Clemens brentano - leben und werk
Clemens Brentano - Leben und Werk
1. Biographie - zum Leben Clemens BrentanosClemens Brentano wurde am 9. September 1778 als Clemens Maria Wenzeslaus Brentano in Ehrenbreitstein bei Koblenz im Hause seiner Großmutter Sophie La Roche geboren. Da der katholische Feiertag “Mariä Geburt” auf den 8. September - einen Tag vor seinem Geburtstag - fällt, gab er später diesen Tag als seinen Geburtstag an.
Er stammte aus einem reichen Frankfurter Kaufmannshaus, seinem Vater Peter Anton Brentano gehörte das “Haus zum Goldenen Kopf” - eine Ex- und Importfirma für Südfrüchte und Spezereien, die von einem italienischen Vorfahren der Brentanos gegründet wurde.
Diese Firma hatte ein solch enormes wirtschaftliches Wachstum, daß Brentano zeitlebens von den Zinsen seines Anteils leben konnte und nie einen Beruf nachging. Auch als die Firma 1841 aufgelöst wurde, war es Brentanos größte Sorge, wie er wohl seinen Anteil gewinnbringend anlegen könnte.
Seine Mutter war Maximiliane, geb. La Roche, mit der Peter Anton Brentano in zweiter Ehe verheiratet war. Sie war die Tochter der Schriftstellerin Sophie La Roche, der Freundin Wielands und Goethes. Goethe berichtete 1775, es sei ein düsteres Handelshaus gewesen, in dem sich Maximiliane nicht eingewöhnen konnte.
Clemens war das dritte von zwölf Kindern aus dieser Ehe. Seine Mutter erschien ihm immer als Opfer der väterlichen Härte und Sexualität, die sie mit Geduld ertrug und in Liebe für ihre Kinder sublimierte. 1793 starb Maximiliane Brentano, vier Jahre später war er schließlich Vollwaise; doch schon seit 1784 lag seine Erziehung in den Händen seiner strengen Tante Luise Möhn in Koblenz-Ehrenbreitstein. In den um 1818 entstandenen Einleitungsterzinen zu den “Romanzen vom Rosenkranz” reflektierte er die Koblenzer Verhältnisse so:
“Getrennt lebte fern ich von den Meinen
In strenger und unmütterlicher Zucht.
Denk’ ich der Zeit, seh’ ich sich mir versteinern
Die Tage in des Lebens Blumenflucht,
Wie kleine Gärten zwischen steilen Mauern,
Die nie ein Sonnenstrahl hat heimgesucht,
Wo kalte Marmorkinder einsam trauern,
Die wilder Buchs und Salbei trüb umkreist.
Ihr kennet wohl des Knaben einsam Trauern!”
Dort besuchte Clemens Brentano, von 1787 bis 1790, zusammen mit Joseph Görres das Jesuitengymnasium.
Vorher besuchte er ein in der Nähe von Heidelberg gelegenen Pensionat eines Exjesuiten, welches ihn auf das Jesuitengymnasium vorbereiten sollte. 1791 wechselte er dann ins Mannheimer Philantropin, einem “kurpfälzischen öffentlichen Erziehungsinstitut für Zöglinge des männlichen Geschlechtes aller drei christlichen Religionsparteien”. Während dieser Erziehung in der Fremde machte er leidvolle Erfahrungen, die zusammen mit den Erinnerungen an ein “märchenhaftes Kinderparadies”, welches er auf den Speichern der Frankfurter Handlung fand, zu Schlüsselerlebnissen wurden, die seine psychische Entwicklung weitgehend beeinflußten.
Seine seelischen Konflikte, die Brentanos unreflektierte Bindung an die Mutter ausgelöst hatten, lassen sich aus den autobiographischen Einschüben im Frühwerk ablesen.
“Meine Mutter starb, ich habe keine Bezeichnung für mein Zurückbleiben, denn meine ganze äußre Welt sank mit mir. Lange war es mir, als sei ich auch gestorben, alle Tätigkeit verließ mich.
”
Die Versuche seines Vaters und seines Stiefbruders Franz, ihm eine bürgerliche Berufsausbildung zukommen zu lassen, führten nicht zum ersehnten Ergebnis. Seine Brüder stellten fest, daß er zum Kaufmann nicht tauge, da Versuche, ihn als Lehrling im väterlichen Kontor (1794) und bei einem Geschäftsfreund in Langensalza (1796) zu beschäftigen, ohne Ergebnis blieben. Die kaufmännische Lehrzeit belächelte er literarisch in seinem Märchen vom “Komanditchen” (ca. 1812). Auch flossen Elemente seiner Ausbildung im väterlichen Kontor, besonders das philiströse Element des Vaters, in die Abhandlung “Der Philister vor, in und nach der Geschichte” ein.
Auch seine Studien in den Fächern Bergwissenschaft (1793/94 in Bonn und 1797/98 in Halle), Medizin (ab 1798 in Jena) und Philosophie (1801 in Göttingen) wurden von ihm offensichtlich nicht ernsthaft betrieben.
Viel lieber beschäftigte er sich mit dem Musizieren auf der Geige und seinen Kontakten zum Schlegel-Tieck-Kreis in Jena, die er in den Jahren 1798 bis 1800 machte.
Tieck und Schlegel waren Persönlichkeiten, die Brentano entscheidend prägten. Er übernahm von Schlegel die Kunsttheorie und das neue Formenprinzip; von Tieck erwarb er die für die Praxis bestimmenden Dichtungselemente wie Stimmungskolorit und die Übertragung von Spannungselementen des Innenlebens auf Märchenmotive. Auch seine Freundschaften mit Achim von Arnim, Karl Friedrich von Savigny und den Gebrüdern Grimm waren ihm wichtiger.
Von der Gruppe der frühromantischen Dichter um die Brüder Schlegel mit ihren Partnerinnen Dorothea und Caroline in Jena wurde er als Schriftsteller zunächst nicht ganz ernst genommen. Er versuchte, sein Können zu demonstrieren, indem er die theoretischen Forderungen der Frühromantik, die Schlegel und Novalis im Athenäum formuliert hatten, in seinen Erstlingswerken “Gustav Wasa” (1800) und “Godwi” (1801) besonders konsequent umsetzte.
In Jena besuchte Brentano auch seine Schriftstellerkollegen Schiller und Goethe. Brentano lernte Goethe durch seine Großmutter schon sehr früh kennen, man kann sagen, daß Goethe Brentano seit seiner Geburt kannte. Auch rühmte Goethe das zu einem dramatischen Preiswettbewerb 1801 eingesandte Lustspiel “Ponce de Leon” von Brentano.
In Jena fand Brentano auch bald eine intensive Zuneigung zu der acht Jahre älteren, unglücklich verheirateten Schriftstellerin Sophie Mereau, die er im Salon von Caroline Schlegel kennengelernt hat. Sein intimes Verhältnis mit ihr ging des öfteren zu Bruch - trotzdem heiratete er sie, auch trotz des zunächst erheblichen Widerständen der Frankfurter Familie, am 29. November 1803 in Marburg.
Diese Ehe war für Sophie die Hölle; Brentano verbot ihr zu reiten, sich zu schminken und ihr dichterisches Werk unter ihrem Namen zu publizieren, da Brentano “’die Verstümmelung’ ihres Wesens hasse weil sie eine ‘schlechte Künstlerin’ sei, ‘die über ein herrliches Werk hergefallen ist’”. Bereits im Mai 1804 kommt ihr erstes Kind Achim auf die Welt, das schon nach fünf Wochen stirbt. Auch die beiden anderen Kinder aus dieser Ehe sterben und Sophie selbst stirbt bei der Totgeburt des dritten Kindes am 31. Oktober 1806 in Heidelberg. Schon kurz danach, am 21. August 1807 heiratete Brentano die erst 16jährige Auguste Bußmann, die er in Frankfurt, wo er nach Sophies Tod wieder hinzog, kennenlernte; die Ehe dieser beiden seelisch unreifen Menschen war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, was schließlich auch 1808 geschah.
1812 wurde die Ehe geschieden.
