Wolfgang borchert - lebenslauf (textform)
Wolfgang Borchert , Schriftsteller 20.05.1921- 20.11.1947Kindheit, Jugend , Hitlerjugend..
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Wolfgang Borchert wurde am 20.05.1921 im norddeutschen Hamburg geboren; als einziges Kind der Heimatschriftstellerin Hertha Borchert und des Volksschullehrers Fritz Borchert.
Er gehörte einer Generation an, die durch den Zeitpunkt ihrer Geburt, doppelt mit den Auswirkungen von Krieg konfrontiert wurde:
Die Auswirkungen des 1.Weltkrieges, dessen Ende erst 3 Jahre zurück lag, waren noch deutlich spürbar.
In fast jeder Familie gab es gefallene oder kriegsversehrte Söhne und Väter. Die Weimarer Republik, 1919 aus den Wahlen zur Nationalversammlung entstanden, bot der Bevölkerung keine genügende Orientierung. Sie war Unterwanderungen ehemaliger Generäle ausgeliefert und wurde schließlich von der Hitlerdiktatur überrannt - nur zwanzig Jahre später wurde jeder Mann aus Borcherts Generation und schließlich auch die, die noch Kinder waren, zu Hitlers Soldaten.
Borchert wuchs im Hamburger Stadtteil Eppendorf auf, besuchte dort die Volks- und später die Oberrealschule. In seiner Freizeit streunte der lebhafte Junge mit seinen Spielkameraden aus der Nachbarschaft und einem Vetter umher.
Borcherts Vater, ein eher zurückhaltender Mensch, der seit dem Krieg unter einem Magenleiden und geschwächter Konstitution litt, beschrieb seinen Sohn als einen naturverbundenen Jungen, der Ausflüge in den Wald liebte und sich gern Geschichten erzählen ließ.
Mit seiner Mutter verband den jungen Borchert ein besonders inniges Verhältnis. Sie hatte, auch aufgrund ihres extrovertierten Temperamentes, wesentlichen Einfluss auf ihren Sohn. Erwähnenswert ist auch die Bewunderung, die Borchert für seinen Onkel mütterlicherseits hegte. Hans Salchow war ein Mann, der ein kurven- und risikoreiches Leben führte und trotz Kriegsversehrtheit und Sprachfehler ungebrochene Lebensbejahung ausstrahlte. Menschen, die sich abweichend von der bürgerlichen Ordnung verhielten oder mit obskuren Macken ausgestattet waren, fesselten Wolfgang Borchert und wurden immer wieder Protagonisten seiner Werke. Jahre später, in der Kurzgeschichte "Schischyphusch", setzte er seinem Onkel ein Denkmal:
In dieser Geschichte trifft dieser besagte Onkel in einem Restaurant auf einen Kellner, der den gleichen Sprachfehler hat wie er selbst.
Als die beiden nun miteinander sprechen, glaubt sich jeder von dem anderen nachgeäfft. Es kommt zu unfreiwillig komischen Situationen, in deren Verlauf sich die Verschiedenartigkeit der Charaktere des lebensfrohen Onkels und des überarbeiteten, devoten , leicht verbitterten Kellners darstellen.
1933, im Jahr der Machtübernahme Hitlers, machte auch der zwölfjährige Wolfgang Borchert die ersten Erfahrungen mit den Nazistrukturen; er wurde, wie alle Jungen seines Alters, in die Hitlerjugend übernommen. Jedoch entzog er sich den Verpflichtungen, wann immer es möglich war und blieb schließlich der Gruppe ganz fern.
Als 15jähriger begann Wolfgang Borchert Gedichte zu schreiben; diese werden jedoch allgemein als nicht qualifizierbar eingeordnet und lassen kein frühes Talent erkennen. Sie spiegeln vielmehr Leseeindrücke verschiedener Lieblingsautoren Borcherts, zu denen u.
a. Rilke und Ringelnatz gehörten.
Junge Pläne, erste Liebe
Der Jugendliche, der sich eher durch exzentrisches Benehmen und ausgefallene Kleidung, als durch gute Schulleistungen auszeichnete, verließ 1938 die Realschule. Der Berufswunsch des 17-jährigen, er wollte Schauspieler werden, sorgte für Aufregung in der Familie. Seine Eltern waren mit dieser Berufswahl nicht einverstanden und überredeten ihren Sohn schließlich, eine Buchhändlerlehre bei der Firma Boysen in Hamburg anzutreten.
