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  Das parfum-patrick süskind

Das Parfum Die Geschichte eines Mörders Patrick Süskind Patrick Süskind wurde am 26. März 1949 in Ambach am Starnberger See geboren. Sein Vater, der Schriftsteller, Übersetzer und langjährige Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung, Wilhelm Emanuel Süskind, ist u.a. durch die gemeinsam mit Dolf Sternberger und Gerhard Storz herausgegebene und verfaßte Artikelsammlung “Aus dem Wörterbuch des Unmenschen” bekannt geworden, in der sich die Autoren kritisch mit der Sprache des “Unmenschen” (der national-sozialistischen Gewaltherrschaft) und ihrem Fortwirken beschäftigen. Süskind studierte von 1968 bis 1974 in München und Aix-en-Provence Geschichte, entschloß sich aber wie sein Vater, der ebenfalls Geschichte studiert hatte, als “freier Schriftsteller” zu arbeiten.

Durchaus selbstironisch hat Patrick Süskind einmal angemerkt, er habe sich zunächst “als Autor von kürzeren unveröffentlichten Prosastücken und längeren unverfilmten Drehbüchern” einen Namen gemacht. Mittlerweile werden Süskinds Prosastücke millionenfach gelesen, etliche Drehbücher sind verfilmt worden. Außer einer kurzen, ironisch-distanzierten Selbstbiographie ist über Süskinds Vita wenig bekannt; er lebt zurückgezogen in München, Paris und Montolieu (Südfrankreich). 1989 erhielt er den Gutenberg-Preis. Werke von Süskind sind: “Der Kontrabaß” (1981), “Monaco Franze” (1983), “Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders” (1985), “Kir Royal.

Aus dem Leben eines Klatschreporters” (1987), “Die Taube” (1987), “Die Geschichte von Herrn Sommer” (1991). “Das Parfum”. Die Geschichte eines Mörders ist die Geschichte des am 17. Juli 1738 auf dem Fischmarkt in Paris geborenen Jean-Baptist Grenouille, dessen Mutter wegen Kindesmordes hingerichtet wird, der seine frühen Jahren bei bezahlten Ammen und dann als Gerberlehrling verbringt. Der ohne körperliche Geruchsaura geborene Grenouille (ein Peter Schlemihl, der seinen Schatten verloren hat) verfügt zugleich über einen genialen Geruchssinn, der seinem im proletarischen Abschaum des Paris des 18. Jahrhunderts wurzelnden kümmerlichen Ich nur ein einziges Ziel weist, nämlich die Essenz einer absoluten Schönheit zu erzeugen in einem Parfüm, das die perfekte Geruchsaura junger wunderschöner Mädchenkörper einfängt.

Um ihre Schönheit verewigen zu können, muß er die Mädchen töten. Grenouille wird zum unerkannten Massenmörder, dessen Blutspur die Leichen von fünfundzwanzig jungfräulichen Mädchen bezeichnen. Erst beim letzten Mord wird er durch einen Augenzeugen und durch Indizien überführt, um zugleich bei seiner Hinrichtung seinen größten Triumph auszukosten. Mit dem Duft seines perfekten Parfüms bestäubt, in dem die Schönheit all seiner Opfer zusammengefaßt ist, verfällt die Menge in einen erotisch akzentuierten Verehrungstaumel, in dem der zur Rache angetretene Vater des letzten Opfers Grenouille liebevoll als Sohn umarmt. Der in der Massenraserei untertauchende und nach Paris fliehende Grenouille, dem sein Destillat quasi Allmacht verleiht und der mehr nicht erreichen kann, inszeniert unter den Clochards sein Ende. Wie die Mänaden in ihrer Liebesraserei über Dionysos herfallen, ihn zerreißen und verschlingen, wird auch er, durch sein Wunderduft-Destillat zum Engelsmenschen geworden, von der Meute im Rausch kannibalistisch verschlungen.

Die Geschichte wird, unter nahezu vollständigem Verzicht auf die Elemente wie Perspektivenwechsel, innerer Monolog u.a., weitgehend einstränig chronologisch erzählt. Ein auktorialer Erzähler nimmt die Leser bei der Hand und führt sie in die Welt seiner Charaktere und in die stinkende und duftende Welt des 18. Jahrhunderts in Frankreich. Neben dem Erzählstil des Romans spielt sicherlich auch die Motivwahl eine Rolle.

