Franz innerhofer - schöne tage, schattseite, die großen wörter - trilogie ( beta version )
Franz Innerhofer - Schöne Tage, Schattseite, Die großen Wörter - Trilogie
Franz Innerhofer wird am 2. Mai 1944 in Krimml bei Salzburg als unehelicher Sohn einer Landarbeiterin geboren. Mit sechs Jahren kommt er auf den Bauernhof seines Vaters, wo er von 1950 bis 1961 leben und arbeiten muss. Anschließend absolviert er eine Schmiedelehre,bis er zum Militärdienst einberufen wird. Ab 1966 besucht er das Gymnasium für Berufstätige und studiert einige Semester Germanistik und Anglistik an der Universität in Salzburg.
Zu Schreiben beginnt Innerhofer nach einer schweren Identitätskrise, die ihm sein Studium (Germanistik und Anglistik in Salzburg) abbrechen ließ.
Innerhofer lebt von 1973-1980 als freiberuflicher Schriftsteller in Salzburg, Orvieto, Paris oder vor allem in Arni bei Zürich. Danach übt er verschiedene Tätigkeiten, unter anderem auf einer Bauhütte und im Buchhandel, aus.
Bekannt wird Innerhofer in den 70er Jahren mit seiner Romantrilogie "Schöne Tage" (1974), "Schattseite" (1975) und "Die großen Wörter" (1977), einer autobiografisch geprägten Überlebensliteratur in der damals neuen realistischen Erzähltradition, die den verlogenen idyllischen Heimatklischees den Spiegel der bedrückenden Wirklichkeit entgegen hält.
Es wird von einer fremden Welt, in die der Bub Holl gestoßen wird und die vom Autor an einer Stelle als ein "Bauern-KZ" bezeichnet wird, erzählt.
Als ungeheuerlich empfindet man, dass in Österreichs Provinz bis hinauf in die 60er Jahre Zustände wie die von Innerhofer beschriebenen herrschen konnten. Noch dazu, wo man gerade dabei ist, solche und ähnliche Landstriche als Feriendomizil zu entdecken.
Tröstlich ist aber die Tatsache, dass der Autor mit der Niederschrift seines Buches den Schrecken nunmehr bereits hinter sich gelassen zu haben scheint. Das passt nicht schlecht zur gesellschaftlichen Aufbruchstimmung der frühen 70er Jahre, in der man soziale Durchlässigkeit fördert und preist. Die Gestalt des Schriftstellers passt obendrein ins Bild, die großen Hände und die eher "klobige" Erscheinung Innerhofers bleiben nicht unbemerkt, in zahlreichen Artikeln wird auf das "exotisch anmutende Aussehen" hingewiesen. In einem Interview merkt Innerhofer selbst eher verstohlen an, dass seine Hände durch das viele Schreiben nun bereits wieder etwas kleiner geworden seien.
Am Ende seines Lebens wird der Alkohol mehr und mehr zum Problem.
1993 erscheint sein letzter Roman "Um die Wette leben", 6 Jahre später versucht er mit der Sozialstudie "Das rechte Murufer" (1999), die im Grazer Rotlichtmilieu angesiedelt ist, eine Wiederkehr als Schriftsteller, doch diese fällt eher mäßig aus.
Um den 19. 1. 2002 herum nimmt sich Franz Innerhofer in Graz im Alter von 57 Jahren das Leben.
Franz Innerhofer erhält im Laufe seines Lebens verschiedene Preise:
1973 Staatsstipendium des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur
1974 Sandoz-Preis für Literatur des Sandoz-Forschungsinstituts Wien
1975 Literaturpreis der freien Hansestadt Bremen
1975 Rauriser Literturpreis des Landes Salzburg
1982 Buchprämie des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst
1993 Literaturpreis des Landes Steiermark
1993 Literaturpreis der Salzburger Wirtschaft
Franz Innerhofer bringt mit seinen Werken "sprachloses Leiden" zur Sprache. Er berichtet von sich und denen, die wie er leben und arbeiten mussten und wie er und diese anderen Menschen darunter beziehungsweise unter den herrschenden Bedingungen gelitten haben.
