Die wolke
Die Wolke
Als die Klasse von Janna Berta durch den ABC-Alarm geschockt wurde klang es schon aus den Lautsprechern das die Schüler ihre Klassen verlassen sollten um so schnell wie möglich nach Hause zu gelangen.
Der vierzehnjährigen Janna-Berta gelingt es rasch,von Fulda,
ihrem Schulort,in den Heimatort Schlitz zurückzukommen.Sie ist besorgt,weil sie allein für
ihren siebenjährigen Bruder Uli verantwortlich ist.Vater Hartmut Meinecke ist auf einer
Tagung in Schweinfurt,die Mutter und der jüngste Bruder Kaibegleiten ihn und besuchen in
Schweinfurt Großmutter Johanna,genannt Jo.
Weil Tante und Polizei raten,in geschlossene Räume zu gehen,vertun die beiden Kinder
viel Zeit,ehe sie sich nach einem Anruf der Mutter auf ihren Fahrrädern auf die Flucht
begeben.Auf den Straßen herrscht Chaos.
Jeder kämpft schonungslos um den eigenen
Vorteil.Janna-Berta und Uli schlagen sich bis kurz vor Bad Hersfeld durch.Doch Uli wird
vom Rad geschleudert und von einem rücksichtslosen Autofahrer überfahren.Er ist sofort
tot.
Janna-Berta muss ihn im Rapsfeld neben der Straße liegen lassen,sie selbst wird von einer
jungen Familie mit drei kleinen Mädchen im Auto nach Hersfeld zum Bahnhof mitgenommen.
Im Ansturm der Flüchtenden auf den Bahnsteig verliert sie zwei der ihr nun anvertrauten
Mädchen.
Auf die Vorwürfe der Mutter bricht sie in irrsinniges Gelächter aus und läuft zurück
Richtung Asbach,mitten in einen wolkenbruchartigen verseuchten Regen hinein.Total
durchnässt wird sie von jungen Leuten in einem Bus mitgenommen.Aussagen,dass aus dem
Absperrungsgebiet um Schweinfurt keiner lebend herauskomme,veranlassen Janna-
Berta bei Herleshausen auszusteigen.Sie schleppt sich in ein Dorf,bekommt,weil „jeder
strahlt,der von dort kommt “,nicht einmal Wasser und bricht zusammen.Seit dem
Reaktorunfall sind ungefähr neun Stunden vergangen.
Die folgenden Wochen verbringt Janna-Berta in einem Nothospital,eingerichtet in einem
Schulsaal in Herleshausen.
Hier werden die ersten Strahlenkranken behandelt.
Sie leiden an hohem Fieber,Durchfall,Erbrechen,Haarausfall.Viele sterben.Die Kranken
können nur notdürftigst versorgt werden,die Katastrophenschutzpläne sind völlig unzu-
reichend.Erste konkrete Nachrichten über die Folgen der Atomkatastrophe werden bekannt:18 000
Menschen starben,Hunderttausende sind strahlenkrank.Unverseuchte Nahrung ist knapp,
die Preise schnellen hoch.
Drei Sperrzonen werden im Kreis um den Reaktor eingerichtet.
Ein Gerücht sagt,ein paar Kilometer um das Kraftwerk herum sei auf alle,die flüchten
wollten,geschossen worden.Von ihrer Familie hört Janna-Berta nichts.
Eines Tages kommt Helga Meinecke aus Hamburg,die Schwester des Vaters.Sie berichtet,
dass die Eltern,Jo und Kai tot sind.Nach Ende der Behandlung holt Tante Helga Janna-
Berta in ihre Wohnung nach Hamburg verbringt.
Das Leben scheint relativ normal zu verlaufen in den Frühsommerwochen.Janna-Berta geht wieder in die Schule.