Süskinds monströser Mörder hat etliche literarische Vorbilder, um nicht zu sagen Vorväter, Hugos Quasimodo, der Glöckner von Notre-Dame, ist zu nennen, mit dem Grenouille das häßliche Äußere teilt. Chamissos Peter Schlemihl hat keinen Schatten, Süskinds Grenouille keinen Eigengeruch. E.T.A. Hoffmanns Goldschmied Cardillac sieht in der Dunkelheit, Grenouille riecht sich durch die Dunkelheit.

Huysmans Des Esseintes (A Rebours) schließlich gibt die Vorlage für Süskinds “Supernase” ab. Und der Froschkönig (Grenouille = der Frosch) läßt sich ebenso als Ahn erkennen wie der gute alte Zwerg Nase. Der Autor spielt virtuos mit literarischen Motiven. Die Schöne (Laure Richis) und das Biest (Grenouille) begegnen sich - allerdings ohne happy-end; das Motiv vom Kindesmord wird gleich zu Beginn des Romans variiert; es gibt religiöse (das Motiv des Schöpfungsaktes) und philosophische Bezüge (Genouilles Aufenthalt in der Höhle). Der Vielzahl der Motive entspricht die Vielzahl der Genres, an die Süskind anknüpft. “Das Parfum” ist ein Reiseroman und führt uns von Frankreichs Hauptstadt ins Zentralmassiv, nach Montpellier und in die Stadt der Düfte und Parfumeure, Grasse, und schließlich nach Paris zurück.


Süskinds Werk ist ein historischer Roman, der Details der Handwerkstechnik der Gerber und Parfumeure ebenso vor uns ausbreitet wie er uns, wenn auch mit unübersehbaren, parodistischen Elementen, das Zeitalter der Aufklärung vor Augen führt. Und der Autor gewährt uns einen Einblick in die hygienischen Verhältnisse des 18. Jahrhunderts. Süskinds Werk weist aber auch Elemente des Entwicklungsromans auf, denn wir verfolgen den inneren und äußeren Werdegang Grenouilles von der Geburt bis zum Tod. Auch für Horrorgenres sind Elemente enthalten, stattet der Autor seinen “Helden” doch mit Fähigkeiten, Eigenschaften und Verhaltensweisen aus, die gleichermaßen bizarr und befremdend wie angsteinflößend sind. Der Untertitel des Romans (Geschichte eines Mörders) deutet schon auf das Genre des Kriminalromans hin; und immerhin bringt es Grenouille auf die stattliche Anzahl von 26 Morden.

Und geschickt versteht es der Erzähler, die diesbezüglichen Erwartungen der Leser zu wecken, wenn es gleich zu Beginn über Hauptfigur heißt, sie gehöre “zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche” (S.5). Nicht zuletzt werden auch die Freunde erotischer Literatur auf ihre Kosten kommen, denn bei den Opfern Grenouilles handelt es sich immer um ausgesucht schöne Mädchen: “...hatte ein so entzückendes Gesicht, daß Besucher jeden Alters und Geschlechts augenblicks erstarrten und den Blick nicht mehr von ihr nehmen konnten.

..”, heißt es über Laure Richis, Grenouilles 26. Opfer (S.254). Für den Erfolg des Romans ist aber neben den bisher genannten Faktoren auch die Sprache verantwortlich.

Der Autor scheint beweisen zu wollen, daß unsere Sprache zur Beschreibung der riechbaren Welt sehr wohl ausreicht. Landschaften, Menschen, Tiere, Gegenstände werden anhand der von ihnen ausgehenden Gerüche beschrieben, ja sogar über sie definiert, indem sie in kleine und kleinste Geruchsnuancen differenziert werden. “Der Schöpfer des Geruchsgenies und Mörders Grenouille tritt uns auch als Schöpfer von Wortkompositionen entgegen, die sich, oft in langen Reihungen, kaskadenhaft über ganze Zeilen ergießen. Das ist ein Schwelgen in Vergleichen, Abtauchen in Adjektivhypertrophien, ein Kumulieren von Superlativen, gleichsam um sich an den Kern eines Geruchs sprachlich ” (Bernd Matzkowski). Grenouille kommt als ungeliebter Sohn auf die Welt. Seine Mutter will nur, “daß der Schmerz aufhöre” und deshalb die “eklige Geburt so rasch als möglich hinter sich bringen” (S.

