Eine moritat
            
Kurzbiographie
  Will Self wurde 1959 in London geboren.
  Für den Erzählband "The Quantity Theory of Insanity" (bisher nicht auf Deutsch
  erschienen) wurde er 1992 für den John Llewellyn Rhys Prize nominiert, erhielt 1993 den
  Geoffrey Faber Memorial Prize und kam im selben Jahr mit 19 Kollegen auf die alle zehn
  Jahre neu erstellte Liste der "Best young British novelists". 
  Werke
  Auf Deutsch bisher erschienen:
  Cock & Bull (Ein Rührstück und
  eine Posse, 1995)
  Spaß. (Eine Moritat, 1997)
   
  "An einem Ort, der kein Ort ist, und
  in einer Zeit, die keine Zeit ist, habe ich meine Kindheit verbracht. An einem Ort, der
  gemeißelt und umrissen war vom wogenden Grün des Meeres und in einer Zeit, die nie
  Zeitlichkeit war, sondern immer Jetzt."
  Ian Wharton wächst ohne Vater (ein ehemals
  erfolgreicher Marketingexperte, der seine Frau plötzlich verlassen hat) bei seiner Mutter
  auf, die einen Wohnwagenpark in Saltdean betreut.
 Als Ian etwa elf Jahre alt ist,
  verbringt ein gewisser Mr. Broadhurst, ein unvorstellbar dicker, auffällig gekleideter
  und mit ungewöhnlich weitschweifender Rhetorik gesegneter Gentleman, erstmals die
  Wintermonate in diesem Park. Mit dem Beginn der jährlichen Besuche dieses Mannes setzt
  auch der wirtschaftliche Aufschwung des Wohnwagenparks ein, verbunden mit dem
  gesellschaftlichen und finanziellen Aufstieg Ians Mutter  "Aus dem Mittagessen
  wurde Lunch und aus dem Abendessen Diner." 
  Zu dieser Zeit etwa bemerkt Ian seine
  besonderen eidetischen Fähigkeiten; er besitzt nicht nur ein fotografisches Gedächtnis,
  sondern kann sich in den so erworbenen oder selbst geschaffenen Bildern (Räumen) frei
  bewegen, in sie gedanklich eindringen und so Plätze betrachten, die er visuell nicht
  wahrgenommen hat. Mr. Broadhurst erfährt von der Ians Eidetik, spricht ihn darauf an und
  bietet ihm an, um seiner Erziehung willen "das Portefeuille seines Könnens einen
  Spaltbreit zu öffnen".
 So beginnt Ians Lehrzeit bei Mr. Broadhurst, "so begann
  [...] mein eigentliches Leben", wobei sich bald dessen wahre Meisterschaft in
  eidetischen Angelegenheiten herausstellt. Dieser "Faustische Pakt" ist Anlaß
  für Mr.
 Broadhurst fortan von Ian "Der Dicke Kontrolleur" genannt werden zu
  wollen. 
  Durch seine Bekanntschaft mit dem Dicken
  Kontrolleur eröffnet sich Ian eine Welt des Schreckens und der Grausamkeit; obwohl auch
  Ian selbst hin und wieder zum mißhandelten Subjekt wird, betrachtet ihn sein Meister als
  Adepten und lehrt ihn die Grundzüge seiner immoralistischen Weltanschauung. Nichtige
  "Vergehen" werden vom Dicken Kontrolleur mit der Todesstrafe geahndet; so
  ersticht er eine Frau während eines Theaterbesuchs, weil sie es gewagt hat, ihm seine
  geräuschvolle Nahrungsaufnahme in einem Restaurant vorzuwerfen. Dieser Mord geschieht
  fast beiläufig, er erscheint gewöhnlich und selbstverständlich - freilich versteht es
  Mr. Broadhurst, die Polizei zu täuschen, die konstatiert, daß "gewisse Aspekte des
  Todes dieser Frau zwar ungewöhnlich seien, daß eine Straftat aber nicht in Betracht
  gezogen werde."
  Ians Interesse für Produkte und
  Verkaufsstrategien resultiert in einem Management- und Marketingstudium.
 Während seines
  Studiums lernt er June Richards kennen, eine junge Frau mit großem Interesse an
  Verkaufsstrategien; doch bevor sich eine engere Beziehung bilden kann, greift Mr.
  Boradhurst ein, verhindert die sich anbahnende Freundschaft (mittels seiner magischen
  Fähigkeiten) und verbietet Ian unter Zuhilfenahme harter Drohungen, in Zukunft
  Freundschaften zu schließen. Dennoch verblaßt die Figur des Dicken Kontrolleurs
  allmählich, da Ian ihn immer seltener und schließlich gar nicht mehr zu sehen bekommt.
  Einige Jahre vergehen und Ian glaubt jetzt, sich diesen Mann nur eingebildet zu haben, er
  glaubt an eine komplexe Selbsttäuschung, der er durch die Abwesenheit des Vaters in
  seiner Kindheit erlegen sei; er glaubt, Mr. Broadhurst mit so finsterer und umfassender
  Macht ausgestattet zu haben, um den chronischen Mangel an einem richtigen Rollenmodell zu
  kompensieren. Diese Zweifel an der Existenz seines ehemaligen Lehrmeisters lösen aber
  nicht die Ängste, die dieser durch seine Drohungen ausgelöst hatte; Ians Isolierung von
  der Gesellschaft und seine Kontaktunfähigkeit wird letztlich von einem besorgten Dozenten
  bemerkt, der ihm in einem Gespräch rät, den Psychiater Dr.
 Hieronymus Gyggle
  aufzusuchen. Dr. Gyggle erfährt von Ians eidetischen Fähigkeiten, die er mittels
  "Computer-Visualisierungs-Programmen" zu erforschen versucht, und schließlich
  auch von Mr. Broadhurst, den er für eine Erfindung Ians hält und die er ihm (vergeblich)
  durch eine Tiefschlaftherapie austreiben will. 
  Diese tagelang dauernden
  Tiefschlafsitzungen führen Ian in eine ganz spezielle Traumwelt, in das Land der
  Kinderwitze, die immer wieder mit der Realität verschmilzt. Er trifft dort nicht nur Dr.
 