Trotz aller jugendlichen Zerrissenheit und Labilität, die der junge Borchert an den Tag legte, ließ ihm sein ursprünglicher Berufswunsch keine Ruhe.
Ohne Wissen der Eltern nahm er, neben seiner Buchhändlerausbildung, Schauspielunterricht.
1940 wird Borchert von der Gestapo verhaftet. Die Anschuldigungen, die gegen ihn vorgebracht wurden, erwiesen sich zwar als unhaltbar; doch nach diesem Vorfall erhielt Borchert Briefe, die offensichtlich von der Gestapo geöffnet und kontrolliert worden waren.
In seine Lehrzeit fielen auch Borcherts ersten Erfahrungen mit der Liebe; nacheinander verliebte er sich in ein Mädchen seines Alters und in eine ältere Schauspielerin. Doch der Jugendliche war zu sehr mit sich und seinem Traum, ein Künstler zu werden, beschäftigt.
Eine ernsthafte Beziehung entstand schließlich mit keiner der beiden Frauen.
Krieg
Die Schauspielprüfung legte Borchert vor einer Kommission der Reichstheaterkammer ab. Er bestand die Prüfung, brach die ungeliebte Buchhändlerlehre ab und nahm ab März 1941 bei der "Landesbühne Hannover" ein Engagement an.
Borchert, der persönliche Freiheit und Individualität in höchstem Maße wertschätzte und dem bürgerliche Wohlgeordnetheit und Harmonie widerstrebten, fühlte sich bei dem kleinen Reisetheater gut aufgehoben.
Die frisch geschlossene Freundschaft mit der Schauspielkollegin Heidi Boyes und die positiven Kritiken, die er für seine schauspielerischen Leistungen erhielt, ließen ihn Zuversicht schöpfen.
Aber seine glücklichste Zeit, wie er sie selbst nannte, sollte nicht lange dauern.
Im Juni 1941 wurde Borchert aus seinem selbstgewählten Leben herausgerissen, in die Wehrmacht einberufen und zum Panzergrenadier und Funker ausgebildet.
Während der Zeit in der Kaserne äußerte Borchert seine Wut und sein Entsetzen über die erniedrigenden Zustände und die gleichgeschalteten Uniformierten, in Briefen an seine Freunde in Hamburg.
"Ich empfinde die Kasernen als Zwingburgen des dritten Reiches."
Kurz darauf rückte seine Kompanie an die Ostfront, ins sowjetische Kalinin aus..
Dort wurde Wolfgang Borchert Augenzeuge der schweren und verlustreichen Schlachten, die, entgegen der nationalsozialistischen Propaganda und deren Siegesparolen, für die erfrierenden und verhungernden deutschen Soldaten in einer vernichtenden Niederlage endete.
"Als wir in den Güterzug kletterten, sie stanken nach Vieh, die Waggons, die blutroten, da wurden unsere Väter laut und lustig mit ihren Blei-Gesichtern und sie haben verzweifelt ihre Hüte geschwenkt.
Unsere Mütter verwischten mit buntfarbigen Tüchern ihre maßlose Trauer (...)"
Borcherts Gesundheitszustand war bereits durch erste Anfälle von Gelbsucht geschwächt, als er 1942 denunziert und beschuldigt wurde, sich durch Selbstverstümmelung (Borchert hatte eine Schussverletzung an der linken Hand) dem Wehrdienst entziehen zu wollen.
Im Untersuchungsgefängnis in Nürnberg ließ man den Kranken über drei Monate, in Einzelhaft, auf seine Verhandlung warten. Eine Verhandlung, von der Borchert wusste, dass sie entweder mit Freispruch oder Todesstrafe enden würde! Die Verhandlung endete zwar mit einem Freispruch; er musste jedoch in Untersuchungshaft bleiben, da weitere Anschuldigungen gegen ihn bestanden.
Wieder wurde dem 21jährigen der Prozess gemacht. Das Urteil des Naziregimes lautete schließlich: 6 Wochen verschärfte Haft mit anschließender "Frontbewährung", wegen "staatsgefährdender Äußerungen".
Die folgenden zwei Lebensjahre Borcherts waren geprägt von Standortwechseln und Fronteinsätzen unter härtesten Bedingungen. Im hart umkämpften Toropez, wurde er ohne Waffe, nur ausgestattet mit einer Leuchtpistole, in direkter Feindesnähe eingesetzt.
"Die Freiheit ist tot. Alle Freiheit.
