I
Herkunft und ursprüngliche Bedeutung des Wortes Technik
Charakterisierung Walter Fabers im Hinblick auf den Menschentyp des 20.Jahrhunderts
Natur als herrschende Macht
Erkennen der Machtlosigkeit
Versuch, die Natur dennoch beeinflussen zu können.
Kunst, nichts anderes als Technik
Technisierung
Vergleich einer Maschine mit Gefühlen
Bestreben des Gleichwerdens mit einem technischen Gerät
Erkenntnis
Verlangen alles in Schemen einzuordnen
Verdrängung der Tatsache, dass die Natur herrschende Macht ist
Verabscheuung
Gleichstellung Mensch mit Gott
Fabers Wandlung vom Roboter zum Menschen
Erfahrungen mit der Liebe
Lernen des ‚Mensch‘- Seins
Schließlich menschliches Handeln
Der Menschentyp im 20. Jahrhundert
1 Die Technik beherrscht unser Zeitalter, das 20. Jahrhundert. Wir werden in sie hineingeboren wie in die Natur und die Kultur unseres Landes.
Als dritte Großmacht bestimmt sie somit unser Leben.
Das Wort Technik ist nicht deutschen Ursprungs. Es stammt aus dem Griechischen (tecnh) und bedeutet soviel wie „Kunstfertigkeit“. Es bezeichnet also eine Tätigkeit des Menschen schöpferischer Art. Noch heute wird das Wort in diesem Sinn gebraucht, wenn wir von Malerei, der Bildhauerkunst sprechen oder einem Klavierspieler eine gute Technik nachrühmen. In der Anwendung auf besondere Berufe oder Maschinen blieb der gleiche Gedankengehalt unverändert bestehen.
II A Wenn auch für einen Fachmann nichts Ungewohntes zu sehen ist, so finde ich die Anlage [den Maschinenraum] als solche, bedingt durch den Schiffskörper, doch sehenswert, ganz abgesehen davon, dass es immer Freude macht, Maschinen im Betrieb zu sehen.
1. Die Technik regiert heute auf Erden. Über den Menschen, der sie geschaffen hat, ist sie längst hinausgewachsen. Darum hat sie sich auch von ihm losgerissen und steht ihm nun als Riesenmacht, der ihren eigenen Gesetzten folgt, gegenüber.
a) Walter Faber sieht in der Welt einen starken Antagonismus zwischen Natur und Technik.
Er ist davon überzeugt, dass die natürliche Welt der technischen unterlegen ist:
Ich habe sie immer gefürchtet; was man auch dagegen tut:
Ihre [der Zähne] Verwitterung. Überhaupt der ganze Mensch! – als Konstruktion möglich, aber das Material ist verfehlt: Fleisch ist kein Material, sondern ein Fluch! ...
In seinen Argumentationen widerspricht sich Faber oft, beziehungsweise lässt er durchschimmern, dass eine gewissen Faszination und Wertschätzung der Natur sehr wohl vorhanden ist, welche er aber verdrängt. So erkennt er zwar die Konstruktion ‘Mensch‘ an, ist aber mit dem Material nicht zufrieden, obwohl es sich im Verlauf der Evolution bewährt hat.
Die Tatsache, dass der Körper nicht von einem Menschen errichtet worden ist und dass er deshalb von niemandem (vor allem von ihm nicht) verstanden und beherrscht werden kann, hindert ihn daran, den Menschen als faszinierendes Werk der Natur zu betrachten. Dieses Gefühl der Unterlegenheit quält Walter Faber und er würde sich statt Baustein lieber als Bauherr sehen.
Jeder Apparat kann einmal versagen; es macht mich nur nervös, solange ich nicht weiß, warum.
b) Gerade weil sich Walter Faber der Natur nicht gewachsen fühlt, versucht er in der Welt der Technik Mittel zu finden, die Übermacht der Natur zu verdrängen und zu verdecken. Ein Beispiel dafür ist seine Bartstoppel-Phobie:
Ich fühle mich nicht wohl, wenn unrasiert; nicht wegen der Leute, sondern meinetwegen. Ich habe dann das Gefühl, ich werde etwas wie eine Pflanze, wenn ich nicht rasiert bin, und ich greife unwillkürlich an mein Kinn.
