Was denken die tiere
WAS DENKEN DIE TIERE ? Ein Versuch.
Allwetterzoo in Münster. Der letzte Besucher ist schon gegangen.
Der Seehund Tommy wird in ein separates Becken, sein Klassenzimmer,
gelotst. In der Mitte des Beckens befindet sich, etwa 20cm über
dem Wasser, ein Stahlring, der an einer elastischen Stange befestigt
ist. Durch ihn steckt das Tier seinen Kopf.
Dann schaut es zu einer Schmalseite des Raumes hinüber, wo am
Beckenrand eine schwarze Tafel aufragt, in die drei Leuchtkästen
nebeneinander eingelassen sind. Dahinter befindet sich, unsichtbar
für Tommy, ein Steuergerät. Es wählt die Kombination
und Abfolge der Bilder aus die Tommy zu sehen bekommt, und registriere
die Testergebnisse. Sein Lehrer duckt sich hinter die Leuchtkästen.
Das Tier darf ihn jetzt nicht mehr sehen, damit der Mensch dem Tier
nicht versehentlich die Antwort verrät. So schreiben es die Regeln
wissenschaftlicher Experimente vor.
In Wirklichkeit könnte kein Mensch rascher auf die korrekte Lösung
kommen als Tommy. Zuerst zeigt der mittlere Kasten eine mehrarmige
Form. Sobald diese erlischt leuchtet in den Kästen rechts und
links die gleiche Form noch einmal auf: einmal als Kopie des Originals
und einmal als dessen Spiegelbild, jedoch beide um eine zentrale Achse
verdreht, so das sie auf den ersten Blick anders aussehen als ihr
Vorbild. Der Seelöwe schlüpft aus dem Ring, schnellt zum
Beckenrand und berührt mit seiner Schnauze eine der beiden Formen.
Damit löst er einen Kontakt aus, der darüber informiert,
wie lange er gebraucht und ob er richtig gewählt hat. In 90%
(!!) der Fälle ist er erfolgreich.
Je vielfältiger die Formen im Verlauf einer Testreihe
werden, um so länger zögert das Tier bevor es sich entscheidet.
Was in seinem Kopf vorgeht, während es zwischen den beiden Möglichkeiten
entscheidet, können sich die Biologen ungefähr vorstellen.
Der Versuch wurde nämlich ursprünglich für Menschen
konzipiert. Die Testpersonen gaben natürlich bereitwillig darüber
Auskunft wie sie die Aufgabe lösen. Sie prägten sich das
verschwundene Original ein und drehten die sichtbaren Alternativen
so lange vor ihrem geistigen Auge (daher "mentale Rotation")
bis sie die gleiche Position erreicht hatten wie das Bild in der Erinnerung.
Dann verglichen sie die 3 Bilder und entschieden welches das richtige
ist.
Wenn Tommy die Lösung gefunden hat, geht jedesmal ein
Ruck durch den Seehundkörper. Das ist der sog. AHA-Effekt, wie
bei uns Menschen wenn wir plötzlich etwas begreifen. Es sieht
also so aus als ob Tiere Vorstellungen haben. Ein Bild von der Welt,
das sie mit der sichtbaren Wirklichkeit vergleichen. Als ob sie überlegen,
abwägen und bewußte Entscheidungen treffen würden.
Bis heute geizen Wissenschaftler mit Anerkennung, wenn es um
tierisches Denken geht - und beugen sich damit unter eine Deutung
der Welt, die weit zurückreicht. Unsere Abendländische Philosophie,
unsere jüdisch-christliche Kultur basiert auf der Überzeugung,
daß einzig der Mensch mit geistigen Gaben ausgestattet ist.
Was sich auf der nicht-menschlichen Seite des Lebens befindet, so
meinten viele Philosophen, hat weder Geist noch Seele noch Wert, außer
als Werkzeug des Menschen. Und darum existiere es auch gar nicht.
Tiere hielten die Gelehrten für Automaten, für Schlafwandler
des Lebens, ohne Bewußtsein ihrer selbst. Daß sie je Worte
oder Zeichen verwenden könnten wie wir erschien ihnen unvorstellbar.
Ihre Auslegung hat sich jahrhundertelang als akzeptiert Wahrheit
in den Köpfen festgesetzt. Erst Charles Darwins` These, daß
gemeinsame Vorfahren uns Menschen mit den Tieren verbinden, erschütterte
dieses Weltbild. Dennoch löste sich die Wissenschaft nur schwer
von der alten Zweiteilung in bewußtes und unbewußtes Leben,
in denkende und schlafwandelnde Kreaturen. Auch unsere geltenden Gesetze
bewahren den alten Dualismus: Sie behandeln das Tier nach wie vor
als Sache, und verhindern so bis heute, das artgemäße Haltungsbedingungen
durchgesetzt werden können. Der Wissenschaftstheoretiker
Daniel C. Dennett meint in seinem letzten Buch "Darwins Dangerous
Idea", daß wir beharrlich einen wichtigen Teil der Darwinschen
Evolutionstheorie ausblenden.