Wohl haben wir unser inneres Reich - aber woran sollen wir noch glauben? (...) Da sitzen wir in Neros Mantel und singen - während alles versinkt und untergeht."
Borcherts Gesundheitszustand verschlechterte sich mehr und mehr. Weitere Gelbsuchtanfälle und Erfrierungen an den Füßen zwangen ihn mehrmals, sich in Lazaretten behandeln zu lassen.
Im September 1943 wurde ihm Heimaturlaub bewilligt.
Der Bombenkrieg, mit dem die Alliierten seit 1942 die Nazis zu stoppen suchten, hatte auch Hamburg nicht verschont. Borchert fand eine Stadt vor, die einige Tage zuvor erheblich zerstört worden war.
Es gab keine Ruhe in dieser Stadt und ihren Ruinen. Auch Wolfgang Borchert gönnte sich keine Ruhe. Er trat als Kabarettist im "Bronzekeller" auf, präsentierte dort Lieder und Brettlverse, u.
a. "Brief aus Russland", "Der Tausendfüßler".
Zu seiner Kompanie zurückgekehrt, sollte Borchert als Dienstuntauglich eingestuft und einem Fronttheater zugewiesen werden. Doch dazu kam es nicht. Borchert wurde abermals denunziert. Dieses mal wegen einer Parodie auf den "Reichsminister Dr.
Goebbels"
Die Verunglimpfung des Propagandaministers wurde als "Zersetzung der Wehrkraft " geahndet. Monatelange Untersuchungshaft und die Verurteilung durch das "Zentralgericht des Heeres" zu 9 Monaten Haftstrafe waren die Folge.
Im September 1944 folgte die Entlassung zur "Feindbewährung". Borchert wurde nach Jena beordert, musste seinen Dienst jedoch erst einige Wochen später antreten. Er verbrachte dort zunächst eine ruhige Zeit,. in der er sein Leben und seine Ziele rekapitulierte und sich mit der Frage nach Dichtung und Wahrheit jenseits des rein Ästhetischen auseinander setzte.
Der Gehalt und der Sinn von Kunst, Angesichts des Krieges und der Zerstörung, beschäftigten und bedrängten ihn. Auch begann er zu ahnen, das ihm für sein Lebenswerk nicht mehr viel Zeit zur Verfügung stehen würde.
"Allzu alt werde ich bei meiner Gesundheit kaum werden" (...) Ja, wenn ich wüsste, dass ich meine Arbeit bis zum 30.
Lebensjahr beendet haben müsste, oder ich würde sie nicht erreichen, so würde ich auch das auf mich nehmen. Lieber ganz gestorben und gelebt - als alt geworden und die Welt immer nur tropfenweise genossen."
Seine eigenen schweren Kriegs- und Hafterlebnisse ließ er zu jener Zeit jedoch literarisch unangetastet - der nächste Kriegseinsatz stand direkt bevor. "Helm ab Helm ab:- wir haben verloren"(...
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Borcherts Kompanie, die zu Beginn des Jahres 1945 noch zu den Kämpfen südlich des Mains beordert wurde, kapitulierte im März ohne Gegenwehr vor den französischen Truppen. Auf dem Transport in die Gefangenschaft gelang Borchert die Flucht - 600 schwere und gefährliche Kilometer legte der von Krankheit gezeichnete zu Fuß zurück, um seine Heimatstadt zu erreichen. Am 10. Mai kam der völlig Entkräftete in Hamburg bei seinen Eltern an.
Wolfgang Borchert versuchte bald, sein altes Leben wieder aufzunehmen. Im November gründete er das Hinterhoftheater "Die Komödie" mit.
Von Helmut Gmelin, seinem ehemaligen Schauspiellehrer, wurde er für ein Theaterstück als Regieassistent eingesetzt. Auch als Kabarettist trat er noch einige Male auf, unter enormer Anstrengung und mit ständigen Schmerzen. Gegen Ende 1945 fesselte ihn sein Leberleiden schließlich endgültig ans Bett.
Gegen die Zeit schreiben
Im Frühjahr 1946 folgte die Aufnahme in das Hamburger Elisabeth Krankenhaus. Die behandelnden Ärzte antizipierten, aufgrund des schweren Krankheitsverlaufes des 25jährigen, dass Wolfgang Borchert nur noch etwa ein Jahr zu Leben habe.
Ungeachtet dessen arbeitete Borchert, wann immer sein Zustand es ermöglichte.