Zusammen mit seinem Freund und “Herzbruder” Achim von Arnim kam es in dieser Zeit zu einer intensiven Phase des Sammelns von Volksliedern. Diese Sammlung wurde im Herbst 1805 unter dem Namen “Des Knaben Wunderhorn” veröffentlicht. Der Briefwechsel zwischen den beiden Schriftstellern zeigt aber, daß deren Sammeltätigkeit schon früh einsetzte. Diese meist auf schriftlichen Quellen basierenden Gedichte wurden von Arnim und Brentano verändert, d.h.
dem Zeitgeschmack angenähert. So wurden mundartliche Wendungen, Ungereimtheiten des Volksliedes und Zoten getilgt, der volkstümliche Charakter wurde aber nie ganz beseitigt. Dadurch entstanden romantische “Kunstvolkslieder”, die im 19. Jahrhundert dann für einen großen Teil der deutschen Lyrik zum Modell wurden. Die Rezension zu “Des Knaben Wunderhorn” ermutigte Arnim und Brentano, zwei weitere Bände mit Volksliedern herauszugeben, die mit einem Anhang von Kinderliedern 1808 erschienen. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Kunsterziehung und Geschmacksbildung des Volkes.
Der unerbittlichste Gegner der Wunderhorn-Sammlung war Johann Heinrich Voß, der 1806 nach Heidelberg übersiedelte und dort eine scharfe Polemik gegen die romantische Schule entfachte. Die Hauptangriffspunkte waren die “Verfälschungen” der Wunderhorn-Dichtungen und die Renaissance der Sonettform im Schlegelkreis. Diese Auseinandersetzungen mit Voß trugen auch dazu bei, daß die romantische Gruppe um Joseph Görres, der dort einen Lehrauftrag hatte, den Mythenforscher Professor Friedrich Creuzer und die beiden Studenten Arnim und Brentano dort nicht Fuß fassen konnte. Die von ihnen herausgegebene “Zeitung für Einsiedler”, die sich zum einen mit der Kriegserklärung an das philisterhafte Publikum und zum anderen als eine Musterkarte der neuen Bestrebungen, der Beleuchtung des vergessenen Mittelalters und seiner poetischen Meisterwerke, sowie den ersten Liedern von Uhland, Justinius Kerner u.a., darstellte, stellte vor Ablauf eines Jahres 1808 ihr Erscheinen ein und die Heidelberger Gruppe löste sich auf.
Brentano verschlägt es daraufhin nach Berlin, wo auch Arnim und Savigny ihren Wohnsitz nehmen. Savigny war damals an der Gründung der Berliner Universität beteiligt, zu deren Einweihungsfeier Brentano im Jahre 1810 eine Kantate schreibt.
Auch gründete er zusammen mit Achim von Arnim im Januar 1811 die “Christlich-deutsche Tischgesellschaft”, in der er seine Satire “Der Philister vor, in und nach der Geschichte” vorträgt, die das Gegenbild des erhofften neuen romantischen Menschen aufzeigt. Diese Satire wirkt in der Literatur des 19. Jahrhunderts nach und bestimmt auch Eichendorffs Drama “Kampf den Philistern” und die Auseinandersetzung mit dem Philister Wilhelm Raabe.
Zwischen Mitte 1811 und 1813 lebt Brentano auf einem Gut in Bukowan in der Nähe von Prag, welches sich in Familienbesitz befindet.
Dort kommt es zu einer sehr fruchtbaren Arbeitsperiode, solch wichtige und bedeutende Werke wie “Die Gründung Prags” (erschienen 1814), “Die drei Nüsse”, “Geschichte vom braven Kasperl und dem Schönen Annerl” und “Die mehreren Wehmüller und ungarischen Nationalgesichter” (erschienen 1817) entstehen.
Nach dem Aufenthalt bei Prag zieht es Brentano weiter, zuerst nach Wien (Mitte 1813) und später auf den Arnimschen Besitz in Wiepersdorf im Herbst 1814. In Wien bemühte sich Brentano intensiv als Dichter und Rezensent. Dadurch wollte er am Burgtheater Einfluß gewinnen. Er wäre sehr gerne der Nachfolger des in den Freiheitskriegen gefallenen Theodor Körner als Hofdichter geworden, scheiterte aber an den Versuch, die überarbeitete Fassung des Dramas “Ponce de Leon” auf die Bühne zu bringen. Daraufhin verließ er rasch Wien und nahm von seinen Theaterplänen großen Abstand.
Danach plagten Brentano in Berlin wieder Irritationen, die ihn fast dazu bewegt hätten, bei Schinkel Architektur zu studieren.
Ein Zweifel an der eigenen Sprachkraft, den er in einem Brief an Wilhelm Grimm vom 15. Februar 1815 formuliert, verschärften seine Lebenskrise, die 1816/17 dann sogar in eine Glaubenskrise mündet. Er kehrte sein Leben total um, bis es in einen sein Kunstverständnis radikal veränderten Katholizismus umschlug.
Die Grundlagen dazu waren schon in der Romantik, z.B.
bei Novalis gelegt, die eine tiefe Sympathie für die katholische Kirche und ihre Tradition pflegte. Viele der Romantiker, unter ihnen auch Brentano, Friedrich Schlegel, Werner, Eichendorff, wenden sich in einer zweiten Lebensphase der katholischen Kirchentradition zu und empfinden ihr Frühwerk als leichtsinnige Jugendschöpfungen.
Bei Brentano führte diese Zuwendung zur katholischen Kirche zur Generalbeichte, die er zusammen mit seinem Bruder Christian am 27. Februar 1817 ablegt. Vorher wurde allerdings noch eines seiner großen literarischen Werke fertig - “Die Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl”, welche in den von F. W.
Gubitz herausgegebenen “Gaben der Milde” erschien.
Aufgrund der Generalbeichte und der Rückbesinnung auf die katholische Tradition verkauft Clemens Brentano einen großen Teil seines Bücherschatzes, sammelt theologische Literatur und stellt seine poetisch-künstlerischen Fähigkeiten in den Dienst der katholischen Erneuerung. Auch seine damalige Freundin Luise Hensel, eine protestantische Pfarrerstochter, die er im Oktober 1816 kennen und lieben gelernt hat, konvertierte Ende des Jahres 1818.
Vieles in der Beziehung zwischen Clemens Brentano und Luise Hensel ist ungeklärt, dazu gehört auch der Zeitpunkt ihres Kennenlernens. Luise Hensel gab später den Sommer 1816 an, einige Forscher gehen aber auch vom Herbst 1816 aus. Auch ist umstritten, wie die beiden aufeinander mit ihren religiösen Entschlüssen eingewirkt haben.
Brentano liebte Luise Hensel leidenschaftlich, sie schien aber diese leidenschaftliche Liebe zu ihm nicht geteilt zu haben, da sie seinen Heiratsantrag ablehnte. Grund mag die Abneigung von Luises Mutter gegenüber Brentano sein, da er schon ein Zerwürfnis mit der Katholischen Kirche wegen der ersten Heirat mit einer Geschiedenen und der Scheidung seiner zweiten Ehe hinter sich hatte. Auch faßte Luise Hensel zur gleichen Zeit eine Neigung zu Ludwig von Gerlach, den sie aber auch entsagte.
Den zentralen Punkt ihrer Beziehungen bildete das gemeinsame Interesse für die stigmatisierte Augustinernonne Anna Katharina Emmerick aus der westfälischen Kleinstadt Dülmen, zu der es Brentano nach seiner Generalbeichte zog, um deren Visionen aufzuzeichnen.
Er siedelte 1818 nach Dülmen über und blieb bis zum Tode der Nonne (1824) dort. Dort konterte er auch vehement gegen die amtliche Untersuchungskommission aus Berlin, die den Fall Emmerick peinlich genau untersuchte und die einen vermeintlichen Betrug zwecks der Visionen der Nonne aufdecken wollte.
Brentano wollte während dieser Zeit immer die Realität des Wunders beweisen. Er experimentierte mit Reliquien, deren Echtheit die ehemalige Augustinernonne in der Ekstase erkennen sollte und er versuchte, den Tagesverlauf Jesu aus den ekstatischen Träumen der Nonne zu rekonstruieren. Selbst nach ihrem Tode gab er nicht auf und veranlaßte eine Exhumierung, um die überirdische Kraft des Leichnams zu erforschen.
Es gab aber auch Stimmen gegen Clemens Brentano, der mit der Augustinernonne nicht immer “menschlich” umging. Der Arzt der Emmerick, Franz Wilhelm Wegener, berichtete in seinem Tagebuch:
“Das Kreuz des Freundes B drückt sie [Emmerick] noch immer schwer; sie meint, es sei für sie beide und für die Sache [..
.] besser, wenn er nicht so heftig, manchmal brutal in seinen Forderungen sei, indem sie es ja doch nicht erzwingen könne, sondern von Gottes Hand annehmen müsse, was und wie es sich darbiete”
Aus seinen protokollierten Aufzeichnungen der Visionen sollte ein christliches Weltepos in drei Teilen entstehen. Der Lebensgeschichte von Anna Katharina Emmerick sollte das Marienleben, die “Lehrjahre Jesu” und “Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi” angeschlossen werden. Aber nur die Leidensgeschichte Jesu erschien zu Brentanos Lebzeiten; das Marienleben war beim Tode Brentanos im Satz und die Lehrjahre Jesu lagen in einem satzfertigen Manuskript vor.
