Die schizophrenie - eine form von psychose
Sylvia Forstner A-1100 Wien Juni 2000 Die Schizophrenie –
eine Form von Psychose
Inhaltsverzeichnis
1. Psychosen
1.1 Erklärung des Begriffs ”Psychose”
1.2 Schizophrenie – Einleitung
1.3 Wir können Schizophrenie nicht ignorieren
2. Anzeichen einer beginnenden Schizophrenie
2.
1 Akute Anzeichen
2.2 Schleichende Anzeichen
2.3 Falsche Anzeichen
3. Symptome der Schizophrenie
3.1 Hauptsymptome der Schizophrenie
3.2 Formen der Schizophrenie
4.
Ursachen der Schizophrenie
4.1 Biologische Faktoren?
4.2 Psychologische Bedingungen
4.3 Gesellschaftliche Bedingungen
5. Die wichtigsten Behandlungsmethoden
5.1 Medikamentöse Behandlung
5.
2 Milieutherapie
5.3 Psychotherapie
6. Betreuung, Pflege von Schizophrenen
7. Das tägliche Zusammenleben mit Schizophrenen
1. Psychosen
1.1 Erklärung des Begriffs ”Psychose”
Dieser Begriff bezeichnet die meist schweren psychischen Störungen.
Die Betroffenen leiden an grundlegenden Veränderungen und Störungen ihres Denkens, ihres Antriebs und ihrer Wahrnehmungen. In der akuten Krankheitsphase fällt es den Betroffenen sehr schwer, Gefühle zu empfinden und angemessen auszudrücken. Oft erscheinen ihre Verhaltensweisen unpassend: Sie lachen über Trauriges, oder sie haben Angst vor Kleinigkeiten. Der Betroffene fühlt sich mehr und mehr unverstanden, von seiner Umgebung abgelehnt, evtl. verfolgt (= Verfolgungswahn). Ihre Äußerungen klingen absurd, ihre Ängste und Sorgen beziehen sich auf scheinbar Unverständliches und Irrationales, und es fällt immer schwerer, sich wirklich in sie einzufühlen.
Der Betroffene kann auf anderen Gebieten völlig störungsfrei und lebenstüchtig sein. Und auch Angehörige sind erstaunt, dass neben dem Absurden auch durchaus normale Gefühle und Gedanken bestehen, und sie können meist nicht unterscheiden, wo der Betroffene funktioniert und wo er gestört ist.
Die Psychosen können auf verschiedenste Art verlaufen: Es gibt Formen, die mehr oder weniger plötzlich (akut) entstehen und ebenso wieder plötzlich verschwinden. Andere Formen bleiben für längere Zeit bestehen, z. B. die Schizophrenie (siehe später).
Manche Formen von Psychosen können ohne geeignete Behandlung in einen Dauerzustand übergehen (= Chronifizierung) und zu einer anhaltenden Persönlichkeitsveränderung führen. In anderen Verläufen kommt und geht die Krankheit.
1.2 Schizophrenie – Einleitung
Ein Teil der Psychosen wurde und wird wissenschaftlich unter dem Begriff der ”Schizophrenie” (Persönlichkeitsspaltungen) zusammengefaßt. Das soll bezeichnen, dass es sich bei den Betroffenen um seelisch gespaltene Personen handelt, die teils völlig der Wirklichkeit entrückt (”ver-rückt”) sind, teils aber ihre herkömmliche Persönlichkeit aufrecht erhalten können.
Schizophrenie-Patienten glauben, dass die Umwelt ihre Gedanken mithören kann (= “Gedankenlautwerden”), sie sind dann oft ratlos und sehr verunsichert.
Viele beginnen den Kontakt mit anderen zu meiden (= Rückzug), andere können sich so zurückziehen, dass sie völlig bewegungslos verharren (= Starrheit), oder sie versuchen z. B. eine Erklärung für das Unheimliche zu finden, das mit ihnen geschieht (= Erklärungswahn) , und meinen dann etwa, sie seien von übernatürlichen Kräften beherrscht, Außerirdische oder Gott hätte sie zu etwas Besonderem erwählt und an ihnen hinge das Heil der ganzen Welt (= Wahnideen).
Viele Schizophrene leiden an Halluzinationen, hören Stimmen, die sie beschimpfen und bedrohen, sie befehlen ihnen, was sie zu tun haben. Sie sehen die Welt in einem anderen Zusammenhang als ”normale” Menschen. Farben und Geräusche wirken verzerrt und intensiver als zuvor.
So erscheint z. B. ein Wald nicht mehr als Gesamtheit von Bäumen, sondern jeder einzelne Baum wird immens wichtig und drängt sich in den Vordergrund, dass die Betroffenen wahrhaftig den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen können. Das verwirrt und ängstigt sie enorm.
