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  Hermetische lyrik

  Hermetische Lyrik   Stefan George – Georg Trakl – Gottfried Benn           “Erst wenn in der Dunkelheit die Worte gerade durch ihre Vieldeutigkeit, ja Unverständlichkeit, ihren eigenen Glanz, von praktischen Bedeutungsfunktionen befreit, entfalten können und in der Nacht des Bewußtseins unbekannte Sterne aufgehen, erst dann ist das Gedicht da.” (K. Leonhardt)               Inhalt      0. Einleitung 2   1. Stefan George 8 1.1.

Leben 1.2. Poetik 1.3. Werke   2. Georg Trakl 12 2.

1. Leben 2.2. Poetik 2.3. Werke   3.

Gottfried Benn 16 3.1. Leben 3.2. Poetik 3.3.

Werke   Literaturverzeichnis 21       0. Einleitung Als Vorläufer der modernen europäischen Dichtung gelten drei französische Lyriker, Baudelaire, Rimbaud und Mallarmé, die auch auf deutsche Dichter wie Stefan George (der Mallarmé in Paris persönlich kennenlernte), Georg Trakl (der schon früh Baudelaire liest und später Verse aus einer Rimbaud-Übersetzung unverändert in die eigene Dichtung einfließen läßt) und Gottfried Benn entscheidenden Einfluß hatten.   Im 19. Jahrhundert kommt es zu einer grundlegenden Veränderung der Poesie, die ab diesem Zeitpunkt nicht mehr das idealisierende Bilden geläufiger Stoffe oder Situationen als ihre Aufgabe sieht. Die Poesie gerät in Opposition zu einer “mit ökonomischer Lebenssicherung beschäftigten Gesellschaft”, wird zur “Klage über die wissenschaftliche Weltenträtselung und über die Poesielosigkeit der Öffentlichkeit”. Dadurch entsteht ein scharfer Bruch mit der Tradition; dichterische Originalität rechtfertigt sich aus der Abnormität des Dichters; Lyrik wird als reinste und höchste Erscheinung der Dichtung bestimmt, “die ihrerseits in Opposition trat zur übrigen Literatur und sich zur Freiheit ermächtigte, grenzenlos und rücksichtslos alles zu sagen, was ihr eine gebieterische Phantasie, eine ins Unbewußte ausgeweitete Innerlichkeit und das Spiel mit einer leeren Transzendenz eingaben.

” Damit ergibt sich die Aufgabe, neue Kategorien zu suchen, mit denen die neue Lyrik zu beschreiben ist; während früher positive Kategorien (etwa in den Gedichtrezensionen Goethes oder Schillers) zur Beurteilung von Gedichten verwendet worden sind (negative nur zum Zweck der Verurteilung eines Textes), wird die neue Poesie fast durchgehend mit negativen Kategorien beschrieben – “negativ” nicht abwertend, sondern definitorisch angewendet. Schon Novalis benutzt negative Kategorien nicht tadelnd, sondern beschreibend, Lautréamont entwirft schließlich 1870 ein Bild der nach ihm kommenden Literatur mit Begriffen wie: Ängste, Wirrnisse, Entwürdigungen, Grimasse, Herrschaft der Ausnahme und des Absonderlichen, Dunkelheit, wühlende Phantasie, das Finstere und Düstere, Zerreißen in äußerste Gegensätze, Hang zum Nichts. Die theoretische Vorbereitung dieser Entwicklung findet sich bereits im 18. Jahrhundert bei Rousseau und Diderot. Rousseau verkörpert in seiner autistischen Haltung die “erste radikale Form des modernen Traditionsbruchs”, die zugleich ein Bruch mit der Umwelt ist. Er empfindet einen Riß zwischen sich und der Gesellschaft, eine Unversöhnlichkeit zwischen Ich und Welt.

Weiters vollzieht Rousseau in einigen seiner Schriften die Beseitigung des Unterschieds zwischen Phantasie und Wirklichkeit; er prägt den Begriff der “schöpferischen Phantasie”, die dem Subjekt erlaubt, das Nichtexistierende zu schaffen und es über das Existierende zu stellen: “Die Phantasie wird absolut.” Auch Diderot betont die unabhängige Stellung der Phantasie, die nicht mehr an sachlicher und logischer Zulässigkeit gemessen werden soll, und verweist in seinen Schriften auf das häufige – vielleicht notwendige – Zusammentreffen von Immoralität und Genialität, womit er die seit der Antike geläufige Gleichordnung der ästhetischen Kräfte mit den erkennenden und ethischen aufhebt. Die Dichtung ist für Diderot nicht mehr Gegenstandsaussage, sondern “emotionale Bewegung mittels freier Metaphernschöpfung”, womit sich bereits eine eindeutige Überordnung der Sprachmagie über den Sprachgehalt ankündigt. Weiters entwickelt Diderot eine Theorie des Verstehens, nach der es Verstehen im Idealfall nur als Selbstverstehen gibt, während der Kontakt zwischen Dichtung und Leser – wegen der Unzulänglichkeit der Sprache – kein Verstehen ermöglicht, sondern nur magische Suggestion. Diese neuen Bestimmungen der Phantasie und der Dichtung verstärken sich in der Romantik, wobei diesbezüglich die dichtungstheoretischen Reflexionen Novalis‘ von besonderer Bedeutung sind. Novalis bestimmt die Lyrik als das “Poetische schlechthin”; das lyrische Subjekt deutet er als “neutrale Gestimmtheit”, als eine “Ganzheit des Innern, die sich zu keiner präzisen Empfindung zusammenzieht.


” Lyrik ist für ihn “Schutzwehr gegen das gewöhnliche Leben”, stofflich ist sie durch eine Vermischung des Heterogenen gekennzeichnet, ihre Phantasie genießt die Freiheit, “alle Bilder durcheinanderzuwerfen”. Wesentlich ist auch die Gleichsetzung der Poesie mit der Magie, wobei poetische Magie “Vereinigung der Phantasie und der Denkkraft” ist. Durch die Verbindung mit der Magie gelangt er zum Begriff der Beschwörung: “Jedes Wort ist Beschwörung”. Der Poet hat die Macht, die Bezauberten dazu zu zwingen, “eine Sache so zu sehen, zu glauben, zu fühlen, wie ich will” (diktatorische Phantasie). Die Sprache ist weiters eine “Selbstsprache” ohne Mitteilungszweck, sie bildet eine Welt für sich, die notwendigerweise dunkel ist; der Dichter achtet mehr auf Ton- und Spannungsabfolgen, die nicht mehr auf die Bedeutung der Worte angewiesen sind. Von der Dichtung werden nicht mehr Richtigkeit, Deutlichkeit, Reinheit, Vollständigkeit und Ordnung erwartet, sondern Harmonie und Euphonie: “Der Sprachmagie wird also erlaubt, im Dienste der Verzauberung die Welt zu Fragmenten zu zerschlagen.

Dunkelheit und Inkohärenz werden Voraussetzungen der lyrischen Suggestion.” “Neutrale Innerlichkeit statt Gemüt, Phantasie statt Wirklichkeit, Welttrümmer statt Welteinheit, Vermischung des Heterogenen, Chaos, Faszination durch Dunkelheit und Sprachmagie, aber auch ein in Analogie zur Mathematik gesetztes kühles Operieren, das Vertrautes entfremdet: dies ist genau die Struktur, innerhalb deren die Dichtungstheorie Baudelaires, die Lyrik Rimbauds, Mallarmés und der Heutigen stehen werden.”   Novalis und Friedrich Schlegel, der von der Trennung des Schönen vom Wahren und Sittlichen, von der poetischen Notwendigkeit des Chaos spricht, regen Leitgedanken der französischen Romantik an, die das bisher Geschilderte an Baudelaire weiter vermittelt.   Baudelaires (1821-1867) Problem ist die Frage nach der Poesie in der kommerzialisierten und technisierten Zivilisation. Als Besonderheit des modernen Künstlers sah er die Fähigkeit, “in der Wüste der Großstadt nicht nur den Verfall des Menschen zu sehen, sondern auch eine bisher unentdeckte geheimnishafte Schönheit zu wittern.” Dichtung und Kunst versteht Baudelaire als “gestaltschaffende Verarbeitung des Zeitschicksals”.

