Abendlied
Abendlied
Matthias Claudius
Der Mond ist aufgegangen
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget 5
Der weiße Nebel wunderbar.
Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold !
Als eine stille Kammer, 10
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.
Seht ihr den Mond dort stehen ? -
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön ! 15
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.
Wir stolzen Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder 20
und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel.
Gott, lass uns dein Heil schauen, 25
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun !
Lass uns einfältig werden
Und von dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein ! 30
Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt aus nehmen
Durch einen sanften Tod !
Und, wenn du uns genommen,
Lass uns in Himmel kommen, 35
Du unser Herr und unser Gott !
So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott ! mit Strafen, 40
Und lass uns ruhig schlafen !
Und unsern kranken Nachbarn auch !1)
Matthias Claudius‘ „Abendlied“, ein Gedicht, das möglicherweise tatsächlich als solches verwendet wurde, es ist ergreifend und doch schockierend zugleich, doch es klingt, als sei es nicht für unser Ohr bestimmt.
Vermutlich ist dieses Gedicht von Mönchen als eine Art Abendgebet gebraucht worden. Einige deutliche Hinweise gibt es, dass Matthias Claudius dieses Lied eher als eine Art Abendgebet schuf. Warum sonst heisst es in Vers 37: „So legt euch denn ihr BRÜDER,...“.
Und da die Bezeichnung „Bruder“ im 18.Jahrhundert (1779- wie es auf dem Original steht) eigentlich nur unter Mönchen üblich war, lässt sich daraus schließen, dass es eben ein Gebet ist.(Ob Matthias Claudius vielleicht auch selbst ein Mönch war, bleibt fraglich. Doch da er die Brüder so direkt anspricht vermute ich schon, dass auch er ein Mönch war.) Es könnte aber auch eine (Groß)Familie sein ; da die „politisch neutrale“ Anrede „Brüder“ für alle Anwesenden stark verbreitet war.
Was außerdem noch auf den ersten Blick auffällt ist die melancholische und düstere Stimmung, die er in den ersten beiden Strophen erzeugt.
Zischende Worte wie „schwarz“ und „schweiget“ tragen nicht wenig zu dieser Stimmung bei.
In der ersten Strophe schildert Claudius den Beginn der Nacht und das „Erwachen“ der Sterne, das Erscheinen des Mondes, auch die Dunkelheit, die(zwangsläufig) in der Nacht vorherrscht stellt er mittels eindrucksvoller Metaphern dar. Er nimmt die Stimmung des „schwarzen“ Waldes als Symbol für Ruhe, der Tag ergibt sich der Nacht und bettet sich zur Ruh‘(wie die Mönche).Dass sich weißer Nebel aus den Wiesen erhebt, steuert auch seinen Teil zur nächtlichen Stimmung bei.
Die 2. Strophe, die wie die anderen 6 Strophen in 4-hebigen Jamben geschrieben worden ist, baut diese in der 1.
Strophe erzeugte Gemütsverfassung weiter aus, d.h. er steigert(die Klimax ist leicht aus dem Gebet herausfilterbar) sie, und mit einem sanften Übergang gleitet er in seinem Schreiben in die nächste gefühlsbetonte „Laune“. Es wird die Stille, die die „Dämmrung“ verbreitet, in den Vordergrund gereicht. Er gleicht diese einer stillen Kammer, wo die Mönche all‘ ihre Sorgen(vgl. Vers 11: „.
..des Tages Jammer...“) ,wie es heißt „verschlafen“ und vergessen sollen.
In der 3. Strophe beginnt Claudius mit einer Frage, ob sie (Brüder) auch den Mond sehen können, und obwohl nur Halbmond zu herrschen scheint sieht und beschreibt er dennoch die ganze Pracht des Mondes, wie er Licht in die Dunkelheit der Nacht bringt- trotz des Halbmonds. Ist das nicht wieder eine von vielen Metaphern, vielleicht ein Symbol für Gott, und dass ER auch scheint, wenn er nicht da zu sein scheint? Vielleicht ist es auf eine Aufforderung an seine Brüder, dass auch in schwerster Stunde nie an Gott zu zweifeln zu beginnen. Diese eben erwähnte Vermutung wird in den folgenden Versen(V.16,17,18) – so glaube ich - bestätigt. Der Autor schreibt.