Manche Schizophrene erleben auch Körperveränderungen. Sie glauben, dass ihnen ein Bein amputiert wurde oder sie von Parasiten befallen wurden.
Sie können auch Schmerz empfinden. So glauben viele von ihnen, dass sie von tausend Nadeln gestochen wurden. Die umgangssprachliche Formel ”Das ist ja schizophren” bedeutet, ”eines passt nicht zum andern”.
Die Therapie besteht je nach Schweregrad der Krankheit in einer medikamentösen Behandlung (Psychopharmaka), in einer Milieutherapie und gelegentlich in Formen der Psychotherapie. Wichtig ist, dass der betroffene Patient nicht einfach seinem Schicksal überlassen bleibt oder mit Medikamenten betäubt wird. (Siehe dazu Punkt 5 / Die wichtigsten Behandlungsmethoden.
)
1.3 Wir können Schizophrenie nicht ignorieren
Etwa 40 Millionen Menschen in der ganzen Welt sind an Schizophrenie erkrankt. Die Schizophrenie findet aber in der Öffentlichkeit weniger Aufmerksamkeit als andere Krankheiten (z. B. Krebs, Diabetes, Alkoholismus). Viele Menschen ignorieren sie.
Viele (auch einige Fachleute) glauben, dass es diese Krankheit nicht gibt.
Heute wird jeder dritte Patient wieder gesund und der Zustand der Krankheit bessert sich bei einem Drittel der Patienten.
Von vielen Leuten wird die Schizophrenie auch als Geisteskrankheit (= Stigma) bezeichnet. Denn der Schizophrene schläft oft am Tag, kleidet sich bei vielen Anlässen unpassend (vgl. die umgangssprachliche Formel), wendet die Augen ab, wenn man mit ihm spricht. Er scheint in der Familie ein Fremder zu sein, ihm wird Mißtrauen entgegengebracht, anders als bei Alkoholikern.
Der Schizophrene hat entweder Angst vor der Welt oder lehnt sie ab. Er hat das Gefühl, die Welt verloren zu haben, isoliert sich und fühlt sich einsam. Der Betroffene kann oft nicht zwischen der Realität und der Phantasie unterscheiden, er flüchtet aus der Realität, es fällt ihm schwer sich den Menschen wieder anzupassen.
Wichtig ist, dass Angehörige seine Leiden verstehen und ihm nicht mit Vorurteilen begegnen, denn sonst hat der Schizophrene das Gefühl, dass er für nichts brauchbar wäre, und sieht sich als Versager.
2. Anzeichen einer beginnenden Schizophrenie
Die schizophrene Erkrankung tritt manchmal unerwartet auf, in anderen Fällen nach einem unbedeutenden Ereignis, etwa nach einem kleinen Unfall, das der Durchschnittsmensch ohne außergewöhnliche Beschwerden bewältigen könnte.
Obwohl die Schizophrenie in jedem Alter auftreten kann, ist die auffälligste Periode zwischen dem 18. und 24. Lebensjahr.
Ein Mensch, der an Schizophrenie erkrankt, beginnt irrational zu denken, seine Gedanken verwirren sich. Er sieht die Welt in ungewöhnlicher Weise – in schneller Bewegung, so schnell, dass er damit nicht Schritt hält. Abwegige Ideen (wie die, dass seine Tante ihn vielleicht anrufen könnte), erfüllen ihn offensichtlich einige Stunden nach Ausbruch der Krankheit, eine Wahnvorstellung jagt die andere.
Er sieht Dinge bereits in anderer, verwirrter Weise, und er versucht die Realität umzudeuten.
2.1 Akute Anzeichen
Frühsymptome werden oft ignoriert. Für viele von uns sind sie schwer zu erkennen, man glaubt gar nicht, an Schizophrenie erkrankt zu sein. Diejenigen, die von der Krankheit bereits betroffen sind, schlagen oft zwei Fluchtwege ein: Der erste ist sexuelles Verhalten, das mit der bisherigen Persönlichkeit des Patienten nicht in Einklang steht und zu noch größerer Unzufriedenheit führt. Der zweite ist der unmäßige Gebrauch nicht nur von Marihuana oder Haschisch, sondern auch von Meskalin oder LSD.
Während der erste Weg, so anstößig er manchen Menschen erscheinen mag, den Ausbruch einer Psychose verzögern kann, wird er durch den zweiten oft beschleunigt.
