Woyzek - büchner
Interpretation Eifersucht:
Einen wichtigen Aspekt in diesem Stück spielt die Eifersucht Woyzecks, wegen der Woyzeck am Schluss Marie umbringt. Die Eifersucht ist allerdings nicht allein der Grund für die Tat Woyzecks, es gibt viele Motive und es ist ein langwieriger Prozess der zu diesem Ergebnis führt. Woyzeck ist von seiner sozialen Stellung in der Gesellschaft und von existenziellen Nöten geprägt, da er sich an der untersten Stelle der gesellschaftlichen Hierarchie befindet. Er wird auch oftmals von den sozial höherstehenden Personen, wie dem Doktor, Tambourmajor oder Hauptmann erniedrigt. Da Woyzeck die Hauptperson des Stückes ist, um die alle Themenbereiche kreisen, ist im folgenden das Verhältnis von Woyzeck zu den anderen Figuren des Stückes sehr wichtig. Beim Doktor wird er mit den "Erbsen - Experiment" für dessen Studium verwendet.
Aber nicht genug damit, Woyzeck wird noch öffentlich zur Schau gestellt wobei er dabei vollends zum Objekt degradiert und vom Doktor sogar als Bestie bezeichnet wird. Szenen wie diese zeigen wie weit die Würde eines Menschen verletzt werden kann. Vom Hauptmann erhält er zu Beginn des Stückes einen Vortrag über die Moral ("Hauptmann. ...
Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht). (Er. ... Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche.
"). Auch der Tambourmajor erniedrigt Woyzeck, indem er seine Geliebte verführt. Aber nicht nur das, er zeigt ihm, dass er ihm unterlegen ist sowohl durch verbale Attacken als auch durch einen Ringkampf. Diese zahlreichen Erniedrigungen lassen erkennen, dass die Ermordung Maries nicht so sehr eine Eifersuchtstat als eine Verzweiflungstat ist. Er kann seine erbärmliche Existenz nur durch seine Bindung zu Marie ertragen, als er allerdings von ihr verraten wird bleibt ihm nichts mehr von seinem Lebensinhalt und er verliert seinen letzten Ansprechpartner. Wegen dieser Notlage bekommt er Wahnvorstellungen und Halluzinationen und hört Stimmen, die ihn letztendlich zum Mord an Marie auffordern.
Allerdings ist der Mord an Marie lediglich eine Verzweiflungstat, durch die er seine letzte Hoffnung verliert. Die eigentlichen Verursacher seiner trostlosen Lage bleiben verschont, unter anderem deshalb da sie stärker und sozial höhergestellter sind als er. Marie ist allerdings eine Frau und schwach genug damit er seinen Zorn an ihr auszuleben kann. In dem Drama Woyzeck spiegelt sich das Leiden der unteren Stände, in denen sich Woyzeck zweifellos befindet. Es stellt die Kluft zwischen oberer und unterer sozialer Schicht dar und Büchner versucht mit diesem Stück die untere Schicht zu unterstützen und nicht zu schänden.
Woyzeck und Hauptmann:
Woyzeck, ein einfacher Soldat und Friseur, hat nur ein geringes Einkommen, weshalb er, um seine finanzielle Lage zu verbessern, den Hauptmann mehrmals rasiert.
Dort wird sofort die Konstellation Vorgesetzter - Untergebener zwischen Hauptmann und Woyzeck deutlich. Während des Rasierens sprechen die beiden miteinander, ein wirklicher Dialog entsteht jedoch zunächst nicht, denn als Untergebener reagiert Woyzeck auf die Äußerungen des Vorgesetzten wie auf einen Befehl und sagt lediglich dreimal "Jawohl, Herr Hauptmann." (S. 4) Woyzeck reagiert auf die Ausführungen des Hauptmanns erst mit Argumenten, als dieser ihm vorwirft, er habe keine Moral, weil er Vater eines unehelichen Kindes ist, und er sei kein tugendhafter Mensch. Woyzeck entschuldigt sich mit seiner Armut, denn in seinen Augen fehlen den armen Leuten die materiellen Voraussetzungen für ein moralisches und tugendhaftes Leben. Er ist aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, Marie, die Mutter seines Kindes, zu heiraten.