Wesentlich für das Schaffen Baudelaires ist der Einfluß E. A. Poes, mit dem die Entpersönlichung der modernen Lyrik beginnt; nicht mehr die Empfindungsfähigkeit des Herzens ist für die Dichtung von Vorteil, sondern die Phantasie, verstanden als intellektuell gelenktes Operieren. Mit seinem eigenen Werk, den Fleurs du Mal, beweist Baudelaire einen gesteigerten Formwillen, der sich in der äußeren und inneren Ordnung der Gedichte zeigt. Die negativen Inhalte der Gedichte stehen im Gegensatz zu ihrer Form, die Form trennt sich vom Gehalt. Es kommt zu einem Übergewicht des Formwillens über den Willen zum bloßen Ausdruck, weshalb es nicht verwundert, daß Baudelaire, wie Novalis und auch Poe, in seinen theoretischen Schriften den Begriff der Mathematik verwendet – “Schönheit ist das Erzeugnis von Vernunft und Calcul.

” Der Begriff der Modernität bedeutet für Baudelaire zweierlei. In negativer Hinsicht meint er die “Welt der pflanzenlosen Großstädte mit ihrer Häßlichkeit, [...] ihren Einsamkeiten im Menschengewimmel” und die Epoche der Technik und des Fortschritts, den er als “progressive Abnahme der Seele, progressive Herrschaft der Materie” definiert. Gleichzeitig fasziniert ihn die Modernität aber, da das Armselige, Verfallene, Böse, Nächtliche und Künstliche Reizstoffe bietet, Geheimnisse, die poetisch wahrgenommen werden wollen.

Im Zuge seiner Überlegungen gelangt Baudelaire auch zu einem neuen Begriff der Schönheit; schön ist, was rein und bizarr ist, er wünscht aber auch ausdrücklich die Häßlichkeit, denn: “Aus dem Häßlichen weckt der Dichter neuen Zauber.” Der schon von Rousseau empfundene Riß zwischen Autor und Publikum wird von Baudelaire noch verstärkt. Er spricht vom “aristokratischen Vergnügen zu mißfallen” und rühmt sich, den Leser zu irritieren und nicht mehr von ihm verstanden zu werden. Auch Baudelaire entwickelt eine Theorie der Sprachmagie, erkennt eine Verwandtschaft zwischen Poesie und Magie. Wie schon Novalis rückt er Begriffe wie Mathematik und Magie zueinander, in dem spezifisch modernen Bedürfnis, Dichtung ebenso zu intellektualisieren wie an archarische Praktiken anzuschließen. Die theoretischen Erörterungen des französischen Dichters deuten bereits auf eine Lyrik voraus, die zugunsten der magischen Klangkräfte zunehmend auf sachliche, logische, affektive und auch grammatische Ordnung verzichtet und den Gehalt aus den Impulsen des Wortes gewinnt, Gehalte abnormen Sinnes, an der Grenze oder jenseits der Grenze des Verstehbaren.

Durch den “Ekel am Wirklichen”, den Baudelaire empfindet, erstrebt seine Lyrik nicht Kopie, sondern Verwandlung und Entrealisierung des Wirklichen. Die Natur (alles Vegetative) wird degradiert zum Chaos und Unreinen, während Anorganisches als Symbol des absoluten Geistes verwendet und mit dem Kunsthaften gleichgesetzt wird. Die Phantasie gilt dem Dichter als Königin der menschlichen Fähigkeiten, da sie das Wirkliche in seine Teile zerlegt und zertrennt, es deformiert. Die Deformation soll daher am Beginn des künstlerischen Aktes stehen, der eine “neue Welt” aus dieser Zerstörung bildet, die keine real geordnete Welt mehr sein kann. Baudelaire befürwortet damit ein Wegstreben aus der beengten Wirklichkeit, eine Entrealisierung in der Kunst. Die damals aufkommende Photographie verurteilt er ebenso wie die Naturwissenschaften, da diese wissenschaftliche Weltdurchdringung von ihm als Weltverengung und als Verlust des Geheimnisses empfunden wird.

Der Dichter antwortet darauf – wie später der Symbolismus – mit extremer Machtausweitung der Phantasie.   Arthur Rimbaud (1854-1891), dessen Werk u.a. von Stefan George, Paul Celan und Karl Krolow ins Deutsche übertragen worden ist, verwirklicht in seiner Dichtung die theoretischen Entwürfe Baudelaires. Der Kern seines Dichtens ist kaum noch thematischer Art, ab einem gewissen Zeitpunkt gibt es keine nachvollziehbaren Sinngefüge mehr; im Gegensatz zu Mallarmé gelangt Rimbaud dabei nicht zu einem Zertrümmern syntaktischer Ordnungen, sondern spannt die chaotischen Gehalte in sehr einfache Sätze. Dieses irreale Chaos wird von vielen Zeitgenossen als Erlösung von der beengenden Realität empfunden, was zum Teil die enorme Wirkung Rimbauds erklärt.

Rimbaud beansprucht für den Dichter den Rang eines Sehers, dessen Ziel lautet: “ankommen im Unbekannten”. Dieses Ziel, das Friedrich treffend als “leere Transzendenz” bezeichnet, wird nicht näher bestimmt, sondern nur mit negativen Begriffen umschrieben (das Nicht-Geläufige, das Nicht-Wirkliche, das schlechthin andere). Das taugliche Subjekt ist dabei nicht mehr das empirische Ich, es wird entmächtigt durch kollektive Tiefenschichten. Diese Selbstentmächtigung muß durch einen operativen Akt erreicht werden, der von Wille und Intelligenz geleitet wird. Eine operative Verhäßlichung der Seele und Selbstverstümmelung wird angestrebt, um in jenem Unbekannten anzukommen. Der Dichter wird “der große Kranke, der große Verbrecher, der große Verfemte – und der Höchste aller Wissenden”.

Die Abnormität des Dichters wird zu einem vorsätzlichen Draußenstehen, wird zur Norm. Durch diese Operationen kommt eine Dichtung zustande, die keinen Wert mehr auf Form legt. Bei Rimbaud führt der Deformationstrieb zur Abstoßung alles Vergangenen, zu Ausbrüchen gegen Tradition und Schönheit; er sondert sich von der Vergangenheit ebenso wie vom Publikum ab. Das Gefühl der Heimatlosigkeit in der herkömmlichen Welt des Dinglichen, Seelischen und Vernünftigen bestimmt seine Lyrik. Der Zwang zum “Unbekannten”, das “heilige Verlangen”, drängt in imaginäre Weiten – diese “Leidenschaft zur Transzendenz” bewirkt die ziellose Zerstörung der Realität. Mit der Trennung des dichterischen Subjekts vom empirischen Ich wird die Dichtung selbst enthumanisiert, sie wird monologisch.

Statt unterscheidbaren Gefühlen findet sich in den Gedichten ein “neutrales Vibrieren”, wahrnehmbar ist nur noch ein “Taumel des Unbestimmten im Bild wie in der Emotion”. Menschen gehen nur noch als herkunftslose Fremdlinge oder als Fratzen in die Dichtung ein; anatomische Fachausdrücke in ihrer Beschreibung bewirken eine harte Versachlichung. Das Wesen Rimbaudscher Bildinhalte kennzeichnet Friedrich mit dem Begriff der “sinnlichen Irrealität”: “Der deformierte Wirklichkeitsstoff spricht sehr häufig in Wortgruppen, von denen jeder Bestandteil sinnliche Qualität hat. Jedoch vereinigen derartige Gruppen sachlich Unvereinbares auf so abnorme Weise, daß aus den sinnlichen Qualitäten ein irreales Gebilde entsteht.” Ein weiterer Begriff aus diesem Umfeld ist der der “diktatorischen Phantasie”: “Die reale Welt bricht auseinander unter dem Machtanspruch eines Subjekts, das seine Inhalte nicht mehr empfangen, sondern selber herstellen will.” Die diktatorische Phantasie erzeugt ein verzerrtes, unvertrautes Bild der Welt und kann bis zur Absurdität führen.