Es gibt Symptome, die als Warnsignale auf den Ausbruch einer Schizophrenie hinweisen können, aber nicht unbedingt zu einer Schizophrenie führen müssen: beispielsweise das Heimweh von Jugendlichen, die sich in einem fremden Land verloren fühlen und sich fürchten, den Kontakt zu den ihnen vertrauten Personen daheim zu verlieren. Auch im Gefolge der Mutterschaft gibt es solche Anzeichen:
Die Geburt eines Kindes ist ein Ereignis, dem in der Regel mit Freude entgegengesehen wird. Wenn das Kind geboren ist, kann – in nicht sehr häufig vorkommenden Fällen - der Mutter die Realität aber auch anders erscheinen; einige Tage nach der Entbindung beginnt sich die Frau ängstlich, mißtrauisch und nervös zu fühlen. Sie kann dann in einer typisch schizophrenen Art irrational oder von einer tiefen Depression erfasst werden.
Einige Fachleute sind der Ansicht, dass es besser sei, eine schizophrene Episode durchzumachen und dann zu genesen, als sie zu vermeiden und die Krankheit in einem latenten Zustand zu halten.
Der Ausbruch einer Krankheit stärkt ihrer Meinung nach die Persönlichkeit.
2.2 Schleichende Anzeichen
Die im Folgenden wiedergegebenen Symptome sind keine sicheren Hinweise auf eine Schizophrenie. Aber das Risiko, dass Menschen mit solchen Anzeichen an Schizophrenie erkranken, ist verglichen mit der übrigen Bevölkerung doch um ein Vielfaches höher.
Die Persönlichkeit des oder der Betreffenden hat sich in auffälliger Weise verändert. Er wirkt weniger wach, zögernder und unentschiedener.
Wenn er z. B. ein guter Schüler war, ist er jetzt weitaus weniger fleißig und in Gefahr zu versagen. In anderen Fällen tritt das Gegenteil ein. Der Patient ist viel extrovertierter, manchmal geradezu impertinent. War er zuvor eher schüchtern und in mancher Hinsicht konservativ, so macht er jetzt anderen Anträge oder provoziert sie mit anzüglichen Worten und Gesten.
Der Betreffende ist ruhelos, immer aktiv, stellt viele überflüssige Fragen, wird sehr empfindlich und mißdeutet harmlose Bemerkungen von Familienmitgliedern und anderen oder vesteht sie als abwertende Anspielungen: Wenn eine Mutter z. B. ihre Tochter fragt, warum sie ein bestimmtes Kleid trage, kann die Tochter diese Bemerkung als unerträgliche Kritik und Verletzung ihrer Selbstachtung interpretieren, als hätte die Mutter sagen wollen: „Wie unpassend, dieses Kleid zu tragen.“ Manchmal ereignen sich diese Missverständnisse bei der Arbeit: Der Betreffende hat das Gefühl, sein Chef sei unfair, verlange zu viel oder mache unangebrachte Bemerkungen.
Ein weiteres Merkmal ist ein allmählicher Rückzug aus dem Leben. Der Betreffende wird immer reservierter und verschlossener, ein in sich gekehrter Mensch.
Es ist als trenne ihn eine unsichtbare Schranke vom Rest der Welt. Er wirkt weniger spontan, und in manchen Fällen, in denen er noch persönliche Beziehungen aufrecht erhält, scheint er sich von anderen manipulieren zu lassen.
Der Betreffende ist sehr unsicher und ängstlich. Seine Angst ist von Zweifel durchsetzt. Er hat immer geringere Hoffnung, dass er bei etwas Erfolg haben könnte. Er hat das Gefühl, er werde bei allem scheitern.
Er kann sogar unter irrationalen Ängsten leiden.
2.3 Falsche Anzeichen
Eine Eigenschaft, die manche Menschen in Alarmzustand versetzt und sie an Schizophrenie denken lässt, ist Leichtgläubigkeit, z. B. wenn manche Menschen behaupten, dass sie an die Wiedergeburt glauben oder Kontakt mit Geistern haben, oder wenn sie fliegende Untertassen sehen. Dass solche Gedanken irrational und Anzeichen von Schizophrenie sein können, muss in Betracht gezogen werden.
Jedoch sollte zunächst geprüft werden, ob z. B. ein Jugendlicher von speziellen Gruppen (Sekten) oder durch Filme beeinflusst ist.
Manche Menschen sind der Auffassung, dass Phobien (= Ängste vor bestimmten Dingen) zu Schizophrenie führen können. Sie führen aber im Allgemeinen nicht zu Schizophrenie.
3.
Symptome der Schizophrenie
3.1 Hauptsymptome der Schizophrenie
Die Schizophrenie manifestiert sich im Allgemeinen in zwei Hauptsymptomen: in Abkapselung und Projektion.
Abkapselung: Der Schizophrene mißtraut Menschen, hat Angst vor der Welt, hat den Wunsch, vor der Angst zu fliehen, manchmal starrt der Kranke nur auf sich hin.
Projektion (von S. Freud geprägter Begriff): Der Patient ist besessen von einem Bündel oder System falscher Überzeugungen. Schreckliche Gefahren drohen ihm; Verfolger schmieden Komplotte gegen ihn.
