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  Literarische erörterung zu "der sandmann" von e

Ngoc Obst 18.03.200411/DE3  Literarische Erörterung zu: „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann   Erörtern Sie auf der Grundlage des Textauszuges „Klara an Nathanael“ das Scheitern der Hauptfigur.

Nehmen Sie in Ihrer Auseinandersetzung Bezug zu den Erkenntnissen Sigmund Freuds!   Sigmund Freud setzt sich in seiner psychoanalytischen Theorie über das „Unheimliche“ größtenteils mit E.T.A. Hoffmanns Novelle „Der Sandmann“ auseinander. Seine Erkenntnisse liefern uns ein besseres psychologisches Bild der Hauptfigur Nathanael und ermöglichen uns einen Einblick in ein Leben, das vom Unheimlichen geprägt ist. Da wäre erst einmal zu klären, was da „Unheimliche“ eigentlich ist.

Freud interpretiert es als einen wiederkehrenden Ausbruch eines verdrängten Erlebnisses. „[...] dies Ängstliche [ist] etwas wiederkehrendes Verdrängtes […] eben das Unheimliche[…]“ Es ist also nichts Neues oder Fremdes für uns, sondern vielmehr etwas Altvertrautes, sozusagen etwas „Heimliches“, das nur durch den „Prozess der Verdrängung“ entfremdet worden ist. Die Vorsilbe „un“ verdeutlicht dabei diesen Vorgang.

Diese Anschauung ermöglicht es Freud, auch die Schellingsche Definition des Unheimlichen zu verstehen: „[…] das Unheimliche sei etwas, was im Verborgenen hätte bleiben sollen und hervorgetreten ist.“ Aber wie können wir Freuds Erkenntnisse auf Hoffmanns Werk anwenden? Die Voraussetzung für das Scheitern Nathanaels lässt sich seiner Kindheit finden. Sein Wesen ist seit jeher durch sehr lebhafte Fantasie und emotionales Handeln charakterisiert. Das ist auch der Grund, weshalb er den verhassten Advokaten Coppelius mit dem Sandmann aus dem Märchen der Amme verknüpft.. Nathanael fürchtet sich vor ihm und wird sogar von ihm bedroht, als er seinen Vater und Coppelius bei einem geheimen alchemistischen Experiment beobachtet.

Darum gibt er ihm später auch die Schuld am Tode seines Vaters, der bei solch einem Versuch ums Leben kam. Dieses Kindheitserlebnis hat ihn nachhaltig geprägt. So ist er auch erschüttert, als er als erwachsener Mann glaubt, in dem Wetterglashändler Coppola den vermeintlichen Sandmann, Coppelius, wiederzuerkennen. In einem Brief an seinen Freund Lothar schildert er dieses „entsetzliche Ereignis“. Fälschlicherweise gelangt er aber in die Hände Klaras, seiner Verlobten. Sie ist von den schrecklichen Begebenheiten aus Nathanals Vergangenheit sehr aufgewühlt und lässt sich auch nicht durch ihren Bruder Lothar beruhigen.

„Der fatale Wetterglashändler Giuseppe Coppola verfolgte mich auf Tritt und Schritt […]“ (S. 12/ 38f.) Aber durch ihr „ruhiges, weiblich besonnenes Gemüt“ schafft sie es, schon nach kurzer Zeit wieder „[…] heiter[n] und unbefangenen Sinnes […]“ zu sein. Daraufhin versucht sie ihm zu erläutern, dass der Tod seines Vaters nur durch „eigene Unvorsichtigkeit“ verursacht worden war und belegt es mit der Aussage eines ihr bekannten Apothekers. Trotz ihres heiteren Charakters glaubt sie, Nathanaels dunkle Seite verstehen und erklären zu können, sie beruft sich hierbei auf ihren Bruder Lothar: Für Klara ist diese dunkle Macht im Inneren nichts weiter als das „Phantom des eigenen Ichs“, das es zu bekämpfen gilt. Denn es könne nur dann entstehen und Macht über einen haben, wenn man es zuließe und daran glaube.

Ihr ist andererseits aber nicht klar, inwiefern die „[…] tiefe Einwirkung [des inneren Phantoms] auf unser Gemüt uns in die Hölle wirft oder in den Himmel verzückt.“ (S. 14/ 23f.). Die „kalte, prosaische“ Klara erkennt nicht, dass es genau dieser Charakterzug ist, der den gefühlsbetonten Nathanael ausmacht. Daher rät sie ihm sorglos, sich den Sandmann aus dem Sinn zu schlagen, ihn zu verdrängen, und heiter zu sein.