  Stéphane Mallarmé (1842-1898) geht einen etwas anderen Weg als Rimbaud, der in eine absolute Dunkelheit des Dichtens führt, was er ontologisch begründet. Es handelt sich um ein Denken, das um das absolute Sein (gleichgesetzt dem Nichts) und um dessen Verhältnis zur Sprache kreist; Dichtung versteht er als den einzigen Ort, an dem das Absolute und die Sprache einander begegnen können. Eine kurze, vereinfachende Erklärung von Mallarmés ontologischem Schema könnte so lauten: “Dinge, sofern sie reale Gegenwart haben, sind unrein, nicht absolut; erst im Vernichtetwerden ermöglichen sie die Geburt ihrer reinen Wesenskräfte in der Sprache. Eine solche Sprache kann, verglichen mit der Normalsprache, nur eine Als-ob-Sprache sein, eine transzendierende Sprache, die sich vor jeder Sinn-Eindeutigkeit hütet.” Ein Grundakt Mallarméschen Dichtens besteht also im Verweisen den Dinglichen in die Abwesenheit (dem entspricht das Wegstreben aus der Realität bei Baudelaire und Rimbaud). Diese Entrealisierung erscheint bei Mallarmé nicht mehr nur als Folge zeitgeschichtlicher Gründe, sondern als Folge einer ontologisch verstandenen Unstimmigkeit zwischen Realität und Sprache.

Diesem Wegstreben aus der Realität entspricht das Hinstreben zu einer Idealität, die der Dichter “le néant” nennt, das Nichts. Dieser Begriff des Nichts ist identisch mit seinem Begriff des Absoluten, sie bezeichnen beide eine Idealität, in der alle “Zufälle” des Empirischen ausgelöscht sind. Das Absolute ist durch seine Loslösung vom Gewohnten, Natürlichen, Lebendigen, durch seine Loslösung von Zeit, Ort und Ding das Nichts: “das reine Sein und das reine Nichts werden identisch”. Die ontologische Kernfrage Mallarmés betrifft das Verhältnis zwischen dem Nichts und der Sprache. Durch die Entrealisierung (das Abrücken des Dinglichen, alles Wirklichen überhaupt, in die Abwesenheit) erteilt die Sprache dem Ding die Abwesenheit, “die es kategorial dem Absoluten (dem Nichts) angleicht und welche die reinste (von aller Dinglichkeit freie) Anwesenheit im Wort ermöglicht. Was sachlich vernichtet ist durch die Sprache, die sein Wegsein aussagt, erhält in der gleichen Sprache, durch seine Benennung, seine geistige Existenz.

” Durch das gesamte Denkgefüge geht allerdings ein Riß, der Riß zwischen Sprache und Idealität, zwischen Wollen und Können, zwischen Streben und Ziel. Es handelt sich um ein doppeltes Mißlingen: eines der Sprache gegenüber dem Absoluten (subjektives Mißlingen) und eines des Absoluten gegenüber der Sprache (objektives Mißlingen). Beide Pole, Sprache wie absolutes Sein, unterliegen dem Gesetz des Mißlingens. Bei Mallarmé verstärken sich die schon vorher beobachteten Tendenzen der modernen Lyrik; er radikalisiert etwa die Enthumanisierung in seiner Lyrik, indem er nicht nur die private Person, sondern auch die normale Menschlichkeit ausscheidet. Das dichterische Subjekt wird zu einer überpersönlichen Neutralität. Damit einher geht auch die Abriegelung gegen die vegetative Natur.

Selbst Liebes- und Todessituationen werden enthumanisiert, indem sie durch oft mehrere geistige Sinnschichten überwölbt werden. Die unauflösbare Mehrdeutigkeit verwehrt absichtlich ein Zurücklenken in natürliches Menschentum. In der Poesie sieht Mallarmé die einzige Möglichkeit, die Zufälligkeit, Enge und Unwürde des Realen vollständig zu tilgen. Auch er versteht Dichtung als Widerstand gegen die kommerzialisierte Öffentlichkeit und gegen die wissenschaftliche Austreibung des Weltgeheimnisses. Paradoxerweise überwacht er jedoch selbst sein hochspezialisiertes Dichten mit der Verantwortung eines Technikers – eines Technikers der Intellektualität und der Sprachmagie; er spricht von seinem “Laboratorium”, von der “Geometrie der Sätze”. Im Gegensatz zu Rimbaud wahrt Mallarmé die Konvention metrischer, reimtechnischer, strophischer Gesetze.

Diese Formenstrenge kontrastiert allerdings zu den verschwebenden Gehalten – der Dichter schreibt: “Je weiter wir unsere Gehalte ausdehnen, und je mehr wir sie verdünnen, desto mehr müssen wir sie binden in deutlich markierten, anfaßbaren, unvergeßlichen Versen” – und später: “Nachdem ich das Nichts gefunden hatte, fand ich die Schönheit.” Seine Dichtung, die alle Realität vernichtet, ruft also um so stärker nach der geformten Schönheit der Sprache. Auch Gottfried Benn wird später von der formfordernden Gewalt des Nichts sprechen. Die Dunkelheit seiner Lyrik sieht Mallarmé nicht als dichterische Willkür, sondern ontologische Notwendigkeit. Er leitet sein dunkles Dichten aus jener Dunkelheit ab, die im Urgrund aller Dinge liegt. Durch die Enthumanisierung wird das Dreieck Autor-Werk-Leser zerstört und trennt das Werk von beiden menschlichen Bezügen; das Werk ist unpersönlich, es steht allein.

Weiters ist die Symbolik Mallarmés autark; die meisten Symbole sind von ihm selbst gesetzt und können nur aus ihm selbst begriffen werden. Seine Sprache ist nur noch Äußerung ihrer selbst; sein Dichten ist nicht verstehbar, sondern suggestiv. Mallarmé wünscht einen Leser, “der offen ist für das vielfältige Verstehen”, er soll selbst weiterproduzieren, soll weniger enträtseln, als vielmehr selbst in das Rätselhafte kommen, wo er Entzifferungen ahnt, aber nicht verfrüht beendet. Valéry, ein Schüler Mallarmés, schreibt später: “Meine Verse haben den Sinn, den man ihnen gibt.” Mallarmé verwendet selbst den Begriff der Suggestion: “Ein Ding nennen, heißt dreiviertel des Genusses an einer Dichtung verderben; das Genießen besteht im allmählichen Erraten; das Ding suggerieren, hier liegt das Ziel.” In der suggestiven Wirkung des Gedichts wird so die einzige Brücke zum Leser gewahrt.

In diesem Zusammenhang steht auch der Begriff der poésie pure. Nennt Mallarmé ein Ding rein (pure), so meint er dessen Wesensreinheit, sein Freisein von störenden Beimischungen. Die Voraussetzung dichterischer Reinheit ist also die Entdinglichung; so wird die Dichtung frei zum Waltenlassen der Sprachmagie. Der Begriff der poésie pure behält aber auch über Mallarmé hinaus seine “Geltung für alle Lyrik, die nicht primär Empfindung und Reaktion auf Weltinhalte sein will, sondern Spiel der Sprache und der Phantasie.”   Für seine Überzeugung von einer Entsprechung zwischen Dichtung und Magie spricht Mallarmés starkes Interesse an okkultistischer Literatur. “Er stand in Briefwechsel mit V.

E. Michelet, der die unter dem Namen des Hermes Trismegistos gehenden spätantiken Geheimlehren verbreitete, dafür den Namen ‚Hermetismus‘ gebrauchte und ihre Übertragung auf die Dichtung empfahl. (Noch heute bedeutet in Frankreich ‚hermétisme‘ vorwiegend Okkultismus, Alchimie usw.) Mallarmé hatte dieser Übertragung zugestimmt.” Der Dichter schreibt selbst: “Es besteht zwischen den alten Praktiken und der in der Poesie wirkenden Zauberei eine geheime Verwandtschaft.” Dichten heißt deshalb: “in ausdrücklich gewolltem Dunkel die verschwiegenen Dinge beschwören, mittels anspielender, nie direkter Worte.

” Schon bei Rimbaud, der von einer “Alchimie des Wortes” spricht, wird vermutet, daß er die “Hermetischen Bücher” des Hermes Trismegistos gekannt hat. Die Annäherung der Dichtung an Magie und Alchimie ist seit dem 18. Jahrhundert allgemein üblich geworden, man sieht im dichterischen Akt eine Entsprechung zum magischen und alchimistischen Operieren. Der Begriff der “Hermetischen Lyrik” geht auf diese Schriften des Hermes Trismegistos zurück: “Nach okkultischen Offenbarungsschriften aus dem 3. nachchristlichen Jahrhundert, dem Corpus Hermeticum, das dem Gott Hermes Trismegistos zugeschrieben wurde, nennt man zunächst die dunkle, geheimnisvolle und vieldeutige Literatur der französischen Symbolisten ‚hermetisch‘, dann auch Gedichte des späten Rilke, Gedichte von Trakl, Benn, Bobrowski, Celan usw.”     1.

