Drama [gr
Das Drama nach 1945
In den Nachkriegsjahren zeigte sich besonders im Bereich des Dramas der Versuch der Künstler, wieder an die internationale Entwicklung anzuschließen, da durch die nationalsozialistische Gleichschaltung ein großer Aufholbedarf entstanden war.
Der Existentialismus
Die ersten Nachkriegsjahre standen stark unter dem Eindruck des französischen Existentialismus, welcher aus dem Kampf der französischen „Résistance“ gegen den Nationalsozialismus entstanden war.
Der Existentialismus zeigte den Menschen als Wesen, das in die Unsicherheit und die Ungeborgenheit der Existenz geworfen und dadurch zur Auseinandersetzung mit seinem Dasein und zur selbständigen Gestaltung seines Lebens gezwungen wird. Sein einflußreichster Vorläufer im 19. Jahrhundert, der Däne Sören Kierkegaard (1813-1855), befaßte sich mit der existentiellen Problematik des Einzelmenschen, der angesichts eines sich immer mehr verschließenden christlichen Himmels nach der Sicherheit einer religiösen Bindung sucht.
Jean-Paul Sartre (1905-1980), der bedeutendste Vertreter des französischen Existentialismus, leugnete alle außerhalb des Menschen bestehenden Werte, verneinte das Transzendente und suchte einen Weg nach einem neuen illusionslosen Humanismus.
Jeder Mensch entwerfe in völliger Freiheit, aber auch in absoluter Verantwortung für sein gesamtes Tun seine Existenz.
Dagegen sah Albert Camus (1913-1960), der zweite große Existentialist, die menschliche Existenz als absurd. Der Mensch könne die Wirklichkeit nicht durch sein Eingreifen verändern.
Das Theater des Absurden
Es stellte eine radikale neue Form des Dramas dar. Es wollte in erster Linie der Erkenntnis Ausdruck verleihen, daß alle Sicherheit und Maßstäbe im Leben endgültig verlorengegangen seien. Zu seinen Ausdrucksmitteln gehörten von Anfang an clowneske, gauklerische Darbietungsformen, verbale Nonsensverse und die Gestik und Mimik der Stummfilmkomödien (Charlie Chaplin, Buster Keaton).
Der wichtigste Autor des „Theater des Absurden“ war Samuel Beckett (1906-1989). Die beiden Landstreicher Wladimir und Estragon aus seinem Bühnenerstling „Warten auf Godot“ (1952), die sich die Zeit des (vergeblichen) Wartens auf eine unbekannte Person namens Godot mit unsinnigen Beschäftigungen vertreiben, wurden zu Metaphern einer ganzen Generation.
Das Lehrstück ohne Lehre – und die moderne Tragikomödie
Ein beträchtlicher Teil der Nachkriegsdramen ist in (zustimmender oder ablehnender) Auseinandersetzung mit den theatralischen Mitteln und der Wirkungstheorie Bertolt Brechts entstanden. Brechts „Lehrstücke“ (siehe Literatur der Zwischenkriegszeit) setzten nach dem Kritiker Walter Hinck drei Annahmen voraus: das Vertrauen in die Belehrbarkeit des Zuschauers, die Überzeugung von der Durchschaubarkeit der Welt und das Vertrauen in die Veränderbarkeit der Welt. Nicht alle Nachkriegsautoren haben den Glauben an diese Voraussetzungen geteilt.
Zwei Autoren, die sich in ihren Stücken von Brechts Theater abgesetzt hatten, waren:
Max Frisch (1911-1991)
„Biedermann und die Brandstifter“ (1958)
„Andorra“ (1961)
Friedrich Dürrenmatt (1921-1990)
„Theaterprobleme“ (1955)
„Die Physiker“ (1962)
Das Dokumentartheater
Es verwendeten schon früher Dramatiker authentisches Material für ihre Stücke (Büchner in „Dantons Tod“ oder Karl Kraus in den „Letzten Tagen der Menschheit“).
Aber die eigentliche Entwicklung des Dokumentartheaters setzte im Jahre 1963 mit Rolf Hochhuths Stück „Der Stellvertreter“ ein.
