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  Julia franck, liebediener

Julia Franck, Liebediener * 1970 in Berlin 78 Ausreise in den Westen lebt und arbeitet in Berlin Veröffentlichungen: Der neue Koch (97, Roman) Liebediener (99, Roman) im DuMont Verlag, Köln Bauchlandung (00, Erzählungen) Auszeichnungen: "OpenMike" , Literaturwerkstatt Berlin, 95 "3sat-Preis", Klagenfurt, 00 Alfred-Döblin-Stipendium, 98 Stipendium der Stiftung Niedersachsen für "Liebediener", 99 Auszug aus Julia Franck, Liebediener (s. S. 7 ff) [...] Mit einem Hops sprang er aus der Parklücke.

Ich bin sicher, sein Auto berührte die Frau nicht einmal. Sie hatte die Straße überqueren wollen, wenige Meter vor ihm, ich meinte, er habe sie nicht gesehen, so, wie er aus der Parklücke sprang - den Kopf vielleicht noch nach hinten gewendet, um sich zu vergewissern, daß von dort kein Auto die Straße heraufkam, oder er sah mich an -, aber als es ihn mit einem Satz nach vorne warf, sprang sie von seinem Auto davon, zur Straßenmitte. Die Straßenbahn quietschte in der Kurve. Der dumpfe Aufschlag war kaum hörbar. Der Mann mußte viel Zeit durch das Ausparken verloren haben, er hatte es gewiß eilig. Er hielt nicht an.

Einen Moment nur, meinte ich, wurde sein Auto langsamer, einen gedehnten Moment, aus dem heraus er davonfuhr, hinter ihm: eine Sekunde Stille. Vielleicht hatte er eine Kassette im Handschuhfach gesucht oder sich nach einer Zigarette gebückt, die ihm brennend aus dem Mund gefallen war, weil ihn die Mühe ums Ausparken aus dem Rhythmus gebracht hatte und er in Gedanken schon dort war, wo er hinwollte. Die 50 stand, aufrecht, unerschütterlich, gelb, der letzte Waggon hing noch in der Kurve. Aus der Entfernung beobachtete ich, wie der Straßenbahnfahrer ausstieg, dabei fast über das emporragende Bein der Frau stolperte, wie er sich hinunterbückte zu ihr, die Frau war teilweise vom Bug seiner Straßenbahn verdeckt, wie er sah, daß die Räder seiner Straßenbahn ihre Brust unter sich gezogen und fast unter sich begraben hatten, wie er zurück in sein Fahrerkabäuschen stieg, sich in seinen Sessel setzte und die Straßenbahn wenige Meter rückwärts fahren ließ. An den Fenstern klebten neugierige Gesichter, gierig, etwas zu sehen, was ihnen das plötzliche bremsen erklären könnte. Aber es waren auch Kinder darunter, die sicher nur zu ihren Ostereiern wollten.

Im ersten Waggon hatte sich der Vorfall schon herumgesprochen, das sah ich deutlich, man verständigte sich mit den Händen, gab Zeichen durch die dreckigen Scheiben der Straßenbahn, die Menschen im Inneren der Waggons waren aufgestanden. Der Fahrer stieg ein zweites Mal aus, er beugte sich über die Frau, die quer auf seinen Schienen lag. Ich ging näher heran. Verklebt ihre Locken an Arm und Hals, quer über den Bauch, und manche hingen noch an den stählernen Rädern, drei Meter entfernt, und flatterten im Wind. Die Frau war blutüberströmt. Ihr Blut stand in den Schienen.

Der Straßenbahnfahrer stieg in seine Straßenbahn zurück, er öffnete das Schiebefenster zwischen seinem Kabäuschen und dem Fahrgastabteil, beugte den Oberkörper vor und bewegte seine Lippen, auf sie Entfernung konnte ich nicht hören, was er sagte, es war möglich, daß ihm die Stimme kaum gehorchte, ein Fahrgast trat ihm entgegen und hielt ihm ein Telefon hin, der Fahrer, noch immer gebeugt, schob das Telefon mit der flachen Hand von sich weg. Wahrscheinlich rief der Fahrgast dann selbst die Polizei. [...]

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