7). Seine Mutter sieht in ihm nur ein blutiges Stück Fleisch, das mit dem Fischgekröse unter ihrem Verkaufstisch mehr Ähnlichkeit hat als mit einem Menschen. Grenouilles erste Erfahrung ist also die Ablehnung, der Gleichgültigkeit, der mangelnden Fürsorge, des Hasses. Wen wundert es da, wenn der Schrei, mit dem das Neugeborene auf sich aufmerksam macht, kein “instinktiver Schrei nach Mitleid und Liebe” ist, sondern ein Schrei der Entscheidung “gegen die Liebe und dennoch für das Leben” (S.28). Das Kind kommt in die Obhut von Ammen, die es aber - alle aus dem gleichen Grund - nach wenigen Tagen weiterreichen.

Der kleine Grenouille stört das rentable Stillen der Ammen, da er zu gierig ist. Bereits in den ersten Wochen seines Lebens wird Grenouille somit unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Rentabilität beurteilt. Er zählt nicht als Mensch, sondern als Einkommensquelle, als wirtschaftlicher Faktor. Die rasch wechselnden, instabilen und von den Seiten der Bezugspersonen auf mangelnder Liebe und Ablehnung gegenüber dem Kind beruhenden Sozialbeziehungen verhindern zwangsläufig die Herausbildung eines Urvertrauens bei Grenouille. Die Ablehnung, den Haß, den bereits der kleine Grenouille verspürt, wird er stets in sich tragen und an seine Mitmenschen zurückgeben. Die letzte der Ammen, Jeanne Bussie, gibt aus dem gleichen Grund wie ihre Vorgängerinnen bereits nach wenigen Wochen den kleinen Grenouille in die Obhut von Pater Terrier, verbindet aber die Aufkündigung des Ammenverhältnisses mit einer Stigmatisierung des Kindes, was die Amme auf den fehlenden Körpergeruch des Kindes zurückführt.

Ein rascher Wechsel der Bezugspersonen und ein Gleichmaß an Ablehnung bestimmen die ersten Lebenswochen und Monate Grenouilles. Erst bei Madame Gaillard werden die Sozialbeziehungen Grenouilles stabiler - allerdings auf der Basis absoluter Gefühlskälte. “Hier aber, bei der seelenarmen Frau gedieh er.” (S.27) Auf die ihm entgegengebrachte Gefühlskälte reagiert Grenouille mit einer absoluten Abkapselung gegen seine Mitmenschen, er wird zum “Zeck”. Für 15 Franc übergibt Madame Gaillard den Achtjährigen dem Gerber Grimal.

Bei Grimal erst wird aus Grenouille, dem “Animal”, ein animalisches Geschöpf - aber Grenouille wird dazu gemacht. Denn Grimal erweist sich als roher, unmenschlicher Ausbeuter. Genouille wird, um sein Äußeres und seinen Charakter zu beschreiben, immer wieder mit Tieren verglichen, die eher negativ besetzte Assoziationen wecken und unangenehme Gefühle im Menschen wachrufen. Auf den animalischen Wesenszug Grenouilles verweisen nicht nur Nomen (“Kröte”, “schwarze Spinne”), sondern auch Verben wie zischeln, verharren, krächzen, lauern und schnarren, die seine Lebens- und Sprechweise beschreiben und eher Ablehnung hervorrufen. Als dominierender Vergleich ist jedoch das Bild vom “Zeck” anzusehen, das sich durch den gesamten Roman zieht und Grenouilles zweite Existenzebene verdeutlicht. Dabei ist der Hinweis auf den “zeckischen” Charakter Grenouilles immer mit besonderen, zum Teil existenziellen Momenten in Grenouilles Leben oder mit neuen Lebensabschnitten verbunden.