In den Jahren bis zu Anna Katharina Emmericks Tod widmete sich Brentano außer der Nonne nur noch Luise Hensel. Seine Kontakte zur Außenwelt hielt er aber trotzdem noch aufrecht.
Er bekam oft Besuch von seinem Bruder Christian, Achim von Arnim oder Mitgliedern der Familie Diepenbrock.
Nach dem Tode von Anna Katharina Emmerick hielt sich Brentano meist in Koblenz oder Frankfurt auf, auch führten ihn kurze Reisen nach Straßburg und in die Schweiz sowie nach Paris und Nancy. Schließlich siedelte Brentano im Jahre 1832 nach Regensburg über, wo er seine Freundschaft mit Johann Michael Sailer auffrischte, und ein Jahr später nach München, wo er wieder auf Görres traf. Dort fand sich später eine spätromantische Gruppe zusammen, der auch Görres’ Sohn Guido, der Maler Schlotthauer und der Arzt Ringseis angehörten. Joseph Görres gründete dort 1838 die “Historisch-politischen Blätter”, die von seinem Sohn herausgegeben wurden und sich als Kampfschrift der katholischen Erneuerungsbewegung verstanden. Neben Brentano und Görres schrieb auch Joseph Freiherr von Eichendorff Beiträge für diese Zeitung.
In München fand Brentano eine tiefe Zuneigung zu der Baseler Malerin Emilie Linder, der wir heute das einzige Ölgemälde Brentanos verdanken. Brentanos Werben um sie führte 1834 zu einem Heiratsantrag, den Emilie Linder ablehnte. Durch sie nahm Brentano aber wieder Abkehr von seiner radikalen Kritik an jeglicher weltlichen Dichtung. Brentanos Lebenskreis schließt dort mit einer erneuten erotischen Bindung, die er diesmal fast ins mythische erhebt. Er wendet sich wieder den Freunden seiner Jugendjahre zu und nimmt die Arbeit an den “Märchen” wieder auf.
Am 24.
Juli 1842 starb Clemens Brentano im Hause seines Bruders Christian in Aschaffenburg. Dieser war auch aufgrund einer testamentarischen Verfügung sein literarischer Nachlaßverwalter, dem er - mit Ausnahme der Guido Görres übergebenen Märchen und religiösen Werke - den gesamten dichterischen Nachlaß zur Veröffentlichung überließ. Christian publizierte 1852 sieben Bände der “Gesammelten Schriften” von Clemens Brentano.
Die damalige öffentliche Meinung über den Dichter Clemens Brentano war, daß Brentano mit der Revision seine poetischen Fähigkeiten verlor und seine religiösen Werke daher kein lohnender Gegenstand der Literaturwissenschaft seien. Erst in der Brentano-Forschung dieses Jahrhunderts wurde mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß im Werk Brentanos Elemente der Kontinuität festzustellen sind.
Brentano hatte sein Leben der Kunst verschrieben; er war ein radikaler Künstler, dessen hoher Anspruch an die ästhetische Qualität die Fertigstellung großer Werkkomplexe verhinderte.
Die sogenannte “Wende”, d.h. die Hinwendung zum Glauben und zur katholischen Kirche, war eine der sich zwanghaft wiederholenden Krisen, in die Brentano mehrmals in seinem Leben kam. Der Grund dafür war wahrscheinlich seine verzweifelte Suche nach einer übergreifenden Ordnung.
Die Bedeutung des Werkes von Clemens Brentano ist nicht der ästhetischen Botschaft der Frühwerke mit der Verherrlichung subjektiver, spontaner Schöpfungspotenz noch in der religiösen Botschaft der Spätwerke mit ihrem Appell für eine neue, von einer erneuerten Kirche getragenen Frömmigkeit zu suchen.
Brentanos Werk bietet vielmehr eine Brücke zur literarischen Moderne.
Alle seine Bemühungen sind von einer verzweifelten Suche nach einer übergreifenden Ordnung bestimmt. Aber das Scheitern dieser Suche zeigt den frühzeitigen Verfall bzw. die Gefährdung der bürgerlichen Welt.
2. Clemens Brentano - sein dichterisches Werk
2.1 Lyrik
2.
1.1 Gedichte, Lieder und BalladenBrentanos Ruhm in der deutschen Literaturgeschichte beruht auf seinen Gedichten. Er verfaßte Zeit seines Lebens über 1000 Gedichte, von denen allerdings nur knapp ein Drittel während seines Lebens gedruckt wurden, da er selbst so lange er lebte eine Sammelausgabe seiner lyrischen Werke verhinderte, obwohl er sie sogar selbst zusammen mit seinem Freund Johann Friedrich Böhmer zwischen 1837 und 1842 geplant hatte. Brentano meinte, ein Gedicht solle “lebendig und mitteilenswert erscheinen, es sollte zersungen und situationsgerecht abgewandelt, in den Herzen und Ohren jener Menschen klingen, denen es zugedacht war.”.
So schrieb Brentano am 15.
Januar 1837 an Böhmer:
“Sie nehmen ein ungemein rührendes Anteil an meiner armen Poesie [...]. - Ich besitze zwar noch einige dutzend Lieder, habe sie aber seit 30 Jahren unter so speziellen Irren und Leiden geschrieben, daß ich sie kaum zu lesen, vielweniger abzuschreiben wage.”
Als “bessere Lieder” dieser Zeit betrachtet er nur die Gedichte aus den Dramen “Ponce de Leon” und den “Lustigen Musikanten” sowie dem Roman “Godwi oder das steinerne Bild der Mutter”.
Eine Lyrik-Ausgabe war aber trotzdem geplant, da Brentano die Münchener Witwe Anna Barbara Sendtner beauftragte, die Gedichte Brentanos zu kopieren, was sie bis zu ihrem Tode 1840 auch tat. Damit muß Brentano dann aber auch die radikale Absage an die Gedichte seiner Frühzeit zurückgezogen haben. Dieser Widerspruch scheint sich allerdings wieder aufzulösen, da Brentano zu seinen Lebzeiten keinen Lyrik-Sammelband mehr veröffentlichte.
Alle Gedichte Brentanos, die hoch gelobt wurden und werden, stammen aus seinem Frühwerk vor seinen Lebenskrisen. Es handelt sich dabei um Gedichte wie “Lureley”, “Der Spinnerin Lied”, “Hör’ es klagt die Flöte wieder” und “Sprich aus der Ferne”. Diese Gedichte nimmt aber Brentano auch aus seiner Schelte über sein Frühwerk aus.
Brentano widmet sich schon früh der Lyrik. Als 19jähriger schrieb er seinen Kommilitionen alkäische Odenstrophen ins Stammbuch.
Stolz sei wer Mensch sich fühlet! Sein Wesen ist
Gehoben aus dem ewigen Feuerborn,
Ein edler Funke; seine Seele
Ausguß der Gottheit und unvertilgbar.
Du bist ein Mensch; drum hebe zum Himmel stolz
Dein Haupt, und blick umher, und verachte den,
Der seines Menschenadels unwert,
Schmählichem Joche den Nacken reichet!
In Jena versuchte er sich dann in freien Versen, die sich an Goethes Sturm-und-Drang-Hymnen orientierten. Außerdem nahm Brentano Ludwig Tiecks gereimte freie Kurzverse auf.
Im Schlegel-Tieck-Kreis wurde er dann von deren Stanzenwut angesteckt, auch wurden die italienischen und spanischen Formen wie Sonett, Madrigal, Romanze (Þ Trochäus als typisches Versmaß) etc.
wiederentdeckt. Von den Brüdern Schlegel und Ludwig Tieck wurde Brentano allerdings als “Imitator” bezeichnet und er bekam eine Lektion in Form der Satire “Der neue Herkules am Scheideweg”.
In den Jahren 1816 bis 1818 wendete sich Brentano dann von der Lyrik seiner Frühzeit ab und nahm den Ton der Pietisten auf. Es entsteht auch ein neues lyrisches Werk zur Werbung um Luise Hensel. Es bildet sich in seiner Lyrik eine tiefreligiöse Sehnsucht, die unerfüllt bleibt. Dies bildet dann wiederum eine Brücke in das 20.