  Gyggle wieder, sondern auch den Dicken Kontrolleur, die Ian gemeinsam davon überzeugen,
  daß alle Morde und Grausamkeiten Mr. Broadhursts in Wirklichkeit er selbst begangen habe,
  daß sie diese Dinge vertuscht hätten, weil bei ihm die Abteilung Selbstkontrolle
  chronisch unterentwickelt sei. So sehr Ian dies zuerst überrascht, so unerschütterlich
  fest glaubt er es bald; er glaubt, sogar Spaß an seinen Eskapaden gehabt zu haben.
  Analog zu seiner psychiatrischen Behandlung
  im Lurie Foundation Hospital verläuft Ians Beziehung zu Jane Carter; es ist seine erste
  Freundschaft mit einer Frau seit dem Verbot des Dicken Kontrolleurs - und dieser gewährt
  sie. So heiraten Ian und Jane binnen weniger Monate, der Grausame und die Sensible. 
  Jane erwartet ein Kind, und Ian ahnt die
  Geburt eines Monsters, eines neuen Dicken Kontrolleurs (bewirkt durch eine Genmanipulation
  Mr.
 Broadhursts) - weshalb er nur einen Ausweg sieht: er wird Jane verlassen, sie damit
  zur Abtreibung zwingen, und sich in New York niederlassen. 
  
  "Dies ist [...] das Resultat meines
  Lebens, das ruhige Vorstadthaus, die liebende, mir vertrauende Frau und ich, der ich [..
.]
  weiß, daß ich in Kürze das alles niederreißen und sie dabei zerreißen werde.
  Beharrlich habe ich diesen Augenblick [...] ersehnt.
 Es ist schön und gut sich zu
  berauschen, indem man Leute quält, sie schändet, ihnen unbeschreibliches Leid zufügt,
  aber wenn sie einen nicht einmal kennen, ist das eigentlich nicht viel wert."
  
  Plot
  Die Insel Sodor und die
  Lokomotivenmenschen
  Gordon, Henry, Edward, James  diese
  vermenschlichten Dampflokomotiven und ihr Dicker Kontrolleur sind in Großbritannien und
  in großen Teilen der englisch-sprechenden Welt bei Kindern und Erwachsenen sehr bekannt
  und, dank Merchandising, auf Tassen, Handtüchern, Schulmappen etc. so allgegenwärtig wie
  Mickey Mouse oder Superman. Es sind Figuren aus Geschichten, die The Reverend W. Andry,
  ein anglikanischer Pfarrer, eigentlich für seinen masernkranken Sohn Christopher schrieb
  und die ab 1946 in Form von illustrierten Kinderbüchern einer breiteren Öffentlichkeit
  bekannt wurden. Inzwischen gibt es 38 dieser bebilderten Eisenbahnabenteuer, die letzten
  bereits von Sohn Christopher verfaßt, eine Fernsehserie und Videos.
 Obwohl in Stil,
  Graphik und Weltsicht nicht mehr unbedingt modern, gehören sie noch immer zur britischen
  Kinder- und Alltagskultur.
  Die Geschichten folgen dem bewährten
  Strickmuster aller antropomorphisierenden Märchen: Auf der Insel Sodor, einem fiktiven
  Land, das aber nach Geographie und Kultur nur zum britischen Inselreich gehören kann,
  erleben die Lokomotivenmenschen, Dampfloks unterschiedlicher Größe und Stärke, also
  verschiedenen Alters und Charakters, mit freundlichen Gesichtern auf der Front ihrer
  Kessel, diverse interessant-alltägliche Abenteuer unter der Oberaufsicht des Dicken
  Kontrolleurs, einem der wenigen echten Menschen in diesen Geschichten und einer Figur,
  die, so der Biograph des Reverend, Brian Sibley, "für die Lokomotiven [...] einen
  ehrfurchterregenden, gottähnlichen Status hat, mit der Macht zu strafen und zu
  belohnen".
  Will Self bedient sich also aus einem
  Bilderfundus, der jedem Briten aus seiner Kindheit präsent ist, er beschwört
  Erinnerungen herauf an die heile Welt dieser Geschichten und pervertiert diese, denn The
  Reverend Andrys Dicker Kontrolleur ist bei ihm kein gütig führender Gott mehr, sondern
  der tückisch verführende Teufel.
  Thema
  "Spaß" ist eine Satire auf die
  moderne Konsumgesellschaft und ein Rundumschlag gegen sämtliche vermeintlich positiven
  Errungenschaften unserer Zivilisation, indem ständig negative Auswirkungen dieser
  Errungenschaften das Bild bestimmen. 
  Motive
  Realität oder Einbildung?
  "Der Dicke Kontrolleur zwang mir
  die Schlußfolgerung auf, daß der Anschein immer und in jeder Hinsicht trügt."
   