Stefan George 1.1. Leben Stefan George wird 1868 in Büdesheim bei Bingen geboren, besucht das Gymnasium in Darmstadt und studiert später Romanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin, München und Paris. Bereits als Schüler betätigt er sich als Herausgeber einer Zeitschrift (“Rosen und Disteln”), in der ausdrücklich keine Artikel religiösen oder politischen Inhalts abgedruckt werden, was bereits die spätere georgesche Programmatik andeutet. In Paris lernt George den Lyriker Albert Saint-Paul kennen, der ihn Stéphane Mallarmé vorstellt. Mallarmé, einer der Begründer des französischen Symbolismus und der poésie pure, versteht den Dichter nicht nur als perfekten Meister der Sprache, sondern mehr noch als einen in die Mysterien eingeweihten Seher; Dichten bedeutet für ihn daher einen abgezogenen, esoterischen Vorgang, das Geheimnis schlechthin.

“Soziologisch handelt es sich um die Bildung einer Elite aus Protest gegen die Massen, gegen die Demokratisierung von Kunst und Literatur.” Der Kontakt mit Mallarmé und anderen französischen Symbolisten leitet George zur elitären Kunstauffassung des l’art pour l’art hin, aus der er seine sakrale Auffassung von Kunst und Poesie entwickelt. Die Begegnung mit dem Symbolismus führt George zu der Absicht, in Deutschland ähnlich wirksam zu werden wie Mallarmé und sein Kreis in Frankreich; die neue französische Dichtung wird ihm zum Vorbild seiner Poesie. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland versammelt er literarische Gefährten um sich – im Gegensatz zum späteren Kreis noch Gleichaltrige und Gleichberechtigte –, mit denen ihn die Idee verbindet, eine neue Kunst nach französischem Vorbild zu schaffen. 1891 kommt es zur ersten Begegnung zwischen George und Hofmannsthal, auf dessen – noch unter dem Pseudonym Loris veröffentlichte – Gedichte George aufmerksam geworden ist. George versucht verzweifelt, Hofmannsthal zum Freund zu gewinnen, dieser reagiert aber mit höflicher Zurückhaltung und wahrt Distanz.

Es kommt schließlich zu einer schweren Auseinandersetzung, sogar zu einer Duelldrohung Georges, bis sich die Beziehung letztlich doch – zumindest nach außen – neutralisiert. Nach immer neuen Mißverständnissen endet ihr Briefwechsel 1906 aber endgültig. Den Plan, eine Zeitschrift für die neue Dichtung zu gründen, verwirklicht George 1892 mit dem Erscheinen des ersten Bandes der “Blätter für die Kunst”: “Der name dieser veröffentlichung sagt schon zum teil was sie soll: der kunst besonders der dichtung und dem schrifttum dienen, alles staatliche und gesellschaftliche ausscheidend.” Dieses Programm entspricht den Forderungen der französischen Symbolisten. Die bis 1919 erscheinenden “Blätter für die Kunst” werden allerdings nicht als für den öffentlichen Buchhandel bestimmte Zeitschrift vertrieben, sondern als poetisches Forum für Freunde und Gleichgesinnte. Aus den Mitarbeitern der Zeitschrift entwickelt sich der “Kreis”, der zunächst noch eine Gruppe von Gleichrangigen ist, bis George schließlich als “Meister” in den Mittelpunkt rückt.

Eine besonders enge Freundschaft verbindet George ab dieser Zeit mit Karl Wolfskehl. 1890 lernt George Ida Coblenz kennen, die einzige Frau, mit der ihn eine längere und sehr enge Freundschaft verbindet, die allerdings erheblichen Schwankungen unterliegt. Erst als Ida Coblenz 1895 zunächst einen Kaufmann heiratet und später eine Beziehung zu Richard Dehmel eingeht, kommt es zwischen ihr und George zum Bruch. Etwa 1895 beginnt sich in Berlin (George hat nie einen festen Wohnort gehabt) ein neuer Kreis von Gefährten um den Dichter zu bilden. Im Haus des Malerehepaars Reinhard und Sabine Lepsius kommt es zu den ersten Lesungen Georges vor einem geladenen Publikum. Nach den Berichten der Anwesenden soll von der Erscheinung Georges etwas “Dämonisches” ausgegangen sein.

Außerdem lernt George den Grafiker und Glasmaler Melchior Lechter kennen, dessen feierlicher Jugendstil fortan den Ausstattungsstil der georgeschen Gedichtbände entscheidend beeinflußt. Zu dieser Zeit beginnt sich George bereits vom l’art pour l’art seiner Pariser Anfänge zu entfernen; seine Bemühungen zielen nicht mehr nur auf eine neue Kunst, sondern auf ein neues Leben, zu dem die Kunst hinzuführen hat. Nach dem Bruch Georges mit den Kosmikern (1903), einer Runde um Alfred Schuler und Ludwig Klages, die eine Lehre entwickelt haben, wonach die abendländische Geschichte von Beginn an eine Welt des Verfalls und Untergangs gewesen sei, die nur durch die Rückkehr zu den heidnisch-chtonischen Ursprüngen gerettet werden könne, werden vermehrt jüngere Männer in den Kreis um George aufgenommen, wodurch sich Georges dominierende Rolle festigt. Friedrich Gundolf erkennt in George als erster den “Meister”; aus einer Gruppe Gleichgesinnter und Gleichberechtigter wird so “eine nach Rangordnungen organisierte Gefolgschaft, wobei der Wert des Einzelnen sich aus seiner Nähe zum Meister bestimmt.” George spricht seine “Jünger” mit “Kind” an und liebt es, unnachsichtig Weisungen und Zurechtweisungen zu geben; die Begeisterung der Jüngeren für George schafft um ihn eine “Aura der Unangreifbarkeit und Unvergleichbarkeit”, entrückt ihn ins Legendäre. George strebt eine von ihm geführte Elite an, eine geistige Bewegung zur kulturellen Erneuerung Deutschlands; kulturpolitische Tendenzen ersetzen die vormals rein künstlerischen.

Direkte Aktionen in der Öffentlichkeit lehnt George zwar weiterhin ab, er schreibt jedoch: “Neuer Bildungsgrad (Kultur) entsteht indem ein oder mehrere urgeister ihren lebensrhythmus offenbaren der zuerst von der gemeinde dann von einer grösseren volksschicht angenommen wird.” Die häufige Verwendung des Wortes “deutsch” markiert eine Hinwendung zum nationalen; George beginnt die Sammlung “Deutsche Dichtung” herauszugeben und beschäftigt sich ausführlicher mit Nietzsche, Dante und Hölderlin. Er entwirft ein Bild vom Dichter als Seher und Künder; der Dichter will nicht mehr nur Meister der Worte sein, sondern Geheimniskundiger, Prophet: “[...] an die Stelle des Artisten tritt der Priester.

” Als zentrales Ereignis in Georges Leben gilt seine Begegnung mit dem vierzehnjährigen Max Kronberger (George nennt ihn Maximin), den er ab Januar 1903 regelmäßig besucht. Er spricht mit ihm über Kunst und Dichtung, nimmt ihn zu seinen Freunden mit und bemüht sich um seine Zuneigung. Der plötzliche Tod des Jungen (1904) trifft George schwer: “Ich war die ganze zeit zum arbeiten wie zum entschluss unfähig – [...] der geist tritt mit jeder woche in einen anderen kreis des leidens [.

..].” 1906 veröffentlicht George Gedichte an Max Kronberger unter dem Titel “Maximin. Ein Gedenkbuch”, eine “Manifestation des Kult-Bildes, zu dem der Tote erhoben wird.” George schafft den Mythos “Maximin” als dem im Menschen erschienenen und erschauten Gott; im Vorwort zum Maximin-Gedenkbuch schreibt er: “Das ganze getriebe unsrer gedanken und handlungen erfuhr eine verschiebung seitdem dieser wahrhaft Göttliche in unsre kreise getreten war.

[...] Wir fühlten wie geringfügig alle streite der länder alle leiden der kasten werden vorm dämmerschauer der grossen erneuungstage: wie alle brennenden fragen der gesellschaften in wesenlose finsternis verblassen wenn nach jeder ewigkeit den irdischen sich ein erlöser offenbart.” Aus einem toten Jungen bildet George so den Gott Maximin – Schonauer schreibt dazu: “[..