Er hatte die Worte wie das Brennholz eingesammelt, um der sprachlosen Wut, der ohnmächtigen Empörung und dem stummen Leiden einen Namen zu geben.
Er beschreibt in der Figur Holl sein Dasein als Leibeigener auf dem Bauernhof seines eigenen Vaters. Elf Jahre lang ist er Knecht, dann Lehrling, Arbeiter, Abendschüler und Student.
Allein die Tatsache, dass ein "Leibeigener", der es geschafft hatte, Arbeiter zu werden und schließlich sogar Student, allmählich die Worte findet, seine eigene Geschichte aufzuschreiben, ist großartig. Das Material, das Innerhofer in seines Texten verarbeitet hat, ist sein eigenes Leben.
"Schöne Tage"
Innerhofer ist wie Holl, die Figur seiner Romane, als Sohn einer Landarbeiterin in der Nähe von Salzburg geboren, unehelich. Mit sechs Jahren wird er auf den Hof seines Vaters gesteckt, weil ihn seine Mutter und der Stiefvater nicht mehr durchbringen können.
Elf Jahre lebt er dort als Knecht, als "Leibeigener". Und "lebt", das heißt hier einzig und allein "arbeiten", obwohl noch ein Kind, muss er von Sonnenaufgang weg bis in die späten Abendstunden ländliche Arbeit vollbringen. Holl begreift anfangs nicht, wie ihm geschieht, es kommt ihm alles wie eine fremde Welt vor.
Schon der erste Satz spricht es an: "Der Pflege einer kinderlosen Frau entrissen, sah Holl sich plötzlich in eine fremde Welt gestellt." Die fremde Welt, in die der Bub gestoßen und die vom Autor an einer Stelle als ein "Bauern-KZ" bezeichnet wird, bleibt ihm bis zum Schluss fremd. Brutal wirft sie das sechsjährige Kind nieder und lässt es elf Jahre lang nicht mehr zum Vorschein, geschweige denn zu Wort kommen.
Jeglicher Willkür seines Vaters wehrlos ausgesetzt, von den Kindern und seinen Halbgeschwistern als Knecht gedemütigt, von den Knechten als Bauernsohn verachtet, ist Holl der letzte Dreck, gerade gut genug zum Arbeiten, wobei Leben und Arbeiten unmittelbar eins sind.
Das sprachlose Kind, einfach Holl genannt, ohne Vornamen, hat sich seine Identität im direkten Sinn des Wortes, der Not und dem Zwang folgend, erarbeitet. Sein Leben ist die bäuerliche Arbeit.
Frühmorgens breitet die Stiefmutter in der Stube vor den versammelten Mägden und Tagwerkern Holls bettgenässtes Leintuch aus, Holl steht daneben, vergeht vor Scham und ist erst am Nachmittag wieder fähig, den Leuten in das Gesicht zu sehen. Im Winter klebt er mit der Zunge an einem Eisengeländer fest und wird brutal weggerissen, was eine blutende Zunge zur Folge hat. Später macht Holl daraus eine Art Sport, indem er versucht, möglichst lange in der nunmehr absichtlich herbeigeführten Stellung auszuharren.
Auch die anfängliche Angst vor einem Pferd ist dem Vater völlig unverständlich, mit Ohrfeigen treibt er den Jungen zu den ausschlagenden Hufen zurück.
Allmählich zeigt die strenge Erziehung Holls seine Wirkung, er beginnt sich unterzuordnen, schließlich hat er keine andere Wahl.
"Einmal wurde Holl vor dem Haus von einem Lastwagen niedergestoßen. Er lag mit Hautabschürfungen auf der Straße, anstatt hervorzukriechen, kroch er noch tiefer unter den Wagen hinein."
Als Holl in die Schule kommt, erhofft er sich durch die dazugekommenen Hausaufgaben eine Erlösung von der harten bäuerlichen Arbeit, doch diese tritt nicht ein, so muss Holl seine Aufgaben in der Früh nach den morgendlichen Arbeiten erledigen, sofern er überhaupt die Gelegenheit dazu hat.
Infolge dessen wird er immer wieder mit Nachsitzen bestraft, da ihm die Lehrer nicht glauben, dass er zuhause so hart arbeiten muss.
