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  Ein meer verschwindet

Ein Meer verschwindet Referat über die Naturkatastrophe Aralsee von Andreas Reiser Zusammenfassung:   - abflußloser Salzsee ”stl. des Kasp. Meeres, Kasachstan und Usbekistan - 36,9 m ü.d.M., 37100 km2 groß - gespeist vom Amudarja (der frühere Zufluß Syrdarja versickert bei normaler Wasserführung im Sand) - Da diesen Flüssen große Wassermengen zur Bewässerung entnommen werden, sinkt der Spiegel des A.

ab; die urspr. Fläche (64100 km2) hat sich um die Hälfte verringert Ein Meer verschwindet   Das Umweltdesaster am Aralsee ist bekannt: Das viertgrößte Binnenmeer der Erde ist im Laufe von bloß 30 Jahren auf die Hälfte seines Umfangs geschrumpft. Weniger bekannt sind sowohl die historischen Ursachen wie auch die klimatischen, ökonomischen und gesundheitlichen Auswirkungen auf den gesamten mittelasiatischen Raum. Die Region um den Aralsee ist das größte ökologische Katastrophengebiet neben Tschernobyl” - wie die UNO erklärt hat. Der Aralsee ist ein Beispiel für ein Denken und Handeln, das berauscht ist von der Vorstellung des Machbaren. Das auf gigantische Fehlplanungen nur mit ebenso gigantischen neuerlichen Fehlplanungen antworten kann, wie die Vorstellungen des “Komitees zur Rettung des Aralsees” aus den GUS-Staaten belegen.

Die Bevölkerung versteht nicht, warum sie mit Wasser sparsamer umgehen soll, warum alle immer kranker werden und warum überhaupt alles immer schlechter wird.   Seit Jahren wird im Aralsee nicht mehr gefischt, die Fischereiflotte liegt unnütz auf dem Boden des halb ausgetrockneten Binnenmeers. Rote Algen ziehen sich durch das Wasser, ein Zeichen für extreme Salzhaltigkeit. Kein Schiff weit und breit, einige Vogelschwärme, Dünen, Sandverwehungen, Sträucher, Wasser, Himmel und Sonne. Die sunnitisch-muslimischen Karakalpaken sind aus der Vermischung der am Aralsee lebenden ironischsprachigen Völkerschaften mit den seit dem 6. Jahrhundert immer wieder eindringenden Türkvölkern hervorgegangen.

Sie lebten zuerst unter der Herrschaft der Goldenen Horde, nach deren Niedergang teils unter der Herrschaft der Nogaier und Kosachen, seit Beginn des 19. Jahrhunderts unter der Herrschaft des Khans von Buchara und des Khans von Chiwa. 1873 gerieten die rechts des Amu-Daria siedelnden Karakalpaken unter russische Herrschaft, während der Rest unter der Gewalt des bis 1920 als russisches Protektorat weiterexistierenden Khanats von Chiwa blieb. Nach der Oktoberrevolution wurde 1920 das Khanat von Chiwa durch eine sowjetische Volksrepublik ersetzt. Der Aralsee war eines der fischreichsten Gewässer Mittelasiens, und die Fischer wollten ihren Beitrag zum Erhalt des Paradieses der Werktätigen liefern. Die Karakalpaken, die jahrhundertelang als Halbnomaden ein Leben als Viehzüchter (Schafe, Kamele) und Fischer fristeten, wurden durch Stalins Politik der erzwungenen Seßhaftmachung in große Staatsformen (Sowchosen) zusammengefaßt.

Gleichzeitig strömten viele Russen im Rahmen des Moskauer Russifizierungsprogramms ins Land und übernahmen alle relevanten Posten und Funktionen. 300 Tausend Tonnen Baumwolle, ebenso viele Tonnen Reis produziert die autonome Republik Karakalpakien. Präsident Aschirbekow gehört der volksdemokratischen Partei an. Diese Partei ist aus der kommunistischen Partei hervorgegangen. “Unser Ziel ist heute nicht mehr der Aufbau des Kommunismus, auch nicht des Marxismus-Leninismus”, erklärt der Präsident, “unser Ziel ist der soziale Schutz der Bev”lkerung.” Den autoritären Regierungsstil begründet Aschirbekow nicht mit der sowjetischen Tradition, sondern mit dem eigenen, nationalen Entwicklungsweg von Karakalpakien.

Die 1,2 Millionen Bewohner der autonomen Republik innerhalb Usbekistans setzen sich zu 32,5% aus Karakalpaken, 33% Usbeken, 26,5% Kasachen, 5% Turkmenen, 16% Russen, 0,8% Koreanern und kleinen Gruppen anderer,V”lkerschaften zusammen. Der russische Biologe Kobolowitsch ist Leiter des Koordinationszentrums zur Rettung des Aralsees. Der blieb aus. Heute ist internationale Hilfe erwünscht. öDie Aralkrise ist eine globale Krise, deshalb muß die Welt, die ganze Menschheit helfen er klärt Präsident Aschirbekow und berief den vormals geächteten Umweltschützer Kobolowitsch zum offiziellen Vortragenden für die Besucher aus dem Ausland.       Stalin befiehlt: Die Wüste soll blühen   Dezember 1 948, der große Hörsaal des Moskauer Instituts für Energie.