Er versucht in seinen Dramen, die Geschichtslügen und Verdrängungstendenzen unseres Jahrhunderts auf die Bühne zu bringen. Dabei knüpft er an Schillers Geschichtsdramen an: er sieht also Geschichte weiterhin als Auseinandersetzung zwischen selbstverantwortlichen Individuen. In einem umfangreichen Anhangsteil fügt Hochhuth gewöhnlich die Ergebnisse seiner intensiven historischen Vorstudien an. Weitere bestimmende Autoren waren Peter Weiss (1916-1982, „Die Ermittlung“) und Heinar Kipphardt (1922-1982, „In der Sache J. Robert Oppenheimer“).
Das Drama der Sprachnot
Im Zuge der sogenannten „Horváth-Renaissance“ in den sechziger Jahren begannen die Autoren, sich vor allem für die Sprache ihrer Figuren zu interessieren – und für die Auswirkungen dieser Sprache auf das menschliche Bewußtsein.
Vor allem der Autor Franz Xaver Kroetz (geb. 1946) hat mit seinen an den Naturalismus erinnernden Zustandsbeschreibungen des sozialen Elends in den untersten Gesellschaftsschichten eine neue Form des „kritischen Volksstückes“ bekannt gemacht. Er geht über Horváths Gestaltung des „Bildungsjargons“ der städtischen Angestellten hinaus, indem er die Sprachlosigkeit vor allem von gesellschaftlichen Randschichten vorführt. Er zeigt sie als unfähig, ihre Lebenssituation und ihre Probleme sprachlich zu fassen. Dadurch sind sie aber auch nicht in der Lage, diese Schwierigkeiten zu bewältigen, die Sprache ist also zugleich Ursache und Symptom ihres mißlichen Zustands.
Während sich in den frühen Stücken (z.B. „Wildwechsel“, 1971, „Stallerhof“, 1972) die absolute Ausweglosigkeit der Menschen noch in Gewalt und Totschlag entlädt, läßt Kroetz seine Figuren später auch zu Lösungsansätzen finden, freilich noch immer stark behindert durch die eingeschränkten Möglichkeiten ihrer Sprache, die auch ihr Denken lenkt.
Unter den deutschsprachigen Dramatikern der Nachkriegszeit ragen vorallem folgende Autoren heraus:
Peter Weiss
Bekannt wurde er durch den surrealistisch anmutenden experimentellen „Mikro-Roman“ Der Schatten des Körpers des Kutschers (1960). Mit dem zweiaktigen Welterfolg Die Verfolgung und Ermordung Jean-Paul Marats kreierte Weiss ein Avantgardestück, welches das um die Revolutions- und Freiheitsproblematik kreisende Geschehen auf verschiedenen Handlungsebenen ironisch hinterfragt. Den Frankfurter Auschwitzprozess dokumentiert das „Oratorium in elf Gesängen“ Die Ermittlung (1965), dessen Uraufführung gleichzeitig in 17 Städten stattfand.
In Dramen wie Diskurs über die Vorgeschichte und den Verlauf des lang andauernden Befreiungskrieges in Viet Nam (1968) und Trotzki im Exil (1970) manifestierte sich Weiss’ sozialistisch-utopische Grundhaltung, wobei Trotzki im Exil die Abkehr des Autors vom dokumentarischen Theater markiert. So beleuchtet etwa das später geschriebene Drama Hölderlin (1977) die wachsende Kluft zwischen dichterischer Schöpferkraft und sozialer Wirklichkeit. Weiss’ Hauptwerk ist zweifellos der dreibändige Monumentalroman Die Ästhetik des Widerstands (1975-1981). Hier wird das Handlungsgerüst (dargestellt wird die Geschichte der Arbeiterbewegung zwischen 1918 und 1945) durch essayistische, dokumentarische und fiktionale Einsprengsel überlagert. Die Figuren und Orte sind historisch größtenteils belegbar. Ehrgeiziges Anliegen ist es, ein episch totales Panorama der revolutionären Linken zu entwerfen, und zwar aus der Perspektive derer, „die sich ganz unten befinden u.
dort, Entbehrungen u. Leid auf sich nehmend, ihre Überzeugung“ herausgebildet haben.