Wir möchten allenfalls eine gemeinsame körperliche Entwicklungsgeschichte
wahrhaben, nur die Bausteine der lebenden Materie mit den Tieren teilen.
Aber der Gedanke, daß auch der menschliche Verstand ein Ergebnis
der natürlichen Selektion sei, wirke auf viele Menschen zu revolutionär.
Natürlich gibt es Rebellen unter den Forschern, solche,
die ihr Anstellungs-verhältnis und ihre Fördergelder aufs
Spiel setzten, um herauszufinden, welchen Gebrauch Tiere von ihrem
Gehirn machen. Sprachversuche mit Primaten, der Wunsch mit Tieren
zu reden bildete den Anfang. Über kein anderes Lebewesen
staunen wir Menschen so sehr wie über die Schimpansen. Der Ausdruck
in ihren Augen, ihre Hände, ihre Haltung erinnern uns daran,
daß sie beinahe unseresgleichen sind.
Nur die Menschensprache fehlt ihnen. Unsere Vorstellung von Geist
aber ist eng mit der Sprache verbunden, unsere Gedanken Begleitet
ein ständiger innerer Monolog. Es liegt also nahe, die Frage,
ob es ein Denken ohne Wörter gibt, zuerst bei den Primaten zu
klären. Der Gorilla Koko und die Schimpansin Washoe lernten die
Gebärdensprache der amerikanischen. Taubstummen: Ihre Aussprüche
machten bald Schlagzeilen: Washoe z.B.
die bis zu ihrem 5ten Lebensjahr noch nie einen Schimpansen gesehen
hatte, beschrieb ihre Artgenossen bei der ersten Begegnung als "Schwarze
Käfer". Aber die Skeptiker taten solche Ergebnisse
als Kuriosität ab. Sie hielten die Tiere für konditioniert,
d.h. darauf trainiert die gewünschte Reaktion zu zeigen. 2maliges
Schlagen auf die Schenkel akzeptierten die Kritiker nicht als Begriff
für "Hund", und wenn ein Schimpanse sein Ohr berührte,
dann juckte es ihn wahrscheinlich.
Doch mit dem Wort "horch" habe das nichts zu tun. Erst als
die Schimpansin Lana lernte mittels eines Computers zu kommunizieren
wurde die harte Kritikerfront erstmals brüchig. Lana verstand
das abstrakte Zeichen etwas bedeuteten und setzte sie sinnvoll ein.
Erfolge wie diese haben zu einer Konjunktur in der mentalen
Forschung geführt. Weltweit klügeln Biologen und Psychologen
immer raffiniertere Tests aus, um unter Laborbedingungen zu verfolgen,
was in den Köpfen von Tieren vorgeht wenn sie Probleme lösen.
Dabei zeigt sich, das nicht nur die Primaten sich wie wir mit Symbolen
verständigen können, also ein inneres Bild von der Welt
haben: Delphine im Meeressäugerlabor auf Hawaii suchen auf Befehl
ihres Trainers nach bestimmten Objekten.
Die Delphine beherrschen ein Vokabular von 50 Begriffen und verstehen
Sätze mit bis zu 5 Wörtern. Dabei unterscheiden sie zwischen:
"Hol den Frisbee und bring ihn zum Surfbrett!" und "Hol
das Surfbrett und bring es zum Frisbee !"- verstehen demnach
etwas von Syntax. Der Graupapagei Alex hat die Denkforschung
revolutioniert. Er kann Material, Farbe, Menge und Form erkennen und
benennen da er das einzige Tier ist, das mit seiner Betreuerin in
deren Sprache reden kann. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung
grenzen die Leistungen des Papageis ans Wunderbare, denn im Vogelhirn
ist der zerebrarle Kortex, das Organ das für intelligentes Verhalten
als unentbehrlich gilt, kaum ausgebildet. DIE DISKUSSION über
derartige Ergebnisse hat die Wissenschaftler in 3 Lager gespalten.
Eine Gruppe erklärt das alles noch immer für Unsinn. Eine
zweite, die sowohl-als-auch-Guppe, gesteht den Tieren schon ein Bewußtsein
zu, jedoch untersuchen sie das rein objektiv, anderenfalls müßten
sie die Tiere nämlich mit menschlichen Eigenschaften versehen
(Anthropomorphisierung), was für sie eine unverzeihliche Sünde
wäre Die dritte Gruppe ist ins Feld gezogen. Sie haben
sich von den Denksportaufgaben der Labors abgewandt, um animalisches
Bewußtsein dort zu studieren wo es sich entwickelt hat: In der
Natur. Sie erklären es für gesunden Menschenverstand sich
in die betreffende Art hineinzuversetzen, deren Denkprozesse ein Forscher
verstehen möchte. Bewußtes Denken ist für sie keine
Sonderentwicklung der Evolution, kein Extra, das nur wir Menschen
besitzen. Bewußtes Denken ist das, was Gehirne tun - auch tierische.
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