.] die Krise, in der der mythische Dichter sich befindet, da er seinen Anspruch in der modernen, rational erhellten Welt auf kein göttliches Geheimnis mehr beziehen kann, soll überwunden werden mittels eines Kultus, der nur als Ausdruck dieser Krise begreiflich ist.” In “Der siebente Ring” (1907) tritt George als Ankläger der Gegenwart und Künder der Zukunft auf, beides bezogen auf Maximin, das Erlebnis der Verleiblichung eines Gottes im Menschen. Sein Interesse gilt nicht mehr nur der Dichtung, sondern dem Kultur- und Geistesgeschichtlichen und Politischen; 1910 erscheint im Verlag der “Blätter für die Kunst” “Das Jahrbuch für die geistige Bewegung”, das kulturpolitische Aufsätze beinhaltet: Die Autoren (aus dem George-Kreis) “wollen nicht die fülle des interessanten, reizvollen, aufregenden vermehren, sondern in der jugend das gefühl für die gefährdeten grundkräfte wachrufen: für ernst, würde und ehrfurcht.” George selbst beschwört in seinen Gedichten Gestalten der großen deutschen Vergangenheit, die Geschichte wird mythologisiert; er fühlt sich als “Führer des geheimen und besseren Deutschland [..

.] und Erzieher einer neuen Jugend”. Im Ersten Weltkrieg sieht er jedoch keinen Weg zur Durchsetzung dieses “neuen Reiches”, sondern versteht ihn als unwiderlegbares Zeichen für die Verderbtheit der Zeit; er nimmt an den kriegerischen Geschehnissen nur distanziert Anteil. Die Erneuerung der Welt muß aus dem inneren Deutschland kommen, von einigen wenigen Auserwählten. Ab 1920 häufen sich die Konflikte Georges mit seinen Freunden (George wird immer entschiedener in seinen Forderungen), er endet in Einsamkeit und Isolation; seine Mission als Rufer zu Bund und Staat ist gescheitert. 1930 äußert George gegenüber Freunden: “Was ich sehe kann ich Euch gar nicht alles sagen.

Aber Ihr werdets alle noch erleben und ausbaden. Und es wird noch viel wüster kommen.” Nach Gesinnung und Haltung war es George nie möglich, sich mit dem Nationalsozialismus zu identifizieren; dennoch gilt George nach der Machtübernahme Hitlers für eine Weile an den Schulen und Universitäten als Dichter der “neuen Zeit”. Erst nach seinem Tod wendet sich die nazistische Polemik gegen George; sein Schweigen auf alle Ehrungen dürfte endlich als Ablehnung verstanden worden sein. Im Herbst 1933 erkrankt George schwer, im Dezember stirbt er. 1.

2. Poetik Der Abgeschlossenheit von Georges Lebensführung entspricht die Esoterik seiner Dichtung. Bereits als Gymnasiast versucht George eine eigene, ausschließlich zum dichterischen Gebrauch bestimmte, wohltönende Sprache zu erfinden. Seine Kunsttheorie äußert er hauptsächlich in den Einleitungen und in den “Merksprüchen” seiner “Blätter für die Kunst”. Georges Dichtung und ihre theoretische Rechtfertigung können insgesamt als deutsche Dokumente des französischen Symbolismus verstanden werden. Der Symbolismus zeigt sich als eine idealistische, spiritualistische Kunst, die (im Gegensatz zum Impressionismus) auf Konzentration hinzielt.

“Das Symbol oder Sinnbild ist ‚ein Gebilde, dem von einer bestimmten Gruppe von Menschen ein besonderer, durch das Wesen des Gebildes (im Gegensatz zur Allegorie) nicht nahegelegter Sinn verliehen worden ist‘ und das daher ‚den Charakter des Geheimzeichens, zum mindesten des Verabredeten‘ trägt. Die symbolistischen Dichter gehen von der Vorstellung eines hintergründigen Zusammenhangs alles Seienden aus. Der von ihnen gemeinte Sinn ist oft ein den Dingen zugrunde liegendes unfaßbares, unsägliches und unendliches Geheimnis, das nur durch die suggestive Kraft vollendeter sprachkünstlerischer Gestaltung magisch-mystisch beschworen werden kann. Das folgerichtige Ergebnis dieser irrationalen Welt- und Kunstanschauung ist eine anspruchsvolle hermetische poésie pure, die nur von einem erlesenen Kreis eingeweihter Kunstverehrer richtig aufgenommen werden kann.” Die schon besprochenen französischen Vorbilder dieser Bewegung sind u.a.

Baudelaire, Rimbaud und Mallarmé, von deren Dichtungen George einen Großteil ins Deutsche überträgt. Damit bahnt sich George den “Weg zu einer eigenen Dichtersprache nicht über die Anlehnung an Vorbilder aus der deutschen Literatur”, sondern durch Übersetzen französischer Dichter. Er verdeutscht aber auch die Sonette Shakespeares sowie Teile aus Dantes “Göttlicher Komödie”. Hauptthemen von Georges lyrischem Werk sind Natur, Kunst und Freundschaft. Bezeichnend ist der starke Individualitätsanspruch seines Werkes, der sich in ausgesuchten sprachlichen und formalen Mitteln manifestiert: Neben der konsequenten Kleinschreibung und eigenwilligen, meist fehlenden Zeichensetzung legt George großen Wert auf eine ästhetisch anspruchsvolle Typographie; er glaubt, “nur die sorgfältige, schöne Handschrift [sei] als Form der Wiedergabe der Poesie angemessen” und zwingt seine Jünger zu Schönschrift-Übungen. Selbstverständlich baut er nur streng geformte Verse und reichert seine Sprache mit “kostbaren Schmuckwörtern” an.

Sein Streben nach Schönheit und ästhetisch-vollendeter Form ist allerdings weitgehend befreit von ethischer Bindung, dem Moralischen sogar entgegengesetzt. So kultiviert er einen ästhetischen Amoralismus, der in Verachtung der Menschenmenge und des Allzu-Gewöhnlichen ausschlägt. Nicht zuletzt diese Haltung ruft heftige Kritik hervor; Brecht etwa schreibt: “Ich selber wende gegen die Dichtungen Georges nicht ein, daß sie leer erscheinen: ich habe nichts gegen Leere. Aber ihre Form ist zu selbstgefällig. Seine Ansichten scheinen mir belanglos und zufällig, lediglich originell. Er hat wohl einen Haufen von Büchern in sich hineingelesen, die nur gut eingebunden sind, und mit Leuten verkehrt, die von Renten leben.

So bietet er den Anblick eines Müßiggängers, statt den vielleicht erstrebten eines Schauenden.” Auch Eugen Gottlob Winkler kritisiert: “Die Form, die er bildet, ist leer und tot, sein Ideal, selbst in seiner Verwirklichung, ein Phantasiegebilde, und seine Erscheinung, bei aller Großartigkeit ihrer Konsequenz, eine ungeheuerliche Pose.” Dagegen Adorno: “Am hohen Stil ist keine Sekunde Zweifel. [...

] [George] fügt Zeilen zusammen, die klingen, nicht als wären sie von ihm, sondern als wären sie von Anbeginn der Zeiten da gewesen und müßten für immer so sein.” 1.3. Werke Hymnen (1890) Pilgerfahrten (1891) Algabal (1892) Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der hängenden Gärten (1895) Das Jahr der Seele (1897, erweitert 1899) Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod (1900) Der siebente Ring (1907) Der Stern des Bundes (1913) Das neue Reich (1928)     2. Georg Trakl 2.1.

Leben Georg Trakl wird 1887 in Salzburg als viertes Kind der wohlhabenden und angesehenen Eheleute Tobias und Maria Trakl geboren; er fühlt sich schon in seiner Kindheit mehr zum Vater (mit dem er später Begriffe wie Stille, Härte und Gerechtigkeit verbindet) hingezogen, als zur Mutter, die sich wenig um ihre sechs Kinder und den Stiefsohn Wilhelm kümmert. Maria Trakl sammelt Antiquitäten, die sie aus Liebhaberei restauriert, ist sehr musikalisch und überwacht die Musikerziehung (Klavierunterricht) der Kinder; sie schließt sich allerdings des öfteren tagelang in ihre museale Welt ein und bricht jeden Kontakt mit der Familie ab, weshalb Georg eine Art Haßliebe ihr gegenüber entwickelt. Die Mutter kümmert sich auch sonst kaum um ihre Kinder, die von einem Kindermädchen betreut werden, hat depressive Zustände und nimmt Opium. Georg Trakl muß die vierte Klasse des Staatsgymnasiums wiederholen und verläßt die Schule vor Abschluß der siebten. Unter dem Einfluß von Lenau, Baudelaire, Verlaine, George und Hofmannsthal entstehen erste Gedichte und Kurzgeschichten, die er vor Gleichgesinnten im Dichterverein “Apollo” (später “Minerva”) vorträgt. Als er 1905 in einer Salzburger Apotheke eine Lehre beginnt, hat er bereits Erfahrungen mit Betäubungsmitteln (Chloroform) und Rauschgift gemacht.