24 Prosatexte vollendete er in jenem Jahr, u.a. "Die Hundeblume", in der die Erfahrungen der Gefangenschaft zu einem sich wiederholenden Ereignis (der tägliche Hofgang) verdichtet wurden.Auch seine Gedichtsammlung "Laterne, Nacht und Sterne" (Gedichte aus den Jahren 1940 - 1945) veröffentlichte er im gleichen Jahr.
Borchert entwickelte eine ambivalente Haltung seiner Krankheit gegenüber.
Er kämpfte gegen sie an, schöpfte zwischendurch Hoffnung doch noch zu gesunden und mochte auch von Besuchern und Freunden nicht über seine Krankheit befragt oder gar ihretwegen bemitleidet werden.
Gleichzeitig vermochte er sogar, auch diesem Leiden etwas positives abzugewinnen: "... wenn ich nicht ins Gefängnis gekommen wäre, hätte ich keine Hundeblume geschrieben - wenn ich nicht krank geworden wäre hätte ich überhaupt kein Wort geschrieben. Das Leben ist doppelseitig wie ein Fisch: Manchmal blinkert die Unterseite ganz silbrig."
Im Januar 1947 schrieb er schließlich das Schauspiel "Draußen vor der Tür".
Innerhalb weniger Tage erarbeitete er das Drama um den Kriegsheimkehrer "Beckmann", der keinen Platz mehr in der satten und vergessenden Nachkrieggesellschaft findet und dessen fragender Schrei:
"Gibt den keiner Antwort?Gibt keiner Antwort???Gibt denn keiner, keiner Antwort ???zum Schluss unbeantwortet bleibt.
Das Stück wurde bereits 3 Wochen später als Hörspiel gesendet und erwies sich sofort als ein sensationeller Publikumserfolg. Die Hörer nahmen Anteil und identifizierten sich mit diesem Stück.
Borchert schreibt, immer wieder von Fieberschüben geschüttelt, unbeirrt weiter.In den nächsten Monaten entstehen 22 weitere Erzählungen. Er gibt nicht nur seinen eigenen Erfahrungen Ausdruck, sondern denen einer ganzen Generation.
Seine Kurzgeschichten versetzen den Leser oftmals direkt in eine Situation hinein, beschreiben das Grauen der Zerstörung indirekt und Ausschnittweise, lassen Personen agieren, welche die größeren Zusammenhänge nicht verstehen oder nicht verstehen können (z.B.Kinder) .
Borcherts Leiden indes verschlimmerte sich weiter, so dass besorgte Freunde, trotz aller bürokratischen Hürden der Nachkriegszeit, eine spezielle Weiterbehandlung
in der Schweiz durchsetzten.
Gegen Ende September reiste der Kranke in das Clara- Spital nach Basel. Die erhoffte Verbesserung des Gesundheitszustandes blieb jedoch aus.
Der immer schwächer werdende Wolfgang Borchert erfuhr in den Wochen in Basel noch viel Anerkennung für seine Arbeiten durch Kritiker, Leser und Bewunderer. Doch er litt unter der Isolation als Deutscher, den man in dem Schweizer Krankenhaus mit dem besiegten Nazideutschland identifizierte. Auch dass ihm weder seine engsten Freunde noch seine Eltern besuchen und Beistand leisten konnten, betrübte ihn.
Im Oktober schrieb Borchert seine letzten Zeilen: Das Antikriegsmanifest "Dann gibt es nur eins!"
Am 20 November 1947 stirbt der Dichter in dem Baseler Krankenhaus, - einen Tag vor der Uraufführung seines Schauspiels "Draußen vor der Tür", in den Hamburger Kammerspielen.
Ein Mann, der einer belogenen und im Kriege verheizten Generation eine Stimme gab und den höchsten Preis dafür bezahlte: Sein Leben. Ein Werk, das aktuell ist und bleibt, solange es Machtmissbrauch und Krieg gibt.
Literatur:
Wolfgang Borchert, Das Gesamtwerk. Rowohlt Verlag, Reinbek, 1961
Wolfgang Borchert, Peter Rühmkorf, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek 1961
"Du, Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen - sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins: sag nein!
Du Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins: sag nein! ...
"Aus: "Dann gibt es nur eins!"
Dieser pazifistische Appell waren die letzten Worte, die der junge Dichter Wolfgang Borchert niederschrieb; die Worte eines Sechsundzwanzigjährigen, der, gezeichnet vom zweiten Weltkrieg, im Sterben lag. Wer war dieser Mensch, der den zerstörerischen Kräften solche mutigen, klaren Worte entgegenstemmte?
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