Jahrhundert mit Themen wie das Ringen um die Überwindung der Einsamkeit und die vergebliche Sehnsucht nach Glaube, Harmonie und Liebe. Man kann ihn daher als einen Vorläufer des Surrealismus und Symbolismus bezeichnen.
Die Gedichte Brentanos sind in zeitliche und thematische Kontexte eingebettet, die ich im folgenden näher beschreiben werde.
Jugendlyrik
Zu Anfang machte Brentano vorlagengebundene Lyrikversuche im Stile Schillers, Goethes und des Göttinger Hains. 1803 kam es dann zur ersten Zäsur, der Eheschließung mit Sophie Mereau und den daraus resultierenden Gedichten des Werbens um die Liebe Sophiens. Sie werden heute als Sophiengedichte bezeichnet.
In ihnen spiegelt sich die Liebe als Objekt einer distanzierten Sehnsucht, die Geliebte wird fremd und dämonisch wie die Loreley aus dem “Godwi”
Dirnenpoesie
Nach der Scheidung der Ehe mit Auguste Bußmann kamen Bilder der Entfremdung in Brentanos Lyrik. Liebe wurde unter den Gestalten der Sklavin, der Zigeunerin, der Einsiedlerin, der Undine und der Hure gesehen. Ein Beispielgedicht ist das 1816 geschriebene “Ich kenn’ ein Haus, ein Freudenhaus”.
Neupietismus
Nach seiner Inspirationskrise 1816 und der Begegnung mit Luise Hensel kam es zusammen mit den Berliner Neupietismus zu der Entdeckung der Religion als Lebensmacht. Es entstanden zum einen Erweckungsgedichte und zum anderen Gedichte des Liebeswerbens um Luise Hensel, welche wiederum eine lyrisch vorweggenommene Erfüllung und Umlenkung der enttäuschten Liebe auf Kunst und Religion waren.
Brentano benutzte dazu barocke Vorlagen wie Heermann, Spee und Angelus Silesius sowie Zitate aus der geistlichen Lyrik von Novalis.
Hier ist als Beispiel das Gedicht von der Gottesmauer (“Sang das fromme Mütterlein”) zu nennen.
Münchener Romantik
1833 begegnete Brentano der Baseler Malerin und Kunstsammlerin Emilie Linder in München. Daraufhin verfaßte er zwischen 1834 und 1837 ein poetisches Tagebuch großer erotischer Gedichte. Die Vorlage davon bildeten die Luisen-Gedichte des Neupietismus. Deshalb kam es auch nach Brentanos Tod zum Streit zwischen Luise Hensel und Emilie Linder um die Adresse der Gedichte. Deutlich sieht man diese Vorlagetechnik an dem Gedicht “Einsam will ich untergehn”.
Diese Neigung, das einmal geschriebene weiter um- und fortzugestalten teilt Brentano mit Hölderlin.
Brentano und das Volkslied
Neben der Herausgabe der Volksliedsammlung “Des Knaben Wunderhorn” zusammen mit seinem Freund Achim von Arnim beschäftigte sich Brentano auch selbst mit dem Volkslied - man findet bei ihm viele artifizielle volksliedartige Formen in der Lyrik. Brentano gilt heute in der Literaturwissenschaft als der Begründer der Volksliedstrophe.
2.1.2 “Romanzen vom Rosenkranz”Zum Begriff “Romanze”:
Der deutsche Begriff “Romanze” stammt vom spanischen “el romance”, was soviel wie “das in der romanischen Volkssprache geschriebene” bedeutet.
Es handelt sich dabei um eine episch-lyrische Gattung der spanischen Literatur, ein kürzeres volkstümliches episodisches Erzähllied. Mit der Romanze wurden Stoffe der altspanischen Sage und Geschichte gestaltet. Die häufigste Versform der Romanze sind reimlose trochäische 16-Silbler mit Mittelzäsur und Assonanzen.
Der Stil und die Erzählstruktur entsprechen der Volksballade des germanischen Sprachraumes. Man kann die Romanze von der Ballade aber durch die größere Heiterkeit, Gelöstheit, Breite der Darstellung und mehr musikalisch-klangliche Elemente unterscheiden.
Die Stoffkreise der Romanze sind
historische Romanzen über geschichtliche Ereignisse oder Legenden
Romanzen des karolingischen und bretonischen Sagenkreises
sogenannte Grenzromanzen über die Kämpfe zwischen Mauren und Christen, besonders in den letzten Jahrhunderten der Rückeroberung Spaniens
maurische Romanzen, entstanden nach 1492 (endgültiger Sieg der Christen über die Mauren)
romanhafte, religiöse und lyrische Romanzen
In Deutschland wurde die Romanze durch J.
W. L. Gleim (1756) eingeführt, zunächst allerdings als synonyme Bezeichnung für die Kunstballade (im Sturm und Drang vor allem die Balladen Bürgers, Goethes, Schillers). Herder weist später durch kogeniale Übersetzungen in assonanz- und reimlosen trochäischen Achtsilblern (die sogenannten spanischen Trochäen) auf den formal gebundenen volkstümlichen Charakter der Romanze hin. Daraufhin kommt es in der Romantik zu einer Blütezeit der Romanzendichtung.
Das zweite große lyrische Werk Brentanos sind die “Romanzen vom Rosenkranz”, obwohl sie Fragment geblieben sind.
1802 begann Brentano mit der Skizze einer Romanze von Lorenzos unglücklicher Liebe zu einer Sängerin. Diese Romanze bestand aus 15 Strophen, in denen Assonanzen den Reim ersetzen.
Durch die längstgewohnten Straßen
Geht Lorenzo, Zugezogen,
Sieht er ihre Fensterladen
Und verschlossen ihre Pforte.
Es handelt sich dabei um vierfüßige trochäische Verse, den spanischen versos rondillos nachgebildet. A. W.
Schlegel experimentierte mit diesen erstmals in seinen Romanzen “Die Erhörung” (Göttinger Musenalmanach, 1792) und “Leonardo da Vinci” (Gedichte, 1800)
Die ersten drei “Romanzen vom Rosenkranz” entstanden 1803. Ein “häusliches Elend” unterbricht dann aber seine Arbeit, er nimmt sie erst nach seiner Berliner Reise 1805 wieder auf. Es entstehen weitere drei Romanzen, die drei vorher entstandenen werden so zu den “mittleren”. Victor Michels klärt diese Verwirrung: Die neuen Romanzen sind die erste, zweite und sechste, die legen sich wie ein Mantel um die Urromanzen 3, 4 und 5 herum.
1808 entstehen in Landshut die nächsten drei Romanzen. Diesmal lenkt Brentano das Interesse auf Apo, den irdischen Diener der bösen Mächte - die “Romanzen vom Rosenkranz” bekommen einen Faust-Stoff.
Die Romanzen 10-12 müssen dann 1809 in Berlin geschrieben worden sein, da Brentano den Maler Runge in seinem Brief vom 21. Januar 1810 bat, sein Werk zu illustrieren.
“Während ich Solches erlebte, entstand in mir unbewußt die Begierde, ein Gedicht zu erfinden, wie ich gern eines lesen möchte, und, was mir nicht begegnet war, gewisse Bilder und Zusammenstellungen begegneten mir immer wieder. Ich schaute sie mit gleichem Genuß an, ihre Farbe wurde mir bestimmt, und ich entschloß mich, sie in einem historischen Verhältnis zu einer ganzen Begebenheit auszubilden, die bald auch ein Schicksal, eine Notwendigkeit, ihren Himmel, ihre Erde, Leben und Tod empfing. Ich bildete sie in einzelnen Romanzen aus, die alle klar und bestimmt, ohne vielen lyrischen Erguß, meist handelnd sind, und empfand bald, daß sie mein gehörten, daß sie von mir waren und mich erfreuten. Ich teilte sie den verschiedensten Menschen mit, sie machten allen einen gleich angenehmen ernsten und rührenden Eindruck, und ich gewann diese Arbeit lieb, von der ich leider durch betrübende Zeit und Selbstverhältnisse nur zu oft getrennt wurde.
Die Hälfte ungefähr liegt fertig, der Plan des ganzen ist es auch, und ich bin in der Lage und Muße, den Rest bald zu vollenden. Der Titel würde sein: Die Erfindung des Rosenkranzes. [...] Zimmer in Heidelberg, der das Gedicht liebt und es bei seiner Vollendung drucken wird, hat meinen heimlichen Wunsch, daß sie meine Arbeit mit ihren Zeichnungen verzieren möchten, durch die Schilderung ihrer Güte schier in mir zu einer Hoffnung gemacht, ohne deren Erfüllung ich meinen Mut, fortzuarbeiten, sehr würde sinken sehen.