..so sind wohl manche Sachen ,die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehen...es könnte natürlich auch auf einer höheren Ebene gemeint sein.
Es gibt Dinge über die naive Leute lachen, weil sie ganz einfach nicht fähig sind die wahre, oft verborgene, Gestalt zu erkennen. Oder noch genereller: Ein Aufruf nicht immer den ersten Reiz, den das menschliche Auge vernimmt, ohne zuschalten des Gehirns, gleicht für wahr zunehmen, das man eben auch auf Hintergründe achten soll. Auch diese Strophe ist im Reimschema:
a a b c c b
Die 4. Strophe von Claudius‘ Werk führt seinen „Kollegen“ noch einmal in verdeutlichter, und vorallem in nicht so verschwommener Form ihre Unwissenheit vor Augen.
„..
.wir spinnen Luftgespinste und suchen viele Künste und kommen weiter von dem Ziel...“
schreibt der Dichter weiter, was Folgendes bedeuten mag: Wir unwissenden Menschen träumen zuviel und haben vielzuviele unnötige Zeitvertreibe und kommen vom eigentlichen Hauptziel unserer Gesellschaft ab. Das ist kurz und bündig die Kernaussage dieses Abschnittes.
Die 5. Strophe klingt wie eine etwas merkwürdige Bitte an Gott. Anfänglich beginnt sie eigentlich nicht so abnormal: „Lass uns dein Heil(deine Herrlichkeit) schaun, auf nichts Vergänglichs trauen, nicht Eitelkeit uns freun!“...das ist eine typischen (Eigen-)Art der religiösen Menschen, sie sehen sich als ein Teil von etwas Höherem und distanzieren sich deswegen oft von „Vergänglichem“, von Dingen, die dem „normalen“ Volk möglicherweise viel bedeuten aber eben leider nach einer gewissen Zeit vergehen.
..vielleicht wäre Schönheit, Reichtum oder Erfolg, ein gutes Beispiel dafür: Anfangs glühend doch dann „vergeht“ die Glut immer mehr und mehr und zum Schluss ist man(n) wieder in der Ausgangssituation (oder noch schlechter).
Des weiteren würde den gläubigen Menschen solcherlei Zeitvertreib nur stören(ganz zu schweigen von der sexuellen Askese).
Es folgt der bereits erwähnte merkwürdige Teil dieser Strophe. Er bittet Gott darum einfältig zu werden.
Wer würde je um so etwas bitten, es gibt so viele andere Bitten und verborgene Wünsche in jedem ...warum gerade das? Nun, lesen wir weiter kann man sich ungefähr denken, wie das gemeint war, nämlich dass man als naiver Mensch irgendwie ein „leichteres“ Leben führt und führen kann, denn jemand, der nicht weiß, was er im Leben verpassen könnte, gibt sich schneller mit dem zufrieden, was bereits in seinem Besitz ist.
-Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß – das verrät uns auch dieses. sicherlich jedem bekannte Sprichwort, vielleicht ist es ja eine Adaption dieses „mehr oder weniger, alten ,Gebetes‘.
“
In der 6. Strophe bittet er den Herrn um Erlösung durch einen sanften Tod, das Gedicht wird zur Bitte um Befreiung.
Um diesen Teil und Claudius‘ Seelenzustand verstehen zu können, muss man die Biographie des Autors kennen; hier sind auch einige Bestätigungen zu einigen vorher von mir vermuteten Fakten:
Matthias „der religiöse Dichter der Empfindsamkeit“ Claudius, am 15. August 1740 im holsteinischen Reinfeld geboren, studierte zunächst Theologie(!), dann aber Jura und Staatswissenschaften.