  Es gibt in diesem Buch keine exakte
  Trennlinie zwischen Wirklichkeit und Einbildung; die einzige Instanz, die diese ziehen
  könnte, ist Ian selbst - dieser scheint jedoch selbst nicht urteilsfähig. Er kann nicht
  einmal entscheiden, ob Der Dicke Kontrolleur tatsächlich existiert - oder ob zwar Mr.
  Broadhurst (der Wintergast des Wohnwagenparks) existiert, der Dicke Kontrolleur aber (der
  diese Bezeichnung fordert und gräßliche Morde begeht) ein Produkt Ians Einbildung ist.
  Selbst die eidetischen Fähigkeiten, die sich Ian zuschreibt, könnten nur in
  beschränktem Maß vorhanden sein - so versagt er bei einigen Tests Dr.
 Gyggles
  jämmerlich, obwohl er sie zuvor für lächerlich einfach hält. 
  Zu Beginn scheint alles eindeutig: Mr.
  Broadhurst kümmert sich um den jungen Ian und freundet sich mit dessen Mutter an; er
  scheint ein ziemlich gewöhnlicher, freundlicher Mann zu sein. Im selben Maß, wie die
  Beziehung zwischen Ian und Mr. Broadhurst enger wird, wird dieser Mann unheimlicher;
  niemand weiß, wo er die Sommermonate verbringt, er betreibt alchemistische Experimente,
  er kann Gedanken lesen etc. Ians Kontakt mit einer Außenwelt jenseits der Sphäre Mr.
  Broadhursts verschwindet beinahe völlig. Das ändert sich jedoch, als Ian zu studieren
  beginnt. Seine Unterhaltungen mit dem Psychiater Dr. Gyggle scheinen zu helfen, obwohl
  sich seine soziale Situation nicht wesentlich ändert - er glaubt aber an einen Erfolg, da
  er seine Beschäftigung mit dem Wesen von Produkten sowie mit Marketingstrategien als
  äußerst "wirklichkeitsverbunden" empfindet, Produkte sind für ihn die
  Realität schlechthin. In dieser Zeit zweifelt er an der Existenz eines "Dicken
  Kontrolleurs", kann sich aber nicht ganz von der Vorstellung lösen. Hier scheint die
  Figur des Dicken Kontrolleurs eindeutig eine ehemalige Einbildung Ians zu sein, alles
  spricht gegen ihre Existenz.
 
  Doch gerade in dem Augenblick, als sich
  alles eindeutig aufgelöst zu haben scheint, bricht alles wieder ein, indem Ians
  Lehrmeister aus dem Nichts wieder auftaucht. Die Ebenen überlagern sich, Ians Träume
  verschmelzen mit der Wirklichkeit, der Dicke Kontrolleur und Dr. Gyggle (der bisher Ian
  dessen Existenz ausreden wollte) treten als Verbündete gemeinsam auf. Ian selbst hält
  alles für wahr, an die Möglichkeit einer Einbildung denkt er nicht mehr - er wird
  vollends zum Schüler des Dicken Kontrolleurs, ihre Welten vereinigen sich und am Ende
  geht Ian selbst als Dicker Kontrolleur hervor - - oder ist alles nur Einbildung? Hat weder
  er, noch Mr. Broadhurst diese Morde, diese Grausamkeiten begangen? Ist Ian Wharton nur ein
  gewöhnlicher Bürger, der sich seine nächtlichen Eskapaden nur einbildet? Es gibt darauf
  keine Antwort. 
  "Wirklichkeit  du kannst sie
  lieben, du kannst sie hassen, aber du kommst nicht ohne sie aus.
"
  Das Böse
  Der Roman zeichnet das Bild einer Welt, in
  der Bosheit notwendig ist, um nicht verrückt zu werden oder psychisch zugrunde zu gehen.
  Der Dicke Kontrolleur fungiert als Symbol für das Böse, Jane Carter hingegen
  symbolisiert den gegensätzlichen Pol, der für Liebe, Sensibilität und Empfindsamkeit
  steht. Letzterer Pol kann aber in seiner ursprünglichen, eigentlichen Form nicht
  existieren; die Welt wird so vom Konkurrenzdenken der Menschen, vom Kampf der Firmen um
  Marktanteile, vom Kampf des einzelnen gegen den Rest der Welt bestimmt, daß sein
  Vorhandensein unmöglich ist. Übrig bleiben nur noch fast unsichtbare Anspielung auf
  etwas wie Liebe, vor dem Hintergrund einer kranken, gestörten Realität. 
  Das Böse hingegen, mit dem Dicken
  Kontrolleur als gewichtigen Führer, erstrahlt in voller Blüte. Wer sich diesem Pol
  nähert, kann sein Leben mit Genuß und Gewinn meistern.
 Auf der Grundlage eines
  "gesunden" Egozentrismus steht es jedem frei, so zu handeln, wie es gerade
  beliebt - diese Lebenseinstellung gipfelt im programmatischen Ausspruch des Dicken
  Kontrolleurs: "Wenn ich töten will, töte ich."
   