Weitere Prosawerke von Peter Weiss sind Das Gespräch der drei Gehenden (1963), Nacht mit Gästen (1966), Der Fremde (1980), Notizbücher 1971-1980 (2 Bde., 1981) und Notizbücher 1960-1971 (2 Bde., 1982). In der Zeitschrift Theater heute erschienen die Theaterstücke Gesang vom Lusitan.
Popanz (1967) und Wie dem Herrn Mockinpott das Leiden ausgetrieben wird (1968).
Thomas Bernhard
(1931-1989), österreichischer Schriftsteller. Die Akteure seiner Dramen sprechen in oft verrätselten Monologen, in denen sie sich nur mehr wiederholen können. Jegliche Kommunikation ist zum Scheitern verurteilt.
Zu den Dramen Bernhards gehören Ein Fest für Boris (1970), Die Macht der Gewohnheit (1974), Immanuel Kant (1985), Der Theatermacher (1985), Einfach kompliziert (1986) und Elisabeth II. (1987).
Der provozierende Tonfall mancher Texte Bernhards blieb nicht verborgen. So kam es nach der Vorveröffentlichung von Passagen aus dem Drama Heldenplatz (1988), einer Auftragsarbeit für den 100. Jahrestag des Wiener Burgtheaters, zum Eklat. Das Stück, welches sich mit der Position Österreichs zu jüdischen Emigranten beschäftigt, brachte Bernhard in Konflikt mit den offiziösen Politikern des Landes. Wegen zahlreicher Proteste von höchster Stelle („Hinaus aus Wien mit dem Schuft!“) mußte die Premiere um fast einen Monat verschoben werden.
Thomas Bernhard zählte neben Peter Handke und Gerhard Roth zu den bedeutendsten Vertretern der österreichischen Nachkriegsliteratur.
1968 wurde Bernhard mit dem Österreichischen Staatspreis, 1970 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Testamentarisch verfügte er, daß keines seiner Werke in Österreich publiziert oder aufgeführt werden darf.
Peter Handke
(*1942), österreichischer Schriftsteller. Er schrieb neben etlichen Romanen und Prosawerken das nur schwer zugängliche Pantomimedrama Die Stunde da wir nichts voneinander wußten (1992) und das dramatische Gedicht Über die Dörfer (1981). Heute lebt Handke als freier Schriftsteller in der Nähe von Paris. 1973 erhielt er den Georg-Büchner-Preis und 1979 den Kafka-Preis.
Botho Strauß
(*1944) gehört neben Franz Xaver Kroetz zu den bedeutendsten Dramatikern der westdeutschen Nachkriegsgeneration.
Zu den herausragenden Dramen zählen Die Hypochonder (1972), Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle (1975) und Kalldewey, Farce (1981). Letzteres inszeniert einen kaleidoskopartig zersplitterten Blick auf deutsche Befindlichkeiten, Therapiesüchte, Liebesleiden und Unterhaltungsirrsinn und spielt über die Figur des obszönen, in seiner Abwesenheit immer präsenten Titelhelden Kalldewey („Ich bin der unsichtbare Bienenstich, der bösen Frauen in die Titten sticht“) zudem an auf die Verführbarkeit des deutschen Volkes zur Zeit des Nationalsozialismus.
Die Dramen Groß und Klein, Szenen (1978), Die Fremdenführerin (1986), Besucher (1988), Die Zeit und das Zimmer (1988), Sieben Türen. Bagatellen (1988), Angelas Kleider (1991) und Das Gleichgewicht (1993).
Botho Strauß erhielt etliche Auszeichnungen (Georg-Büchner-Preis, ¼)
Heiner Müller
(1929-1995), Schriftsteller, welcher neben Botho Strauß zum bedeutendsten, aber auch umstrittensten deutschen Dramatiker der siebziger und achtziger Jahre avancierte.