Die Gefahren werden so intensiv erlebt, als seien sie real, und der Patient erfährt sie als quälende Fakten. Der Schizophrene ist oft verwirrt, er sucht nach etwas, was nicht zu finden ist. Die Sprache ist zusammenhanglos.
Das Mißtrauen gegenüber anderen Menschen nimmt zu. Der Schizophrene glaubt, dass sie ihn merkwürdig ansehen. Sie machen sich über ihn lustig.
„Sie“ bewirken, dass er merkwürdige Empfindungen hat; „sie“ sind schuld daran, dass er in einer Weise zu denken beginnt, die ihm fremd ist. „Sie“ zwingen ihn, auf eine Weise zu handeln, über die er keine Kontrolle hat. Der Schizophrene erklärt nicht, wer „sie“ sind.
Der Patient hat Wahnvorstellungen: Er glaubt, er sei Gott oder ein berühmter Schauspieler oder er habe Geheimnisse des Universums entdeckt.
Der Schizophrene hört oder sieht Dinge in verzerrter Weise. Die Umgebung erscheint ihm merkwürdig und ungewöhnlich.
Menschen machen einen anderen Eindruck auf ihn als früher (= Beziehungsideen).
Bewegungen werden anders empfunden. Der Rhythmus des Lebens ist zu schnell oder zu langsam. Manchmal werden Dinge mit anderen verwechselt (= Sinnestäuschungen). Ein alter Mann auf der Straße sieht genau so aus wie der Großvater des Patienten.
Halluzinationen können jedes Sinnesorgan erfassen, wobei der Gehörsinn am häufigsten betroffen ist; der Patient hört Stimmen.
Emotional wirkt der Patient stark verändert: Er reagiert ängstlich, gerät rasch in Wut oder er ist gefühlskalt. Manche Schizophrene sind unfähig, aufmerksam zuzuhören. Sie wiederholen z. B. dieselbe Frage, als hätten sie die bereits gegebene Antwort nicht gehört. Manche Patienten schneiden ungewöhnliche Grimassen, oft weinen sie, oder sie schreien oder brüllen vor lauter Lachen.
Schizophrene können auch ihren eigenen Charakter ändern: Waren sie vorher schüchtern, so sind sie jetzt vielleicht streitsüchtig oder machen sexuelle Annäherungsversuche bei Menschen, die sie früher nicht so beachtet haben.
Die Sprache der Schizophrenen ist für gesunde Menschen rätselhaft und unverständlich. Der Schizophrene verwendet oft Stereotypen und Wortsalate. Der erste Eindruck, den wir z. B. beim Lesen von Texten von Schizophrenen erhalten, ist der, dass es sich um völligen Unsinn handelt.
Was auffällt, ist auch die Wiederholung mancher Worte. Die Welt, die ein Schizophrener erlebt – und das spiegelt sich in seiner Sprache -, ist chaotisch und ungewiß.
Beispiel: „Zitrone Vanille wie Anfangfang der Vernunft...“
3.
2 Formen der Schizophrenie
Es gibt insgesamt fünf Formen (Typen) der Schizophrenie:
1. Der paranoide Typus [griech. Paranoia: Wahnsinn]
Patienten diese Typs sind meist intelligenter als all die anderen Schizophrenen. Sie sind von Beginn an misstrauischer gegenüber anderen. Sie neigen zu einer Fehldeutung von Dingen und Ereignissen in einer Weise, die sie selbst herabsetzt. Der Patient nimmt die negative Wirkung wahr, die andere von ihm haben.
Das Phänomen der Bedeutungsausbreitung ist bei ihm häufig: Eigenschaften, die er an sich selbst nicht mag, schreibt er anderen zu. Wahnvorstellungen (Verfolgungswahn und Größenwahn) sind häufiger als bei den anderen Formen.
2. Der hebephrene Typus [griech./latein. Hebephrenie: Pubertätsirrsinn]
Schizophrene dieses Typs können eine paranoide Phase erlebt haben.
Das Denken ist oft logisch, aber oft auch abschweifend und konfus, er lächelt in Situationen, in der Lachen nicht angebracht ist.
Die Wahnideen des Hebephrenen sind im Allgemeinen realitätsferner; sie beziehen sich häufig auf den Körper, der als verletzt oder beeinträchtigt angesehen wird. Der Patient glaubt z. B., sein Gehirn sei geschmolzen oder sein Herz habe die Stellung verändert.
3.
Der katatone Typus [griech./latein. Katatonie: Spannungsirrsinn]
Dieser Typ tritt heute weniger häufig auf als früher. Zurückgezogenheit und Unbeweglichkeit stehen im Vorfergrund, der Patient gleicht einer Statue. Er kann sich nicht bewegen, nicht weil er gelähmt ist, sondern weil seine Fähigkeit gestört ist, zu wollen, seinen Gliedmaßen zu befehlen, dass sie sich bewegen mögen. Der Patient ist in der Lage stundenlang in einer Stellung zu verharren (= wachsartige Biegsamkeit).
