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  Interpretation die tochter

Peter Bichsel, Sohn eines Handwerkers, wurde am 24.03.1935 in Luzern geboren und wuchs im schweizerischen Olten auf. Nachdem er 1955 bis 1968 als Primarlehrer arbeitete, war er später freier Schriftsteller. In dieser Zeit entstanden viele bedeutende Werke. Ab 1973 verfasste er regelmäßig politische Artikel für den Züricher "Tagesanzeiger".

Nach seiner Tätigkeit als freier Schriftsteller war er wieder Lehrer, 1981 Stadtschreiber von Bergen- Enkheim und ab 1989 in der Luzerner Literaturförderung tätig. Die Figuren in seinen Werken verharren in Gedankenspielen, die um Ideen und Wünsche kreisen, vermeiden aber Entschlüsse oder ziehen Konsequenzen. Ihnen fehlt der Bezug zur Realität keineswegs. In den literarischen Texten macht es Peter Bichsel seinen Lesern nicht leicht: hinter der scheinbaren Einfachheit verstecken sich genau durchdachte Strategien, die Doppeldeutigkeiten erzeugen. Der sparsame Umgang mit Wörtern komprimiert schwierige Vorgänge auf wenige Sätze. Umgekehrt erweist sich das Gewöhnliche und Unbedeutende, das er aufgreift, als Mittel, den Leser durch Identifikation in die Geschichte einzubeziehen.

Von seinen bekannten Werken möchte ich eines genauer vorstellen. Seine Kurzgeschichte "Die Tochter" verfasste er 1964, die Zeit als schon die Schäden des 2.Weltkrieges zum größten Teil beseitigt waren und wirtschaftlicher sowie kultureller Aufschwung erfolgte. In der Kurzgeschichte geht es um ein Ehepaar, das jeden Abend am gedeckten Abendbrottisch aufgrund der schlechten Zugverbindungen eine Stunde auf ihre Tochter Monika warten muss, seit diese in der Stadt arbeitet. In dieser Stunde unterhalten sie sich über ihre Tochter und stellen sich vor, wie das Leben in der Stadt und ihre Arbeit wohl ist. Vermutlich will der Autor mit dieser Kurzgeschichte den Konflikt zwischen den verschiedenen Generationen, der auf Kommunikationsschwäche und gesellschaftliche Weiterentwicklung beruht, darstellen sowie die trotzdem bestehende Abhängigkeit von Eltern und Kindern untereinander.

Der Handlungszeitraum dieser Kurzgeschichte beschränkt sich auf die eine einzige Stunde, in der die Eltern am gedeckten Tisch auf Monika warten. Doch dieser kontinuierliche Handlungsablauf wird durch kurze Rückwendungen unterbrochen, z.B. »Der Vater holte sich seine Lohntüte auch bei einem Bürofräulein...

« (Z.17-20); »Kürzlich hatte er Monika gebeten: "Sag mal etwas auf französisch."« (Z.45-47). Aus diesen Unterbrechungen lässt sich deuten, das sie sehr unruhig sind und sich um ihre Tochter sorgen, wegen der Zugfahrten die sie immer machen muss. Der Handlungsraum ist die Küche mit dem gedecktem Tisch auf dem Brot, Marmelade und Butter für das Abendbrot(!)stehen.

Alles wirkt dort geordnet und etwas konservativ. Im Kontrastraum dazu steht Monikas Zimmer mit dem Plattenspieler, dem Spiegel, Kosmetikartikeln, dem Hocker aus marokkanischem Leder und der Schachtel Zigaretten. Dies wirkt alles sehr modern. An diesem Gegensatz und Kontrast kann man schon erkennen, wie die Tochter das Moderne mit in das Haus der Eltern bringt und wie sich die Generationen ändern. In der Kurzgeschichte spricht ein allwissender Erzähler. Er beschreibt, wie sich die Eltern fühlen und was sie denken wenn sie auf ihre Tochter warten (z.

B.: Z.26-29), aber auch was die Tochter in der Stadt alles macht (z.B.: Z.21).

Im Text kann man eine indirekte Charakterisierung der Eltern finden. Sie folgen einem eintönigen und geradlinigem Tagesablauf, der ehemals von der Arbeitszeit des Mannes, jetzt von dem der Tochter rhythmisiert wird (Zeitungslesen nach der Arbeit, Abendessen früher um 18.30, jetzt um 19.30 Uhr). Daran merkt man, wie die Tochter das Leben und den Ablauf der Eltern beeinflusst und wie sich ihr Leben um die Tochter dreht. Doch trotzdem halten die Eltern an ihrem Rhythmus fest (warten ab 18.