”
Runge starb aber im Dezember 1810. Brentano arbeitete noch bis 1811 an den Romanzen weiter, bricht dann aber die Arbeit mitten in der 20. Romanze ab. Während Hoffmann der Meinung ist, daß Brentanos Thema eine unendliche Melodie sei, für die es keine Schlußkadenz gäbe, da der Streit zwischen Gut und Böse im Menschen niemals aufhöre und er deshalb das Werk fragmentarisch ließ, würde ich eher sagen, daß der Abbruch des Werkes mit dem Tode Runge in Verbindung zu bringen ist. Brentano flehte Runge regelrecht an, die Romanzen zu illustrieren. So schrieb Brentano an Runge
“[.
..] ich wollte ihnen nur sagen, daß ich sie liebe aus ihren Werken, und daß ich den herzlichen Wunsch habe, sie möchten eine Erfindung von mir mit der Ihrigen begleiten, damit sie mir selbst mehr Freude machen könne.”
Brentano wollte sogar den Reinerlös für die “Romanzen vom Rosenkranz” Runge zukommen lassen, wenn er ihm nur sein Werk illustriert.
Die Handlung der “Romanzen vom Rosenkranz” spielt im Bologna des 13. Jahrhunderts.
Der Maler Kosme hat von seiner Frau Rosalaeta drei Söhne: Jacophone, Meliore und Pietro. Er gerät in den Bann böser Mächte und verführt Rosalaetas Schwester, die Nonne Rosatristis, die ihm zu einem Madonnenbild Modell gestanden hat. Aus der Beziehung gehen drei Töchter hervor. Die beiden älteren, Rosarosa und Rosadora wurden ausgesetzt, und mit der jüngsten, Rosablanka, bei deren Geburt Rosatristis gestorben ist, lebt Kosme als Büßer von Bologna. Die Halbgeschwister sind über ihre Verwandtschaft im Unklaren. Jacophone, der Jurist und Rosarosa heiraten, entgehen jedoch der Gefahr der Sünde durch die Hilfe des engelhaften Knaben Agnuscastus und leben in keuscher Ehe.
Meliore, Künstler und Student, liebt Rosadora, die als Biondetta eine berühmte Sängerin geworden ist. Der Gärtner Pietro wiederum ist Rosablanka zugetan, die jedoch eine Neigung zu Meliore hegt. Meliore wird gehaßt von seinem Lehrer, dem dämonischen Arzt und Magier Apone (Apo), der Rosadora-Biondetta selbst begehrt. Um Biondetta zu entführen, setzt Apo, der mit dem Teufel Moles im Bunde ist, das Theater in Brand, in dem sie ihre Abschiedsvorstellung gibt, bevor sie den Nonnenschleier nimmt. Meliore kann Biondetta retten, aber Rosadora, die mit Jacophone der Vorstellung beigewohnt hat, stirbt. An ihrem Sterbebett enthüllt der engelhafte Agnuscastus ihre Verwandtschaft mit Biondetta.
Die bösen Mächte, an Biondettas Verderben interessiert, lassen zu, daß Meliore nun von Apo mit einen Degen, der mit Liebesgift präpariert ist, erdolcht wird. Biondetta indes rettet Meliores Leben, indem sie ihm Blut und daher auch das Gift aus der Wunde saugt; dadurch jedoch entflammt sie in Liebe zu ihm, und nur das Bild ihrer Mutter bewahrt sie vor dem Inzest. Den weiteren Nachstellungen Apos kann sich Biondetta nur durch Selbstmord entziehen. In ihren Leichnam schlüpft der Teufel Moles und stiftet, als frech geschmückte falsche Biondetta, zusammen mit Apo Verwirrung in Rosarosas Leichenzug. Beim Anblick der falschen Biondetta wird Meliore ohnmächtig. Rosablanka und Pietro bringen ihn in Sicherheit.
Damit schließen die ausgeführten Romanzen. Das spätere Schicksal hat Brentano nicht mehr dargestellt. Am Ende sollte jedoch daraus ein apokryphisches Gedicht werden, welches mit der Erfindung des Rosenkranzes endet.
In der Handlung dieser 19 gedruckten Romanzen wiederholt sich mehrmals das Inzest-Motiv. Man kann darin ein persönliches Problem des Dichters sehen, der selbst eine Art Inzest begeht, indem er in jeder Frau, der er sich nähert, die Mutter sucht. Er muß den Weg Jacophones, Meliores und Pietros gehen.
Die Romanzen vom Rosenkranz sind aus vierfüßigen trochäischen Versen gebildet und haben in der zweiten und vierten Zeile entweder Reime
Als er ging zur Doktor-Ehre
Durch der Aula hohe Pforte,
War die Zücht’ge ihm begegnet,
Und er sprach zu ihr die Worte:
oder Assonanzen
Schöne Jungfrau! Ihr begegnet
Mir an so gefährl’chem Orte,
Jetzo ich zu streiten gehe
De bonorum possessione.
Das Assonanzenschema ist meist a-e oder o-e.
Brentanos Quellen für die Geschichte der Stadt Bologna war Ghirardaccis “Historia di Bologna” (Bologna 1596). Daneben benutzte er noch marianische Literatur (die Bibliothek von ihm und seinen Bruder Christian wies viele Titel zum Rosenkranz-Thema auf), Werke über Heiligenviten, Schriften über das Judentum und Volksliteratur über Wunder, Geister und Aberglauben.
In einem Nachwort zu den “Romanzen vom Rosenkranz”, den Paralipomena, sollte die Vorgeschichte zu den Romanzen dargestellt werden, nach denen sich eine Verwandtschaft der Personen von Liliths Nachfahrin, ebenfalls Lilith genannt, bis zu Kosme und Apo.
Auch den weiteren Verlauf der Dichtung skizzierte Brentano in den Paralipomena.
Offenbar wollte Brentano verschiedene historische Ereignisse in den “Romanzen vom Rosenkranz” verflechten. Auch wollte Brentano wahrscheinlich die Einleitungsterzinen zu einem autobiographischen Gedicht ausgestalten.
2.1.3 “Des Knaben Wunderhorn”Die ‘Volksliedsammlung’ “Des Knaben Wunderhorn” nimmt eine Sonderstellung in der deutschen Literatur ein. Sie ist zugleich auch der Inbegriff des romantischen Kulturgutes und das wohl bekannteste Werk der deutschen Romantik.
Der Ursprung des Wunderhorns ist wohl um 1800 zu sehen; der Impetus ging dabei von Brentano aus, der sich damals begeisternd mit mittelhochdeutscher Literatur, besonders der Lyrik und Versepik beschäftigte. Am 9. Juli 1802 sendet Arnim einige Lieder von Zürich aus an Brentano, der ihn in einem Brief darum gebeten hatte.
Diese Idee einer Volksliedsammlung war nicht neu. Herder, der auch den Terminus “Volkslied” einführte, brachte genauso wie auch Nicolai, von Eschenburg, Gräter und Anselm Elbert eine Volksliedsammlung heraus.
Die Intentionen der beiden Autoren waren aber nicht dieselben.
Während Brentano damit mehr ein Freundschaftsdokument der Liederbrüder Arnim und Brentano sowie ein Kunstwerk aus romantischen Geist erstellen wollte, ging es Arnim um eine nationale Opposition gegen Napoleon.
“Wären die deutschen Völker in einem einigen Geiste verbunden, sie bedürfen dieser gedruckten Sammlungen nicht, die mündliche Überlieferung machte sie überflüssig; aber eben jetzt, wo der Rhein einen schönen Theil unsres alten Landes los löst vom alten Stamme, andre Gegenden in kurzsichtiger Klugheit sich vereinzeln, da wird es nothwendig, das zu bewahren und aufmunternd auf das zu wirken, was noch übrig ist, es in Lebenslust zu erhalten und zu verbinden.”
Das Wunderhorn sollte daneben auch eine belehrende und erzieherische Funktion haben. Man wollte nicht nur die Kunst regenerieren, sondern auch zur Hebung des gesamten Lebens aus der damaligen Entartung beitragen.
Entstanden ist das Werk dadurch, daß Arnim und Brentano auf ihren Reisen und Wanderungen Volkslieder gehört haben und diese in ihrem Gedächtnis festhielten. Sie sollten später dem Volk wieder vorgesungen werden.
Rölleke sagt über Brentano:
“Was auf Dorfstraßen, in Spinnstuben und im Herzen alter Leute lebte, wurde gesammelt. Brentano war der rechte Mann für dieses Werk. Nichts war ihm lieber, als mit der Laute unterm Arm durch das Land zu streifen und Volkslieder zu singen.”