Eine Zecke wird als zäh, still, resistent und genügsam beschrieben, als ein Animal, das von nur einem Blutstropfen leben kann, den es vor Jahren erbeutet hat. Eine Zecke ist häßlich, grau und klein, unansehnlich, einsam, blind, stumm, taub, dabei aber stur, bockig und zäh. Die Gemeinsamkeiten zwischen der Existenzweise einer Zecke und dem Leben Grenouilles sind augenfällig. Beide halten sich im Hintergrund, leben zurückgezogen und unauffällig, halten ihre eigenen Interessen zurück, bis der Zeitpunkt kommt, diesen Interessen nachzugehen. Der Vergleich zwischen einer Zecke und Grenouille wird zum Beispiel verdeutlicht, als Grimal seinem Gerbergehilfen einige Freiheiten zugesteht. Grenouille beginnt das Geruchsrevier Paris zu erobern: “Die Zeit des Überwinterns war vorbei.

Der Zeck Grenouille regte sich wieder. Er witterte Morgenluft. Die Jagdlust packte ihn.” (S.43) Mit dem Wechsel zu Baldini verbessern sich die Lebensbedingungen Grenouilles zwar, aber dies nur deshalb, weil Baldini erkennt, wie wertvoll der Junge in ökonomischer Hinsicht für ihn ist. Eine menschliche Beziehung baut Baldini zu Grenouille nicht auf; selbst seine karitativen Gesten am Krankenbett Grenouilles sind von ökonomischen Beweggründen gesteuert und keinesfalls Ausdruck menschlichen Mitgefühls.

Im Gegensatz zu Grimal praktiziert Baldini lediglich eine menschlichere Variante der Ausbeutung. Auch der Marquis de la Taillade-Espinasse hat kein Interesse an dem Menschen Grenouille. Dem Marquis ist Grenouille nur als lebender Beweis für seine Theorie wichtig. Daß Taillade-Espinasse Grenouille in die Gesellschaft einführt, soll seinen Ruhm mehren, erfolgt aber nicht aus Sympathie für sein “Beweisstück”. Madame Arnulfi und ihrem Liebhaber Druot bleibt der neue Geselle ebenfalls fremd. Sie interessieren sich nur insoweit für Grenouille, als er den Geschäftsbetrieb in Gang hält und eine Entlastung von eigener Arbeit fördert.

Die “Liebe”, die die Massen Grenouille am Tage seiner Hinrichtung entgegenbringen und die auch in Richis’ Wunsch zum Tragen kommt, Grenouille zu adoptieren, ist nicht Ausdruck wahrer menschlicher Gefühle, sonder beruht ja auf der Verführungskraft des Grenouilleschen Parfums. Diese “Liebe” hebt also nicht die Entfremdung auf, sondern verdoppelt sie. Sie verschärft die Distanz zwischen Grenouille und seinen Mitmenschen, fördert den tiefsitzenden, auf der Erfahrung der Ablehnung beruhenden Haß wieder ans Tageslicht. Auf der anderen Seite treibt sie Grenouille von sich selbst weg, weil er erkennen muß, daß sein “Menschsein” an das Parfum gebunden und daher flüchtig ist und auf einer Täuschung beruht. Grenouille wird zum Gefangenen seiner Genialität. Er will zwar den Menschen gleich werden, einmal als einer von ihnen angesehen werden.

Doch die Menschen können ihn nicht als den erkennen, der er ist. Daraus resultiert sein Haß auf die Menschen. Grenouille scheitert nicht an sich selbst, sondern an den Menschen. In der Unmenschlichkeit Grenouilles, in seiner kalten Grausamkeit und seiner gefühlsleeren Psyche, spiegeln sich die Grausamkeit und Gefühlskälte der menschlichen Gesellschaft und der Individuen, mit denen Grenouille in sozialen Kontakt kommt. Grenouille ist die Hauptfigur, die keinen Gegenspieler, bestenfalls Mitspieler hat. Alle Menschen denen er begegnet haben Ziele.

Keiner von ihnen erreicht diese aber, denn immer wieder spielt ihnen der Zufall einen Streich. Die Menschen, so legt es das Schicksal der Romanfigur nahe, sind zum Scheitern verurteilt. Ihre wohlfeilen Pläne werden durchkreuzt, von Zufällen regiert. In einem stillen Moment der Erkenntnis hat Baldini diese Einsicht in den Lauf der Welt, den Gang der Dinge: blickt er aus dem Fenster seines Hauses, hat er den “wegströmenden Fluß” vor Augen (S.76). Und dies ist ihm ein Sinnbild für das “Wegströmen” aller Hoffnung, allen Reichtums, der Zukunft überhaupt.