30 in gewohnter Sitzordnung (Z.5-8)). Die Eltern leben auf dem Land mit schlechten Bahnverbindungen zur Stadt (Z.1/2). Ihre soziale Lage erscheint ihnen im Vergleich zum sozial höher stehenden Angestellten in ihren sprachlichen und sonstigen Umgangsformen als gering ("Bürofräulein", Z.17.

) Die Textstellen "Der Vater holte sich seine Lohntüte auch bei einem Bürofräulein.". "Sie war dann ein Fräulein, das in Tearooms lächelnd Zigaretten raucht". "wie sie beiläufig in der Bahn ihr rotes Etui mit dem Abonnement aufschlägt..wie sie den Gruß eines Herrn lächelnd erwidert.". "die Tasche und das Modejournal unter dem Arm." zeigen, dass die Eltern eine Art Wunschvorstellung von ihrer Tochter haben, die ihrer Meinung nach den sozialen Aufstieg geschafft hat. Mit diesen Wunschvorstellungen erklären sie sich auch das Rauchen ihrer Tochter, welches nicht gebilligt, sondern entschuldigt wird. Dies verdeutlicht hier gut den Generationskonflikt, denn zu der Zeit der Eltern war öffentliches Rauchen noch nicht üblich ("Andere Mädchen rauchen auch", Z.


41). Man merkt auch, dass die Eltern mehr am Leben der Tochter teilhaben wollen ("Sag mal etwas auf französisch"."Oft fragten sie, was sie alles getan habe in der Stadt, im Büro"), doch sie lässt es nicht zu ("Sie wusste aber nichts zu sagen"), da ihr die Fragen möglicherweise lästig sind. Deshalb versuchen die Eltern Monika zu verstehen, indem sie Vergleiche zu anderen Personen ziehen ("Büromädl", "Sie ist wie deine Schwester", "Andere Mädchen rauchen auch", "Sie wird auch heiraten"). Unabhängig davon wird auch das Äußere Monikas mit dem der Eltern verglichen ("Sie war größer. blonder und hatte.die feine Haut der Tante Maria"). Das Heiraten (Z.44) steht als Zeichen der künftigen räumlichen Trennung von Monika, denn die Eltern stellen sich auch vor, dass sie bald auszieht und sie dann zu den alten Gewohnheiten zurückkehren werden (Z.

33-36). Sie merken also, dass ihre Tochter selbstständig wird ("Sie war immer ein liebes Kind". "Sie wird auch heiraten"). An der Unterhaltung der Eltern am Ende der Kurzgeschichte merkt man, wie sie aneinander vorbeireden (sie geben sich keine richtigen Antworten, z.B.: Z.40-41, 42-43, 44-45, 47-48) und sich trotzdem verstehen (beide reden von der Tochter).

Daraus könnte man deuten, dass sich die Eltern schon entfremdet haben und nur noch die Tochter das Bindeglied zwischen ihnen ist. Es wirkt hier so, als wäre sie die Einzige, die noch frischen Wind in die Familie bringt. Der Autor benutz in dem Gespräch zwischen Zeile 39 und 51 das Wort "sagen" 10 mal, woran das eintönige, geradlinige Gespräch der Eltern verdeutlicht wird. Monika wird im Text als eine moderne junge Frau charakterisiert, die den sozialen Aufstieg geschafft hat. Das Moderne verkörpert ihr Zimmer und auch die Schallplatten, welche sie immer mitbringt (Z. 13-16).

Sie arbeitet in der Stadt, isst in den Mittagspausen in Tearooms und fährt mit dem Zug (Z. 1, 21). Monika ist groß, hat feine Haut und wird als liebes Kind charakterisiert (Z. 10-13). Sie hat auch sehr blondes Haar, denn der Autor verwendet das Wort mehrmals in seiner Geschichte, auch im Vergleich mit anderen Personen (z.B.

: Z.10, 16). Die Lebensweise von Monika und den Eltern unterscheidet sich grundlegend. Die Eltern leben auf dem Land, der Vater ist einfacher Arbeiter, die Mutter Hausfrau und sie folgen einem stereotypen Tagesablauf. Im Vergleich zur Tochter haben sie eine geringe Schulbildung und haben kaum Kenntnisse über andere als die eigene Lebensweise. Die Tochter hingegen hat einen hohen Bildungsstand ("kann Stenographieren"), arbeitet in der Stadt als Büroangestellte ("Bürofräulein") und hat den sozialen Aufstieg geschafft.