Brentano widmete sich einige Zeit intensiv dem Projekt. Der anfängliche Eifer ließ aber schnell nach, sobald das Werk in die “Arbeitsphase” überging. Im Endstadium überließ er die Arbeit dann ganz Achim von Arnim.
Daher ist dieses Werk wohl doch mehr ein Werk Arnims als ein Werk Brentanos.
1805 begann der Druck des ersten Bandes, welcher Goethe zugeeignet war. Er erschien zur Michaelismesse in Frankfurt. Goethe gefiel das Wunderhorn sehr gut, wie Brentano an Friedrich Karl von Savigny am 7. Januar 1806 aus Heidelberg schrieb.
“Von Arnim habe ich zwei Briefe [.
..], aus dem zweiten kann ich nur erzählen, daß Göthe ihn mit Liebe überhäuft hat, daß ihm unsre Lieder sehr wohl gefallen und er sie selbst rezensieren will; um die Fortsetzung hat er gebeten.”
Diese angesprochene Rezension folgte am 21./22. Januar 1806.
Die meisten Lieder des Wunderhorns sind Kunstlieder, im Gegensatz zum Volkslied; sie wurden weder vom Volk noch fürs Volk gedichtet. Überhaupt war der Inhalt des Wunderhorn eine Mischung aus Altem und Neuem, Fremden und Eigenem. Es stellte nie einen repräsentativen Querschnitt durch den deutschen Volksgesang dar. Statt dessen findet man viele philologische Ungenauigkeiten, d.h. Abwandlungen des überlieferten Materials.
Das Material der Wunderhorn-Lieder stammt aus den verschiedensten Quellen. Von den 723 Liedern des ersten Bandes gehen ca. 340 auf gedruckte Bücher oder Zeitschriften zurück, ca. 100 gehen auf sogenannte “Fliegende Blätter” zurück, ca. 40 auf ältere handschriftliche Codices und nur ca. die letzen 250 gehen auf handschriftliche Beiträge jener Zeit zurück.
Das Titelkupfer des ersten Bandes zeigt eine Abbildung des Oldenburger Horns mit Stellenverzierungen am Rande des Horns. Es hat seinen Ursprung in der Schrift “Des Oldenburgischen Wunder-Horns Ursprung” von Johann Just Winkelmann. Im Hintergrund ist das Heidelberger Schloß zu erkennen.
Außer von Goethe erntete die Volksliedsammlung meist negative Kritik. Zum einen schrieb Friedrich Schlegel am 11. November 1805 an seinen Bruder August Wilhelm Schlegel, daß das Wunderhorn “eine grosse Menge Schund, Kropzeug, Crethi und Plethi mit vielen eignen Bretanereien” enthielte.
Der aber wohl hartnäckigste Gegner des Wunderhorns und somit auch von Achim von Arnim und Clemens Brentano war Johann Heinrich Voß. Dieser bezeichnete den ersten Band des Wunderhorns als “zusammengeschaufelten Wust, voll muthwilliger Verfälschungen, sogar mit untergeschobenem Machwerk.”.
Daraufhin wurde er von Goethe in seinem Faust-Paralipomenon Nr. 47 zitiert:
EutinerMit Fleiß und Tücke webt ich mir
Ein eignes Ruhmgespinste
Doch ist mirs unerträglich hier
Auch hier find ich Verdienste
WunderhornHinweg von unserm frohen Tanz
du alter neidscher Igel.
Gönnst nicht den Teufel seinen Schwanz
Dem Engel nicht die Flügel.
Diese Kritik der Zeitgenossen (v.a. von Voß) verhinderte zwar nicht den wirkungsgeschichtlichen Triumphzug des Wunderhorns, hatte aber zur Folge, daß sich Goethe mehr und mehr von den Romantikern abwandte und die Rezension des 2. und 3. Bandes, welche wegen der Kriegswirren erst nach 1807 erschienen, an den Germanisten von Hagen übergab.
Das romantische Element des Wunderhorns zeigt sich v.
a. durch die Stoffwahl, das Zurückgreifen auf das Ursprüngliche, das Unaffektierte im Kunstwerk und die Form seiner Darbietung. Es wurde nie offiziell als Volksliedsammlung bezeichnet, da es vielmehr aus einer Fülle von Neu- und Umdichtungen besteht.
Zum Abschluß dieses Abschnittes möchte ich noch ein anerkennendes Zitat über das Wunderhorn bringen, welches sehr schön die literarischen Ambitionen Arnims und Brentanos mit ihrem Gemeinschaftswerk aufzeigt.
“Das Wunderhorn [..
.] bleibt der originellste und zugleich letzte Versuch, Volks- und Kunstdichtung, alte und moderne Lyrik, Poesie aller Schichten und Provinzen in einem Gemeinschaftswerk zu einem neuen Ganzen zu verschmelzen, allen alles wiederzugeben, wie es Arnim formuliert.”
2.2 Epische Dichtung
2.2.1 MärchenBrentano hatte seine ersten Kontakte zu Märchen schon in seiner Kindheit.
Seine 80jährige Amme erzählte ihm die Märchen “Großmutters Schlangenkönigin”, “Vom Machandelbaum” und “Vom Fischer und seiner Frau”. Er las selbst Gozzis “Fiabe” und Basiles “Märchen vom Hahn und dem Ring” aus der Bibliothek seines Vaters.
1800 erscheint in der von August Klingemann herausgegebenen Zeitschrift Memnon das Märchenfragment “Die Rose”. Die Hauptschaffensphase seiner Märchendichtung begann im Jahre 1805; Brentano arbeitete dann an den Märchen bis etwa zu dem Zeitpunkt seiner Generalbeichte. Allerdings erschienen zu seinen Lebzeiten nur das Märchen vom “Gockel, Hinkel und Gackeleia” aus den Italienischen Märchen (1838) und ohne sein Wissen auf Veranlassung eines Bekannten in der Frankfurter Zeitschrift “Iris” ein Teil aus den “Märchen vom Rhein” und das “Märchen vom Myrtenfräulein” (1826/27). Man wollte damit erreichen, daß Brentano alle seine Märchen dem Lesepublikum zugänglich machte.
Brentano, der zu dieser Zeit seiner religiösen Besinnung tiefe Zweifel an der Notwendigkeit und Lauterkeit aller Poesie hegte, war darüber verärgert, bewilligte aber eine Publikation unter dem Titel “Mährchen, nachläßig erzählt und mühsam hingegeben von C. Brentano. Als Almosen für eine Armenschule erbeten, geordnet, und herausgegeben von milden Freunden”, zu der es aber nicht kam, da Brentano begann, die Märchen im Sinne seines damaligen Welt-, Zeit-, Poesie- und Gottesbewußtseins umzuarbeiten. So erschien die erste Gesamtausgabe seiner Märchen erst nach seinem Tod in den Jahren 1846/47, herausgegeben von Guido Görres.
2.2.
1.1 Italienische MärchenDen italienischen Märchen, die zwischen ca. 1805 und 1811 entstanden, liegt in einer freien Bearbeitung der einzelnen Stücke die Märchensammlung “Pentamerone” (1634) des neapolitanischen Schriftstellers Giambattista Basile zugrunde
Sie besteht aus der Rahmenerzählung “Liebseelchen” und fünf der insgesamt 50 Spinnstubengeschichten des “Pentamerone”.
Liebseelchen ist eine traurige Prinzessin, die ihr königlicher Vater nur dadurch zum Lachen bringen kann, daß er ihre geschraubte Tanz- und Anstandslehrerin Mademoiselle Pimpernelle bei Glatteis auf dem Marktplatz durch ein listiges Manöver zu Fall bringt. Doch Pimpernelle ist eine Hexe, und bevor sie aus Wut über den ihr angetanen Affront zerplatzt, verdammt sie Liebseelchen dazu, den toten Prinzen Röhropp aus seinen Marmorgrab herauszuweinen, falls sie nicht ledig bleiben will, denn sie kann nur ihn und keinen anderen zum Manne bekommen. Liebseelchen hat ein gutes Herz, das Marmorbild des Prinzen an seinem Grabe rührt sie, und sie weint den Tränenkrug voll.