Manchmal ist der Patient sehr gehorsam und gehorcht anderen Menschen. Der „Negativismus“ steht ebenfalls im Vordergrund: Statt zu tun, wozu man ihn auffordert, tut der Patient das Gegenteil. Wenn ihn z. B. ein Arzt anweist die Zunge herauszustrecken, presst er seine Lippen zusammen oder wendet sein Gesicht ab.
4.
Der einfache (simplexe) Typus
tritt fast nie plötzlich oder in dramatischer Weise auf, sondern entwickelt sich schleichend. Das Leben erscheint trübselig, ohne Herausforderung, der Patient ist ohne Interesse – möglicher Weise hatte (hat) er Schwierigkeiten in Beruf und Schule, er möchte sich von solchen Situationen fernhalten.
Der einfache Typus zeigt keine Wahnideen, Halluzinationen oder Anzeichen unlogischen Denkens. Er vermeidet Denken. Obwohl er nicht zu Gewalttätigkeit oder stark gestörtem Verhalten neigt, ist er eine Last für eine Familie; hat er keine Familie, kann das eine Gefahr für ihn werden an den Rand der Gesellschaft abzurutschen. Es fällt ihm schwer neue Freunde zu gewinnen.
5. Der schizo-affektive Typus
Der Patient dieses Typs hat Stimmungsschwankungen (manisch-depressive Psychose). Einmal ist er depressiv, dann wieder glücklich. Der schizo-affektive Typ wird schneller wieder gesund als andere, die Krisen können sich aber wiederholen.
4. Ursachen der Schizophrenie
Drei Gruppen von Faktoren bilden die Ursache von Schizophrenie:
Biologische Faktoren oder physische Bedingungen des menschlichen Organismus.
Psychologische Faktoren oder Bedingungen, die sich in der Kindheit oder später entwickelten und mit der Familie und möglicher Weise auch mit anderen Menschen zu tun haben.
Soziale Faktoren oder Bedingungen der Umwelt bzw. der Gesellschaft, der der Patient angehört.
4.1 Biologische Faktoren?
Der Glaube, Schizophrenie wäre vererbbar, entstand durch die häufig gemachten Beobachtungen, dass diese Krankheit in manchen Familien häufiger auftritt als in anderen. Wenn ein Elternteil, ein Bruder oder eine Schwester an Schizophrenie leiden, dann erhöht sich die Häufigkeit, daran zu erkranken, um vier bis zehn Prozent.
Auf Grund dessen könnte man daher annehmen, dass Schizophrenie eine genetische Basis habe. Es gibt Krankheiten wie die Bluterkrankheit oder die Netzhautentzündung, deren Erblichkeit außer Frage steht. Genetiker haben herausgefunden, dass solche Krankheiten den Mendelschen Gesetzen gehorchen. Den Genetikern ist es jedoch nicht gelungen, dies auch für die Schiziphrenie nachzuweisen!
Viele Forscher suchten nach Veränderungen des Gewebes im Gehirn des Schizophrenen. Es ist jedoch unmöglich, die Gehirnzellen eines Schizophrenen von denen eines „Normalen“ zu unterscheiden. Biochemische Untersuchungen des Zentralnervensystems erwiesen sich freilich als vielversprechender: Forscher glauben, bei Schizophrenen biochemische Veränderungen feststellen zu können.
Es versteht sich von selbst, dass alles, was im Gehirn geschieht, eine biochemische Entsprechung hat. Psychische Probleme können biochemische Änderungen auslösen. Man weiß aber nicht, ob diese biochemischen Veränderungen eine Ursache oder eine Folge der psychischen Störung darstellen.
4.2 Psychologische Bedingungen
Viele Gelehrte meinen in den Lebensumständen der Kindheit des Patienten die Ursache für die Schizophrenie finden zu können – in der Art und Weise, wie er von seiner Familie aufgezogen und behandelt wurde. Andere Forscher haben sich auf die unglückliche Ehe der Eltern des Patienten oder auf die Persönlichkeit des Vaters des Patienten oder auf die Interaktion des Kranken mit seinen Geschwistern konzentriert.
Wieder andere meinen, die Persönlichkeit der Mutter, ihre Einstellung sei der wichtigste psychologische Faktor bei der Entstehung der Schizophrenie.
Der künftige Patient verbringt demnach seine Kindheit in einer Umgebung, in der die Beziehungen zwischen den Menschen durch Feindseligkeit, durch starke Angst, durch Distanzierung oder durch eine Kombination dieser Gefühle gekennzeichnet sind.