Selbst Realitätssinn und Kunstverständnis sind für Faber, vor allem vor und zu Beginn seiner Beziehung mit Sabeth, unvereinbare Größen. Künstlerische Produktionen sind laut Faber lediglich ein primitiver Vorläufer der Technik:
[...] ich habe aber keine Lust, davon zu sprechen, und sagte lediglich, dass Skulpturen und Derartiges nichts anderes sind (für mich) als Vorfahren des Roboters. Die Primitiven versuchten den Tod zu annullieren, indem sie den Menschenleib abbilden – wir, indem wir den
Menschenleib ersetzen.
Technik statt Mystik!
2. Die menschlichen Gefühle sieht Faber als Störfaktor der technischen Welt:
a) Vor allem aber: die Maschine erlebt nichts, sie hat keine Angst und keine Hoffnung, die nur stören, keine Wünsche in bezug auf das Ergebnis, sie arbeitet nach Logik der Wahrscheinlichkeit, [...].
b) Der Mensch, einst Krone der Schöpfung, erscheint ihm im Vergleich zur Maschine als mangelhaftes Produkt.
Infolgedessen möchte Faber an der Idealität der Technik teilhaben, indem er versucht ihr möglichst ähnlich zu werden versucht und alles unterdrückt, was ihn an einem reibungslosen mechanischen Funktionieren hindert. So verwendet er als Vorbild seiner Augen die Kamera, die vor keinem Objekt erschrickt oder sich daran erfreut.
Ich habe mich schon oft gefragt, was die Leute eigentlich meinen, wenn sie von Erlebnis reden. Ich bin Techniker und gewohnt, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Ich sehe alles, wovon sie reden, sehr genau; ich bin ja nicht blind.
Faber sieht die Umgebung nicht an, sondern überlässt den Blick seiner Kamera.
Auch dies ist ein Versuch, immer sachlich zu sein und zeigt, dass es ihm nichts bedeutet, sich in einem lebendigen Zusammenhang mit der Welt zu betrachten. Er reduziert die Welt und auch sich selbst (was auch im ‚reduzierenden Schreibstil‘ zum Ausdruck kommt), auf das objektiv Wahrnehmbare, Benennbare und Messbare, da nur so die Illusion aufrechterhaltbar ist, die Bewegungen in dieser Welt und seine eigenen Handlungen darin seien berechenbar und insofern kontrollierbar.
Doch da Faber sich selbst und seine Tochter, Sabeth durch den Tod bedroht fühlt, eine vom Menschen nicht kontrollierbare Macht, kann er die Überlegenheit der Natur nicht ohne weiteres akzeptieren.
a) Deshalb versucht er auch die Angst vor dem Tod mit Hilfe der Statistik zu bändigen.
Was mich beruhigte: Die Mortalität bei Schlangenbiss (Kreuzotter, Vipern aller Art) beträgt drei bis vier Prozent, sogar bei Biss von Kobra nicht über fünfundzwanzig Prozent, was in keinem Verhältnis steht zu der abergläubischen Angst vor Schlangen, die man allgemein noch hat.
b) Auch beim Auffinden von Joachims Leiche verdrängt Faber die Vergänglichkeit und den Tod.
Die ersten Gedanken gehören den Fakten des Selbstmordvorgangs:
(Er hatte es mit einem Draht gemacht) und dem laufenden Radio (es wunderte mich, woher sein Radio [...] den elektrischen Strom bezieht [...
] und eine seiner ersten Tätigkeiten war es, den Toten Freund zu fotografieren (wir fotografierten und bestatteten ihn.)
Keine Anzeichen von Trauer: Faber fährt mit den Ausführungen über die Loyalität der Indios fort. Auch Professor O’s Tod wird nur am Rande erwähnt:
Jetzt ist Professor O., [...
], auch gestorben.
c) Besonders deutlich wird seine Unterlegenheit, als Faber auf der Reise zu Joachims Plantage den schützenden Rahmen der Zivilisation langsam verliert und in einen Bericht gerät, in dem sich Natur ungehindert vollzieht. Voll Abscheu registriert er die Allgegenwart von Zeugung und Verwesung:
[...] diese Fortpflanzerei überall, es stinkt nach Fruchtbarkeit, nach blühender Verwesung.
