Woyzeck, interpretation 3. szene
In dem nur 28 Seiten umfassenden Drama "Woyzeck" von Georg Büchner geht es um den jungen, psychisch etwas labilen, aber "echt" und unverbogen gebliebenen Frisör Frank Woyzeck, der unterdrückt, dauernd aneckend und gebeutelt von der materialistischen Gesellschaft, unvermögend etwas an seiner Situation zu ändern, aus enttäuschter Liebe die Mutter seines Kindes, Marie, tötet.
Geschwächt durch medizinische Experimente, die er des Geldes wegen an sich durchführen lässt, umgeben von Leuten, die ihn nicht verstehen, sich über ihn belustigen, ihn gar nicht wahrnehmen oder verletzen fristet Franz sein relativ anspruchsloses und freudloses Dasein im Deutschland der Aufklärung und des Sturm und Drang. Sein einziger Halt in dieser Welt ist seine Geliebte Marie, mit der er ein Kind hat, aber nicht die finanziellen Möglichkeiten, sie zu heiraten. Somit wird ihr Zusammensein als unmoralisch von anderen aufgefasst.
Maries Leidenschaft hingegen für Franz hat stark abgenommen, auch ist sie etwas oberflächlich, eitel und selbstgerecht. Äußerlichkeiten, (vorgegebene) Bildung und Moral, die als Maßstäbe für den Stand in der Gesellschaft von Büchners Werk ins Groteske abgeführt ,und somit enttarnt werden sind auch für Marie verführerisch und wichtig.
Aufgrund dessen verfällt sie dem Tambourmajor, einem proletischen, wichtigtuerischen, aber starken und gutaussehenden Mann, ihr zwischendurch aufkommendes schlechtes Gewissen, mehr vor Gott als vor Woyzeck, versucht sie standhaft zu ignorieren und zu verheimlichen.Als Woyzeck davon erfährt, ist das tragische Ende unausweichlich...
In der 3. Szene ist von der Nebenhandlung mit einem Marktschreier und einem Ausrufer umrahmt, die Einführung der Handlung zwischen Marie und Tambourmajor dargestellt, indem der Tambourmajor Marie das erste Mal sieht und von ihrer attraktiven Erscheinung schwärmt.
Marie und Woyzeck befinden sich auf dem Marktplatz, wo eine Bude mit einem Marktschreier und einem Ausrufer aufgestellt ist.
Die Stimmung wirkt sehr subtil, eindeutige Gesellschaftskritik wird auch hier wieder ausgeübt.
Eingeleitet wird alles durch einen alten Mann, der zum Leierkasten singt, einem Kind das dazu tanzt, einer perfekten Groteske: die beiden scheinen offensichtlich zu feiern, singen jedoch wie in Weltuntergangsstimmung "Auf der Welt ist kein Bestand, Wir müssen alle sterben, das ist und wohlbekannt" (S.6, Z.11-14).
Marie und Woyzeck bemerken das wohl, und stimmen der destruktiven Einstellung zu.
("Ein Mensch muß auch der Narr von Verstand sein, damit er sagen kann: Narrisch Welt, schön Welt!" S. 6, Z.18-19) Das nicht gerade ideale Verhältnis wird deutlich, denn Marie lässt Woyzeck nicht einmal ausreden (.."Marie, soll ich dich..
.?")
Danach wird unvermittelt die Rede des Ausrufers eingefügt, in der er in einer sehr bildlichen und oft erst auf den zweiten Blick verständlichen Sprache, hämische Kritik an den herrschenden, gesellschaftlichen Verhältnissen übt.
Er vergleicht darin die privilegierten Schichten wie das Bürgertum mit dressierten Tieren ("...astronomische Pferd und die kleine Canaillevogel sind Liebling von alle Potentate (Machthaber) Europas.
." S. 6, Z.26), die nur durch Schein glänzen, aber keine wahren Qualitäten haben, womit sie sich vom einfachen Volk abheben und ihre Vorrechte begründen könnten.
Auch auf den Tambourmajor könnten man manches direkt beziehen, wie z.B.
"Sehen Sie jetzt die Kunst, geht aufrecht, hat Rock und Hosen, hat ein Säbel! Ho! Mach Compliment! So bist Baron! Gieb Kuß!" auf Seite 6 in den Zeilen 21-23, im Hinblick auf seine Uniform.
Auch deutet er mit der dauernden Wiederholung des Wortes Anfang( "man mackt Anfang vom Anfang" (S.7, Z. 6) )und dessen Synonymen das drohende Unheil, das durch die Begegnung von Marie und Tambourmajor hervorgerufen werden wird, an.
Als nächstes folgt, völlig unvermittelt auch wieder, die Unterhaltung zwischen Tambourmajor und Unteroffizier, die auch am Marktplatz anwesend sind.