Dieses Nachsitzen hingegen nimmt ihm der Vater nicht ab, er sieht darin einen Versuch Holls, sich vor der Arbeit zu drücken.
Doch auch die anderen Knechte und Mägde des Hofes werden nicht gerade gut behandelt.
"Die Dienstboten und Leibeigenen wurden, sobald einer den Kopf aus der finsteren Dachkammer reckte, sofort in die Finsternis zurückgetrieben. Jahraus, jahrein wurden sie um die Kost über die grelle Landschaft gehetzt, wo sie sich tagein, tagaus bis zum Grabrand vorarbeiteten, aufschrien und hineinpurzelten. Mit Brotklumpen und Suppen zog man sie auf, mit Fußtritten trieb man sie an, bis sie nur mehr essen und trinken konnten, mit Gebeten und Predigten knebelte man sie. Es hat Bauernaufstände gegeben, aber keine Aufstände der Dienstboten, obwohl diese mit geringen Abweichungen überall den gleichen Bedingungen ausgesetzt waren.
Ein Kasten und das Notwendigste zum Anziehen waren ihre ganze Habe. Die Kinder, die bei den heimlichen Liebschaften auf Strohsäcken und Heustöcken entstanden, wurden von den Bauern sofort wieder zu Dienstboten gemacht. Die Dienstboten wussten um ihr Elend, aber sie hatten keine Worte, keine Sprache, um es auszudrücken, und vor allem keinen Ort, um sich zu versammeln. Alles, was nicht Arbeit war, wurde heimlich gemacht. Man hatte es so eingerichtet, dass die Dienstboten einander nur mit den Augen, mit Anspielungen und mit Handgriffen verständigen konnten. Wenn irgendwo im Freien eine Magd beim Jausnen von einem Knecht das Taschenmesser nahm, konnten die anderen mit Gewissheit annehmen, dass er noch am selben Abend bei ihr im Bett lag.
"
Am Beispiel des Knechts Moritz sieht man eine weitere Person, die auf dem Hof von Holls Vater ein Leben der vergebenen Möglichkeiten führt und die von diesem Hof bis zum Tode nicht mehr wegkommt. Moritz sagt nicht viel und wird für die niedrigsten Arbeiten eingesetzt, in ihm schlummert aber ein ungeahntes Talent eines begnadeten Uhrmachers, der bis spät in die Nacht die kaputten Uhren des ganzen Tales repariert. Auch neue Uhren kann man bei Moritz bestellen, viele tun es auch, weil er die Rabatte direkt an seine Kunden weitergibt, ohne für sich auch nur einen Schilling zu nehmen. Aufgrund der zahlreichen Bestellungen wird man beim Großhändler auf Moritz aufmerksam und eines Tages beschließt man gar, den "lieben Geschäftspartner" zu besuchen. Eine Frau, die im Dorf einen florierenden Uhrmacherladen vermutet hat, taucht nach langer Suche am Hof auf, watet mit ihren Stöckelschuhen durch den Dreck, kann die Situation nicht fassen und verschwindet schließlich wieder.
Im Zuge der immer mehr fortschreitenden Technisierung der Landwirtschaft macht sich Holl notgedrungen mit den Maschinen, die Stück für Stück auf dem Hof angeschafft werden, vertraut und schließlich ist er der einzige, der wirklich etwas davon versteht.
Das einseitige Abhängigkeitsverhältnis beginnt sich in ein wechselseitiges zu ändern. Das bloße Objekt, in fremden Händen, arbeitet sich langsam frei, aus Holl wird allmählich Franz Holl, eine Person mit dem Recht auf (s)einen eigenen Namen.
"Arbeiten, das Beherrschen von Arbeitsgängen und das Lernen und Beherrschen von Arbeitsgängen und der völlige Verzicht auf sich selbst waren das Um und Auf. Dazu gehörte das Bescheidwissen, das Wissen um jedes Gerät, das Wissen um alle Aufbewahrungsorte, im Haus, in den Geräteschuppen um das Haus, auf dem Zulehen auf den Almen, das Im-Kopf-haben von Grundstückslagen, von Hängen, Nocken, Steinen, Pfützen, Gräben, das Im-Kopf-Haben von Viehbeständen, das Wissen um Viehverhalten, um Mensch-Vieh und um Vieh-Mensch-Verhalten."