Hier wird die Unterlegenheit Woyzecks deutlich, denn er kritisiert nicht den Zusammenhang zwischen Moral und gesellschaftlichen Zuständen, sondern er erkennt die Gegebenheiten an und entschuldigt nur sein Unvermögen, diesen nicht entsprechen zu können. Seine Resignation bezüglich seines sozialen Standes erstreckt sich sogar auf ein Leben nach dem Tod. Woyzeck rechnet nicht mit einer Erlösung im Himmel, dieser ist für ihn nur eine Verlängerung seines irdischen Lebens. Zitat: "Ich glaub, wenn wir in den Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen." (S. 5) Auch in der Beendigung der Diskussion wird deutlich, dass Woyzeck vollkommen resigniert, denn in seinem letzten Satz weist er nochmals auf die soziale Distanz zwischen ihm und seinem Vorgesetzten hin.
Zitat: "Aber ich bin ein armer Kerl." (S. 5) Während des gesamten Dialogs wird die Überheblichkeit in der Sprache des Hauptmanns deutlich. Auch dadurch, dass er Woyzeck mit einem herablassenden "Er" anredet, wohingegen Woyzeck als Anredeform das respektvolle "Sie" verwendet, wird der Standesunterschied deutlich. Er verhält sich Woyzeck gegenüber zwar freundlich, aber zugleich herablassend, wodurch er sich seine eigene moralische Überlegenheit beweist. Im späteren Verlauf des Stückes kann sich Woyzeck nur noch durch Flucht den Demütigungen des Hauptmanns entziehen, denn er läuft weg, um die bösartigen Anspielungen auf Marie und den Tambourmajor nicht länger anhören zu müssen.
Woyzeck und Andres:
Woyzeck und Andres sind beide einfache Soldaten, die sich in der gleichen sozialen Stellung befinden. Dies wird von Büchner mehrmals betont, denn beide zusammen führen in der zweiten Szene eine niedere Tätigkeit aus, nämlich das Stöcke schneiden. In der Kaserne schlafen sie sogar in einem Bett. Andres ist Woyzeck gegenüber keine Person, von der er in irgendeiner Weise abhinge oder der er unterlegen wäre, trotzdem kann Andres den Gemütszustand des Woyzeck nicht nachempfinden und es kann somit nicht zu einem verständnisvollen Gespräch der beiden kommen. Durch seine Visionen und Halluzinationen, die seinen späteren Wahnsinn schon andeuten, erscheint Woyzeck sogar unter seinesgleichen als isoliert. Andres entzieht sich Woyzecks Halluzinationen, indem er ein Lied singt.
Woyzeck und Marie:
Woyzecks Beziehung zu Marie ist letztlich unbefriedigend, denn Marie kann Woyzeck und seine Bedürfnisse nicht verstehen. Seine Phantasien und Wahnvorstellungen sind ihr unheimlich. Schon beim ersten gemeinsamen Auftreten beider wird die Entfremdung deutlich, bei jedem Versuch einer Kommunikation reden sie aneinander vorbei. Trotzdem sieht Woyzeck in Marie einen festen Halt und glaubt durch sie der Einsamkeit entrinnen zu können. Der Mord an Marie kann somit zugleich als der soziale Selbstmord Woyzecks angesehen werden. Denn durch diese Tat hat Woyzeck seine allerletzte Existenzgrundlage zerstört.