Durch seine Freundschaft mit dem Bühnendichter Gustav Streicher wird Trakl angeregt, Theaterstücke zu schreiben; 1906 wird sein Einakter “Totentag” im Salzburger Stadt-Theater mit mäßigem Erfolg aufgeführt, die Premiere seines zweiten Einakters “Fata Morgana” wird durchgehend negativ rezensiert. Trakl wird in der Folge (durch seine Enttäuschung über den Mißerfolg) mit starken Rauschgiften vertraut (Morphium, Veronal). 1908 übersiedelt Trakl nach Wien und beginnt dort das viersemestrige Universitätsstudium der Pharmazie, das er 1910 erfolgreich abschließt. Während des Studiums veröffentlicht er erstmals einige Gedichte in Zeitschriften, verhilft seiner Schwester Grete wiederholt zu Rauschmitteln und unterhält in dieser Zeit eine enge, möglicherweise inzestuöse Beziehung zu ihr. Nach der Ableistung des Präsenzdienstes als Einjährig-Freiwilliger bei einer k.u.

k. Sanitätsabteilung in Wien beginnen Trakls schwerdepressive Anfälle und Perioden; seine Trunksucht und sein Drogenkonsum – und damit auch seine finanzielle Lage – verschlimmern sich. 1912 lernt er Ludwig von Ficker persönlich kennen, der als Herausgeber des “Brenner” mehrere Gedichte Trakls veröffentlicht und neben Erhard Buschbeck einer seiner wenigen engeren Freunde wird; in diversen Kaffeehäusern Wiens wird Trakl außerdem u.a. mit Karl Kraus, Adolf Loos und Oskar Kokoschka bekannt. Er wechselt häufig seine Anstellung, da seine seelische Verfassung und auch die Dauerschädigung durch Alkohol und Drogen eine ständige Berufsarbeit nicht mehr zulassen, und ist auf regelmäßige finanzielle Unterstützung durch seine Geschwister angewiesen, was wiederum zu depressiven Stimmungen führt.

Seine Geldbedrängnis zwingt ihn letztlich sogar dazu, seine Lieblingsbücher zu verkaufen, darunter Werke von Dostojewski, Tolstoj, Kierkegaard, Nietzsche, Hölderlin, Rilke, Schnitzler, Hofmannsthal, Shaw und Wilde. Bezeichnend für Trakls Naturell ist ebenso der ständige und rasche Wechsel von “mönchischer” Askese mit nächtelangen Zechgelagen, wie der Wechsel von ernsthaften Versuchen, im bürgerlichen Leben Fuß zu fassen, mit seiner Pauschalablehnung des Bürgerlichen und alles Geschäftlichen und Materiellen überhaupt. Seiner spontanen Freundlichkeit gegenüber einfachen Menschen, dem “Volk”, entspricht aber eine gelegentliche Schroffheit im Umgang mit Angehörigen höherer Stände. In Zeiten schwerer Krankheit und Verzweiflung sucht Trakl Zuflucht bei Ficker in Innsbruck-Mühlau; er schreibt, er empfinde immer tiefer, “was der ‚Brenner‘ für mich bedeutet, Heimat und Zuflucht im Kreise einer edlen Menschlichkeit.” Nach dem Erscheinen von Trakls erstem Gedichtband “Gedichte” im Kurt Wolff Verlag im Juli 1913 reist er für zwei Wochen nach Venedig, wo er sich mit Karl Kraus, Adolf Loos, Peter Altenberg und Ludwig und Cissi von Ficker trifft. Zurück in Wien durchlebt er schwere seelische Krisen, immer begleitet von harten Selbstbezichtigungen.

Im März 1914 besucht Trakl seine schwerkranke Schwester Grete, die an den Folgen einer Fehlgeburt leidet. “Ihr Leben”, schreibt Trakl, “ist von einer so herzzerreißenden Traurigkeit und zugleich braven Tapferkeit, daß ich mir bisweilen sehr gering davor erscheine; [...].” Mitte 1914 erhält Ludwig von Ficker eine großzügige Geldspende von Ludwig Wittgenstein, die er an würdige und bedürftige österreichische Künstler weiterleiten soll; daß so Trakl plötzlich um 20.

000 Kronen reicher wird, hilft ihm jedoch nicht mehr: Der Ausbruch des Krieges nimmt ihm die Möglichkeit, auf sein Vermögen zurückzugreifen. Am 24. August rückt Trakl als Medikamentenakzessist (Militärapotheker) mit einer Innsbrucker Sanitätskolonne ins Feld. Nach weiten Märschen wird seine Truppe in der Schlacht um Gródek zum ersten Mal eingesetzt. Ohne ärztlichen Beistand muß er zwei Tage und zwei Nächte lang in einer Scheune fast hundert Schwerverwundete betreuen; Trakl versucht Selbstmord zu begehen, seine Kameraden entwaffnen ihn jedoch noch rechtzeitig. Daraufhin wird er in ein Garnisonsspital in Krakau zur Beobachtung seines Geisteszustandes gebracht, wo ihn Ludwig von Ficker ein letztes Mal besucht.

Am 3. November 1914 stirbt Trakl schließlich an einer Überdosis Kokain (Herzlähmung). 2.2. Poetik “Religiöses Erlösungsbedürfnis und ein idyllischer Humanismus kommen in Konflikt mit einem bedrängenden Gefühl der Vereinzelung und des Verfalls der Welt in der Dichtung Trakls.” – Damit ist die Thematik dieser Lyrik gut umrissen; Traum und Umnachtung, Verfall und Verwesung, Untergangsstimmung, Depressionen, Resignation bestimmen sie ebenso wie Gottessehnsucht und -suche, aber auch Gottferne.

Persönliche Schuldgefühle korrespondieren dabei mit der allgemeinen Schuldhaftigkeit der Menschheit: “Der Zustand der Welt wird identisch mit dem Zustand des Individuums, persönliche Erfahrungen werden zu Menschheitserfahrungen stilisiert.” Das Bewußtsein der Vergänglichkeit von Menschen und Dingen ist in Trakls Gedichten allgegenwärtig: “Das Erscheinende ist wesend und verwesend zugleich.” Die Möglichkeiten des Verwesens sind vielfältig, die Erscheinungen verwittern, verblühen, verwelken, vergilben, rosten, verblassen, entfliehen, entgleiten etc. Tiere wie Ratte, Rabe, Krähe, Wolf und Wurm begleiten die Vorgänge des Verwesens. Das Unheilvolle kommt aber nicht von Wald, Feld und Fluß, sondern vom Menschen, allerdings bringen “Stein, Blume, Tier und Stern [..

.] das Unheilvolle des Menschen schärfer ins Bewußtsein.” Es kündigt sich eine Zeit des Unheils an – der Untergang kommt mit dem Krieg. “Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.” – Der Untergang kann nicht mehr umgangen werden: “Auswegslose Vernichtung bricht über den Menschen herein.” Trakl bedient sich zweier Bildbereiche, eines hellen idyllischen und eines düsteren, die sich oft innerhalb eines Gedichtes überschneiden.

Dadurch vermischen sich in seiner Dichtung schöne Welt und Untergang, Verzweiflung und Erlösung, Idylle und Verfall. Seine Gedichte rufen kein Erlebnis herauf, sondern “setzen gleichsam Welt-Stücke neu zusammen zu einer eigenen Gedichtwelt, in der die Bilder sich miteinander und gegeneinander autonom bewegen. [...] seine Worte zwingen eine Welt, die ihm zerfällt, in einen Wortzusammenhang, den er noch kontrollieren kann.