Nur indem Holl gelernt hat in der ärgsten Sommerhitze, Nachmittag für Nachmittag, den übelsten Launen ausgesetzt, barfuß die schwierigsten Situationen zu meistern, ist es ihm nun möglich, trotz Arbeit etwas Licht in seine Welt zu bringen.
"Schöne Tage" endet mit dem Weggang Holls vom Hof des Vaters und dem Antreten einer Schlosserlehre, die der 17-jährige Holl wie eine Befreiung erlebt.
Ein ähnliches Gefühl hatte er während seiner langen Knechtschaft nur ein einziges Mal gehabt. Eine Aushilfsköchin hatte am Hof viele kleine Protesthandlungen gesetzt und dem Vater schließlich offen widersprochen. "Holl wäre am liebsten in die Frau gesprungen, um neu aus ihr herausschlüpfen zu können".
Mit dem Weggang vom Hof kehrt für Holl eine gewisse Freiheit zurück.
Trotz des klaren zeitlichen Einschnitts am Ende nimmt "Schöne Tage" in gewisser Weise alle weiteren Bücher des Autors vorweg. Im Maß seines Gelingens als literarisches Werk zeigt der Roman, dass aus Holl mittlerweile ein "ganzer" Schriftsteller geworden ist.
Dieser grundlegenden Spannung hinken die nachfolgenden Bücher hinterher. In "Schattseite" und "Die großen Wörter" wird der Lebensweg vom Lehrling zum Schriftsteller nachgezeichnet.
Nach Meinung der meisten Kritiker ging es nach "Schöne Tage" mit Innerhofers Werken erst graduell und schließlich abrupt bergab.
Die Erzählung "Der Emporkömmling" (1982) und der Roman "Um die Wette leben" (1993), in denen sich der Autor mit seiner Existenz als Schriftsteller beziehungsweise mit der Weigerung, eine solche Existenz zu führen, auseinandersetzt, wurden kaum mehr mit Sorgfalt gelesen. Zu massiv stand damals und steht bis heute das gute Ende der "Schönen Tage" im Raum, nämlich die Tatsache, dass man sich allein durch die Kraft des Wortes von einer noch so schlimmen Lebensgeschichte befreien kann. Das Drama von Innerhofers Literatur (und auch das Drama von Innerhofers Leben) besteht darin, dass man dem Autor nach "Schöne Tage" einfach nichts mehr geglaubt hat und zwar deshalb, weil man so sehr an die therapeutische Vision der "Schönen Tage" glaubte.
Der Gedanke, der in seinem ersten Werk steckt und der in ihm zu einem Mythos wurde, ist zwar verführerisch, aber grundlegend falsch. Die eigene Lebensgeschichte gut beschrieben zu haben, bedeutet noch lange nicht, mit ihr fertig geworden zu sein. Genau das hat Innerhofer in seinen späteren Büchern gesagt und durch seinen Selbstmord auch verdeutlicht.
"Schattseite"
"Schattseite", der zweite Roman, setzt an, wo die "Schönen Tage" enden. Der Eindruck des ersten Buches, das den exotisch anmutenden Zug der ländlich-alpinen Idylle zerstört und die grausame Brutalität eines "gemütlichen Knechtschaftsverhältnisses" (Marx) enthüllt, verdankt sich einem erzählerischen Kunstgriff. Innerhofer schreibt in der dritten Person.
Er schafft sich damit den Abstand, der zwar kaum denkbar erscheint, jedoch notwendig ist, um das ganze sprachlose Elend zur Sprache zu bringen. Erst durch diesen Kunstgriff konnte es ihm gelingen, eine eben vermittelte Unmittelbarkeit zu erzeugen. Mit dem Wechsel der Erzählerhaltung in der "Schattseite", von der dritten zur ersten Person, verzichtet Innerhofer auf dieses Mittel. Das Ich hat sich herausgearbeitet und nun muss es sich auch präsentieren. "Schattseite" ist erklärtermaßen die Fortsetzung der "Schönen Tage" mit anderen Mitteln und einem anderen Resultat, das wieder rückbezogen sein will auf den Ausgangspunkt.