Es spricht Ingenieur Mitrofan Michailowitsch Dawydow, Sohn eines Arbeiters, Kommandeur der Roten Armee im Bürgerkrieg, Leiter des Baus vom Molotow-Wasserkraftwerk: “Schauen Sie die Karte an! Der Südosten ist außerordentlich wasserarm. Die Hungersteppe unterhalb des Aralsees besitzt die günstigsten Boden- und Klimaverhältnisse für den Anbau langfaseriger Baumwolle. Wenn man diese Niederung mit Wasser versorgt, wird sie mit unerhörter Kraft und Schnelligkeit aufblühen. Das Auditorium lauscht hingerissen, die Augen der Studenten leuchten. Die Wüste wird blühen. “Für den Sieg über die Natur ist unbedingt der Sieg der Werktätigen über die Kapitalisten notwendig, der Sieg des Sozialismus.

Stalin rüstet seine Bataillone zum Kampf, und begeistert folgen sie ihm in eine leuchtende Zukunft. Am 12.9.1950 erfolgt der Regierungserlaß über den Bau des “Turkmenischen Hauptkanals” in Karakalpakien. Der größte Fluß Mittelasiens, der Amu-Daria, der zusammen mit dem Syr- Daria den Aralsee füllt, soll bei Nukus gestaut, seine Wasser zum geringeren Teil für die Bewässerung der Gegend gebraucht und dann in den Aral geleitet, zum größeren Teil durch einen 1 100 Kilometer langen Kanal die Wüste berieseln und dann im Kaspischen Meer enden. Denn die sowjetischen Ingenieure sind alarmiert: Der Wasserspiegel des Kaspischen Meeres sinkt - die Wasser der Wolga werden für Berieselungsprojekte verbraucht -, der des Aralsees hingegen steigt - so wird wider aller heute vorliegenden Statistik behauptet.

Und wenn der Aralsee auch einmal fallen sollte, so der oben genannte Dawydow, ödann leiten wir die großen sibirischen Flüsse, den Ob und den Jenissei, die unnütz ins Eismeer fließen, einfach nach Süden um, bewässern auch die nördliche Wüste und füllen den Aralsee wieder.ö In allen kommunistischen Publikationsorganen werden die kommunistischen Großbauwerkeö, so auch der Turkmenische Hauptkanal gefeiert. Nie hat der schöpferische Gedanke derartige Aufgaben gelöst und nie haben Hände derartige Bauten ausgeführt! Die Arbeiten an der Wolga und am Amu-Daria sind der Inbegriff jener Entscheidungsschlacht gegen die Natur, die den Menschen zum allmächtigen Gebieter der Naturgewalten machen werden. Groß, grandios, gewaltig. Immer größer, immer kühner! Die Sowjetunion der schreitende Gigant. Mit Titanenschritten der Zukunft entgegen.

Ist damit etwa Baikonur, der nördlich des Aralsees gelegene sowjetische Weltraumbahnhof, von dem aus offiziell die Sputniks starteten, gemeint? Oder Leninsk, die Geheimstadt, den tatsächlichen Raketenort? Die sowjetische Geschichte verschwindet immer wieder hinter einer Wand von Vernebelung und Desinformation. Wie in den Großkanälen des Kommunismus das Wasser - so versickern auch die Informationen im Sand. Doch die Propaganda ersetzte die Realität so weit, daß sogar im westdeutschen Schulatlas von Dierke der Turkmenische Hauptkanal eingezeichnet ist. Weiter südlich, an der Grenze zwischen Turkmenistan und Usbekistan, wurde Wasser des Amu-Daria abgezweigt und bis ins Kaspische Meer geführt. Der Meeresspiegel sank, das Wasser zog sich zurück. Bald darauf wurde der Aralsee für ausländische Besucher gesperrt.

Das Wasser war zu salzig geworden.         Vom Salz der Erde   100 Prozent der Felder in Karakalpakien, 80 Prozent der Felder in Gesamtusbekistan sind inzwischen versalzen. 1989 erreichte Karakalpakien Werte von 24 Grad. Folgen davon sind ein starker Anstieg von Nieren-, Darm und Magenerkrankungen bei der Bevölkerung, von Knochen- und Kiefererkrankungen. Letzteres ist auch eine Folge schlechter Ernährung. öEin Drittel liegt in Krankenhäusern und ein weiteres Drittel gehörte hinein.

Im Gegenteil: Wasser war durch Stauungen und Kanalbauten scheinbar genug da also wurden kurzerhand die Felder überschwemmt. Dabei wurde das Kreislaufverfahren benutzt: Das überflüssige Wasser wurde immer wieder in den Fluß geleitet, um erneut auf die nächsten Felder gelenkt zu werden. Monokulturen bedingen einen hohen Einsatz von Pestiziden und Düngemittel. Auch dadurch steigt der Salzgehalt der Böden und des Wassers. In der Wüste versickert oder verdunstet das Wasser in den unbefestigten und unbedecktem Kanälen. Bald erreichte der Amu-Daria nicht mehr seine Mündung im Aralsee.