Alles ist in Bewegung - aber es ist eine Bewegung von den Menschen weg. “Das Leben, so legt es die Häufung von Zufällen nahe, ist nicht planbar. Vielmehr scheint es so, als ob der Zufall seine Wirkung besonders dann entfaltet, wenn die Menschen ihr Leben planen.” (Dürrenmatt) Grenouille steckt sich ein Ziel: die Schaffung des absoluten Parfums. Im Gegensatz zu anderen Figuren des Romans erreicht Grenouille sein Ziel. Ihm gelingt es, seine essence absolue zu kreieren.

Doch führt ihn die Erreichung des Ziels in die persönliche Katastrophe. Weil er dies erkennt, sucht er, im Gegensatz zu allen anderen, deshalb seinen Tod bewußt. Mit der Schaffung des Parfums hat er seine genial-phantastische Meisterleistung vollbracht, ein Ergebnis höchsten handwerklichen Geschicks. Der Prozeß der Ich-Findung aber wird in dem Moment, in dem sein Meisterwerk seine Wirkung entfaltet, zur persönlichen Katastrophe. Dies ist die für ihn schmerzliche Erkenntnis in der Stunde seines größten Triumphes. An seinem wirklichen Problem scheitert er nämlich.

Es ist ja nicht Grenouille, den die Menschen in ihrer rasenden Tollheit lieben, sondern es ist sein künstlicher Geruch, dem sie verfallen. Sie lieben nicht ihn, sondern seine geruchliche Maske. Hinzu kommt, daß die Liebe zwischen den Menschen auf dem Richtplatz auf einen sexuellen Akt animalischer Triebbefriedigung reduziert ist. Eine wirkliche Liebe zwischen Menschen scheint also nicht möglich. Insofern ist Grenouille nicht nur auf dem Gipfelpunkt seiner Machtvollkommenheit, sondern er ist gleichzeitig auf dem Gipfelpunkt seiner Einsamkeit. Grenouilles Selbstreflexion im letzten Kapitel führt ihn zu der Erkenntnis, daß er - trotz seiner Genialität - immer ein Einsamer wird sein müssen.

Nie wird er riechen können. Grenouille weiß, daß er ohne sein Parfum nicht wahrgenommen wird, ja nicht existent zu sein scheint. Aus Selbsthaß und Selbstekel sucht er den Tod. Grenouilles Biographie endet in doppelter Weise an ihrem Ausgangspunkt. Grenouille kehrt räumlich und in seiner Persönlichkeitsentwicklung zum Ort seiner Geburt zurück. Mit dem “allerstinkendsten Ort” von Frankreich als Schauplatz des kannibalischen Abendmahls fallen Geburts- und Todesstätte in eins.

Und Grenouille kehrt zu sich selbst zurück, zu dem schon im Mutterleib verhaßten Grenouille. Er hat erkannt, daß er immer der Verstoßene, der Ungeliebte, der ewig Isolierte sein wird. Sein Tod ist somit kein Opfer, sondern Befreiung und Erlösung. Was bleibt ist die Erinnerung an ein Parfum - an sein Parfum. Süskinds Roman spielt in der duftenden Welt der Parfumeure und der stinkenden Welt der Stadt und der menschlichen Ausdünstungen. Da die Hauptfigur die Umwelt nahezu ausschließlich olfaktorisch erfaßt und das Handwerk eines Parfumeurs erlernt, stammen die dominanten Wortfelder aus den gegensätzlichen Bereichen Duft und Gestank.

Seine besondere Aufmerksamkeit schenkt der Autor daneben der Darstellung des Parfumeurwesens und der Techniken zur Parfumherstellung im 18. Jahrhundert, wobei er die gebräuchlichen Fachbegriffe verwendet. Zur Beschreibung und zur sprachlichen Annäherung an einen Geruch, Duft, dienen immer wieder Vergleiche. (der Schweiß des Mädchens aus Paris riecht frisch wie Meerwind, ihr Haar süß wie Nußöl, ...