  Marketing
  "Geld ist nur eine extreme und
  spezialisierte Form des Rituals." (Mary Douglas)
  Die in annähernd regelmäßigen Abständen
  eingestreuten Marketing-Satiren bilden die eigentliche Kernkritik des Romans am Zustand
  unserer Welt. An absurden Beispielen wird vorgeführt, wie unbedeutende Produkte durch
  gezielte Werbemaßnahmen derart propagiert werden, daß sie trotz ihrer sinnfälligen
  Funktionslosigkeit zu Verkaufsschlagern werden. 
  Zusätzlich wird die Leere des
  Gefühlslebens der im Marketingbereich Angestellten angeprangert; diese Leere kompensieren
  sie durch immer härteres und härteres Arbeiten. "Ihre Kleinhirne waren [.
..] zu
  eisgekühlten Präsentationsgondeln geworden, zum Überquellen voll mit tiefgefrorenen
  Gedankenartikeln. Ihr Innenleben war eine Inszenierung, in der Ziele, Sehnsüchte, Träume
  und moralische Verwirrungen nichts als Product Placements waren, die um ihren bezahlten
  Auftritt im Sucher des Bewußtseins stritten. [..
.] Sie unterteilten sich innerlich in
  sozio-ökonomisch klassifizierbare Kleingruppen positiv denkender Homunkuli, die gezwungen
  waren, spekulative Feldforschung zu betreiben, in Brainstorming-Sitzungen Phänomene zu
  analysieren und sich dann die krude Demonstration der nächsten Kleinen Idee
  anzuhören."
  Die wissenschaftliche Anschauung von
  "Marketing", mit der es möglich wird "in einer Welt von so
  offensichtlicher Irrationalität eine vorhersagetaugliche Quantifizierung der
  Kaufentscheidung" der Konsumenten zu geben, wandelt sich zu einer religiösen
  Sichtweise - Marketing wird eine Weltanschauung, in der das Produkt eine zentrale Stellung
  einnimmt. Angestellte im Marketingbereich entwickeln einen unerschütterlichen Glauben an
  ein Produkt, egal um welches es sich handelt; Ian selbst erfaßt das "Universum der
  Produkte als primäres Konstrukt, als eine Raum-Zeit-Konfiguration, der sich das
  allgemeine Bewußtsein aufpfropft". Er ist davon überzeugt, daß die Gemeinsamkeit
  stiftende Kraft von Produkten stärker ist, als die der Sprache, des Fernsehens, der
  Religion, der Partei, der Familie, der Heimat, der Rache, der Macht, stärker als die
  "aller Parameter, die benutzt wurden zur Definition des zunehmend beliebigen
  Charakters der Hütten, aus denen das globale Dorf besteht."
  Auf den Straßen kommt es zu
  "Schauspielen unentrinnbaren Kommerzes" - wohin man blickt, werden Schecks
  unterschrieben, Kreditkartenformulare und Bestellzettel ausgefüllt etc.
 "Es war,
  als hätte der Tausch die Sprache als primäre Kommunikationsform ersetzt und die Leute
  verkauften aneinander, um an ein paar Worte zu kommen."
  Gewalt
  "Die Finger fuhren in Bob Pinners
  Augen und zerquetschten die Äpfel, so daß die Flüssigkeit herausspritzte. Sie stießen
  weiter, die zerfetzten Netzhäute auf den Kuppen, folgten den gewundenen Tentakeln der
  Sehnerven und stachen direkt in Pinners Hirn. Er war tot in weniger als einer Sekunde,
  aber im letzten Viertel davon litt er mehr Schmerzen, als Sie sich je vorstellen können,
  und in der vorletzten Viertelsekunde mehr Furcht und Todesangst, als Sie sich je ersinnen
  können, auch wenn Sie allein in einem dunklen Zimmer liegen und kühl und rational über
  das Grauen nachdenken, das die Zukunft womöglich für sie bereithält - für Sie
  allein."
  Beschreibungen von grausamer
  Gewaltanwendung und Brutalität durchziehen das gesamte Werk. Sie betonen meist psychische
  Extremsituationen, in die Ian Wharton getrieben wird.
 Daß er zu so skrupelloser Gewalt
  neigt, ist nicht selbstverschuldet, sondern eine Reaktion auf die gefühlskalte Welt, der
  er gegenübersteht. Er kann dem nicht mit Liebe begegnen, sondern antwortet mit
  erbarmungsloser Brutalität. 
  Zeiten der Reue sind selten, meist spricht
  Ian von einem Riesenspaß, den er daran hätte, Menschen und Tiere zu quälen oder töten.
  - "Es gibt so wenig echte Ekstase in der modernen Gesellschaft - warum sollte ich
  mich meiner kleinen Fehltritte schämen, wo doch der Welt soviel sinnloses Leid
  aufgezwungen wird, und das von Leuten, die nicht einmal die Möglichkeit haben, es zu
  genießen?"
   