Doch wie kam es überhaupt zu diesem Mord? Aufgrund ihres unbefriedigenden Lebens mit Woyzeck beginnt Marie ein Verhältnis mit einem Tambourmajor, der ihre ganzen Bedürfnisse erfüllt. Woyzeck schöpft zum ersten Mal Verdacht, als er die Ohrringe bei Marie entdeckt, die ihr der Tambourmajor geschenkt hat. Durch die Anspielungen des Hauptmanns bekommt Woyzeck dann Gewissheit. Seine ganze Verzweiflung spricht aus den Worten: "Herr Hauptmann, ich bin ein armer Teufel - und hab sonst nichts auf der Welt. Herr Hauptmann, wenn Sie Spaß machen -" (S. 16).
Woyzeck sieht keine Möglichkeit mehr, Marie zurückzugewinnen. Da er sie aber auch nicht dem Tambourmajor überlassen will, findet er keinen anderen Ausweg als Marie zu töten. Marie macht in diesem Stück keine lineare Charakterentwicklung durch, sie wird als spontan und sprunghaft dargestellt. Einerseits macht sie sich Vorwürfe, weil sie Woyzeck betrogen hat, andererseits entschuldigt sie sich dadurch, dass sie ihre natürlichen Bedürfnisse in ihrer sozialen Lage nur dann befriedigen kann, wenn sie Woyzeck betrügt.
Woyzeck und Doktor:
Woyzeck hat aus finanziellen Gründen mit dem Arzt einen Vertrag abgeschlossen, der ihm vorschreibt eine Diät zu machen, bei der er sich ausschließlich von Erbsen ernähren darf. Außerdem muss er seinen gesamten Harn abliefern.
Der Doktor sieht in Woyzeck keinen Menschen, sondern lediglich ein Versuchsobjekt, welches der Wissenschaft dient. Der Zynismus wird deutlich, als der Doktor Woyzeck den freien Willen abspricht, wobei Woyzeck durch einen Vertrag gebunden ist und gar keinen freien Willen haben kann. Später wird Woyzeck auch noch vom Doktor als Demonstrationsobjekt benutzt, um seinen Studenten eine anschauliche und durch Späße aufgelockerte Vorlesung zu bieten. Woyzeck findet keinerlei Mitleid und keine Gesprächsmöglichkeit bei diesem Wissenschaftler, so dass ihm nur ein resigniertes Zitat: "Ach, Herr Doktor!" bleibt (S. 13). Er ist den Demütigungen des Doktors völlig hilflos ausgesetzt.
Der Doktor zeigt sich nur besorgt, wenn Woyzeck durch sein Verhalten die medizinischen Experimente gefährdet. Alle Bemühungen Woyzecks, ein Gespräch zu eröffnen, werden vom Doktor konsequenterweise überhört oder als unsachliches Philosophieren bezeichnet. Woyzeck steht einer sozial höher gestellten Person gegenüber, der er hilflos ausgeliefert ist. Der Doktor wird nur mit Berufsbezeichnung genannt und kann somit nicht als individuelle Figur verstanden werden, sondern nur als Gattungsvertreter eines Standes. Wogegen Woyzeck mit seinem Eigennamen bezeichnet wird. Der Doktor ist skrupellos, menschenverachtend, arrogant und pflichtvergessen.
Er trägt, neben den anderen Personen die ihn ausnutzen, einen großen Teil der Schuld an Woyzecks geistiger Umnachtung.
Hauptmann/Doktor und Woyzeck:
In der Straßenszene, als Hauptmann und Doktor zusammentreffen, wird deutlich, dass die beiden Berufsstände sich nicht mögen. Der Doktor wird vom Hauptmann als "Herr Sargnagel" bezeichnet und umgekehrt der Hauptmann als "Exerzierzagel" (S. 14). Als ihnen dann aber Woyzeck begegnet, lassen sie von ihrer Auseinandersetzung ab, um sich gemeinsam gegen ihn zu wenden. Dadurch wird die Stellung Woyzecks als Untergebener wieder deutlich gemacht, Hauptmann und Doktor treten gegenüber Woyzeck als die Repräsentanten der Herrschenden auf.
