Gerhardt hauptmann - bahnwärter thiel
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Gerhart Hauptmann
Er ist nicht nur einer der erfolgreichsten deutschen Dichter, sondern auch ein Sinnbild der deutschen Geistesentwicklung im späten 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er hat preußischen Glanz im Reich von 1871 erlebt, ihn ebenso kritisiert wie erwünscht; er hat deutsche Niederlagen miterlebt, mitgefühlt und mitbedacht, ohne dass seine daraus entstandenen utopischen Entwürfe einer menschlichen Gesellschaft bis heute umgesetzt worden wären. - Am 15. November 1862 wurde Gerhart Hauptmann in Niederschlesien im Hotel "Zur Krone" geboren.
[Ein Zitat von Dr. Rüdiger Bernhardt über Gerhardt Hauptmann]
Biographie des Autors
Gerhart Hauptmann wurde am 15. November 1862 als Sohn eines Hotelbesitzers in Schlesien geboren. Später erlebte er mit 15 Jahren den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Vaters. Mit 17 wurde er lungenkrank und war erst mit 42 wieder völlig gesund.
Frühzeitig zeigte Hauptmann sein dichterisches Interesse.
Er besuchte die Kunst- und Gewerbeschule in Breslau, hörte Vorlesungen an mehreren deutschen und schweizerischen Universitäten. Nach einer Mittelmeerreise, einem Aufenthalt als freier Bildhauer in Rom und seiner Heirat 1885 wohnte er in Berlin, Zürich und Erkner bei Berlin. Da begann er, seine dichterische Begabung zu Tage zu legen.
1901 heiratete Hauptmann erneut, er macht eine Reise nach Griechenland, die für seine Dichtung von Bedeutung war. Mit 70 Jahren machte er seine zweite Reise nach Amerika, wo er als Repräsentant der deutschen Dichtung gefeiert wurde. Er gewann zahlreiche Ehrungen, einschließlich Ehrendoktor der Universität Oxford 1907 und Nobelpreis für Literatur 1912.
Am 6. Juni 1946 starb er in seinem Haus in Agnetendorf.
Seine wichtigsten Dramen sind u.a.:
· Bahnwärter Thiel, 1887
· Vor Sonnenaufgang, 1889;
· Das Friedensfest, 1889;
· Die Weber, 1892;
· Der Biberpelz, 1893;
· Schluck und Jau, 1900;
· Die Ratten, 1911;
· Vor Sonnenuntergang, 1932.
Über Bahnwärter Thiel:
Ein gutmütiger, anständiger und pflichtbewusster Mann findet sich den Verhältnissen, die er durch seine zweite Eheschließung (und die unbedachte Annahme des kleinen Ackers neben dem Bahnwärterhäuschen) selbst geschaffen hat, nicht mehr zu Recht.
Aber statt sich dagegen aufzulehnen und sein Leben neu zu ordnen, unterwirft er sich resigniert dem Willen seiner Frau und seinen eigenen Trieben. Die Ereignisse werfen ihn aus der Bahn. Seine aufgestaute Wut entlädt sich am Ende in einem bestialischen Doppelmord.
Inhalt:
Thiel arbeitet seit zehn Jahren bei Neu-Zittau in der märkischen Heide als Bahnwärter. Obwohl der Bahnübergang nur selten benützt wird, schließt und öffnet er gewissenhaft die Schranken.
Vor fünf Jahren nahm er eine schmächtige, kränklich aussehende Frau namens Minna zur Frau, die zwei Jahre später bei der Geburt des ersten Kindes starb.
Weil der kleine Tobias nicht ohne Ersatzmutter aufwachsen sollte, heiratete Thiel nach Ablauf des Trauerjahres ein zweites Mal, diesmal die robuste Magd Lene, die nach zwei Ehejahren ebenfalls von einem Sohn entbunden wurde.