Holl geht, er verlässt den Hof seines Vaters, um eine Lehre zu beginnen und Arbeiter zu werden.
Er hat es jedoch nicht einfach, denn er erkennt bald: "Nichts ist leichter, als einem Lehrling mit dem Arbeitsgang gleichzeitig auch zu zeigen, dass er ein Idiot ist." Aber diese Einsicht in konkrete Abhängigkeitsverhältnisse, in die Wirkungsweisen sozialer Zwänge, denen er wie die anderen unterworfen ist, bringt beziehungsweise hält den Prozess in Gang. Er erkennt zunehmend, nicht ohne fremde Hilfe, nicht ohne neues Leiden, setzt seine Erkenntnisse in Sprache um, begreift und zweifelt an den Begriffen, die ihm vorgesetzt werden. Er begründet auch die veränderte Erzählhaltung: aus dem Objekt wird ein sehendes, lesendes, denkendes, sprechendes, erfahrenes Subjekt. Holl wird zu Franz Holl, der arbeiten, lesen, sprechen und schließlich fragen lernt. Er lernt weiterzufragen, nach den Bedingungen der Herrschaft, auf dem Lande, dem Bauernhof, in der Stadt und in der Fabrik.
Holl und Innerhofer, der biografisch dahintersteht, sind beide gleichermaßen Ausdruck und Resultat der Entwicklung zur scheinbaren Befreiung hin, in der doch nur die Formen der Unterdrückung und Herrschaft gewechselt haben. Die zunehmende Reflexivität, die sich Holl, nicht zuletzt durch die fortschreitende Desillusionierung erarbeitet, demonstriert die Ausweglosigkeit des ganzen Unternehmens. Aber einmal in Gang gekommen, lässt sich der Prozess nicht mehr anhalten, es gibt kein Zurück.
"Die Milieuwechsler waren ganz auf sich selber angewiesen. Kehrte eine oder einer gebrochen zu seinem Ausgangsort zurück, lief dort sofort alles zusammen und verbreitete die Nachricht, dass der oder die gescheitert sei. Hörte Holl von einem solchen Fall, wurde er jedesmal wütend, tobte und schwor sich, eher würde er jämmerlich in der Redewelt verenden, als nur mit einem Schritt in sein früheres Milieu zurückzukehren.
"
Kein Zurück im sozialen Sinn. Er hat sich auf Erfahrungen eingelassen und nun muss er sie machen.
"Aber Holl sah Zusammenhänge, zumindest versuchte er, unabhängig von den Meinungen, die auf ihn einwirkten, zu Zusammenhängen zu kommen, die er von seinen Erfahrungen herleiten konnte."
Holl macht sich über vieles Gedanken. Neuartig und faszinierend erscheint ihm als vormals Ausgeschlossenen die Bildung und Wissen. Doch schon die ersten Repräsentanten dieser neuen Welt, auf die er bald trifft, seine Lehrer am Abendgymnasium, nehmen ihm viele der Illusionen.
"Voller Hoffnung, ehrfürchtig interessiert hatte Holl die Schwelle in die Welt des Redens überschritten und sich schüchtern in die letzte Bank gesetzt, um sie jederzeit ohne viel Aufsehens wieder verlassen zu können."
Der überangepasste und zugleich kritische soziale Aufsteiger Holl sieht richtig, dass sich ein wirklicher sozialer Aufstieg nur über den Eintritt in die Redewelt vollziehen lässt. Dabei lernt er aber auch, dass die Beherrschung der Sprache wohl Einsichten in die Sprache der Herrschaft ermöglicht, aber nichts an den Herrschaftsverhältnissen ändert. Diese, seine tiefste Desillusionierung wirft ihn faktisch an seinen Ausgangspunkt zurück.
"Auch seine Gänge zu den Vorlesungen irritierten ihn, er, der von den Arbeitern weg in die Welt des Redens gelockt wurden, konnte auf die Dauer nicht übersehen, dass außer den Unternehmern auch die Welt des Redens auf ihnen lastete."
Am Ende ist ihm bewusst, dass es für ihn keine Alternative gibt.