In jeder Klasse gibt es einige Hibakusha,wie sich die Flüchtlinge nach den
Überlebenden von Hiroshima nennen.Mit Helga hat Janna-Berta viele Reibungspunkte.Sie
will,dass Janna-Berta ihren kahlen Kopf unter einer Perücke versteckt.Janna-Berta weigert
sich.
Sie hält es auch für falsch,dass Helga den Großeltern Meinecke den Tod der Eltern
und der Brüder verschweigt.
Janna-Berta ist deshalb viel mit ihrem früheren Mitschüler Elmar zusammen,den sie zufällig
am Hamburger Gymnasium wiedertrifft.Auch er versteckt seinen kahlen Kopf nicht.Er
schreit Passanten auf der Straße ins Gesicht,dass sie ebenfalls betroffen und auf Krebs
programmiert seien,er stellt ihr die Langzeitfolgen vor Augen und wird in seinen Vorträgen
immer aggressiver.Gegen Ende des Schuljahres wird er immer hoffnungsloser und
schweigsamer.Er wird nicht versetzt und begeht mit Tabletten Selbstmord.
Dies ist für Janna-Berta der Auslöser,heimlich Hamburg und Tante Helga zu verlassen und
nach Wiesbaden zu Almut und Reinhard zu gehen.Almut,Mutters jüngere Schwester,und
ihr Mann Reinhard sind Lehrer.Auch sie wohnten vor dem Atomunfall in der Nähe des
Reaktors,in Hammelburg.Almut war damals schwanger,musste abtreiben lassen und wird
nie wieder ein Kind haben können.Heute lebt sie mit Reinhard und dessen Vater in einer
winzigen Kellerwohnung in Wiesbaden.
Janna-Berta fühlt sich dort trotz der Enge sofortgeborgen.
Reinhard ist wieder Lehrer,„Papa “,Reinhards Vater,versorgt den Haushalt,Almut arbeitet für eine neugegründete
„Notgemeinschaft der Atomgeschädigten “.Als eineehemalige Kollegin an Leukämie stirbt,nehmen Almut und Reinhard zwei Kinder und auchdie Großmutter in die Familie auf.Der Ferienmonat August lässt die Welt fast heil erscheinen.
Am 1.September,knapp 4 Monate nach der Katastrophe,wird die Sperrzone DREI auf-
gehoben. Das Fernsehen bringt rührende Berichte über die Heimkehrer,die
allerdings auf eigenes Risiko zurückgehen.
Kurz darauf trifft Janna-Berta bei der Einweihung
des Hibakusha-Zentrums Lars aus Schlitz,der sie am Tag des Unfalls in seinem Auto von
der Schule mit nach Hause nahm.Er war in Schlitz und meint,sie solle ebenfalls hinfahren,
eher würde sie keine Ruhe bekommen.
Allein kehrt Janna-Berta zurück. Per Anhalter kommt sie nach Asbach und
findet dort im Rapsfeld neben dem Bahndamm die beiden Räder,Ulis Teddy und schließlich
die Überreste des Leichnams im Feld.Sie begräbt Uli und fährt auf ihrem Rad nach Schlitz.
Schlitz sieht fast aus wie immer,eine letzte Hoffnung flackert in Janna-Berta auf,alle Todes-
nachrichten seien nur ein Missverständnis gewesen.
Tatsächlich ist jemand im Haus:Oma
Berta und Opa Hans-Georg,Vaters Eltern,sind aus Mallorca zurückgekehrt.Janna versteckt
ihren kahlen Kopf unter einer Mütze.Wie in alten Zeiten trinkt sie Kaffee mit den Großeltern,
die von Tante Helga noch immer nicht über den Tod der Eltern und der Brüder informiert
wurden.Opa Hans-Georg gibt in aller Deutlichkeit seine Meinung über den Atomunfall kund:
Er meint,das „Großkatastrophenmärchen “ schade nur dem Ansehen der Deutschen..Da
zieht Janna-Berta die Mütze vom Kopf und beginnt zu sprechen.
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