  Spaß
  "Wir sind wie Kokser oder
  chronische Masturbatoren, nicht? Versuchen, aus einem an sich hohlen und mechanischen
  Vorgang das letzte Quentchen Ekstase herauszupressen [...
] und wir spüren nichts. Nicht
  gerade nichts, Schlimmeres als nichts, wir spüren ein Flackern oder Prickeln, das
  sinnliche Äquivalent eines retinalen Nachbilds. Das ist jetzt unser Spaß, nicht der
  Spaß selbst, nur eine müde Anspielung darauf."
  Schon die paradoxe Nebeneinanderstellung
  der Worte "Spaß" und "Moritat" im Titel des Romans zeugt der
  zentralen Bedeutung dieser Verbindung in diesem Buch. 
  Ian Wharton erweist sich als unfähig,
  Spaß auf herkömmliche Weise zu empfinden. Für ihn gibt es Spaß nur mehr in
  sadistischer Gewaltanwendung.
 Spaß existiert nicht mehr in einer Gemeinschaftsform, Spaß
  ist individuelles Vergnügen, absolutes Auskosten der eigenen Macht - am besten auf
  möglichst hohen Kosten möglichst vieler anderer. Ian kann echten Spaß nur noch in
  Extremsituationen empfinden, er spricht von "Holocausts en miniature". So
  geschieht die schon nicht mehr groteske, sondern schreckliche Vereinigung von Spaß und
  Gewalt. 
   
  
  "Ich habe mir tausendmal
  eingeschärft, nicht entsetzt zu sein, aber jedesmal bin ich wieder entsetzt darüber, was
  Leute tun, um Spaß zu haben, aus Gründen, die sie nicht erklären können." (Isaac
  Bashevis Singer)
  
  Fetter Körperbau
  "Ohne die Polsterung des
  Embonpoints ist der Körper nichts als eine skelettale Spiralfeder, die einem jeden
  Augenblick die eigene Sterblichkeit entgegenschleudern kann."
   
  Angesichts des Äußeren der einzelnen
  Figuren, könnte man meinen, der Grad an Bosheit einer Figur sei direkt proportional zu
  deren Körpergewicht.
 Ungeschlagen an der Spitze steht der Dicke Kontrolleur, dessen Brust
  einem Faß und dessen Kopf und Glieder fünf kleineren Fässern ähneln. Seine Kompaktheit
  beruht auf "vergrößerten Organen, die ihn vollständig ausfüllten, ein Doppelherz
  wie ein Kompressor, eine Leber von der Größe und dem Gewicht eines Medizinballs und
  Meter um Meter feuerwehrschlauchdicker Gedärme" . Ähnlich verhält es
  sich mit Ian Wharton, während Jane Carter hier wieder einen Gegenpol darstellt. 
  Schauplatz (Milieu)
  Saltdean
  Ians Eltern hatten sich nach seiner Geburt
  in Saltdean auf einer Klippe (Cliff Top) niedergelassen und dort einen Wohnwagenpark
  gegründet. "Ich sage Klippe, aber eigentlich war es ein monströses Rasenstück
  [..
.]. Auf dem Rasenstück saßen die miteinander verwachsenen Stadtlandschaften der
  beiden Seebäder Saltdean und Peacehaven. Dahinter lag die Hügelkette der South
  Downs."
  "Es war eine Landschaft [..
.], wo
  alles, was provisorisch aussah, in Wahrheit von Dauer war, und allem, was dauerhaft
  aussah, bereits der Abriß bevorstand."
  Milieu
  "In einem Zimmer die Junkies und im
  anderen die Marketingspezialisten. Oberflächlich betrachtet ein ziemlicher Gegensatz,
  aber im Grunde genommen sind beide mit derselben Sache beschäftigt -"
   