Er verfaßte Dramen in der Tradition der Lehrstücke seines Vorbilds Bertolt Brecht wie Der Lohndrücker (1956), Die Korrektur (1957) und Der Bau (entstanden 1963/64, Uraufführung 1980). Weiters arbeitete der Autor vorwiegend an Adaptionen griechischer Tragödien (Philoktet, nach Sophokles, Uraufführung 1968) und bearbeitete Dramen William Shakespeares (Macbeth, 1972). Ziel war vor allem, Zeitkritik verschlüsselt zu präsentieren.
Samuel Barclay Beckett
(1906-1989), irischer Schriftsteller. Mit En attendant Godot (1953, Warten auf Godot) und Fin de Partie (1957, Endspiel) avancierte er zum wichtigsten – und prominentesten – Vertreter des absurden Theaters. Beckett schrieb neben den Dramen auch zahlreiche Prosatexte, Drehbücher und Hörspiele.
Max Frisch
(1911-1991), Schweizer Schriftsteller. Mit Friedrich Dürrenmatt gehört er zu den wichtigsten Vertretern der schweizerischen Literatur der Nachkriegszeit. Zentrale Themen seines zeitkritischen Werkes sind Selbstentfremdung und das Ringen um Identität in einer ebenso entfremdeten Welt.
Zu Frischs frühen Dramen zählt Die Chinesische Mauer (1946, Neufassungen 1955 und 1972). Danach folgte das Schauspiel, Als der Krieg zu Ende war (1949). Sein wohl bekanntestes Stück Andorra (1961) und die Farce Biedermann und die Brandstifter (1958).
Auch schrieb er eine Parodie des Don-Juan-Stoffes Don Juan oder die Liebe zur Geometrie (1953, Neufassung 1962). Weitere Dramen sind Nun singen sie wieder (1946), Santa Cruz (1947), Graf Öderland (1951, Neufassung 1961), Die große Wut des Philipp Hotz (1958), Biographie. Ein Spiel (1967, Neufassung 1985) und Triptychon. Drei szenische Bilder (1978).
Friedrich Dürrenmatt
(1921-1990), Schweizer Schriftsteller. Mit Theaterstücken wie Der Besuch der alten Dame (1956) und Die Physiker (1962, Neufassung 1980) avancierte er zu einem der bedeutendsten Dramatiker der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur.
Die Theaterstücke Die Ehe des Herrn Mississippi (1952, Neubearbeitung 1957) und Ein Engel kommt nach Babylon (1954, Neubearbeitung 1957) machten ihn als Dramatiker einem breiten Publikum bekannt.
Rolf Hochhuth
(*1931), Schriftsteller. Bekannt wurde er durch sein provokantes Drama Der Stellvertreter. Ein christliches Trauerspiel, das das passive Verhalten der katholischen Kirche während des Holocaust thematisiert. In den sechziger Jahren war er ein bedeutender Vertreter des Dokumentartheaters. Weiters erschienen Dramen wie Guerillas, 1970, darunter auch Tragödien wie Soldaten (1967) oder Judith (1984) oder die Komödie Die Hebamme (1971).
Franz Xaver Kroetz
(*1946). Er schrieb einige Dramen, die aufgrund ihrer gesellschaftlich oder politisch brisanten Themen Skandale verursachten, so Heimarbeit (1971), Wildwechsel (1973), Münchner Kindl (1974) und Der stramme Max (1979). Weiters erschienen Hartnäckig (1971), Männersache (1971), Geisterbahn (1972), Oberösterreich (1972), Dolomitenstadt Lienz (1974), Mensch Meier (1979), Wer durchs Laub geht (1979), Nicht Fisch nicht Fleisch (1981), Verfassungsfeinde (1981), Der Weihnachtstod (1986), Oblomow (1989), Bauerntheater (1991) und Der Drang (1996). 1997 inszenierte Kroetz Friedrich Schillers Wilhelm Tell am Schauspielhaus Düsseldorf.
Quelle
Autorenteam: Abriß der deutschsprachigen Literatur, Neufassung – Braumüller (Schulbuch); ab Seite 316
Encarta 98
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