Längst hat Thiel sich daran gewöhnt, dass seine streitsüchtige Frau an allem etwas auszusetzen hat und ihn herumkommandiert. Es schmerzt ihn nur, mit ansehen zu müssen, wie sie ihren Stiefsohn Tobias misshandelt und so vernachlässigt, dass er in seiner Entwicklung zurückbleibt. Dabei liebt er Tobias über alles, weil ihm sonst nichts von Minna geblieben ist. Aber er ist zu schwach, um sich zu wehren.
Thiel zieht sich aus Sehnsucht nach seiner ersten Frau immer mehr zurück.
Das einsame Wärterhäuschen bildet seine Zuflucht. Hier kann er ungestört seinen Erinnerungen an die Verstorbene nachhängen. Doch als der Pachtvertrag für den Kartoffelacker, um den Lene sich zu kümmern hat, gekündigt wird und Thiel in der Nähe seines Arbeitsplatzes Ersatz bekommt, kann er nicht mehr verhindern, dass Lene auch dorthin vordringt.
Eines Tages begleitet sie ihn mit den beiden Kindern. Am Vormittag darf Tobias seinen Vater auf einem Streckengang begleiten. Lene gräbt das vom Unkraut überwucherte Stück Land um.
Nach dem Mittagessen im Wärterhäuschen geht sie wieder zu dem Acker, um Kartoffeln zu stecken, und diesmal nimmt sie auch Tobias mit, der sich um seinen kleinen Stiefbruder kümmern soll. "Pass auf, dass er den Geleisen nicht zu nahe kommt", ruft Thiel ihr nach.
Der schlesische Schnellzug rast heran. Thiel schließt ordnungsgemäß die Schranken. Mehrmals ertönt das Notsignal. Der Zug bremst.
Da sieht Thiel, wie etwas unter den Zug gerät und zwischen den Rädern hin und her geschleudert wird. Der Zug steht. Thiel muss auf seinem Posten bleiben, während Lene den schwerverletzten Tobias mit einem Mann vom Zugpersonal zum Bahnarzt bringt. (Ob Tobias absichtlich oder aus Versehen vor den Zug lief, erfahren wir nicht.)
Der Arzt hat nichts mehr tun können. Thiel bricht zusammen.
Zwei Arbeiter aus dem Zug tragen ihn auf einer Bahre nach Hause; Lene folgt mit dem Säugling im Kinderwagen. Als die Männer Stunden später mit der zunächst im Wärterhäuschen zurückgelassenen Kinderleiche zu Thiels Haus kommen, wundern sie sich über die weit offen stehende Haustür. Sie rufen, aber niemand antwortet. Lene finden sie mit zertrümmertem Schädel vor, und in der Wiege liegt der Säugling mit durchschnittener Kehle.
Thiel wird erst am nächsten Morgen entdeckt: An der Unglücksstelle sitzt er mit Tobias' Pudelmützchen zwischen den Schienen und kann nur mit Gewalt fortgezogen werden. Mit gefesselten Händen und Füßen bringt man ihn zuerst ins Berliner Untersuchungsgefängnis und von dort in die Irrenabteilung der Charité.
Charakterisierung der Hauptpersonen:
- Bahnwärter Thiel: Thiel ist stark religiös, pünktlich und weil er viel Zeit in seinem
Bahnwärterhaus verbringt auch vereinsamt. Wenn er dort allein ist, ist er sehr traümerisch und gedenkt seiner gestorbenen ersten Frau, Minna.
Zu Hause ist Thiel ein Mann, der schnell nachgibt. Vor allem bei seiner zweiten Frau, Lene, von der er stark abhängig geworden ist. Nur wenn es um seinen Sohn, Tobias, geht lässt er nicht mit sich spaßen, weil er Tobias mehr liebt als alles.
- Minna: erste Frau, gefühlvoll, gutmütig, gutes Herz, schwach, kränklich àThiel hing an ihr.