” Diese Methode, die Welt gleichsam in Stücke zu zerbrechen und im Gedicht neu zusammenzusetzen, erinnert an Arthur Rimbaud – es ist schon daher nicht unverständlich, daß viele Übernahmen von Wörtern und Wendungen aus der Rimbaud-Übersetzung Karl Klammers, die Trakl zugänglich gewesen ist, nachgewiesen werden können. Basil vermutet sogar, Trakl habe in Rimbaud einen “Sternbruder” gesehen, und bezieht auch Baudelaire in seine Überlegungen ein: “Wenn Baudelaire dem jungen Dichter das Rauschgift und das Vokabular geschenkt hatte, so schenkte Rimbaud dem Reifenden die Lebensverachtung und die Revolte.” Nicht nur Salzburg, sondern Städte allgemein stoßen Trakl ab, seine Gedichte berichten von der “Sprachlosigkeit und dem Grauen, das der Anblick der großen Städte in der Ebene erweckt.” Städte verstärken die Gefühle der Schwermut und der Heimatlosigkeit im Menschen und fördern seinen Wahnsinn, in ihnen wächst die Zerstörung: “Der Zerfall zeigt sich im Leben der Menschen, deren Gemeinschaft und Nachbarschaft aufgehoben ist, in der Kälte des massenhaften Beieinanderhausens, in dem nur noch Unbekannte und Fremde einander begegnen.” Städte gelten Trakl als künstliches Erzeugnis des Bürgers, in denen die Gesetze von Beruf und Arbeitsteilung einen unerbittlichen Zwang auf ihn ausüben, der ihn immer wieder dazu treibt, Zuflucht zu Drogen zu nehmen. Der Dichter wird aus der bürgerlichen Welt verdrängt, die keine Lebensform duldet, die sich ihr nicht unterwirft.

Die Welt wird durch mechanische und gleichförmige Gesetze beschrieben, wodurch sich alles “Idyllische, Bukolische und Heroische verliert [...]. Die Einfalt und das Erhabene des Lebens werden unsichtbar.” Trakls Verhältnis zur Welt, zur Landschaft ist dem entgegengesetzt; er will weder verbessern, noch verändern, er will “nichts hinzufügen und nichts [.

..] wegtun, da das alles auf die Zerstörung des rechten Maßes hinausläuft.” Sein höchstes Ideal ist “gerechtes Anschauen”. Obwohl Tiere und Pflanzen durch den Eingriff des Menschen verändert und seiner Nutzung unterstellt worden sind, ist in ihnen noch ein eigenes Leben, das den Eingriffen standhält: “Im Eigenen verweilt das Dasein. Es webt in der Stille seines Unberührtseins.

” Dieses “Eigene” läßt sich sogar noch an wenigen Menschen feststellen, an Hirten, Jägern, Fischern und Bauern, sowie an Knechten und Mägden. In Trakls letztem Lebensjahr steigern sich seine Menschenverachtung und -scheu, während er dem Tier, in seiner Dichtung Chiffre für das Schuldlose, vom Menschen Geopferte, immer näher steht; er erleidet “die Geschundenheit der dem Menschen ausgelieferten Kreatur fast körperlich.” Durch die religiöse Atmosphäre des “Brenner”-Kreises besinnt sich Trakl wieder auf sein Christentum; in seiner Dichtung schweigen jedoch sowohl Engel als auch Gott: “Der Gott, den er sucht, hat sich verborgen und setzt seinen Hilferufen das Schweigen eines leeren Himmels entgegen.” Dadurch wird Trakls Dichtung zum “Ausdruck eines Menschen, der sich völlig allein gelassen weiß und daher die Last der irdischen Existenz allein zu tragen hat.”   Besonders auffallend an den Gedichten Trakls ist ihre ebenso ausdrucksvolle wie eigentümliche Farbensymbolik. Die Bedeutung einzelner Farbtöne kann nur noch aus dem Textzusammenhang geklärt werden, dadurch gehören sie zusammen mit Nomen wie Vogel, Metall oder Tier zu den Traklschen Chiffren.

  Die literarische Entwicklung Trakls wird in vier Werkphasen gegliedert. In die erste Phase fällt das noch epigonale, im Zeichen von Impressionismus und Jugendstil und später schon unter dem Einfluß Nietzsches stehende Frühwerk (“Sammlung 1909”). In den Gedichten der zweite Stufe (1909-1912; “Gedichte”) gelangt Trakl zu einer “heiß errungene[n]” “bildhafte[n] Manier, die in vier Strophenzeilen vier einzelne Bildteile zu einem einzigen Eindruck zusammenschmiedet”. Was er hier als seinen Individualstil empfindet, erfinden jedoch zur gleichen Zeit unabhängig voneinander auch andere – als “Reihungsstil” wird es zu einem typischen Formmerkmal der expressionistischen Lyrik. In den Gedichten Trakls dieser Phase gibt es also kaum durchgreifende Bewegungen; die Wahrnehmungen “reihen sich so nebeneinander, daß zwischen den Versen kein wahrnehmbarer Zusammenhang ist. Das Gedicht sucht nicht nach logischen Zusammenhängen, denen es das Erscheinende unterwirft.

” Die “positive” oder “negative” Wertung der isoliert erscheinenden, heterogenen Einzelbilder bleibt offen, “weil kein lyrisches Ich mehr eine Deutungsrichtung vorgibt, sondern sich in der formalen Funktion eines Registrators von gleich-gültigen – letztlich austauschbaren – Eindrücken darstellt [...].” Die dritte Phase (1912-1914; “Sebastian im Traum”) ist erst gekennzeichnet durch den eigentlichen “Trakl-Ton”, “der aus der Spannung zwischen autobiographischer Sinnsuche und dichterischer Objektivierung erwächst.” Trakl verzichtet jetzt auf ein festes Metrum, auf Endreim und einheitliche Strophenform, er löst sich vom Reihungsstil zugunsten zeilenüberschreitender Handlungsabläufe oder Zustände.

Die Zeit wird nicht mehr “in der Simultaneität dissoziierter Räumlichkeiten aufgelöst, sondern als diskontinuierlicher Verlauf und damit auch in ihrer geschichtlichen Dimension thematisiert.” Mythische und religiöse Vorstellungsbereiche erweitern die Motivik, wodurch auch die Zahl der literarischen Anspielungen wächst. Weiters findet in dieser Phase ein “topographischer Wechsel von der ‚dissoziierenden‘ Stadt zur Landschaft” statt. Der Band “Sebastian im Traum” zeichnet sich im Gegensatz zu den “Gedichten” außerdem durch eine hohe Motivrekurrenz und durch eine festere, zyklische Anordnung (vergleichbar Georges Sammlung “Der siebente Ring”) aus. In der vierten Phase (1914) steigern sich die Motive ins Monumentale, der Schauplatz verlagert sich von der Hügel- und Ebenen-Landschaft ins unwirtliche “Gebirge”, die Verse werden verkürzt. Die poetische Gestaltung des Untergangs radikalisiert sich damit durch die Kriegserfahrung zu einem endgültigen Höhepunkt in Trakls letzten Gedichten.

2.3. Werke Gedichte (1913) Sebastian im Traum (1915) Der Herbst des Einsamen (1920) Gesang der Abgeschiedenen (1933) Aus goldenem Kelch (1939) Offenbarung und Untergang. Prosadichtungen (1947)     3. Gottfried Benn 3.1.

Leben Gottfried Benn wird 1886 in Mansfeld, einem kleinen Dorf nördlich von Berlin, als zweites von acht Kindern eines protestantischen Pfarrers geboren. In Marburg studiert er zunächst zwei Semester Theologie und Philosophie, danach zwei Semester Philologie, bevor er sich schließlich dem Studium der Medizin (an der “Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen”) zuwendet; 1912 promoviert er in Berlin. Im gleichen Jahr erscheint sein erster Gedichtband, “Morgue und andere Gedichte”, ein “Geysir von Daseinsekel und Zivilisationshaß”, der die Ästhetik des Häßlichen erst vollends in die deutsche Literatur einführt und bei seinem Erscheinen als die “weitaus ruchloseste, zynischste und böseste Herausforderung des geltenden Geschmacks” wirkt. Das Buch wird durch die Militärzensur im Ersten Weltkrieg verboten. Benn verbringt die Jahre vor Ausbruch des Krieges – wie die meiste Zeit seines Lebens – in Berlin, der damals wichtigsten geistigen Metropole Deutschlands, die ihn zutiefst prägt: “[..