Tod und Geburt waren Matthias Claudius, der elf Kinder hatte, gewohnte Begleiter. 1751 starben drei Geschwister innerhalb eines Jahres, sein Bruder Josias während des Studiums in Jena 1760, 1766 die Schwester Dorothea Christine, 1773 der Vater, 1772 - sieben Monate nach seiner Hochzeit mit der achtzehnjährigen Anna Rebecca Behn - das nur wenige Stunden alte erste Kind.
1780 stirbt Claudius' Mutter, 1788 im Alter von zwei Jahren der zweite Sohn Matthias, 1796 die Tochter Christiane Marie Auguste.
Nach Beendigung des Studiums trat er jedoch kein Amt an, sondern lebte und dichtete er im Haus seines Vaters, bis ihm 1770 die Redakteursstelle bei der Hamburger Volkszeitung "Der Wandsbeker Bote", bei der auch Klopstock, Lessing und Herder mitarbeiteten, angeboten wurde.
In dieser Zeitung erschienen ab 1775 Claudius‘ eigene Werke. Zunächst noch der Anakreontik Gleims verpflichtet, wandte er sich später unter dem Eindruck des Todes seines Bruders mehr und mehr religiösen und ethischen Themen zu. Claudius‘ Lyrik blieb stets volksliedhaft einfach, ist vielfach volkstümlich geworden ("Der Mond ist aufgegangen", "Der Tod und das Mädchen") und widersetzte sich allen literarischen Moden seiner Zeit. Einige Gedichte wurden von Schubert vertont.
Seit 1778 lebte Claudius dann als freier Schriftsteller mit einem kleinen festen Einkommen als Bankrevisor. Durch den Krieg aus Wandsbek vertrieben, starb er im Januar 1815 in Hamburg.
Seine Werke gab Claudius in acht Teilen von 1775 bis 1812 heraus unter dem Titel "Asmus omnia sua Secum portans, oder Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen" (Asmus, alles Seinige mit sich tragend bzw. bringend). Neben weiteren Einzelschriften sind Übersetzungen Claudius' aus dem Englischen und Französischen erwähnenswert (Saint Martin, Fenelon).2)
Claudius trat gegen den vorherrschenden Rationalismus (und auch gegen die Klassik) ein, indem er Naturfrömmigkeit und eine gleichermaßen empfindsame und nüchterne christliche Religiosität literarisch geltend zu machen versuchte.
In der letzten und 7. Strophe des Gedichtes fordert der Schöpfer dieses Werks seine „Brüder“ (wobei er natürlich auch die gesamte Menschheit als seine Brüder bezeichnen könnte) auf, sich niederzulegen. Und Gott wird jetzt eindringlichst gebeten sie zu verschonen und sie ruhig schlafen zu lassen.
Die fundamentale Aussage besteht aus 2 Teilen:
Der gläubige Mensch fühlt sich - trotz der drohenden Nacht - in Gott geborgen ( wie ein Kind)
Er denkt auch an den kranken Nachbarn ! Das heißt, er denk an seine Mitmenschen generell, ein sozialer Mensch.(wie die 7. Strophe verdeutlicht)
Dieses in der „Sturm und Drang“ Epoche geschriebene Lied weißt keine nennenswerten Besonderheiten in Bezug auf den Wortschatz auf.
Das Reimschema:
a a b c c b d d e f f e g g h i i h j j k l l k m m n o o n p p q r r q s s t u u t
Vielleicht will er mit dem vom Anfang genommenen b, das sich zum Schluss wiederholt, eben die Wiederholung verdeutlichen: Es hilft quasi kein Streben und Luftgespinnste spinnen, zum Schluss befindet man sich auf der selben Stufe wie am Anfang, und der Tag wird ebenfalls wieder neu sein und doch irgendwie derselbe wie der vorhergehende.
[Inhalt und andere diverse Kniffe, die Matthias Claudius in dieses, eines seiner berühmteren Werke eingebaut hat, sind ja bereits ausführlichst erklärt worden.>
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