Adalbert stifter - das sanfte gesetz
Adalbert Stifter und das „sanfte Gesetz“
Aus Stifters Leben
- *geb. 23.10.1805 in Österreich (in Oberplan, Böhmerwald)
- (verlor seinen Vater im Alter von 12 Jahren, seitdem bei den Großeltern aufgewachsen)
- durch Kindheit vom Bild der unberührten Natur geprägt
- Traum: Landschaftsmalerei (Erzählungen davon geprägt; in zahlreichen Bildern richtete Stifter immer wieder den Blick auf das Doppelgesicht der Natur: ihre Schönheit wie ihre Bedrohung für den Menschen -> Bild S.266)
- literarisches Vorbild: Jean Paul
- 1826-1830: unabgeschlossene Studien in Jura, Naturwissenschaften und Geschichte
- 1848: aufgrund revolutionärer Ereignisse Rückzug ins Privatleben (nach Linz)
- †gest. 28.
01.1868 in Linz (ob er Selbstmord beging ist unklar, es wird berichtet, dass er sich zwei Tage vor seinem Tode mit einer Rasierklinge die Halsschlagader aufschlitzte und daraufhin bis zu seinem Tode im Koma lag. Den Selbstmord beging er wohl aufgrund einer Leberkrankheit und schwerer Depressionen)
Wichtige Werke
- 1844-1850 Studien (Novellen)
- 1853 Bunte Steine (Erzählungen) (erschienen alle bis auf die Erzählung Katzensilber, die eigens für diese Sammlung entstanden ist, bereits in Zeitschriften)
- 1857 Nachsommer (Roman)
- 1865-1867 Witiko (Roman)
- (Studien/Bunte Steine: im Titel deutliche Bezüge zur Malerei zu finden)
Charakteristik von Stifters Werken
- Verbundenheit mit Landschaft und Kunst (insbesondere mit landschaftlich-künstlerischen Quellen seiner Heimat)
- Zusammenspiel von katholischer Erziehungs(- und Wirtschafts-)tradition mit josephinischer Aufklärung
- Fortwirken des Humanitätsgedanken im deutschen Idealismus (Herder)
- Vorbildhaftes klassischer und romantischer Dichtung (Goethe, Schiller, Tieck, JEAN PAUL)
- Zentrum seiner Erzählungen: wechselvolles Verhältnis von Mensch und Natur
Die Vorrede zu „Bunte Steine“ – Reaktion auf Kritik: das „Sanfte Gesetz“
- (Bunte Steine = Erzählsammlung, bestehend aus den Erzählungen: Granit, Kalkstein, Turmalin, Bergkristall, Katzensilber, Bergmilch → Erzählungen sollen Sammlung von Steinen darstellen)
- (Makro- und Mikrokosmos-Spekulation hauptsächlicher Gegenstand der Vorrede (das Große und das Kleine))
- (mehr noch:) Vorrede als Antwort auf Hebbels Epigramm von 1849
(→ Die alten Naturdichter und die neuen
Wißt ihr, warum euch die Käfer, die Butterblumen so glücken? Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die Sterne nicht seht!Schautet ihr tief in die Herzen, wie könntet ihr schwärmen für Käfer? Säht ihr das Sonnensystem, sagt doch, was wär' euch ein Strauß?Aber das mußte so sein; damit ihr das Kleine vortrefflich Liefertet, hat die Natur klug euch das Große entrückt.)
Hebbel
Stifter
• Charaktere und Situationen in seinen Dramen bis zur unfreiwilligen Selbstparodie verdichtet
• Darstellung des Allgemeinen durch das Beiläufige, Einfache, Alltägliche, Bescheidene, Unbedeutende
• entwirft in seinen Schauspielen ein Pandämonium der Gewalt
• alle Dinge mit Eigenrecht
• überreizte Intellektualität
• Sehen, Wahrnehmen, Beobachten mit ausgesprochener Langsamkeit bis Fülle der Dinge erschlossen
Beide wenig mit Revolution zu tun
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► sittliches Weltgesetz ► das „einzig Allgemeine“
- Hebbel über Stifter: „überschätztes Diminutiv-Talent“; Dichter des „Kommas im Frack“ (maßloser „Manierist“, der ausschließlich an dem Stil, die „aufs Breite und Breiteste angelegte Beschreibungsnatur glaubte)
- (Hebbel über den Nachsommer: Stifter nehme Adam und Eva als Leser an, da nur diese mit den Dingen unbekannt, die Stifter weitläufig und breit beschreibt; dagegen Nietzsche über Stifters Roman Nachsommer: vollkommenste deutsche Prosadichtung)
- (Stifters Deskriptionsprosa (Grund für Kritik) = minutiös, detailbesessen, umkreisend, entschleunigt; Langsamkeit der Beschreibungen bei Stifter als Kunstmittel und nicht Mangel an Spannung; Entstehung der Dramatik aus scheinbar Unwesentlichem und Nebensächlichem;
- Stifter nach Fertigstellung von „Bunte Steine“: „Was dem Leser das Einfachste und Natürlichste scheint, ist das Werk der größten Kunst und Sorgfalt, wer es anders meint, der versteht von Kunst und ihren Hervorbringungen nichts“