Der kleine Holl, der uneheliche Sohn einer Landarbeiterin, ist auf seinem Gang durch die bürgerliche Welt zum Subjekt geworden. Ein Emanzipationsprozess ist (vorläufig) abgeschlossen. Da steht eine ratlose, zerrissene Figur, die sich und die Welt verzweifelt zu begreifen.
"Die großen Wörter"
Nach Jahren vieler Kindheitsängste und schwerer Arbeit zieht der junge Franz Holl in die Stadt.
Dies tut er mit großen Hoffnungen und dem Willen, das Milieu zu wechseln. Nach seiner Arbeit in der Schlosserei Feinschmied besucht er abends die Arbeitermittelschule, eher mit mäßigem Fortschritt.
Er wohnt im katholischen Männerhaus, freundet sich mit Klock an, der ebenfalls aus einer gewalttätigen bäuerlichen Umgebung stammt. Überall wo mit Händen gearbeitet wird, kann sich Holl beteiligen, mit der Welt des Redens aber kommt er nicht gerade gut zurecht.
Seine Aufsätze scheitern an der richtigen Schreibweise, er kann seine Gedankengänge nicht artikulieren.
Um dem Lärm der Fabrik und der täglichen Hetze zwischen Fabrik , katholischem Männerhaus und Abendschule zu entkommen, nimmt er den Hausmeisterposten im Männerhaus an. Der Abstieg vom Facharbeiter zu einem, der Hundekot aufwischen muss, verändert ihn.
Er erfasst, dass es sehr wohl erlaubt ist zu arbeiten, aber nicht eine Meinung zu haben.
Er traut sich dem Lateinprofessor zu erklären, dass dessen Existenzgrundlage Leute wie Holl und seine Kollegen seien, die Vortragsweise des Englischprofessors kritisiert er ebenfalls.
Durch die Intrigen im katholischen Männerhaus wird er zu einem Menschen, der Unrecht zwar sieht, aber dazu schweigt. Er sieht zu, wie einem Familienvater die Arbeit genommen wird. Sobald er dessen Hausmeisterposten einnimmt, tut er das, was er nie an sich selbst hatte ausstehen können, nämlich kontrolliert zu werden beziehungsweise nun aktiv kontrollieren. Er beobachtet die Mitarbeiter und prüft die genaue Einhaltung der Arbeitszeit. Nach Jahren ohne Urlaub entschließt er sich, nach Paris zu fahren.
Dieser Aufenthalt hat zur Folge, dass er Reisen nach London, Prag, Venedig und Florenz unternimmt.
Im letzten Semester vor den Abschlussprüfungen kündigt er den Hausmeisterjob und bezieht Arbeitslosenunterstützung.
Heimlich schreibt er Gedichte, womit auch sein Literaturverständnis wächst.
Er will über seine gelesenen Bücher reden, findet aber unter den Studenten kein Echo. Mit diesen kann man zwar trinken und ins Bordell gehen, jedoch keine Literaturdiskussionen führen.
In der Mechanikerbar jedoch, wo entlassene Häftlinge, Prostituierte und Zuhälter verkehren, findet er Literaturinterssierte.
Wahrscheinlich interessiert ihn die Literatur auch deshalb, weil sie sich, nachdem sie auf Papier gebracht worden ist, nicht mehr bewegt beziehungsweise nicht mehr verändert.
Eine Fahrt auf die Almhütte seines Vaters, die er seinem Freund Stecher nicht abschlagen kann, bringt eine Rückkehr in die Welt, von der er sich lösen wollte. Der Aufenthalt in der Almhütte macht ihn vor lauter Erinnerungen fast verrückt.
Holls Klassenkamerad Stürzl möchte, das Holl in die kommunistische Partei eintritt. Durch diese Parteizugehörigkeit jedoch sieht sich Holl um die Möglichkeit gebracht, den Einmarsch der Sowjetunion in der (ehemaligen) Tschechoslowakei zu kritisieren.
Holl unterhält eine Beziehung zu Birgit, der Schwester seines Mitschülers Lorz.
Birgit, mit der Holl zusammenbleiben möchte, beendet die Beziehung aber. Ein kurzes Verhältnis mit Fräulein Gärtner, bleibt nicht ohne Folgen. Sie wird schwanger und möchte auf alle Fälle eine, wenn auch kurze, Ehe mit Holl eingehen. Bettelbriefe, Anrufe und Aufforderungen lassen Holl jedoch völlig kalt. Er widmet sich weiter seiner Literatur und seinen politischen Diskussionen.