Durch die Andeutung des Hauptmanns, Marie habe ein Verhältnis mit dem Tambourmajor, wird Woyzecks letzter sozialer Halt zerstört. Die Gewissheit, die letzte menschliche Bindung verloren zu haben, entfremdet Woyzeck jetzt der ganzen Welt, was sich in seinem Ausspruch: "Herr Hauptmann, die Erd ist höllenheiß - mir eiskalt, eiskalt - die Hölle ist kalt, wollen wir wetten. -- Unmöglich! Mensch! Mensch! Unmöglich!" (S. 16) zeigt
Der Hauptmann. Woyzeck.
In der Szene Hd,5 beschreibt Büchner eine Konfrontation Woyzecks mit seinem Vorgesetzten, dem Hauptmann, den er regelmäßig rasiert um sich noch ein bisschen Geld zusätzlich für den Unterhalt seiner Familie zu verdienen.
Nach Meier stellt der Hauptmann nicht eine etwas sonderbare, vielleicht sogar übertriebene Einzelpersönlichkeit dar, sondern fungiert im "Woyzeck" hauptsächlich als Vertreter einer ganzen Gesellschaftsschicht und eines überlebten Herrschaftssystems: des Feudalismus. Dieser befand sich zur Zeit Büchners, d.h. zur Zeit des deutschen Vormärz, in einer Art Verteidigungsstellung. Nachdem mit dem Zeitalter der Aufklärung die hauptsächliche Legitimationsquelle des Feudalismus, die christliche Religion, zunehmend geschwächt wurde, mussten sich die Machthaber mehr und mehr auf das Militär stützen, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten und um soziale Unruhen in der Bevölkerung zu unterdrücken. Darum wurde die Führungsschicht der Armee mehrheitlich mit konservativen, meistens dem niederen Adel entstammenden Männern, wie dem Hauptmann, besetzt.
Der Hauptmann spiegelt als Vertreter und Erhalter seiner feudalistisch geprägten Gesellschaftsklasse dann auch deren Ängste und Motivationen wider. Im Besonderen manifestieren sich diese Ängste vor sozialen Veränderungen, deren schlimmste Form für ihn sicherlich eine Revolution darstellen würde, in seiner Abneigung vor schnellen, nicht mehr zu kontrollierenden Bewegungen. Er tadelt Woyzeck, weil dieser seine Arbeit zügig angeht, rechnet ihm vor, wie viele Jahre, Monate, Wochen und Stunden dieser noch zu leben habe, und fordert ihn auf, sich seine Arbeit über diese enorme Zeitspanne einzuteilen. Der von ihm angestrebte gesellschaftliche Status Quo soll möglichst für alle Ewigkeit bestehen und wird darum vom Augenblick, der dieser Ewigkeit fundamental gegenübersteht, bedroht. Die vom Hauptmann geforderte Einteilung Woyzecks erscheint daher als Mittel, eine andauernde Beschäftigung des mittellosen Proleten für den Rest seines Lebens sicherzustellen, um ihn und seinen ganzen Stand vom Nachdenken und somit vom Aufruhr abzuhalten. Auch in anderen Aussagen und Handlungen des Hauptmanns werden seine, in ihm verwurzelten Ängste immer wieder offensichtlich: er kann sich kein Mühlrad mehr ansehen, das stets in Bewegung ist und sagt, dass der geschwinde Wind ihm den "Effekt wie eine Maus" macht.