  Ein Großteil der vorkommenden Personen
  sind exzentrisch veranlagt, gesellschaftliche Außenseiter oder leiden an psychischen
  Störungen. Angestellte im Marketingbereich erscheinen besonders abnorm und sind fast
  schon als Karikaturen zu verstehen. 
  Ians Mutter bildet insofern eine Ausnahme,
  als sie durch ihren plötzlichen Reichtum (durch den Aufschwung ihres Wohnwagenparks) eine
  angesehene Person und damit in das gesellschaftliche Leben integriert wurde.
 Ian macht
  schon früh Bekanntschaft mit solchen Klassifizierungen - "Die Gesellschaft meiner
  neuen Schule, wie die des gesamten provinziellen England, war so erbarmungslos kodifiziert
  und stratifiziert, daß ich mir einen Menschen nicht vorstellen konnte, dessen Herkunft
  und emotionaler Stellenwert nicht eindeutig feststanden."
  Figuren
  Ian Wharton
  "[Es] wird mir klar, daß mein
  Leben nichts anderes gewesen ist als ein langatmiger Filmvorspann, und daß die dürftige
  Charakterisierung genau das war, was der Regisseur für einen Statisten wie mich
  wollte."
  Ian Wharton, die zentrale Figur des Romans,
  sieht sich selbst als gespaltene Persönlichkeit. Mit scheinbarer Leichtigkeit entscheidet
  er über Wirklichkeit und Einbildung, denn für ihn ist "alles nur eine Frage des
  Willens". 
  Wenn er es wünscht, nimmt er den Dicken
  Kontrolleur als real an; er sieht sich dann als den aktiven Partner in ihrer Beziehung,
  als denjenigen, der Mr. Broadhurst überredet hat, ihn in die dunklen Künste
  einzuführen, als den unbarmherzigen Mörder.
 "Über fünf Jahre lang gab es keine
  Woche ohne eine meiner Eskapaden. Morde, Mißhandlungen, Kindesentführungen, Überfälle,
  willkürliche Erpressungen, es gab nichts, was ich nicht versuchte." Das alles nur
  aus Lust am Verletzen, nur um Spaß zu haben, denn "es gibt so wenig echte Ekstase in
  der modernen Gesellschaft - warum sollte ich mich meiner kleinen Fehltritte schämen, wo
  doch der Welt soviel sinnloses Leid aufgezwungen wird, und das von Leuten, die nicht
  einmal die Möglichkeit haben, es zu genießen?" 
  Wenn Ian jedoch an seine Eskapaden nicht
  glauben will, verschwindet das Wissen darum aus seinem Gedächtnis. "Ach, und dann
  traf der Faultank auf die Umwälzpumpe, ich wurde ängstlich, schuldbewußt und gehetzt.
  Mehr als besorgt um meine geistige Gesundheit. War ich vielleicht wirklich eine
  Borderline-Persönlichkeit [.
..]?"
  Damit bleibt Ian stets nur die Wahl, böse
  oder verrückt zu sein - eine andere Lösung gibt es nicht.
  Ian entscheidet sich für die Bosheit; er
  nähert sich im Lauf seiner Entwicklung konsequent einem Höchstmaß an Bosheit und
  Grausamkeit an (das gipfelt am Ende des Romans vorläufig mit der psychischen Gewalt an
  seiner Frau, die er im Stich läßt), wobei die Figur des Dicken Kontrolleurs als Endziel
  angesehen werden kann, nach dem er strebt - der Dicke Kontrolleur ist das personifizierte
  Böse, der Teufel.
  Dabei erscheint Ian anfangs als passiver
  Protagonist, der vom Dicken Kontrolleur geleitet wird - ob der tatsächlich existiert oder
  ob er eine Erfindung Ians ist, mit dessen Hilfe er anfängliche Schuldgefühle und Zweifel
  an seiner Brutalität verdrängt, ist bedeutungslos. Wesentlich ist seine Entwicklung vom
  unschuldigen Volksschüler zum konsequenten Sadisten.
  Der Leser wird zu dazu gedrängt, Ian als
  gesellschaftsuntüchtigen Ausnahmefall zu sehen, sogar die Selbstzeugnisse Ians fördern
  eine solche Einschätzung: "Schließlich ist meine Identität vermikularer Aufwurf,
  meine Seele von Würmern zerfressen." Und doch kann man sich zu keiner vollständigen
  Verurteilung durchringen; sein Handeln wird, wenn schon nicht ganz verständlich, so doch
  ein wenig erklärlich durch sein soziales Umfeld, seine Isolation von der Gesellschaft und
  seine Beziehung zum Dicken Kontrolleur - er kennt keine Freundschaft. Zu Menschen hat er
  kaum Kontakt, er flüchtet sich in die begreifliche Welt der Produkte, beschäftigt sich
  mit Marketingtheorien - er meint selbst: "Dinge hatten mich immer mehr interessiert,
  viel mehr als Menschen."
  Aus dieser Perspektive besehen, wirkt es
  überraschend menschlich, wenn er darlegt: "Ich mag getötet haben, ich mag
  gequält haben, ich mag Ungeheuerliches begangen haben, aber es hat auch mir weh getan.
  Nicht so sehr, wie es meinen Opfern weh getan hat, das gebe ich zu, aber es hat mir weh
  getan. Ich fühlte es ihnen nach [.
..] allen und jedem." 
  Der Dicke Kontrolleur (alias Mr.
  Broadhurst alias Samuel Northcliffe)
  "Es ist wichtig, daß du den
  bestimmten Artikel und das Attribut großschreibst - auch in Gedanken -, verstehst du
  mich?" 
  Der Magus des Alltäglichen, Brahman des
  Banalen, Dharmakaya des Drögen, Tieresias der Transmigration, Vajrasattva der Verlorenen
  Seelen bzw. der Manitu der Malefizienz, um nur eine kleine Auswahl aus seinen bevorzugten
  Selbstbezeichnungen zu geben, betrachtet sich als einen der größten Rhetoriker aller
  Zeiten (seltener als Gandolf des Galimathias), während andere ihn eher als
  "Beelzebub des Blabla" ansehen - derart ironische Anspielungen aber in seiner
  Gegenwart zu wagen, könnte lebensgefährlich werden, denn er duldet keine noch so feinen
  Angriffe gegen seine Person.
 