Wo man hinspuckt, keimt es!
Als besonders erschreckend empfindet er die fließenden Übergänge, die keine klaren (technischen) Trennungen zulassen. Das Ineinanderfließen von Werden (blühen) und Vergehen (Verwesen), von Leben und Tod. Mit Feuer, der völligen Vernichtung, die beispielsweise bei mittelalterlichen Hexenverbrennungen als ‚säubernd‘ galt, will er der ekelerregenden Natur eine Grenze setzten:
Feuer ist eine saubere Sache, Erde ist [...] Verwesung voller Keime, glitschig wie Vaseline, Tümpel im Morgenrot wie Tümpel von schmutzigem Blut, Monatsblut, Tümpel voller Molche, nichts als schwarze Köpfe mit zuckenden Schwänzchen wie ein Gewimmel von Spermatozoen, genau so – grauenhaft.
(Ich möchte kremiert werden!)
4. Dennoch stellt er Menschen auf die selbe Stufe wie Gott. Deshalb er die Schwangerschaftsunterbrechung nicht nur für akzeptabel, sondern gar für menschliche Pflicht. Dies ist gemäß Faber die einzige Möglichkeit der Überbevölkerung entgegenzuwirken:
Schwangerschaftsunterbrechung ist heutzutage eine Selbstverständlichkeit. [..
.] Fortschritt in Medizin und Technik nötigen gerade den verantwortungsbewußten Menschen zu neuen Maßnahmen. [...] Die drohende Überbevölkerung unserer Erde.
[...] Der liebe Gott! Er machte es mit Seuchen; wir haben ihm die Seuchen aus der Hand genommen. Folge
davon: wir müssen ihm auch die Fortpflanzung aus der Hand nehmen.
B 1.
Fabers Bezug auf Technik und Natur wandelt sich durch seine Liebe zu Sabeth.
a) Durch diese Liebe gewinnt er zunehmends an Menschlichkeit und er fängt an, die Fähigkeiten des lebendigen Wahrnehmens zu erlernen und zu trainieren. Die beiden Liebenden wetteifern darin, passende Vergleiche für das zu finden, was sie sehen:
Das Wiehern eines Esels in der Nacht: Wie der erste Versuch auf einem Cello! findet Sabeth, ich finde: Wie eine ungeschmierte Bremse!
Obwohl Fabers Vorschläge, im Gegensatz zu denen von Sabeth, immer noch seine Realitätsnähe und Technikverbundenheit widerspiegelt, zeigt er, dass er Gegebenes jetzt auch mit Erinnerungen, Gefühlen und Phantasie verknüpfen kann.
Auch kann Faber dann die Natur bewusst wahrnehmen und genießen:
Wir hatten unsere Schuhe ausgezogen, unsere bloßen Füße auf der warmen Erde, ich genoß es, barfuß zu sein, und überhaupt.
b) Letztlich verändert sich Walter Faber auch im Bezug auf seinen Körper und seine sexuellen Gefühle. So kann er in Kuba, während der Verarbeitung der Inzestliebe und deren tragisches Ende, seine Begierde ohne Abscheu wahrnehmen:
[.
..] draußen das Girl, das im Korridor putzt und singt [...].
Meine Begierde – Warum kommt sie nicht einfach!
Faber wird also im Verlauf seines Berichtes vom Roboter, der er zu sein wünschte immer mehr zu einem menschlichen Wesen – leider bleibt ihm wahrscheinlich nur noch wenig Zeit, diese Seiten seiner Natur richtig auszuleben und zu genießen.
III geprägt durch den ungebremsten Glaube in die Technik, der vor allem während des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem 2.Weltkrieg beeinflusst wurde. Doch auch heute noch ist die Überzeugung, dass wir die Natur beherrschen müssen und das die Technik das einzige Mittel dazu ist, sehr stark verbreitet und macht sich allzuoft bemerkbar. Das Scheitern von Walter Faber und die Tatsache, dass er umdenken muss, zeigt, dass dieser Weg eine Sackgasse ist.
[Alle Zitatangaben beziehen sich auf:
Frisch, Max: Homo faber.
Ein Bericht, Frankfurt 1979 (Suhrkamp Tb 354)]
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