Am Ende ist sie so abgeweint und müde, daß sie einschläft. Währenddessen stiehlt ihr die böse Mohrin Russika den Krug und den auferstandenen Prinzen. Das gute Liebseelchen läßt sich alles gefallen und schenkt der Mohrin sogar noch einen Papagei, eine goldene Glucke und eine Wunderpuppe, die sie drei alten Frauen, denen sie aus der Not geholfen hat, verdankt. Russika legt die Gaben ihrem Kind an die Wiege, das in Wirklichkeit nur ein in Windeln gehüllter Flederwisch ist. Die Wunderpuppe, die spinnen kann, muß Tag und Nacht für sie arbeiten; schließlich empört sie sich und droht der Mohrin, dem Prinzen ihren doppelten Betrug zu verraten, wenn sie ihr nicht beim Spinnen zum Zeitvertreib Märchen erzähle. Russika ist nicht imstande dazu, doch sie bringt zehn alte Jungfern zusammen, die ihr die Arbeit abnehmen sollen.
Sie erzählen die fünf Spinnstubengeschichten “Myrtenfräulein”, das Märchen von der Liebe eines Prinzen zu einem Myrthenbaum, “Witzenspitzel”, ein Schwank von einem listigen Tausendkünstler, der ein Riesenehepaar erlegt, “Rosenblättchen”, die Geschichte einer launischen Prinzessin und ihrer Tochter, der es wie Dornröschen und Schneewittchen ergeht, “Hüpfenstich”, eine Groteske von einem König und einem Floh, den er wie seinen eigenen Sohn liebt und nach vielen Zwischenfällen mit seiner Tochter verheiratet, und das Märchen von dem glückhaften Tölpel “Dilldapp”.
Brentanos Märchen stehen im Gegensatz zu den Volksmärchen, in denen die Figuren nur allgemeine Bezeichnungen (wie z.B. Prinzessin, Schneider) tragen. Brentano gibt seinen Figuren Namen, die den Träger charakterisieren und zugleich Wortspielereien sind.
Der Wortsinn ist oftmals verfremdet, Redewendungen werden wörtlich genommen.
Aus dem Barock übernahm Brentano Worthäufungen wie z.B.: “Du Plappermaul! Du Gänseschnabel! Du Entenpürzel! Du Schnatterbüchse! Du Klappermühle! Du große Glocke! Du Ausrufer! Du Stadt- und Landtrompeter! Du Knarre! Du Schnarre!”
Wie in der Fabel werden die Tiere vermenschlicht, wobei ihre charakteristischen Wesenszüge aber nicht verwischt werden. Oft kann man als Leser auch nicht erkennen, ob es sich nun um Tiere oder Menschen handelt.
2.2.
1.2 RheinmärchenDie Rheinmärchen wurden von Clemens Brentano in den Jahren 1810-1812, zur Zeit der Rheinromantik, verfaßt. In ihnen wurden lokale Rheinsagen mit eigenen Erfindungen (z.B. der Lore Lay/Lureley, die Brentano zuerst als Ballade im “Godwi” vorstellte) vermischt.
Die Rheinmärchen umfassen vier thematisch zusammenhängende und motivisch miteinander verbundene Einzelmärchen.
Den Rahmen bildet das “Märchen von dem Rhein und dem Müller Radlauf”.
Der Müller Radlauf rettet die schöne Prinzessin Ameleya aus den Fluten des Rheins und erwirbt sich damit, einem Versprechen des Königs von Mainz zufolge, die Krone des Landes und die Hand seiner Tochter; der treulose König aber betrügt den Müller um Glück und Herrschaft. Die Strafe folgt auf dem Fuß: Ein Krieg zwischen Mäusen und Menschen bricht los, der König wird mit seinem Hofstaat vertrieben. Aus Rache für die Beleidigung der Königin von Trier und des Prinzen Rattenkahl lockt der Prinz Mauseohr die Kinder von Mainz mit Hilfe einer Zauberpfeife in den Rhein, wo sie ihrer Erlösung harren. Derweil begeht des Müllers Star, ein verzauberter Freier der Prinzessin, Selbstmord, ein Vermächtnis hinterlassend, das seinen Herrn flugs ins zweite große Märchen transponiert, wo der Müller, von Märchenepisode zu Märchenepisode fortschreitend - der Geschichte seiner Ahnen nachspürt, die zugleich die Geschichte des Hauses Starenberg ist.
In dem Märchenkomplex der “Rheinmärchen” wurden verschiedene deutsche Sagen und Rheinsagen vermischt, so z.
B. die Sagen vom Rattenfänger von Hameln, Bischof Hatto von Mainz, Binger Mäuseturm und die Melusinensage, aus der die Sage von der Wasserfee Lureley hervorging. Diese Sagenfiguren stecken alle in der Rahmengeschichte, die mehrere Einlagen hat - die Geschichte des Hauses Starenberg. Die Märchen im ganzen blieben aber unvollendet. Abgeschlossen sind nur das einführende “Märchen von dem Rhein und dem Müller Radlauf”, das “Märchen vom Murmeltier” und das Märchen vom “Schneider Siebentot auf einem Schlag”.
2.
2.2 “Godwi oder das steinerne Bild der Mutter”Godwi, ein adeliger Kaufmannssohn, schreibt an seinen Jugendfreund Karl Römer, den nüchtern-bürgerlichen, aber ironisch veranlagten Verwalter der Güter von Godwis Vater. Godwi berichtet zunächst über einen Aufenthalt in B., wo er Molly kennenlernte. Nach der Trennung von ihr führt ihn der Zufall in das abgelegene Schloß eines Landjunkers, dessen Tochter Joduno ihn vorübergehend als Kontrast zu Molly anzieht.
Joduno steht wiederum im Briefwechsel mit Otilie, der Tochter eines in der Nähe hausenden Einsiedlers, Werdo Senne.
Godwi stattet ihnen auf Drängen Jodunos einen Besuch ab und beschließt dann aber, dort für längere Zeit zu bleiben.
Karl Römer unternimmt währenddessen eine Geschäftsreise, die ihn ebenfalls nach B. führt, wo er auch Molly - eine in Deutschland ansässige Lady Hodefield - trifft. Diese weist ihn aber bestürzt ab, als sie seine Herkunft erfährt.
Molly Hodefield steht ihrerseits in Briefkontakt zu Werdo Senne, dem sie offenbart, daß Karl Römer ihr Sohn ist und aus einem Verhältnis zwischen ihr und Godwis Vater entstammt.
Den Schluß bilden die Briefe Karl Römers an Godwi, welche einen Besuch Jodunos in B.
ankündigen.
“Die Begebenheit steht zuletzt wie ein schwankendes Gerüst da, das die Behandlung nicht mehr ertragen kann und jagt den Lesern Todesangst für sich und sein Interesse ein.”, befürchtet der Autor des zweiten Bandes und Herausgeber der Briefe des ersten Bandes, Maria, in der Vorrede des zweiten Bandes. Er entschließt sich, weitere Daten der Handlung direkt bei Godwi zu beschaffen, da sie ihm von Karl Römer, der den ersten Band in Auftrag gab, verwehrt bleiben. Mit der Hilfe des inzwischen gealterten, nun abgeklärt-ruhigen Godwi sieht er sich imstande, den im ersten Band geschürzten Knoten von Personenkonstellationen zu lösen. Godwi führt Maria zu einigen Örtlichkeiten des ersten Bandes, tadelt seinen Biographen (Maria gelang die Beschreibung der Otilie nicht besonders) und steuert aus Briefen und eigenen Erzählungen die Lebensgeschichten verschiedener Nebenfiguren bei.
Godwis Bericht stiftet zwischen allen Figuren enge verwandtschaftliche Beziehungen und klärt so die Verwirrungen des ersten Bandes. Die Szene wird bereinigt, indem die gesamten Nebenfiguren nach Italien geschickt werden.
“’An der Spitze flog Eusebio, hinter ihm Franzesko und Otilie, und hinter diesen mein Vater nebst dem alten Joseph, in ihrer Mitte aber Molly von Hodefield, so piramidalisch, wie die Störche fliegen - adieu -.’
‘Glückliche Reise,’ sagte ich, ‘kommt um Gotteswillen nicht wieder -!’”
Nach der Vollendung der Familiengeschichte erkrankt Maria, und Godwi selbst bemüht sich um eine “fragmentarische Fortsetzung”. Seine (zu Beginn des ersten Bandes unternommene) Reise führt ihn nach dem Besuch auf dem Reinhardstein zu einem Schloß am Rhein, dessen Herrin, die Gräfin von G., ihn an sich band.
Als sie jedoch ihre Tochter Violette, die ihn liebte, durch Godwi in die Mysterien ihrer erotischen Religion einzuführen versucht, weigert er sich und flieht. Violette wurde zur Dirne, die Godwi nach einem Italienaufenthalt wiedertraf und erschüttert auf seinem Landgut aufnahm, wo sie dann starb.