  Über Identität dieses Mannes ist wenig
  bekannt - oder zuviel, denn er ist nicht nur der unfaßbar dicke Mr. Broadhurst, der jeden
  Winter in Saltdean verbringt und dort als freiwilliger Helfer in einem Blindenheim
  lobenswerte Arbeit verrichtet, sondern auch Samuel Northcliffe, ein milliardenschwerer
  Geschäftsmann, dem, schenkt man den Zeitungen Glauben, schon fast die halbe Welt gehört
  - und er ist auch der Dicke Kontrolleur, das Gestalt angenommene Böse. Als solcher
  verfügt er über scheinbar unglaubliche Fähigkeiten, er kann Gedanken lesen, er ist ein
  Meister der schwarzen Magie - er läßt Menschen erstarren oder verschwinden, wie es ihm
  beliebt. Sein meisterhaftes Gedächtnis und seine herausragenden eidetischen Fähigkeiten,
  die Ians bei weitem übertreffen, scheinen angesichts dessen fast nebensächlich. Daß
  seine Finger keine Abdrücke hinterlassen, ist bezeichnend für ihn - trotz seiner
  unzähligen Vergehen ist gegen ihn noch niemals ein Verdacht gehegt worden. 
  Wer ihm das Rauchen verbietet, wird
  kurzerhand erschlagen; trotz seiner Körperfülle bereitet es ihm keine Schwierigkeiten,
  ein Opfer mit fast geschmeidigen Bewegungen zu fassen oder zu erdrosseln.
 Prinzipiell
  überlebt keiner, der es wagt, den Manitu der Malefizienz zu beleidigen oder kritisieren -
  wie er meint, berechtigt, denn "die Menschen sind nicht alle gleich" Vor dem
  Mord an einer Frau erklärt er Ian: "Ihre moralische Verantwortlichkeit entspricht
  nicht der unseren, und deshalb besitzt sie auch nicht dieselben Rechte." - Er selbst
  sei nämlich "im Besitz von Kräften, die dem Mann von der Straße ehrfurchterregend,
  übermenschlich, vielleicht sogar gottgleich erscheinen mögen. Natürlich geht mit diesen
  Kräften ein erhöhtes moralisches Bewußtsein einher." - Dennoch gilt als Grundsatz:
  "Wenn ich töten will, töte ich."
  Ian - Der Dicke Kontrolleur
  "Und was ist mit diesem Mann?
  Dem großen, dicken Mann, der all den Maschinen sagt, was sie zu tun haben? Wie heißt
  der, Ian? - Dig-ga Kor-rol-lä! Dig-ga Kor-rol-lä! Ich schwelgte in
  diesen Silben. Ich trällerte und schrie sie.
"
  Wenn Ian meint, er sei "des Satans
  Schüler", so liegt er damit ganz richtig. Doch der Dicke Kontrolleur ist nicht nur
  sein Lehrmeister und Mentor, sondern auch ein Vaterersatz. Sowohl Ian, als auch der Dicke
  Kontrolleur sind sich dessen bewußt - letzteren erfüllt die Vorstellung zwar nicht mit
  Freude, allerdings verspürt er, wie er Ian mitteilt, wie jeder biologische Vater, das
  Bedürfnis, sein Vermächtnis weiterzugeben. Seine Wahl fiel auf Ian, weil diesen seine
  Eidetik, seine ungewöhnliche Fähigkeit zur mentalen Bilderzeugung, vor allen anderen
  Kandidaten auszeichnete. 
  Der Dicke Kontrolleur vergleicht sich
  ständig mit Ians leiblichen Vater, den er für einen "nichtswürdigen Essener, eine
  klösterliche Null [hält], die kaum zum armseligsten Kontakt zu seinen Mitmenschen fähig
  ist." Er gibt aber nicht nur Ians Vater, sondern auch seiner eigenen Einflußnahme
  die Schuld dafür, daß Ian sich in einer isolierten Lage befindet, ausgeschlossen von der
  normalen Gesellschaft: "Hätte ich auch nur einen Funken Verantwortungsgefühl, wäre
  allein schon dieser Faktor ein gewichtiges Argument für meinen Rückzug".
   
