß sie ihre göttliche Mission verraten hat. So kann sie sich nicht gegen die Anklage ihres Vaters wehren, der sie als Hexe, welche sich teuflischer Künste bedient, beschuldigt hat. Daraufhin wird Johanna von den Franzosen verbannt.
Die Nachricht von der Verbannung Johannas läßt die schwer angeschlagenen Engländer wieder Mut schöpfen und sie greifen wieder an. Johanna wird von den Engländern gefangen genommen und in Ketten gelegt. Lionel, der Johanna hinrichten soll, bietet Johanna seine Hand an um sie zu verschonen, doch jetzt kann Johanna ihren Gefühlen versagen und sieht in Lionel nur den Feind ihres Landes.
Als sie den Bericht der Schlacht hört, in der die Franzosen zu unterliegen drohen, fleht sie zu Gott und wird erhört.
Brecht’sche Johanna
“Die heilige Johanna der Schlachthöfe” wurde 1929/30 in Berlin geschrieben und am 30. April 1959 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt.
Mauler, Chicagos Fleischerkönig, verkauft sein Geschäft an s
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