Er fürchtet sich also vor diesen Nagetieren, die sich in seinem Haus einnisten könnten, und denen er wegen ihren schnellen Bewegungen nicht mehr Herr werden könnte; in Wirklichkeit spricht er von einer Unterwanderung des feudalistischen Staatswesens durch die unteren Volksschichten. Dabei verwickelt er sich während seiner von Ängsten verursachten Rede immer mehr in Widersprüche und Absurditäten. So bedauert er zum Beispiel, dass sich die Welt in einem Tage um sich herumdreht, ist sich aber nicht bewusst, dass ein Tag gerade durch diesen Vorgang definiert wird, und bezeichnet dies als Zeitverschwendung, ein Begriff, der normalerweise benutzt wird, wenn etwas zuviel Zeit beansprucht, während für ihn eine Erdumdrehung gar nicht lange genug dauern kann. Nach Meier werden diese sozial bedingten Ängste nun vom Hauptmann direkt auf Woyzeck projiziert. Er interpretiert dessen schlechten Gesundheitszustand, den er als "Verhetztsein" beschreibt, und seine schnellen Bewegungen als Resultat eines inneren moralischen Konflikts Woyzecks, und kann sich gar nicht vorstellen, dass auch andere, äußere Einflüsse, wie etwa Überarbeitung und Woyzecks einseitige Ernährung zu diesem Zustand führen könnten. Der Hauptmann führt also Woyzecks schlechte äußere Erscheinung auf einen Gewissenskonflikt zurück und will ihn durch eine nun folgende Mahnung zum Einhalten der vom bedrohten Feudalismus definierten Moralvorstellungen bewegen.
Diese Mahnung ist jedoch so unfundiert und so inhaltslos, dass es für Woyzeck ein Leichtes ist, den Hauptmann mit einem einfachen Gegenargument so außer Fassung zu bringen, dass es diesem die Sprache verschlägt: zwar ist Woyzeck ein "guter Mensch", weil er "ganz abscheulich dumm" ist, und demnach für keinen eine Gefahr darstellt, aber nach dem Hauptmann ist er nicht "moralisch". Der Hauptmann selbst kann jedoch "Moral" nicht definieren, alles was er weiß ist, dass es ein "gutes Wort" ist. Für den Hauptmann ist Moral nur Form, eine Ansammlung verschiedener Verhaltensregeln, die er ohne nachzudenken zu erfüllen versucht, und die für ihn keinen begründbaren Inhalt haben. Um Woyzeck nun seine vermeintliche moralische Schwäche vor Augen zu führen, greift er auf ein rein formal verstandenes, religiöses Prinzip zurück, das er vorbehaltlos und ohne eigene Überlegung vom Garnisonsprediger, als unbestrittene moralische Instanz, übernimmt: Woyzeck hat keine Moral, weil er ein Kind ohne den Segen der Kirche hat. Jedoch kann Woyzeck diesen Versuch einer Erniedrigung seiner Person geschickt abblocken, indem er ihm einen humanen Inhalt entgegenstellt: Vor den Augen Gottes ist das Kind nicht minderwertig, nur weil seine Eltern nicht miteinander verheiratet sind. Indem er nun diese Aussage durch ein Bibelzitat untermauert, schlägt er den Hauptmann mit seinen eigenen Waffen und macht ihn so "ganz konfus", dergestalt, dass dieser wieder in ein von Ängsten verursachtes, hysterisches, vollkommen absurdes und überflüssiges Geschwätz verfällt: "Wenn ich sag: Er, so mein ich Ihn, Ihn" Während der vorangehenden Szene redet fast ausschließlich der Hauptmann, während Woyzeck ihm immer nur mit einem militärisch antrainierten "Ja wohl, Herr Hauptmann" antwortet.
Dieses Verhalten wird von Meier als gesellschaftlich festgeschrieben dargestellt und soll nach ihm Woyzecks Unterwürfigkeit und Unvermögen, sich gegen den ihn ausnutzenden und verspottenden Hauptmann zur Wehr zu setzen, zeigen. Dass dies aber nicht so ist, soll durch die folgende Interpretation der Rasierszene der Bredemeyer-Inszenierung gezeigt werden. Eine Eigenart dieser Inszenierung ist, dass die Rolle des Woyzeck nicht fest an einen bestimmten Schauspieler gebunden ist, sondern dass jeder der insgesamt fünf Darsteller, auch die weiblichen, während der ein oder anderen Szene den Protagonisten des Dramas spielt. Auch in anderen Hinsichten weicht sie von anderen, klassischen Inszenierungen ab. Alle Darsteller tragen die gleiche schwarze Uniform und haben zur Interpretation des Büchnerschen Textes nichts als fünf Stühle zur Verfügung. "Alles muss über die Figuren erzählt werden: armes Theater, aber reich.