Viele Gelehrte sehen, dass der Patient nicht nur unter der Einwirkung starker negativer Emotionen während seiner Kindheit und seines späteren Lebens (wie Spannung, Furcht, Angst, Feindseligkeit oder Ablehnung / siehe oben) zu leiden hat – gleichgültig, wer oder was die ursprüngliche Quelle dieser Emotionen ist - , sondern dass er auch mit den Veränderungen in seiner Entwicklung fertigwerden muss: Früher oder später kommt der Mensch, der an Schizophrenie erkrankt, zu der Überzeugung, dass ihn die Zukunft nicht für die Gegenwart oder Vergangenheit entschädigen wird. Sobald der Kranke fest daran zu glauben beginnt, dass die Zukunft für ihn ohne Hoffnung und Liebe ist, kann für ihn die Zukunft noch trostloser sein als die Gegenwart. Der Patient fühlt sich von allen Seiten bedroht, als wäre er in einem Dschungel – nicht in einem Dschungel, in dem sich Löwen, Tiger oder Schlangen tummeln, sondern in einem Dschungel von Vorstellungen, in dem sein Selbstbild gefährdet ist. Die Gefahren sind Gefühle wie nicht dazuzugehören, nicht gemocht bzw.
nicht geliebt zu werden, nicht liebenswert, nicht akzeptabel zu sein, unfähig zu sein, seinen eigenen Lebensweg zu finden, blamiert und mit Schande bedeckt zu sein, diskriminiert zu werden.
4.3 Gesellschaftliche Bedingungen
Alles, was menschliches Leiden, Abnahme der Selbstachtung und Verlust der Hoffnung verursacht, kann ein indirektor Faktor für die Entstehung von Schizophrenie sein. Eine Gesellschaft, die z.B. unter ihren Mitgliedern die Konkurrenz fördert (Stichworte: Konkurrenz, Wettbewerbsgesellschaft, Leistungsgesellschaft, freie Marktwirtschaft u.
dgl.), ruft ein Gefühl geringer Selbstachtung bei denjenigen Menschen hervor, die sich als Verlierer betrachten müssen; sie macht die Menschen anfälliger für psychische Schwierigkeiten. Mit anderen Worten: Soziale, gesellschaftliche Faktoren, die Leiden von Individuen verursachen, können vermittelt durch psychische Prozesse indirekt Schizophrenie fördern, besonders dann, wenn sie sich ungünstig auf die Selbstwertschätzung eines Menschen auswirken.
5. Die wichtigsten Behandlungsmethoden
5.1 Medikamentöse Behandlung
Der Schwerpunkt dieser Therapie liegt auf der Behandlung mit Psychopharmaka, um die quälenden Wahnsymptome zu dämpfen.
Die Nebenwirkungen der Medikamente sind freilich oft sehr ausgeprägt. Auch deshalb sollten akut erkrankte Patienten im Krankenhaus behandelt werden. In der Klinik können dann alle therapeutischen Möglichkeiten optimal kombiniert werden.
Die medikamentöse Therapie bietet eine Reihe von Vorteilen, wenn sie zusammen mit Psychotherapie eingesetzt wird:
Der Patient ist weniger mit dem beschäftigt, was ihn verstört, findet leichter Kontakt zum Therapeuten und ist im Stande, ihm zuzuhören und die Bedeutung seiner Worte in Erinnerung zu behalten. In akuten Fällen, gekennzeichnet durch extreme Unruhe und Zusammenhanglosigkeit, kann sich der Patient nicht auf den Therapeuten konzentrieren oder auch nur seine Gegenwart beachten. Es ist nicht möglich, eine Beziehung mit ihm herzustellen, wenn der Schizophrene nicht durch Medikamente beruhigt wird.
In Fällen, in denen Psychotherapie nicht zur Verfügung steht, ist die medikamentöse Therapie nützlich und bewirkt bei einem großen Teil der Fälle ein Verschwinden der Symptome wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Beziehungsideen (vgl. Punkt 3).
Nach dem Verschwinden der Symptome sollte die medikamentöse Therapie nicht abgebrochen, sondern zumindest noch mehrere Monate lang in abnehmenden Dosierungen fortgesetzt werden. Es ist Aufgabe des Arztes, die Dosen zu verringern bzw. die Medikamente ganz abzusetzen.
Die verschiedenen Psychopharmaka werden in Wirkstoffgruppen eingeteilt; im Wesentlichen handelt es sich um drei Gruppen chemischer Präparate:
1.
Neuroleptika
Sie dämpfen die Hirntätigkeit. Dadurch können Wahnerscheinungen, Ängste und Unruhe zum Verschwinden gebracht werden. Man unterteilt sie in schwach, mittel und stark wirksame Präparate. Sie werden als Tabletten oder Depotspritzen verabreicht.