; S.54) Ein weiteres Stilmittel sind Aufzählungen. Auch Superlative sind ebenfalls ein signifikantes Merkmal des sprachlich stilistischen Inventars des Autors. “Süskind versteht es, den Leser zu schocken, mit starken Kontrasten, kühl kalkulierten Effekten und Superlativen, die wohl nur noch von denen seiner Kritiker übertroffen werden.” (Annette Meyhöfer) Süskinds Roman spielt in der Epoche der Aufklärung. Mit dem Parfumeur Baldini, dem wissenschaftsbegeisterten Marquis de la Taillade-Espinasse und dem Patrizier Richis zeigt er uns nicht nur drei Vertreter der französischen Ständegesellschaft des 18.

Jahrhunderts, sondern auch drei Modelle des Reagierens auf die Entwicklungen und Herausforderungen der Zeit. Über die neue Zeit, ihre politischen Ideen, wissenschaftlichen Entdeckungen und sozialen und technischen Neuerungen, erfährt man am meisten in den Kapiteln, die in die Welt des Parfumeurs Baldini führt. Dessen Blick auf die neue Zeit ist aber durch seinen ökonomischen Niedergang bestimmt. Zwar gesteht sich Baldini ein, daß er nie ein großer Parfumeur oder Erfinder von Düften gewesen ist, doch sieht er die Ursache für seinen ökonomischen und sozialen Abstieg und den Aufstieg seines Konkurrenten Pelissier in der hektischen Neuerungssucht, dem hemmungslosen Tatendrang, der Experimentiersucht des neuen Zeitalters. Den Veränderungen in Handel und Verkehr, Geistesleben, Wissenschaft und gesellschaftlichem Leben steht Baldini ablehnend gegenüber. Baldini ist ein Kritiker der Aufklärung - aber sein Blick ist rückwärtsgewandt.

Marquis de la Taillade- Espinasse ist im Vergleich zu Baldini weltoffen, gebildet und zukunftsorientiert - allerdings ins Parodistische überzeichnet. Antoine Richis ist die Verkörperung der neuen Patrizierschicht, des reichen Handels- und Kaufmanns-Bürgertums. Süskinds Roman hat eine so faszinierende Wirkung daher, weil es für Interpretationen so gut wie keine Einschränkungen gibt. Die Bandbreite der Interpretationsmöglichkeiten ist enorm. Augenscheinlich ist der Vergleich des Massenwahns den Grenouille bei seiner Hinrichtung auslöst mit jenem des Dritten Reiches unter Hitlers Führung. Entscheidend ist aber die Gestaltung des Umgangs der an der Massenorgie beteiligten Personen mit ihrem Tun.

Blendet man bei der Lektüre des entsprechenden Abschnitts den konkreten textlichen Bezug des Romans, die Orgie, aus und ersetzt ihn durch den historischen Kontext der jüngeren deutschen Vergangenheit, so ergeben sich verblüffende und zugleich erschreckende Parallelen mit der Verdrängung des faschistischen Erbes durch große Teile der Kriegsgeneration: “Vielen erschien dieses Erlebnis so grauenvoll, so vollständig unerklärlich und unvereinbar mit ihren eigentlichen moralischen Vorstellungen, daß sie es buchstäblich im Augenblick seines Stattfindens aus ihrem Gedächtnis löschten und sich infolgedessen auch später wahrhaftig nicht mehr daran zurückerinnern konnten. Andere, die ihren Wahrnehmungsapparat nicht so souverän beherrschten, versuchten, wegzuschauen und wegzuhören und wegzudenken - was nicht ganz einfach war, denn die Schande war zu offensichtlich und zu allgemein” (S.312). Auch die Selbstfindung eines Menschen könnte als Grundlage für eine Interpretation dienen, oder die Sehnsucht nach dem Absoluten, ihre Ursachen und ihre Folgen. Jeder dieser Interpretationsansätze muß mit Vorsicht genossen werden, da man über die wirklichen Intentionen des Autors nichts genaues weiß. Doch vielleicht ist gerade das der Wunsch Süskinds, daß sich der Leser nach dem Studieren der Lektüre selbständig Gedanken macht und nicht stur irgendwelchen Interpretationen hinterherläuft.

“In unserer Zeit, wo ‘sämtliche Gerüche zum Schweigen gebracht wurden’, hat Süskind die irdischen Elemente Gestank, Schmutz, Schweiß und Scheiße wieder zum Dampfen gebracht. Sein Buch ist eine Reise zurück zu den animalischen Instinkten und eine Stänkerei gegen die moderne Deo-Zeit.” (Michael Fischer)

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