- Lene: zweite Frau, grobe und zänkische Bauernmagd, herrschsüchtig, bevorzugt eigenes Kind, Ehe ist eine Zweckehe, brutale Leidenschaftlichkeit, grob, stark, vital, schlägt Tobias, Thiel revoltiert nicht gegen sie, da sie dominant ist, vergleichbar mit Maschine.
Sprache:
"Bahnwärter Thiel" ist eine novellistische Studie zwischen Tradition und Moderne. Der Entwicklung der Moderne entspricht die Spracharmut Thiels. In der ganzen Novelle werden nur fünfzehn wörtliche Reden Thiels mitgeteilt, meistens nur kurze Äußerungen; oft kann er nur stammeln, murmeln oder sich mit Gesten ausdrücken. Zum Dialog unfähig, spricht er dafür manchmal mit sich selbst. Seine längste Rede ist die halb wahnsinnige Zwiesprache mit der verstorbenen Frau kurz vor der Mordtat (Seite 34/Zeile 21-28).
Satzbau: Die Sätze sind überwiegend einfach und in Prosa geschrieben, aber zwischendurch finden sich lange, verworrene Sätze, die meistens Beschreibungen von Landschaften oder Ereignissen enthalten. Auf Grund ihres verschachtelten Satzbaus sind sie manchmal schwer verständlich.
Bahnstrecke, Geleise, Zug als Dingsymbol:
In der gesamten Novelle taucht immer wieder das Dingsymbol "Eisenbahnstrecke" auf. Dieses für Novellen typische Merkmal hat mehrere Bedeutungen. Als Sinnbild des Unheimlichen, Unbegreiflichen, übermenschlich Chaotischen, das Schicksalhaft in das menschliche Geschehen eingreift
- Die Geleise: "Die schwarzen, parallel laufenden Gleise . glichen in ihrer Gesamtheit einer ungeheuren Netzmasche, deren schwarze Strähnen sich im äußersten Süden und Norden in einem Punkt des Horizontes zusammenzogen." (Z.
21)
- Die Telegraphenmasten: "Auf den Drähten, die sich wie das Gewebe einer Riesenspinne von Stange zu Stange fortrankten, klebten in dichten Reihen Scharen zwitschernder Vögel." (Z.21)
- Der Zug: "schwarzes, schnaubendes Ungetüm" (Z.22), "heranbrausendes Reitergeschwader", "wie die Glotzaugen eines riesigen Ungetüms" und "das Keuchen einer Maschine, welches stoßweise gequälte Atmen eines kranken Riesen klang"
Bedeutung der Natursymbolik:
Bei der Untersuchung der naturbeschreibenden Passagen in Hauptmanns Novelle fällt auf, dass sie stets eine symbolische Bedeutung haben. Zum einen spiegeln sie beispielsweise die Stimmung des Bahnwärters in spezifischen Situationen wieder (Regen = deprimiert). Die noch währende Harmonie der Situation wird mit Hilfe der Naturbeschreibungen unterstrichen.
Darüber hinaus drücken sie teils Bedrohlichkeit, Dunkelheit und die Einsamkeit Thiels aus.
Durch Verwendung zahlreicher Metaphern -> bildhaft, genau, mit seinen Gefühlen verglichen ->typ Merkmal Naturalismus:
- Bezeichnung jeglicher Art v Literatur, die ohne Stilisierung, Überhöhung oder Beschönigung die Wirklichkeit exakt abzubilden versucht
- europ Literaturströmung zw 1870-1900 àHinwendung z soz Umwelt (v.a. bei den ärmeren Bevölkerungsschichten ->Thiel)
- Der Naturalismus nahm in Frankreich und Skandinavien seinen Anfang und ging u. a. mit seiner gesellschaftskritischen Tendenz über die Bestrebungen des bürgerlichen bzw.
poetischen Realismus weit hinaus
- Wichtige Vertreter in Frankreich die Brüder Edmont und Jules Goncourt, Émile Zola und Guy de Maupassant sowie in Skandinavien Henrik Ibsen und (zumindest in seiner Frühphase) August Strindberg
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