Risiken und Nebenwirkungen: Am Anfang der Behandlung können Mundtrockenheit, Schwitzen, Speichelfluß und Herzklopfen auftreten. Nach ein bis zwei Wochen der Medikamenteneinnahme können auch der Gang steif und die Schritte klein werden.
Neuroleptika machen nicht abhängig.
2. Antidepressiva
Sie verbessern die Überleitung von Botschaften des Nervensystems und lösen dadurch eine Aufhellung und Verbesserung der Stimmung aus.
Risiken und Nebenwirkungen: Sie wirken nicht sofort, sondern meist erst im Verlauf von zwei bis drei Wochen. Sie machen nicht abhängig. Es kann aber zu Schwitzen, Schwindel, Verstopfung und Augenflimmern kommen.
3. Beruhigungsmittel
Sie lösen Spannungen, Ängste und Muskelverkrampfungen.
Risiken und Nebenwirkungen: Beruhigungsmittel machen abhängig! Interesselosigkeit, Gleichgültigkeit, Reizbarkeit, Kopfschmerzen und Schlafstörungen können auftreten.
5.2 Milieutherapie
Sie wird oft auch in der Psychotherapie angewendet. Durch Aufenthalt in einem sogenannten therapeutischen Milieu (= psychotherapeutische Bettenstation, Nachtkliniken) während längerer Zeit soll dem Patienten Gelegenheit gegeben werden, im Kontakt mit anderen und unter "geschützten Verhältnissen“ neue Beziehungs- und Verhaltensformen erproben zu können.
5.3 Psychotherapie
Das Ziel der Psychotherapie ist es, das seelische oder körperliche Leiden zu mildern, gestörte Einstellungen und Verhaltensweisen zu verändern, das gesunde Seelenleben wiederherzustellen und die Entfaltung und Reifung des Menschen zu fördern.
Auch für geschulte Therapeuten ist es sehr schwierig, die erste Phase der Therapie einer Schizophrenie durchzuführen, die hauptsächlich aus dem Versuch besteht, ein Klima des Vertrauens zwischen Patienten und Therapeuten herzustellen. Der Therapeut muss einen Weg beschreiten, der dazu führt, dass der Schizophrene das Vertrauen zumindest zu einem Menschen wiedergewinnt, indem der Therapeut bereit ist, die Ängste und Befürchtungen des Patienten zu teilen. Die psychologischen Mittel dazu können verschiedenster Art sein: Klärende Gespräche, Herstellung von Beziehungen, Spiele usw.
Psychotherapien sind wie Medikamente keineswegs immer unschädlich: Durch Überforderung des Patienten oder durch falsche Wahl der Methode können Verschlimmerungen des Zustands beim Schizophrenen entstehen.
Voraussetzung einer Psychotherapie ist außerdem, dass der Patient dazu bereit ist.
6. Betreuung, Pflege von Schizophrenen
Wenn Schizophrenie-Patienten die schützende Umgebung z. B. eines Krankenhauses verlassen und der Arzt ihnen nicht rät, zu ihren eigenen Familien zurückzukehren, müssen sie verschiedene Übergangsstadien der Rehabilitation durchlaufen:
Für manche von ihnen ist dabei die erste Station die Nachtklinik. Manche Patienten leiden besonders nachts unter Angstzuständen, entweder weil sie sich vor Gefahren in der Umwelt fürchten, die nach ihrem Gefühl nachts zunehmen, oder weil sie Angst vor sich selbst haben, d.
h. Angst davor, dass sie nachts von Impulsen und Symptomen überwältigt werden könnten.
Eine andere Betreuungsmöglichkeit bietet die Tagesklinik. Sie ersetzt das Krankenhaus. Tageskliniken kosten nicht nur weniger als Krankenhäuser (keine Schlafzimmer, geringere Personalkosten), sondern der Patient fühlt sich in ihnen auch nicht gefangen wie in einer mehr oder weniger geschlossenen Anstalt. Er fühlt sich nicht mehr eingesperrt bzw.
von der übrigen Welt getrennt. Er hält eine ausreichende Bindung an die Familie und seine soziale Umwelt aufrecht, doch ist die Bindung nicht so stark, dass sie Konflikte und Störungen auslösen könnte. Die Tagesklinik beseitigt die tiefe Kluft zwischen der Familie und dem Krankenhaus.
Psychiater möchten, dass Patienten, die von Schizophrenie genesen, gute Beziehungen zu anderen Menschen und eine enge Bindung an einige wenige Personen herstellen und dass sie / er einen Lebenspartner und Kinder lieben lernt. Der Patient muss seine Persönlichkeit so umgestaltet haben, dass er nunmehr ein Identitätsgefühl besitzt: Der Patient weiß, wer er ist, und er akzeptiert sich selbst; er mag sich sogar. Er hat einen Lebensinhalt und Hoffnungen, er glaubt an die Möglichkeit seiner eigenen Erfüllung.
