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Interpretation "Brief an mich selber" von Erich Kästner (Berlin 19. Januar 1940)
Erich Kästner schreibt einen Brief an sich selbst und spricht sich darin als "unzertrennlichen" Freund an. Im Verlauf des Briefes wird deutlich, dass er mehr als ein guter Rat ist - Kästner warnt sich selbst davor, durch seine Bücher oder Gedichte die Menschen zu einem besseren Leben bekehren zu wollen.
Zitat: "Deine Hoffnungen waren das Lehrgeld, das noch jeder hat zahlen müssen, der vermeinte, die Menschen sehnten sich vorwärts, um weiterzukommen."
1940 war der Zweite Weltkrieg bereits 2 Jahre alt, und Kästner hatte wie viele andere Berliner Künstler bereits den Ersten Weltkrieg als Soldat miterlebt. Seine größte Hoffnung war zu der Zeit, dass die Menschen aus dieser Katastrophe gelernt hätten.
Stattdessen erlebt er, dass der Mensch, anstatt nachzudenken, sich nicht vorwärts sondern im Kreis bewegt, nur um nicht still zu stehen. Zitat: "Die Söhne überrunden die Väter. Das Ziel des Ringelspiels ist der Rekord." Auf die Kriege bezogen, könnte Kästner die nun zweite Generation gemeint haben, die sich nun auf einen Krieg eingelassen hat.
Kästners Vergleiche mit Fischen, die zu Spaziergängern gemacht und mit Raubtieren, die zu Vegetariern umerzogen werden sollten, erscheinen völlig absurd im Verhältnis zu dem Anspruch, den Menschen moralisch zu bessern. Dass Kästner diese Vergleiche wählt zeigt, dass er inzwischen keine Hoffnung mehr hat, die Menschen zur Vernunft zu bringen.
Er bezeichnet seine Versuche sogar als "dumm und anmaßend".
"Es ist eine Anmaßung, die Welt, und eine Zumutung, die Menschen veredeln zu wollen. Das Quadrat will kein Kreis werden; auch dann nicht, wenn man es davon überzeugen könnte, dass der Kreis die vollkommenere Figur sei. Die Menschen lehnen es seit Jahrtausenden mit Nachdruck ab, sich von uneigennützigen Schwärmern zu Engeln umschulen zu lassen. Sie verwahren sich mit allen Mitteln dagegen. Sie nehmen diesen Engelmachern die Habe, die Freiheit und schließlich das Leben.
Nun, das Leben hat man Dir gelassen."
Aus diesem Zitat wird deutlich, dass Kästner auch zu Recht besorgt um sein Leben ist. Seine Bücher wurden am 8. Mai 1933 öffentlich verbrannt. Er hatte Schreibverbot und schrieb unter Synonymen wie Berthold Bürger und Melchior Kurtz, die meisten seiner Kollegen waren bereits emigriert oder bereits in Haft.
Zitat: "Sokrates, Campanella, Morus und andere ihresgleichen waren gewaltige Dickköpfe.
.. Die Wände gegen die angerannt wurde, stehen unverrückt am alten Fleck, und nach wie vor verbergen sie den grenzenlosen Horizont. Deshalb riet Immanuel Kant, zum Himmel empor und ins eigene Herz zu blicken. Doch auch davor scheuen die Menschen zurück, denn sie brauchen Schranken; und wer sie beschränkt nennt, sollte das gelassen tun, und nicht im Zorn."
Große Philosophen der Weltgeschichte haben es bis heute nicht fertig gebracht die Menschheit zur Vernunft zu bringen.
Die "Wände", gegen die angerannt wurde, brauchen die Menschen um nicht in Angst leben zu müssen, und sie können unterschiedlichen Ursprungs sein: religiöse Vorstellungen, Dogmen, Rassistische Vorurteile usw. Ohne diese Grenzen im Denken entsteht Unsicherheit. Die "Beschränktheit" des Menschen bietet ihm also Sicherheit, obwohl sie ihn in seiner Freiheit einengt. Nur der Blick "zum Himmel empor", also nach oben, ermöglicht es über die Wände hinauszugehen.
Zitat: "Wer die Menschen ändern will, der beginne nicht nur bei sich, sondern er höre auch bei sich selber damit auf."
Der Kern des Briefes liegt sicher in diesem einen Satz.
Kästner sieht die einzige Möglichkeit zur Veränderung darin, sich selbst mit den eigenen Stärken und Schwächen kritisch gegenüber zu stehen und nicht den anderen ändern zu wollen. Man ist mit anderen Worten nie so gut, dass man sich nicht noch bessern könnte.
Bemerkenswert finde ich, dass Erich Kästner obwohl er die Hoffnung eigentlich aufgegeben hat noch diesen Brief verfasst. Trotz aller Enttäuschung bringt er noch Verständnis für die "Beschränktheit" der Menschen auf, die seiner Meinung nach "die Schranken brauchen". Sie entziehen sich seinen Besserungsversuchen also nicht aus Bosheit, sondern Unfähigkeit. Gleichzeitig liegt hier die Hauptursache für das Scheitern all dieser Anstrengungen.
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