In einem kurzen Epilog gibt es noch “Einige Nachrichten von den Lebensumständen des verstorbenen Maria” und eine Auswahl seiner Gedichte, darunter eines “An Clemens Brentano”.
“Godwi oder das steinerne Bild der Mutter” war Brentanos einziger Roman und entstand zwischen 1798 und 1801 in zwei Teilen. Der erste Teil erschien Ende 1800 und wurde auf 1801 vordatiert. Er besteht aus 28 undatierten Briefen von mehreren Briefautoren; in diesen Briefen sind Tagebuchaufzeichnungen, Erinnerungsdokumente, Gedichte und Lieder eingebettet.
Ein Kreis zahlreicher Personen, die getrennt voneinander leben, finden darin immer mehr zusammen und teilweise entdecken sie auch ihre Verwandtschaft zueinander.
Die Ausgangskonfiguration bilden Godwi und Römer, die gemeinsam aufwuchsen. Ihr Gegensatz ist nur ihre verschiedene Auffassung vom Reisen. Während Godwi Reisen sein Ideal nennt (“Wenn draußen der wilde Sturm in vollen Wogen braust, dann habe ich nie meinen so oft beklagten Drang nach Reisen empfunden. Mein Ideal - kennst du es noch?”), wirft Römer ihm unnützes Reisen vor (“Es ist mir unbegreiflich, Karl, daß er dich so unnütze Reisen tun läßt,[..
.]”. Römer ist mehr ein Mensch der “bürgerlichen Ordnung”, während Godwi ein Freikünstler ist. Für Godwi sind seine Reisen ein Versuch, sich selbst zu verwirklichen, aus der “bürgerlichen Welt” auszutreten. So trifft Godwi auch auf die verschiedensten Frauen- und Mädchengestalten, wie Molly Hodefield, Joduno von Eichenwehen oder Otilie Senne.
Ein Schema zum Aufbau des ersten Buches soll mir helfen, die Beziehungen näher darzustellen und den Verweis auf die einzelnen Briefe erleichtern.
1
Godwi an Römer
(Die Reisen Godwis [sig!] und
2
Römer an Godwi
Römers)
3
Joduno an Otilie
4
Römer an Godwi
5
Otilie an Joduno
6
Römer an Godwi
7
Werdo an Molly
8
Godwi an Römer
9
Molly an Werdo
10
Jost an Joduno
11
Godwi an Römer
(Godwi auf dem Reinhardstein)
12
“
13
“
14
“
15
“
16
“
17
“
18
“
19
Joduno an Sophie
20
Antonio Firmenti an Godwis Vater
21
Römer an Godwi
(Römer im ‘Goldenen Kopf’)
22
“
23
“
24
“
25
“
26
“
27
“
28
“
Kurz nach Godwi (Brief 2) bricht auch Karl Römer zu einer Geschäftsreise auf. Auch er trifft zufälligerweise auf Molly Hodefield und nähert sich damit unbewußt der Position Godwis an.
Zu Joduno, die Godwi dann trifft (Brief 1,3 und 4) hat er eine eher geschwisterliche Beziehung, da sie beide durch empfindsame Naturschwärmerei verbunden sind. Joduno schickt Godwi dann auch zu ihrer Freundin Otilie und deren Vater Werdo Senne, der als Einsiedler auf dem Reinhardstein lebt. Man kann diesen Teil (Brief 11-18) auch als den Hauptteil des ersten Teiles bezeichnen, da hier die Gemütszustände der einzelnen Personen sich abrupt ändern. So leidet Werdo an einer geheimnisvollen Trauer und Todessehnsucht, die sich zum Teil auf Otilies Mutter, zum anderen aber auch auf eine andere, geheimnisvolle Frau bezieht.
In den Briefen 7 und 9 wird darüber berichtet..
Ein anderer Punkt ist der Rückzug in die Natur, der durch Godwis Liebe zu Otilie hervorgerufen wird. Diese Liebe wird von Godwi als ein umfassendes Gefühl der Einheit mit der Natur bezeichnet, so wird die Liebe bei Godwi zur Wunschvorstellung.
“Wenn mich Tilie liebt, so habe ich keinen Wunsch, kein Begehren, keine Geschichte mehr, ich bin aus dem Leben in die Natur getreten.”
Mit dem Eintritt in die Natur vollzieht sich auch ein Rückzug aus der Gesellschaft, wodurch die Leiden aus der Vergangenheit beruhigt werden sollen.
Etwa zur gleichen Zeit findet Römer Aufnahme in dem Salon des ‘Goldenen Kopfes’, dessen Mittelpunkt Mademoiselle Budlar ist (Brief 21-28).
Wie ein Fremdling erscheint der 20. Brief des ersten Bandes - der Brief Antonio Firmentis an Godwis Vater. Hier wird zum ersten Mal in diesem Roman chronologisch erzählt. Firmenti teilt hier seine Familiengeschichte dem alten Godwi mit, der Firmentis Bruder Francesco gefunden hat, um diesen auf ein Wiedersehen mit Antonio Firmenti vorzubereiten.
Im zweiten Teil, ein Erzählroman in der Ich-Form, wird erstmals der Dichter Maria als Romanfigur eingeführt, der Godwi, den Helden des ersten Bandes, aufsucht.
Es stellt sich heraus, daß Maria der Herausgeber und Bearbeiter der Briefe des ersten Bandes ist, der von Karl Römer den Auftrag dazu erhalten hat. Er erledigte diese Arbeit aber nicht zur Zufriedenheit Godwis. Somit sucht Maria Godwi auf, um sein begonnenes Werk zu vollenden. Der Aufbau ist wie folgend:
Vorrede
Verbindung zum ersten Teil des Romans
1
Ankunft, Bekanntschaft mit Godwi, Haber und Flametta
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Violettens Denkmal
16
17
18
Geschichte von Godwis Mutter und ihrer Schwester; Bilder
19
20
21
22
23
24
25
26
26
27
28
Vollendung des ersten Bandes durch Godwis Erzählung
29
30
31
32
Fragmentarische Fortsetzung, teils von Maria, teils von Godwi
33
34
35
36
37
38
39
Lebensumstände des verstorbenen Maria
Hier werden nun, von allem in den Kapiteln 18 bis 27, die dunklen Stellen des ersten Bandes geklärt. Godwi übergibt dazu Maria einen Bündel Papiere mit fragmentarischen Aufzeichnungen.
Das besondere Merkmal an diesem zweiten Band ist die “verblüffende Pointe”, wie sie Benno von Wiese bezeichnet.
Der Autor stirbt, während die Hauptperson am Leben bleibt und sein Werk vollendet.
Auch wurden die “Nachrichten über die Lebensumstände des verstorbenen Maria” nicht mehr von Brentano, sondern von einem seiner Jenaer Kollegen verfaßt, der über die literarischen Beziehungen des Dichters berichtet. So schreibt Brentano im August 1801 an Savigny:
“Heute ist mein ganz Manuskript 2. Band abegangen. Es ist wüst, wüst, hinten stirbt Maria und eine satirische Lebensbeschreibung von ihm hat Winkelmann dazu gemacht, in der Sonette an Sie sind und Parodien auf Gedichte großer Meister als Leichengedichte.”
Brentano gestaltete seinen Roman nach dem Vorbild Schlegels Romantheorie, worauf auch der Begriff “verwildert” im Untertitel hinweist.
Für Schlegel war die Handlung eines Romans nicht die Folge notwendiger, sondern zufälliger Begebenheiten, die sich ohne Ende aneinanderreihen lassen. Vorbild war Goethes “Wilhelm Meister”, da er nach F. Schlegel die Elemente aller Gattungen in sich trägt. In seinem “Brief über den Roman” sagte Schlegel:
“Ich kann mir einen Roman kaum anders denken, als gemischt aus Erzählung, Gesang und anderen Formen...
Gibt es einen Roman, in welchem dies nicht stattfindet und nicht stattfinden kann, so liegt es nur an der individuellen Beschaffenheit des Werkes, nicht im Charakter der Gattung...”
Nach diesem Prinzip verfuhr auch Clemens Brentano. In seinem Roman vermischte er Prosa, Lyrik und dramatische Reflexionen, den Dialog zwischen Godwi und Otilie im ersten Band (Brief 11-18) sowie den Dialog zwischen Godwi und dem Mönch im zweiten Band (Kapitel 36).
Die Grundlage des Romanstoffes ist autobiographisch.
Dorothea Veit schrieb darüber am 13. März 1801 an Brentano:
“Ich habe gestern an meine Freundin in Berlin, die mich nach Ihrem Roman fragte, etwas recht Hübs
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