.] man [...] könnte [fragen], ob das Phänomen Benn ohne es [Berlin] überhaupt denkbar wäre.” Der beim Abschluß seines Studiums verschuldete Benn nimmt zunächst verschiedene Assistentenstellungen an und versucht sich in der Psychiatrie, bis es ihm unmöglich wird, “die alten Kranken fortlaufend individualisierend zu beobachten”, da es ihm “Qualen [schafft], die nicht beschreiblich sind.

” 1913 lernt Benn die 35jährige Witwe Edith Osterloh kennen, die er unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs heiratet. Die Jahre 1915-1917, eine Zeit hoher literarischer Produktivität, verbringt Benn als Militärarzt in Brüssel. Im November 1917 läßt er sich als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin nieder und führt dort seine Praxis bis 1935. Seine Gedichte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs sind “Wort-Collage[n] aus Apokalypse und Götterdämmerung, aus Wissenschafts-Zynismus und Geschichtsverachtung, aus Trauer und Slang”, er hält die Zivilisation insgesamt für einen Irrweg des Menschen, da sie kunstfeindlich und dem praktischen Nutzen zugewandt sei, und wendet sich gegen den politischen Sozialismus “mit seinem Fortschrittsgetöse und dem Kult der Gleichheit.” 1922 stirbt seine Frau Edith, die beiden Kinder, Tochter und Stiefsohn, gibt Benn außer Haus. Von 1923 bis 1932 bildet sich ein außergewöhnlich umfangreicher Kreis von Bekannten um den ansonsten lieber einsam und kontaktlos vor sich hinlebenden Dichter.

Außer kleineren Sonntagsausflügen verreist Benn nur sehr selten; die dreiwöchige Autoreise durch Frankreich mit einem Kunsthändler (1929) zählt zu den wenigen Ausnahmen. 1929 erscheint in einer sozialistisch ausgerichteten Literaturzeitschrift (“Die neue Bücherschau”) eine begeisterte Besprechung von Benns soeben erschienener “Gesammelte[r] Prosa”: “Es gibt auch in dieser Zeit des vielseitigen, wandlungsfähigen Machers, des literarischen Lieferanten politischer Propagandamaterialien, des schnell fertigen Gebrauchspoeten, in ein paar seltenen Exemplaren das Beispiel des unabhängigen und überlegenen Welt-Dichters, [...].” Daraufhin treten die Kommunisten Johannes Becher und Egon Erwin Kisch aus dem Redaktionskomitee aus; Kisch schreibt: “[.

..] für uns hat der literarische Lieferant politischen Propaganda-Materials turmhoch über dem überlegenen Weltdichter zu stehen, über allen Benns und Stefan Georges.” Benn antwortet mit dem Aufsatz “Über die Rolle des Schriftstellers in unserer Zeit”, in dem er schreibt: “Soziale Bewegungen gab es doch seit jeher. Die Armen wollten immer hoch und die Reichen nicht herunter. Schaurige Welt, kapitalistische Welt, [.

..]. [...

] nach drei Jahrtausenden Vorgang darf man sich wohl dem Gedanken nähern, dies alles sei weder gut noch böse, sondern rein phänomenal [...]. Nein, mir kommt der Gedanke, ob es nicht weit radikaler, weit revolutionärer [..

.] ist, der Menschheit zu lehren: so bist du und du wirst nie anders sein, so lebst du, so hast du gelebt und so wirst du immer leben. Wer Geld hat, wird gesund, wer Macht hat, schwört richtig, wer Gewalt hat, schafft das Recht. Die Geschichte ist ohne Sinn, keine Aufwärtsbewegung, [...

].” Seine Sentenzen gegen die sozial oder kommunistisch engagierte Literatur führen schließlich dazu, daß Benn – etwa von Werner Hegemann – als Faschist verdächtigt wird; gleichzeitig beschimpft man ihn aber auch im “Angriff”, der Zeitung Goebbels. Laut Lennig kennt sich Gottfried Benn “in der hektischen Politik jener Zeit überhaupt nicht aus”, er bemerkt nur eine Übermacht der literarischen Linken und die lautstark verkündete Kunstfeindlichkeit der Kommunisten. Benn wehrt sich allgemein gegen die Politisierung der Kunst und daher gegen die einzige kunstfeindliche Macht, die er damals erblickt; daß die radikale Rechte sich nicht weniger kunstfeindlich gebärden werde, kann er noch nicht voraussehen. Mit der Machtübernahme Hitlers im Jänner 1933 beginnt der “unverzeihliche Irrtum” Gottfried Benns; er bekennt sich aus eigenem Entschluß öffentlich für den neuen Staat und gibt diesem Bekenntnis in Rundfunkreden und Aufsätzen Ausdruck. Benn kommen allerdings sehr bald Zweifel, im Juni 1934 – am Tag der “Röhm-Revolte”, in deren Verlauf über hundert mißliebige Persönlichkeiten ohne Urteilsspruch ermordet werden – gibt es für ihn keine Illusionen mehr; er muß die Konsequenzen ziehen.

Wie und warum es zu diesem politischen Irrtum Benns gekommen ist, wird oft mit dem Hinweis beantwortet, daß Benn zu dieser Zeit den Nationalsozialismus kaum gekannt und sich bis zum Tag der “Machtergreifung” nicht mit der NSDAP befaßt habe. Seine Reaktion wird nicht als “denkerischer”, sondern als “emotionaler Akt” verstanden; auch kann Benn aus den zahlreichen Parolen und Versprechungen der neuen Machthaber manches heraushören, das seiner Haltung entgegenkommt (Absage an die marxistische Linke, Appell an Rasse und Züchtigung, an Auslese und männliche Tugenden etc.). Benn, der sich später in “Doppelleben” umfassend zu seinem Irrtum äußert, schreibt selbst, die Generation der Expressionisten habe “die letzten Jahre ziemlich instinktlos verbracht, aber das praktisch Apolitische war ja bei uns Zuhause so war Goethe, Hölderlin, so war Rilke und George. [..

.] Und die letzten Jahre hieß Politik, Marxismus, hieß Rußland, Mord aller bürgerlichen und intellektuellen Schichten, Mord aller Kunst als ‚Privatidiotismus‘ (Tretjakow), hieß Antiheroismus, dialektisches Gewäsch und [...] Funktionalismus, [..

.].” Ende 1933 erkennt Benn, daß der totale Staat des Massenzeitalters prinzipiell und notwendigerweise kunst- und geistesfeindlich ist; er schreibt in einem Brief: “Es gibt nur die Form und den Gedanken. Das ist eine Erkenntnis, die Sie bei Nietzsche noch nicht finden, oder er verbarg sie. Seine blonde Bestie, seine Züchtigungskapitel sind immer noch Träume von der Vereinigung von Geist und Macht. Das ist vorbei.

Es sind zwei Reiche.” Ab 1934 schafft er sich durch seine kaum verhüllten Angriffe gegen die Kulturpolitik des Hitlerreichs neue Feinde; 1936 erscheint in der offiziellen Wochenzeitschrift der SS der Artikel “Der Selbsterreger”, in dem Benn als “Ferkel”, “widernatürliches Schwein”, “warmer Bruder” und “Judenjunge” bezeichnet wird, seine Schriften als “dreckige Schmierereien”; es heißt: “[...] scher dich doch dahin, wo deine Genossen Kerr, Tucholsky, Kästner sitzen [..

.].” 1937 folgt der Hinweis auf Rassenschande, “weil ja ‚die Jüdin‘ Else Lasker-Schüler diesen ‚Kulturbolschewisten‘ besungen habe.” 1938 wird Benn aus der “Reichsschrifttumskammer” ausgeschlossen und mit dem Schreib- bzw. Veröffentlichungsverbot belegt. In der Zeit nach 1935 ist Benn zunächst als Oberstabsarzt in Hannover tätig, ab 1937 als Versorgungsarzt in Berlin und von 1943-1945 in Landsberg an der Warthe, wo er “ruhig, dienstlich unbelästigt, ohne materielle Sorgen, ganz seinen Gedanken, Träumen, Phantasien und Notizen überlassen” lebt.

Diese Zeit, die er selbst als die ruhigste und glücklichste seines Lebens sieht, ist zugleich eine der großen Produktionsperioden Benns. 1945 stirbt Benns zweite Gattin Herta, die er 1938 geheiratet hat, im Zusammenhang mit der sowjetischen Besatzung; im nächsten Jahr schon schließt Benn seine dritte und letzte Ehe mit der Zahnärztin Ilse Kaul. Auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs wird das Schreibverbot gegen Gottfried Benn aufrecht erhalten – und zwar in Ost und Wes

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