- Motiv Stifters: Gehen durch die Natur, Ausrichtung des Blickes und das Innehalten; augenfällig dabei: unspektakuläre, meist unbemerkt gebliebene Ereignisse und Gegenstände → Stifters welt- und menschenerhaltendes Prinzip: „conservatio mundi“)
→ Entwicklung des „sanften Gesetzes“ (von Stifter): „Nicht im Sensationellen liegt das, was Natur und Menschen erhält, sondern im langsamen Wachsen und stetigen Werden“ (in Wirksamkeit des sanften Gesetztes empfindet Mensch das Erhabene „wie es sich überall in die Seele senkt, wo durch unmessbar große Kräfte in der Zeit oder im Raume auf ein gestaltvolles vernunftgemäßes Ganzes zusammen gewirkt wird“ (S. 11))
→ Naturgesetz ↔ Sittengesetz (was für „äußere Natur gilt, soll nun auch für die innere Natur „des menschlichen Geschlechtes gelten“; parallelisiert Naturgesetze und Sittengesetze; Gerechtigkeit, Einfachheit, Selbstbeherrschung, Verstandesklugheit, sozialer Sinn und Schönheitssinn, Mäßigung gelten als groß, während Affekte als klein bewertet werden, z.B.
Wutausbrüche, da nur „Hervorbringungen einzelner und einseitiger Kräfte“ (S. 10))
► Kernstelle: „So wie in der Natur die allgemeinen Gesetze still und unaufhörlich wirken, und das Auffällige nur eine einzelne Äußerung dieser Gesetze ist, so wirkt das Sittengesetz still und seelenbelebend durch den unendlichen Verkehr der Menschen mit Menschen, und die Wunder des Augenblickes bei vorgefallenen Taten sind nur kleine Merkmale dieser allgemeinen Kraft. So ist dieses Gesetz, so wie das der Natur das welterhaltende ist, das menschenerhaltende“ (S. 12)
- Bedeutung des Natur- und Sittengesetzes: Allgemeinheit, nicht isolierte, einseitige Zustände (der Natur oder des Handelns)
- (Hauptsächlich: „gewöhnliche alltägliche in Unzahl wiederkehrende Handlungen der Menschen, in denen dieses Gesetz [das Sittengesetz] am sichersten als Schwerpunkt liegt, weil diese Handlungen die dauernden die gründenden sind, gleichsam die Millionen Wurzelfasern des Baumes des Lebens“ (S. 12))
- Würde und menschen- und welterhaltender Charakter des Kleinen (da: Ausdruck des Allgemeinen und Ganzen der Welt ist und dadurch das Große, wie die Schrift Gottes in der Schöpfung: „Das Wehen der Luft das Rieseln des Wassers das Wachsen der Getreide das Wogen des Meeres das Grünen der Erde das Glänzen des Himmels das Schimmern der Gestirne halte ich für groß“ (S. 8), da sich dieses überall in der Welt ereignet, immer gleichmäßig als Zug des Lebens in der Natur; dagegen: massive Vorkommnisse wie Gewitter, Blitz, Sturm oder Erdbeben als klein betrachtet, da lediglich für kurze Zeit irgendwo ganz flüchtig und als isolierte Erscheinungen auftretend, zwar eindrücklicher und augenfälliger, aber den Makel der Vereinzelung nicht tilgen können: „Sie kommen auf einzelnen Stellen vor und sind Ergebnisse einseitiger Ursachen“ (S.
8))
- das Sanfte Gesetz als Antwort auf die Revolution 1848:(die Enge der abgeschlossenen Welt, der Friede,) die Stille der bescheidenen Alltäglich in den Erzählungen der „Bunten Steine“ im Gegensatz zu Aufruhr und Umwälzungen (die im dramatischen Naturgeschehen vor sich gehen) (Einbruch des Ungeordneten, Leidenschaftlichen oder Katastrophalen in die geordnete Wirklichkeit der Idylle kommt in Stifters Erzählungen wiederholt vor; möchte mit sanftem Gesetz vor allem Fragilität in den Beziehungen des Lebens ausgleichen)
„Bergkristall“ – Eine Erzählung aus „Bunte Steine“
- (bekannteste Erzählung Stifters → Verfilmung; zunächst: „Der Heilige Abend“, erschien schon 1845 in der Zeitschrift „Die Gegenwart“)
- (Stifter selbst über den Bergkristall: „Hätte ich nur zum Bergkristall, der durch die Revision erst einen Schliff bekommen hat, nur die Möglichkeit, in späterer Zeit ihn noch einmal zu reinigen und zu fassen, bei allen Himmelsmächten, ich bilde mir ein, er könnte noch ein Diamant werden.“)
Inhalt
Die beiden Alpendörfer Gschaid und Millsdorf liegen in Einsamkeit, gekennzeichnet durch Kontinuität und Tradition. Getrennt werden sie durch den Berg „Gars“. Über diesen Berg hinweg, heiratet der Schuster von Gschaid die Färbertochter aus Millsdorf, welche zu ihrem Gatten zieht und die beiden Kinder Konrad und Susanna zur Welt bringt. Lange Zeit ziehen die Großeltern der Kinder aus Millsdorf über das Gebirge, doch mit zunehmendem Alter wird dies immer beschwerlicher. Aus diesem Grund besuchen die Kinder nun ihre Großeltern in Millsdorf, wo sowohl die Kinder als auch deren Mutter als Fremde behandelt werden.