Diese realistische und verständige Ansicht lehnt Nathanael allerdings ab. Er ist eher dem Metaphysischen und Emotionalen geneigt und glaubt dadurch nicht an „innere Dämonen“, stattdessen meint er, gegen „äußere Dämonen“ –verkörpert durch den Sandmann bzw. Coppelius als Sandmann- kämpfen zu müssen, um sich von der dunklen Macht zu befreien. Auf diesem Weg erreicht er aber nur, dass er unfähig ist, sich mit seinem Kindheitstrauma auseinander zu setzen. Der Ursprung seiner Angst liegt für ihn nicht in den verdrängten Erlebnissen seiner Kindheit, wie Freud in seiner Psychoanalyse mutmaßt, sondern im Sandmann als „böses Prinzip“ selbst. Durch dieses Verdrängen der Wahrheit und seiner früheren Erlebnisse bewahrt er sich seine kleine mythische Welt, von der er schon seit Kindertagen fasziniert war.


„Nichts war mir lieber, als schauerliche Geschichten von Kobolden, Hexen, Däumlingen usw. zu lesen; aber obenan stand immer der Sandmann […]“ (S.7/ 22ff.). Es wird deutlich, dass die dunkle Macht Teil seines Lebens wird und ihm „altvertraut“ ist, ohne sie wäre er nicht mehr der metaphysisch veranlagte Nathanael, wie er uns beschrieben wird. Warum das von Freud definierte „Unheimliche“ als wiederkehrendes Verdrängtes aber letztendlich zu seinem Tod führt, möchte ich im Folgendem erläutern.

Nachdem Klara schon öfters ihre kritische Meinung kundtat und seine düsteren Charakter nicht verstand, verliebte er sich in den stummen Automaten Olimpia, in dem er sein eigenes Ich wiederzufinden glaubt. Ich bin der Meinung, erst in dieser Szene, in der er erkennt, dass sie aber nur eine leblose Puppe ist, lösen bei ihm verdrängte Erinnerungen aus, die schließlich zum ersten Wahnsinnanfall führen.. Zunächst wird ihm bewusst, dass er sich eigentlich in sich selbst verliebt hat, demzufolge zum Narzissmus neigt. Mit Olimpia verliert er die einzige „Person“, in die er sein eigenes Ich projizieren kann. Unerwartet tauchen auf einmal vergangene Kindheitserlebnisse aus seinem Unterbewusstsein wieder auf: Olimpias „schwarze, leere Höhlen“, in denen vorher ihre „himmlischen“ Augen steckten, erinnern ihn an die verdrängte Szene am Herd, als er heimlich das Experiment beobachtete.

Damals waren es aber sein Vater und Coppelius, die keine Augen dafür jedoch „[…] scheußliche, tiefe schwarze Höhlen statt ihrer“ (S.10/ 1f.) hatten. Eine weitere Erinnerung ist das bereits bekannte Erlebnis „der Sandmann, der die Treppe hinaufpoltert“. Nathanael vernimmt in Spalanzanis Haus „[…] auf der Treppe […] ein wunderliches Getöse“ (S.30/ 38f.

) und glaubt, Coppelius’ Stimme zu erkennen, aber Coppolas Gestalt gesehen zu haben. Ich nehme an, dass auch die fehlende Unterscheidung zwischen diesen beiden Nathanaels Verwirrung noch steigert. Für ihn ist nicht mehr ersichtlich, was Realität und was Fantasie ist. Richtig ausgelöst wird der Wahn aber erst durch Olimpias Augen, die seine Brust treffen, wie dies auch schon Klaras Augen in seinem Gedicht taten, als Coppelius sie berührte. Seine Raserei könnte daraus resultieren, dass Nathanael Angst vor dem Tod hat, Angst, dass seine zweite Vorahnung aus dem Unterbewusstsein eintreffen könnte, die er ebenfalls in seinem Gedicht schilderte: „[…] es ist der Tod, der […] ihn [Nathanael] anschaut.“ (S.

21/ 3f.) Diese vergangenen Ereignisse treten mit einem Mal wieder hervor. Nach Freud sind es aber keine „altvertrauten“ Erlebnisse mehr, sondern wurden so entfremdet, dass Nathanael sie nunmehr als eine Bedrohung ansieht und wahnsinnig wird. Seine Angst und Panik vor dem „Unheimlichen“ enden in einem Tollhaus. Aber wiederum ist es Klara, die versucht Nathanael von seinem „schweren, fürchterlichen Traum“ zu befreien, was auf den ersten Blick auch gelingt. Nathanael ist nun „milder“ „kindlicher“, nichts deutet mehr auf seinen ehemalig düsteren Charakter hin.