Die zwei reden über die erspähte Marie, sie bewundern ihr Aussehen und klar ersichtlich ist die anziehende Wirkung von Marie auf den Tambourmajor.
("Halt, jetzt, siehst du sie! Was ein Weibsbild!"-Teufel, zum Fortpflanzen von Kürassierregimenter und zur Zucht von Tambourmajors!" S. 7, Z12)
Marie bemerkt das jedoch noch nicht, ist mehr angetan von der Pracht der Lichter auf dem Markt.
Woyzeck scheint es jedoch zu spüren, und sagt indirekt über den Tambourmajor, er sei ein "Sack voll schwarz Katze mit feurigen Augen" (S.7, Z.21), womit er sich auf den Vergleich Tier-Mensch des Ausrufers zurückbezieht und sarkastisch hinzufügt "Hey, was ein Abend" (S.7, Z.
22).
Als erneuter Einschub kommt nun die Rede des Marktschreiers. Dieser schließt sich darin der Aussage des Ausrufers an. Auch er kritisiert die oberflächlichen Zustände in der Gesellschaft und veralbert durch seine Kunststückchen mit seinem dressierten Pferd die begeisterte Zuschauerschaft, die ihn nicht wirklich verstehen und mitspielen ("Das muss ich sehn!" S.8, Z.15).
Er spricht sehr zynisch ("Beschäm die menschliche Societät!" S.7, Z.25) und aus seiner Sicht ist ein Studium, oder somit die allgemein anerkannte Bildung, die der Gesellschaft zu Moral und Tugend verhilft, nutzlos und unhaltbar, denn er vergleicht die Professoren mit seinem Pferd, und die Studenten würden bei ihnen "reiten und schlagen lernen" (S.7, Z. 28).
Auch er sieht die Menschen als dressiert an, und zeigt seine Haltung, wie ein Mensch sein sollte, ganz deutlich mit dem ironisch gemeinten Satz "Sehn Sie das Vieh, ist noch Natur, unideale Natur!", als das Pferd sich aufbäumt.
Unideal bedeutet in diesem Fall nämlich unverdorben. Weiter klar wird die Einstellung durch den unterschwelligen, weiteren Hieb auf die gebildeten im Satz "Fragen Sie den Arzt, es ist höchst schädlich!", bezogen auf die unverdorbene Natur.
Dieses "unverdorben" kann man auch wieder auf den Charakter des Woyzecks beziehen, der sich auch nicht anpasst, auf der Straße schnell läuft (was als ungehörig gilt) oder beispielsweise auch seine Gefühle zeigt. Somit ist der Marktschreier ebenfalls ein eindeutiger Gegner der materialistisch-idealen-gesellschaftlichen Verhältnisse.
Auch sagt er weiterhin "Mensch sey natürlich! Du bist geschaffe, Staub, Sand, Dreck!". Die drei Worte Staub, Sand und Dreck sind alles Endprodukte von irgendetwas, Abfall, nichts wert, hoffnungslos im Endstadium.
Genau wie in Szene 19 in dem Großmuttermärchen, einer Groteske des Grimm´schen Sterntalermärchens, wird auch hier an dieser Stelle die subtile, negative, endzeitliche Stimmung des ganzen Werkes besonders deutlich, Hoffnungslosigkeit, kein Genuß am Leben, Orientierungs- und Sinnlosigkeit, die Frage, ja sogar ob das Leben überhaupt einen Sinn hat, die sich unter den Menschen breit machte.
Also Funktion für den weiteren Verlauf des Dramas ist die Szene 3 der Anfang vom Ende.
Durch das erste Aufeinandertreffen von Marie und Tambourmajor, wird ihr späterer Tod durch Mord unausweichlich, denn Maries Eitelkeit und das Verlangen des Tambourmajors sind eine explosive Mischung, die für Woyzeck unerträglich ist
Des weiteren kann man sagen, dass sie, neben der 19. Szene und den Charakteren von Hauptmann und Doktor wohl die am deutlichsten gesellschaftskritische ist, in der Büchners ablehnende Einstellung gegenüber dem Weltbild der Aufklärung und Klassik besonders deutlich wird.
Er drückt in den Reden von Marktschreier und Ausrufer seine Sicht der Dinge im Bezug auf die Menschen, die nach dem idealen Weltbild leben und eine materialistische Gesellschaft errichtet haben, aus, er hält sie für verbogene, unechte Menschen die ihren Charakter durch "Dressur" bereits verloren haben, bringt die daraus aus seiner Sicht resultierende, traurige Situation und Haltung auf den Punkt.
Sie endet, wie sie beginnt.
..deprimierend.
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