Zu Heilig Abend besuchen Konrad und Sanna wieder die Großeltern in Millsdorf, wo sie aufgrund der kürzeren und kälteren Tage schon früh wieder nach Hause geschickt werden. Zunächst zeigt sich der Weg noch als problemlos, doch mit zunehmendem Schneetreiben und schlechter werdenden Sehverhältnissen, verlaufen sich die beiden und erreichen nicht einmal mehr die Unglückssäule, die als Orientierungspunkt und Wegweiser fungiert.
So verlaufen sich die beiden in einer Höhle und können nur durch die Sachen, die sie von ihrer Großmutter erhalten hatten, überleben.
Am nächsten Tag können die beiden ihren Weg wiederfinden und stoßen dabei auf die Bewohner beider Dörfer, die sich auf den Weg gemacht hatten, um die Geschwister zu finden.
charakteristisch bei „Bergkristall“ als Stifters Werk
- ausführliche Beschreibungen der Umgebung, der Sitten und Bräuche und insbesondere der Natur nach Manier des „sanften Gesetzes“
- Darstellung von Bedrohungen und Katastrophen, Angst und Isolierung (wie so oft bei Stifter) durch Finsternis, Gewitter, Verlust des Sehens (bei Bergkristall: weiße Wand während des Schneegestöbers, die Ausblick auf Landschaft verhindert)
- wie auch bei „Granit“ und „Katzensilber“: Kinder als Protagonisten
- Gefährdung des Menschen durch innere und äußere schreckliche Dinge (Erzählungen von „Bunte Steine“ handelt von Ausnahmezuständen: Pest (Granit); Schneefall (Bergkristall); Krieg (Bergmilch); Feuersbrunst (Katzensilber); Ehebruch (Turmalin))
- akustische und optische Signale (Glockenläuten, Krachen des Eises, Nordlicht/Sternenglanz)
- symbolische Zeichen: umgestürzte Unglückssäule (höherer Fingerzeig oder Ausbleiben des Windes)
- Beschreibung einzelner Naturbereiche aus verschiedenen Perspektiven (Nähe – Ferne; makroskopischer Blick – mikroskopischen Blick)
Interpretation
„Bergkristall“ ist nicht nur eine Erzählung, die als Musterbeispiel für das „sanfte Gesetz“ gelten kann, sondern auch eine Geschichte über die soziale Ordnung innerhalb des gesellschaftlichen und familiären Lebens. Die Dörfer Gschaid und Millsdorf bilden zwei in dich abgeschlossene soziale Körper mit stabiler Lebensordnung, in der die Dörfer als soziale Mutterleiber fungieren, deren Ordnung durch Leidenschaft und Maßlosigkeit bedroht wird (verdeutlicht durch ausschweifende Jugend des Schusters).
Eine Destabilisierung der Dorfwelt erfolgt durch die chaotischen Naturgewalten, die dafür schuld sind, dass (Orientierung verloren geht und) Rangordnungen zerstört werden (zum ersten Mal: Sanna: „Nein!“, bewirkt einen Riss im Verhältnis der beiden Kinder; auch soziale Folgen: Rettungswerk am Heiligen Abend führt zur endgültigen Integration in die Gemeinschaft). Stifter entwarf dieses Bild einer abgeschlossenen Dorfwelt vor dem zeitgenössischen Hintergrund des Vormärzes (Dorf als sozialer Mutterlieb, geschützt durch unantastbare Gültigkeit altbewährter Vorschriften und selbstverständlicher religiöser Anschauungen).
Theologisch zeigt sich, dass Stifter in Bergkristall die das Fest der Geburt Jesu, das am Abend des Verschwindens gefeiert wird, mit dem österlichen Auferstehungsfest verknüpft, was im Wiederfinden der beiden Kinder gespiegelt wird. Auch erleben die Kinder in ihrer Isolation von der Dorfgemeinschaft parallel in der Natur das, was die Dorfbewohner am Heiligen Abend sehen, hören und feiern. Bei Stifter wird das Weihnachtsereignis, die Geburt des Erlösers, also zur Erfahrung der letzten, der spirituellen und metaphysischen Geborgenheit.
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