Der See trocknete aus. Die mittelasiatischen Stürme wirbeln nun den feinen Sand und das Salz des Meeresbodens weit über das Land. Sand und Salz gehen über fruchtbaren Feldern nieder, die Folge ist weitere Versteppung. Einst hatte der See als Wärmeausgleich gedient, im Winter gab das Wasser Wärme ab, im Sommer Kühle.     Umfang des Aralsee/kM2 Mittlere Verdunstung in %   1960 68.40 9,82 1965 63.

40 10,71 1970 61.30 11,50 1975 57.60 13,64 1980 51.60 16,80 1985 44.90 22,00 1992 34.10 32,00       Was tun?   Was ist zu tun? Wie kann man ein Gebiet retten, ökologisch bedingte Massenabwanderung verhindern? Jurii Alekseiewitsch Kowaliow, der Vertreter des Komitees zur Rettung des Aralsees, hat nicht aufgegeben.

Erst 1989 wurden die Landkarten verändert, erzählt er und ballt so entrüstet die Faust, daß der Orden aus dem großen vaterländischen Krieg an seiner breiten Brust schaukelt, vorher wurde der Aralsee immer noch in seiner vorigen Größe eingezeichnet. Alle Wüstenstauseen auflösen, nur wovon sollen die Menschen dann leben? Die sibirischen Flüsse nach Süden umleiten. Das Ministerium schwamm in Geld wie Butter in der Milch, es war ein Staat im Staat. Also was tun? Der Schriftsteller und Sekretär im Obersten Sowjet der gesamt-usbekischen Aralsee-Kommission wartet mit einem ähnlich gigantesken Vorschlag auf: Wieder ein Kanal. 400 Kilometer. Wieder zwischen Kaspischem Mee und Aralsee.

Der Aralsee sinkt in den letzten zwanzig Jahren um die Hälfte. Daß der Kaspi 28 Meter unter dem Wasserspiegel liegt und der Aral 38 Meter drüber ficht ihn nicht an. Das Wasser muß eben dreimal gehoben, das Gebirge dazwischen durch gezielte Sprengungen durchstochen werden. Im Jahre 2100 ist der Aral verschwunden, die Wüste wächst, wir haben keine Zeit mehr, beschwört Kowaliow die Apokalypse. Seen, die steigen und sinken, Flüsse, die herumgelenkt werden, als spielten Kinder im Sandkasten, Kanäle, Sprengungen, Atomkraftwerke und Weltuntergang - dieses Land ist von seinem Gigantismuswahn immer noch nicht geheilt. In Nukus neigt der karakalpakische Präsident Aschirbekow inzwischen sympathischerweise zur Vorsicht.

Karakalpakien wird die Anbaufläche von Baumwolle auf 40% reduzieren, das reduziert automatisch den Verbrauch von Pestiziden, Defolianten und Düngermittel. Die Kanäle, in denen die Hälfte des Wassers versickert und verdunstet, sollen repariert und möglicherweise betoniert werden. Die Drainagewasser sollen in einen besonderen Kanal geleitet werden, um den Kreislauf der Versalzung zu unterbrechen. Wasser soll demnächst etwas kosten, damit die Sowchosen sparsamer werden. Nur wie soll die Entnahme kontrolliert werden? öMit dem Wasser kommt das Lebenö lautet ein usbekisches Sprichwort im Verweis auf die uralte Bewässerungspraxis der märchenhaften Oasenstädte Buchara, Samarkand, Chiva, etc..

Weiter südlich, in der Republik Turkmenistan, entnimmt der Karakum-Kanal dem Amu-Daria die Hälfte seines Wassers. Der karakalpakische Präsident Aschirbekow will mit der Nachbarrepublik kooperieren, um auch dort sparsameren Wasserverbrauch durchzusetzen. Ein Koordinationsrat der Wasserminister der fünf, vom Wasser des Amu-Daria abhängigen Republiken ist geplant. Die GTZ will zum Beispiel demnächst ein Versuchsprojekt starten und den ausgetrockneten Boden des Aralsees mit salzresistentem Schilfgras bepflanzen. In Muinak zum Beispiel wird das Trinkwasser in Tankwagen angefahren. Das Personal für Wartung, Reparatur, Verbesserung, kurzum für die Pflege, fehlt in einer Gesellschaft, die auf gigantische Fehlplanungen immer nur mit gigantischen Neuplanungen reagiert hat.

Die Sowjetunion war eine großangelegte Abschreibungsgesellschaft.   “Wenn das Wasser im gleichen Maße wie in den letzten Jahren zurückgeht, ist der See im Jahr 2010 leer”, erklärt der Präsident. Die Zukunft des Urlaubsgebietes Aralsee hängt von der Stabilisierung des Sees und der Verbesserung der Wasserqualität ab. Wunderbare Strände, die eigenartigen Mondlandschaften des Uferbereiches bei Ustjurt könnten dann zur Etablierung eines großen Erholungsgebietes am Aralsee beitragen.

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