Zu groß scheinen für Innerhofer die Worte in diesem letzten Teil zu werden, es ist der klar schwächste Band.
Das Buch zerfließt immer mehr und mehr in hilfloses Aneinanderreihen von Ereignissen, in Erzählungen von Personen, Geschichten, die kaum noch einen inneren Zusammenhang erkennen lassen. "Atmosphärisch" ist das Buch bestenfalls zur Hälfte, solange er sich darauf beschränkt, die Arbeitswelt und das Abendgymnasium zu schildern, das Gespräch über das "Summerauer Manifest" hingegen wirkt bloß lächerlich.
Das Eindringen in die "Redewelt", in die Welt der "großen Wörter" ist für den Protagonist Holl mit der Erkenntnis verbunden, dass Unterdrückungsmechanismen und Dummheit auch in Gymnasien und noch viel mehr auf Universitäten zu finden sind. Selbstgefällige Professoren, in ihre eigenen kleinen Eitelkeiten verstrickt, sich unterordnende Mitschüler, kaum ein Unterschied zu den Berufsschulzeiten, nur die Enttäuschung ist ungleich größer.
Nach dem zweiten Band scheint Innerhofer ausgeschrieben zu sein, das Buch wirkt, als ob er einen Vertrag über mehrere Bände hätte erfüllen müssen. Was die ersten beiden Werke an Betroffenheit und Authentizität vermitteln können, vermag das letzte Werk nicht, es ist eher langweilig.
Möglicherweise liegt es an der schnellen Abfolge der Trilogie oder er hatte hierzu einfach nicht mehr genug zu sagen, um genügend Seiten füllen zu können. Meiner Meinung nach könnte man alle drei Werke auch leicht in einem zusammenfassen.
Es scheint, als ob sich Innerhofer bei seinem dritten Werk literarisch betätigen wollte, die ersten zwei Bände hat er aus seinen Erinnerungen geschöpft, der dritte Band wirkt eher konstruiert bis künstlich erzeugt. Als Kind waren die Geschehnisse greifbar, der Student bleibt ohne Konturen.
Innerhofer hat im Frühjahr 1993 mit "Um die Wette leben" ein neues Buch vorgelegt, das er "Roman" nennt, ein laut Kritikern durch und durch misslungenes Buch, das Innerhofers langes Schweigen nur mittelbar erklärt, seine Ressentiments dafür um so direkter vorführt. So macht der "Roman" keinen Unterschied zwischen Held und Autor, sondern beginnt mit einem Gespräch zwischen dem "Autor" und seinem "Verleger".
Schon der erste Satz demonstriert, in welche Richtung das Buch führt:
"Schauen Sie, dass Sie nicht zu sehr ins Autobiographische kommen", so der Verleger. Und gleich darauf: "Fabriken nicht mehr, Arbeiter nicht mehr", so die Kritiker zum Verleger und so der Verleger zum Autor. Aus dieser Aufforderung, die zum Leitmotiv des "Romans" wird, entsteht das Ressentiment des Autors, das sein Buch beherrscht. "Dieser elende Marktblödsinn", so ging es ihm "durch den Kopf".
Unverständlich ist, dass ein Lektorat solche Sätze mit seinem Autor nicht diskutiert, denn es ist unverständlich, worauf der Autor hinauswill. Es lässt sich hier, ebenso wie beim zentralen Motiv des "Romans", allenfalls erahnen.
Innerhofer verabschiedet sich 1982 mit "Der Emporkömmling" aus der Literatur. Er ist, wie er zuvor einmal für sein alter Ego Franz Holl befürchtet hatte, zum gescheiterten Milieuwechsler geworden: "Hörte Holl von solch einem Fall, wurde er jedesmal wütend, tobte und schwor sich, eher würde er jämmerlich in der Redewelt verenden, als nur mit einem Schritt in sein früheres Milieu zurückkehren."
Diesem Schwur verdankt sich der neue "Roman". Er ist der endgültige Abschied Franz Innerhofers aus der Literatur.
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