" In der Rasierszene sitzt der Hauptmann nun nicht wie in anderen Inszenierungen in einem Sessel, sondern er steht aufrecht, zum Teil nur auf einem Bein, auf einem wackeligen Stuhl, während er über die Schlechtigkeit der Welt philosophiert und Woyzeck mahnend zur Einhaltung seiner Moralvorstellungen auffordert. Meiner Meinung nach wird hiermit die Unsicherheit und Unberechtigtheit des Bodens sehr gut herausgestellt, den der Hauptmann mit seiner unverschämten Rede betritt. Woyzeck hingegen schwirrt nicht ehrerbietig und unterwürfig um den Hauptmann herum, sondern er schmiegt sich eng an die weiblichen Darsteller an, die sich im Vordergrund der Bühne positioniert haben. Nur manchmal geht er mit einem kurzen "Ja wohl, Herr Hauptmann" auf diesen ein. So wird auf exemplarische Art und Weise dargestellt, wo Woyzeck wirklich mit seinen Gedanken ist, während er den Hauptmann rasiert, nämlich bei seiner Geliebten Marie. Auch Woyzecks militärische Floskel erscheint nicht mehr als willenlose Zustimmung, als Unterwerfung gegenüber dem Hauptmann, sondern vielmehr als Mittel, dessen inhaltloses Gespräch besser ignorieren zu können, und somit als Geringschätzung, ja sogar als Verachtung.
Auch in der nachfolgenden Diskussion über die Tugend kann Woyzeck sich gegenüber dem Hauptmann behaupten. Mit erstaunlicher Scharfsinnigkeit analysiert Woyzeck seine finanzielle und soziale Situation und kommt zu der Erkenntnis, dass die Tugend durchaus ein anzustrebendes Ziel sei, dass diese aber ein "Luxus" sei, den sich Leute seines Standes nicht leisten könnten. Er erkennt genau, dass alle Menschen nur aus Fleisch und Blut bestehen und von ihren natürlichen Trieben geleitet werden, dass es eines Hutes, einer Uhr, einer Anglaise, mit anderen Worten Geld und anderer Genüssen bedarf, um diese Triebe verdrängen zu können. Im Großen und Ganzen erscheint Woyzeck in der Szene Hd,5 viel souveräner und selbstbewusster, weniger unterwürfig und ohnmächtig als viele deterministische Forscher das dargestellt haben. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Sticheleien des Hauptmanns ihn in irgendeiner Weise tief im Innern seines Menschseins verletzen, so dass die Tötung Maries nicht in dieser Hinsicht erklärt werden kann. Vielmehr ist es der Hauptmann, der, von seinen Ängsten zu irrationalen Handlungen getrieben, viel verhetzter und schwächlicher erscheint als Woyzeck, dem er diesen Zustand eigentlich vorwirft.
Woyzeck und Tambourmajor:
Der Tambourmajor wird als das krasse Gegenteil von Woyzeck charakterisiert. Während Woyzeck kein imposanter Mann und durch die medizinischen Experimente körperlich geschwächt ist, wird der Tambourmajor als gutaussehend, als "Mann, wie ein Baum" (S. 6) beschrieben. Als Woyzeck im Wirtshaus mit seinem Rivalen konfrontiert wird, unterliegt er ihm bei einer Schlägerei, wodurch die Überlegenheit des Tambourmajors gegenüber Woyzeck deutlich wird. Woyzeck muss also eine weitere Demütigung hinnehmen, seine Unterdrücktheit ist offensichtlich. In dieser Szene ist erneut das Imponiergehabe des Tambourmajor, wie schon in der Stadtszene mit Marie am Fenster, zu sehen.
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