Der Patient muss sich selbst, das Leben, die Welt und die Zukunft in anderer Weise sehen.
Viele ehemalige Patienten haben erklärt, dass ihre Krankheit eine hilfreiche Erfahrung für sie gewesen sei, etwas, das sie durchmachen mussten, um fähig zu werden, sich dem Leben ohne Furcht und mit geringerem Zaudern zu stellen, und um zu lernen, Schwierigkeiten zu bewältigen. Sie fühlen sich, als sei ihnen ein neues Leben
geschenkt worden.
7. Das tägliche Zusammenleben mit Schizophrenen
Wir müssen akzeptieren, dass der Patient zumindest eine bestimmte Zeit lang kein so intensives Leben führen kann, wie wir uns das vielleicht wünschen. Wir dürfen den Schizophrenen nicht zu etwas zwingen, was er nicht tun kann, denn das würde zu einer Verschlechterung seines Zustands führen.
Wir müssen ihm mehr entgegenkommen. Wir müssen uns vor Augen halten, dass die Wiederherstellung (Rehabilitation) eine lange Prozedur ist und nicht mit einem frontalen Angriff erzwungen werden kann.
Der Patient sollte nicht als ein Mensch behandelt werden, der verantwortungslos ist oder dazu neigt, sich oder anderen Schaden zuzufügen. Statistiken haben niemals nachgewiesen, dass Gewalttätigkeit oder kriminelles Verhalten bei Schizophrenen häufiger ist als bei der übrigen Bevölkerung.
Obwohl der Patient nicht völlig im Einklang mit der Realität steht, ist er dennoch im Stande, das Leben weitgehend richtig zu beurteilen. Er ist nicht schwachsinnig.
Er sollte weder als Kind noch als Unterlegener oder als ein Objekt behandelt werden. Wir sollten ihn mit Fragen verschonen wie: „Warum hast du das getan?“ „Warum hast du das gesagt?“ Wir sollten nichts sagen, wodurch er sich beschuldigt, angeklagt, abgewertet oder zurückgewiesen fühlen könnte.
Obwohl der Patient gleichgültig und von der Welt abgekehrt erscheint, sollten wir uns vor Augen halten, dass er von seiner Umgebung beeindruckt ist, auch wenn keine Reaktionen sichtbar sind.
Wenn Schizophrene übermäßig provoziert oder grausam behandelt werden oder wenn man von ihnen verlangt etwas zu tun, was sie nicht tun können, dann können sie leicht aggressiv werden.
Besonders unmittelbar nach einer Rückkehr aus dem Krankenhaus ist der Patient häufig nicht im Stande, die Initiative zu ergreifen: Die Angehörigen müssen initiativ werden und gleichzeitig sehr viel Geduld aufbringen. Es ist bezeichnend für teilweise wiederhergestellte Patienten, Dinge in viel langsamerem Tempo zu tun als der durchschnittliche Gesunde.
Mangel an Konzentration, Hemmungen aller Art und Gedanken, die sich aufdrängen, können sich störend auf seine Tätigkeiten auswirken. Dennoch wird der Patient, wenn er stetig arbeitet und bei seinem Tun – so langsam dies auch sein mag – ermutigt wird, ein Gefühl der Befriedigung empfinden. Sobald sein Selbstvertrauen wächst, wird auch das Tempo seiner verschiedensten Tätigkeiten zunehmen. Die Familie muss lernen, die Bereiche, in denen der Patient besonders empfindlich ist, zu erkennen und zu vermeiden.
Es wäre gut dem Patienten zu zeigen, dass er nicht unnütz in der Familie ist. Er soll das Gefühl haben, gebraucht zu werden: Er könnte z.
B. im Haushalt kleine Tätigkeiten übernehmen. Das Gefühl, etwas für die Familie beitragen zu können, wird sich günstig auswirken.
Am besten ist es, mit dem Patienten nicht zu streiten bzw. ihm nicht zu erklären, dass er nicht Recht hat. Aber vielen Angehörigen fällt das schwer; ihr Stolz ist verletzt, sie fühlen sich deshalb auch überfordert.
Eine gute Haltung seitens der Angehörigen besteht darin, dem Patienten zu sagen: Vielleicht wird die Zeit kommen, da du das, was wir getan haben und tun, in einem anderen Licht sehen wirst. Gleichzeitig können Angehörige den Patienten beruhigen, indem sie erklären, dass jedes Familienmitglied dazu beitragen wird, die Rechte und Bedürfnisse aller in der bestmöglichen Weise zu befriedigen. Die Chance wird dann größer sein, dass die Zukunft besser wird als die Vergangenheit.
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