Wie ich schon bereits erwähnte, kann die realistische Klara jedoch nicht erkennen, dass das „innere Phantom“ bereits Teil von Nathanaels Charakter ist. Stattdessen hofft sie darauf, dass auch diesmal eine Verdrängung der Ereignisse die beste Lösung ist. So „erinnert ihn [niemand] auch nur durch den leisesten Anklang an die Vergangenheit.“ (S. 33/ 30f.) Nathanael erhält erneut nicht die Möglichkeit, sich mit den schrecklichen Erlebnissen auseinander zu setzen, um sie zu verarbeiten.

Auf dem Turm kommt es schließlich zum zweiten Wahnsinnsanfall, der diesmal mit dem Selbstmord Nathanaels endet. Ausgelöst wird er durch das Perspektiv. Da es ihm bisher immer das Gegenteil dessen vorgetäuscht hat, was real ist, wurde die Puppe Olimpia lebendig und Klara wiederum zur Puppe. Aus Angst vor einer erneuten Enttäuschung versucht er daher Klara zu töten. Deshalb der Ausruf „Holzpüppchen, dreh dich!“. Auch hier ist es offensichtlich, dass Nathanaels wiederkehrende Erinnerungen aus der Vergangenheit sich mit den Erlebnissen auf dem Turm vermischen und in Panik und Wahnsinn enden.

Coppelius, den er glaubt zu entdecken, wird Coppola gleichgesetzt: „Sköne Oke!“, Klara wird zu Olimpia. Durch die Verzerrung der Wahrnehmung, die Verschiebung der Realitätsebenen, ist Nathanael nicht mehr in der Lage, sich dem „Unheimlichen“, seinen Erinnerungen, zu stellen. Ich denke, damit ist bewiesen, dass Sigmund Freuds Theorie des „Unheimlichen“ als wiederkehrendes Verdrängtes stimmt. Das erklärt auch, warum Nathanael nicht selbst den Grund für den Tod des Vaters herausfand. Er hat sich nie mit seinen Kindheitserlebnissen auseinander gesetzt und sie stattdessen verdrängt. Jedes Mal, wenn er aber mit ihnen konfrontiert wird, erscheinen sie ihm wie etwas Fremdes, Bedrohliches.

Da er zu extremen Emotionen neigt, wird dieses „Unheimliche“ überhöht und schlägt in Angst und dann in Wahnsinn um. Meiner Meinung nach scheitert Nathanael deshalb an seinem sehr emotionalen Charakter. Die Katastrophe wird aber zusätzlich noch durch das Unverständnis Klaras und seiner Umwelt begünstigt, weil sie so ihm keine Chance geben, sich seinen Erinnerungen zu stellen. Besonders die „gefühlskalte“ Klara trägt viel dazu bei, da sie nicht in der Lage ist, einen so gefühlsbetonten Charakter wie Nathanael zu begreifen, dessen „inneres Phantom“ ihn „in die Hölle wirft oder in den Himmel verzückt.“ Sie glaubt eher, dass es rücksichtsvoller wäre, ihn nicht an seine schrecklichen Erlebnisse zu erinnern, sie einfach mit einem „Lachen fortzubannen“. Genau diese falsche Einschätzung und das Nichtverarbeiten des Kindheitstraumas führen letztendlich zum Unglück.

Sigmund Freud konnte sich bei seinen Psychologischen Schriften immer wieder auf diese Aspekte berufen und liefert uns auf diese Weise eine umfassende Erklärung für Nathanaels Scheitern. Insofern wird mir erst durch Freuds Analyse klar, dass E.T.A. Hoffmann mit seinem Werk eine vielschichtige Charakteristik des Wahnsinns geschaffen hat. Er wollte damit eine andere Seite der Romantik, das Dunkle, darstellen.

Seine Hauptfigur, Nathanael, verkörpert dabei den Romantiker, der Gefühle und Fantasie überbewertet, und Klara die Verständige, Realistische. Das Ende ist so zu deuten, dass übertriebene Emotionen der Person selbst und der Umwelt eher schaden. Nathanael hatte so sein Kindheitstrauma nie überwinden können, Klara hingegen hat alle schrecklichen Erlebnisse verarbeitet und letzten Endes doch noch „das ruhige häusliche Glück“ gefunden (S. 35/ 9). Für E.T.

A. Hoffmann siegt der Realismus über die Romantik.

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