  Jane Carter
  "Das Trauma war über sie gekommen
  wie der Inkubus selbst."
  Jane Carter bildet den Gegenpol zum Dicken
  Kontrolleur. Sie ist eine ungewöhnlich sensible Person, die an der Alltagsbrutaltität
  der Welt scheitert - schon in der Kindheit wird sie von ihrem Bruder unterdrückt,
  gedemütigt und enttäuscht, ohne daß dieser bemerkt, wie sehr er sie dadurch zerstört.
  Aus ihr wird eine "attraktive junge Frau, keine auffallende Schönheit, denn das
  hätte bei ihr zu unzweckmäßigen Komplexen geführt." Zurückhaltung und
  Bescheidenheit bestimmen ihr Handeln, sie bleibt stets passiv. 
  In ihr schlummert die potentielle Macht,
  Ian von seinem Bosheitswahn zu befreien, die sie allerdings nicht nutzen kann.
 Sie wird
  gehemmt durch negative Umwelteinflüsse, durch die Janes Leben zu einer Aneinanderreihung
  von traumatischen Erlebnissen gestaltet wird. In ruhigeren Zeiten droht sie in tödlicher
  Melancholie zu versinken und leidet an Minderwertigkeitskomplexen. Ebenso wie Ian ist sie
  isoliert von jedweder Gesellschaft, allein ihre Arbeit in einem Wollgeschäft bringt ihr
  Befriedigung - sie flüchtet sich ins Stricken, Häkeln, Sticken und Weben, wie Ian in die
  heile Welt der Produkte, des Marketings. 
  Erzählform - Erzählperspektive
  Der Roman ist in zwei Teile getrennt, wobei
  der erste Teil in der Ichform aus der Sicht Ian Whartons, der zweite Teil in der dritten
  Person geschrieben ist. Daß dieser formale Wechsel mit dem Inhalt korreliert, bezeugt die
  Abkehr vom Seelenleben des Protagonisten zugunsten eines handlungsbetonteren zweiten Teils
  - "Denn jetzt, Ian Wharton, jetzt, da du nicht mehr Subjekt dieser Moritat bist,
  sondern nur noch ihr Objekt, jetzt, da du nur noch ein unproduktives Atom bist, das aus
  dem Fenster einer Produkt-Monade starrt, jetzt, da du bist, wo ich dich haben will, jetzt
  laß das Spektakel beginnen."
  Die Identität des übergeordneten
  Erzählers, der hier spricht, bleibt im Dunkeln; der eigentliche Erzähler des ersten
  Teils ist Ian selbst.
 Dabei wendet er sich relativ oft an den Leser, eingangs bezeugt er,
  ein "großer Befürworter der Publikumsbeteiligung" zu sein, die allerdings erst
  ganz am Ende wieder aufgegriffen wird: "Was wollen Sie? Ach ja, Ihre Gelegenheit zum
  Mitmachen, wie dumm von mir, das hätte ich fast vergessen ..." - Diese Beteiligung
  des Lesers beschränkt sich jetzt aber darauf, den Fortgang Ians Lebens im Kopf zu
  entwerfen und betont somit lediglich den offenen Schluß.
  Der Leser wird von Ian nicht richtig ernst
  genommen, als "kleinmütiger, zögerlicher, gegen dunkle Suaden verschlossener
  Leser" eingestuft und nicht selten beleidigt. Der Erzähler fühlt sich überlegen
  und warnt zu Beginn vor der Gewalt seiner Erzählung: "Ich werde nicht in der Lage
  sein, Ihnen an diesem Ort zu helfen, und, wenn ich das sagen darf, will es auch gar
  nicht.
"
  Auch das eigene Schreiben wird hin und
  wieder thematisiert, meist selbstkritisch und die Metaphorik des Textes unterstützend -
  "Die Zeit ist ein zerfleddertes altes Akkordeon, mißbraucht von einem besoffenen
  Straßenmusikanten; glücklos schnauft es ein und aus, drängt Ereignisse eng zusammen und
  zieht sie dann wieder weit auseinander. Und natürlich ist die Zeit auch wie diese
  Metapher, formelhaft, flach, schlecht durchdacht."
  Persönliches Leseerlebnis
  Zugang
  Will Selfs "erster richtiger
  Roman" wurde in einigen Feuilletons als "Faust der neunziger Jahre"
  gepriesen, was mich dazu veranlaßte, dieses Buch zu lesen. Außer einigen vagen
  Inhaltsangaben und wenigen zitierten Textstellen war mir nichts darüber bekannt; auch
  konnte ich leider keine detaillierteren Informationen über den Autor auftreiben, obwohl
  er kürzlich in Österreich eine Lesung hielt. 
  Wirkung
  Der Roman wirkt vor allem durch seine
  radikale Ausdrucksweise, er schockiert stellenweise sogar. Die Schilderungen von
  blutverklebten Kleinkindern, die freudig mit Rasiermessern spielen, oder detailverliebte
  Beschreibungen von Gewalttaten zielen auf Schockwirkungen im Leser; ob dieses
  schonungslose Darstellen tatsächlich notwendig ist, scheint zweitrangig - die
  extremistische Schreibart selbst dominiert das Bild.
 
  Wertung
  Nach dem ersten Lesen war ich versucht mit
  den Worten Ian Whartons zu sagen: "Es war eine Menge Spaß - nur nicht, was ich mir
  drunter vorstelle." Der Autor schien primär um jeden Preis radikal wirken zu wollen,
  ich mußte mich erst an seine Ausdrucksweise gewöhnen. Während ich mich dann aber näher
  mit dem Roman auseinandersetzte, fand ich immer mehr Ansatzpunkte für eine tiefergehende
  Interpretation - "Spaß" offenbarte sich mir nicht nur als Satire auf die
  Konsumgesellschaft, sondern auch als Satire auf etliche andere Teilgebiete unserer
  modernen Welt. Hinter der Fassade aus detaillierter Gewaltdarstellung verbirgt sich die
  Satire, der "Spaß" - aber gerade durch das Vorhandensein dieser abstoßenden
  Fassade bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Hier zu lachen, würde bedeuten, die
  Probleme nicht ernst zu nehmen. 
  "Spaß" hält in diesem Sinn
  nicht, was der Titel verspricht.
 Aber trotz des pessimistischen, beklemmenden Grundtenors
  stecken auch viele eindeutig humoristische Teile darin.
				  
				  
					
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