An all den oben genannten Dingen, der Bildung, der Arbeit und dem Leben von Eltern und Tochter kann man gut den Generationenkonflikt und -wandel sehen. Bichsel konnte dies in seiner Kurzgeschichte so gut verdeutlichen und veranschaulichen, da er selbst Lehrer war und dabei diesen Wandel immer gut beobachten und bemerken konnte. Seine Kurzgeschichte ist auch geprägt von Symbolen. Die Stadt symbolisiert für die Eltern die große, weite, moderne und unbekannte Welt, über die sie sich ihre eigenen Vorstellungen machen. Die Tochter ist für sie der Lebensmittelpunkt und das Bindeglied, auf welche sie sehr stolz sind und  von der sie wegen mangelnder Kommunikation ihre eigenen Wunschvorstellungen machen. Das Rauchen, der Plattenspieler, die Mode und Kosmetik stehen für die moderne Zeit, den Wandel der Zeit und die Entwicklung der neuen Generation, woran man wieder gut den Generationenkonflikt verdeutlichen kann.

In seiner Kurzgeschichte verwendet Peter Bichsel verschiedene Darbietungsformen und Erzählzeiten. Es werden sowohl wörtliche Rede (z.B.: Z.11), als auch Monologe verwendet (z.B.

: Z.44, 48 ."Sie wird auch heiraten", dachte er.). Das verdeutlicht noch einmal die innere Unruhe, aber auch die verschiedenen Gefühle und Gedanken über die Tochter. Es werden außerdem Beschreibungen (z.B.

: "Sie war größer gewachsen als sie") und fiktionale Berichte verwendet (z.B.: "Abends warteten sie auf Monika"). Der Autor hat in der Kurzgeschichte verschiedene Erzähltempus genutzt. Zum einen das Präteritum ("Sie, er und seine Frau, saßen am Tisch und warteten auf Monika") und das Präsens (".die Bahnverbindungen sind schlecht."), aber auch ein historisches Präsens ("Jetzt warten sie täglich eine Stunde am gedeckten Tisch.

") sowie Konditionale ("dass sie dann wieder um halb sieben essen würden") durchziehen die Geschichte.   Peter Bichsel spricht in seiner Kurzgeschichte verschiedene Themen an, zum Beispiel die Ablösung der Kinder von ihren Eltern (Z.48/49), der Traum der Eltern vom sozialen Aufstieg in eine andere gesellschaftliche Schicht, das Leben im Alter (Z.5-9), Lebensformen in der Stadt und auf dem Land und das Konsumverhalten und der Lebensstil von Jugendlichen (Z.13-16, 21-23, 41). Vor allem aber weist die Kurzgeschichte auf das Problem des Generationenkonfliktes hin.

Dieser wird verdeutlicht durch das Rauchen von Mädchen in der Öffentlichkeit, welches zu Zeiten der Eltern nicht üblich war. Des Weiteren durch die Mode, dem Leben und der Arbeitswelt der neuen Generation im Vergleich zu den Eltern (Plattenspieler, Spiegel, Modejournal, Arbeit in der Stadt.). Außerdem weist der Autor auch schon durch seine Verwendung von verschiedenen Erzähltempus und Darbietungsformen (Monolog, Dialog, Erzählbericht) darauf hin, dass hinter der Kurzgeschichte ein Konflikt steckt. Ich lag also in meiner Vermutung richtig und muss sie nur noch um die oben genannten Themen erweitern. Ich denke, dass der Autor den Generationskonflikt in seiner Kurzgeschichte so gut veranschaulichen und verdeutlichen konnte, da er selbst Lehrer war und so ständig miterlebt hat, wie sich die Generationen verändern und entwickeln. Dies empfinde ich auch als Beweggrund, wieso er die Geschichte schrieb.

Er möchte den Lesern damit zeigen, dass es jedem ähnlich ergeht und sie belehren, aus der Banalität des Lebens etwas zu schöpfen, was ihm dennoch Sinn gibt. Man sollte sich nicht so viele Vorstellungen machen, sondern lieber mit den Menschen kommunizieren und bewusst gemeinsam leben.

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