Christian menzel___________ 4. 1. 00
Parabelanalyse: „Der natürliche Eigentumstrieb“ (Bertolt Brecht)
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine von Brechts sogenannten Keuner-Geschichten. Als „in einer Gesellschaft“ (Z. 26), also bei einem Treffen einiger Menschen, jemand den Eigen-tumstrieb als natürlich bezeichnet, erzählt Herr Keuner eine Geschichte. An der Südküste von Island gäbe es Fischer, die das Meer durch verankerte Bojen aufgeteilt haben. Er nennt einen konkreten, realen Ort, was der Geschichte eine gewisse Glaubwürdigkeit verleiht. Allerdings ist Island sehr weit weg von Europa und wird wenig besucht, so daß Herrn Keuners Behauptungen über die Bewohner nur schwer überprüft werden können.
Die Fischer nun würden an ihren abge-grenzten Wasserflächen „als an ihrem Eigentum“ sehr hängen (Z. 32). Diese Formulierung ist sehr ungewöhnlich, doch das ist bei Parabeln nicht unüblich. Ich deute sie so, dass die Fischer an den Wasserfeldern so wie an ihrem Eigentum hängen, oder so als ob es ihres wäre. Das heißt nicht un-bedingt, dass es ihr Eigentum ist. Die Bewohner der Hafenstädte, die den Fang kaufen, werden von den Fischern verachtet; sie betrachten sie als oberflächlich und der Natur entfremdet.
Sich selbst nennen die Fischer „wasserständig“ (Z. 6). Herr K. erzählt weiter, dass die Fischer besonders große Fische in Bottichen bei sich halten und ihnen sogar Namen geben. Auch an ihnen hingen sie sehr, „als an ihrem Eigentum“ (Z. 9).
Doch seit einiger Zeit ginge es den Fischern wirtschaftlich schlecht. Dennoch lehnten sie alle Reformversuche ab und hätten deshalb sogar schon Regierungen gestürzt. In jeder Keuner-Geschichte hat Herr K. das letzte Wort; hier behauptet er, diese Fischer bewiesen die Macht des von der Natur gegebenen Eigentumstriebes. Das interpretiere ich folgen-dermaßen: Obwohl sie wirtschaftliche Probleme haben, weigern sich die Fischer, auch ihre ihnen liebgewonnen großen Fische zu verkaufen und so wieder etwas Geld zu bekommen, oder die Auf-teilung des Meeres zu verändern. Ihr Drang nach Besitz hindert sie daran.
Er ist offenbar stärker als die Vernunft, also muss er ja fast wie ein Instinkt angeboren sein.
Laut dem Buch „Abiturwissen Literatur“ vom Weltbild Kolleg, das von H. Stadler und K. Dickopf herausgegeben wurde, soll die vorliegende Keuner-Geschichte zum Nachdenken über Kapitalis-mus und Kommunismus erziehen. Das ist nicht verwunderlich; im Erscheinungsjahr der Parabel wurden die beiden deutschen Staaten gegründet, die Konfrontation zwischen den kapitalistischen Ländern und dem sowjetischen Sozialismus erreichte einen vorläufigen Höhepunkt.
Ich deute die Parabel also folgendermaßen: Die bildlichen Fischer stehen in der Sachhälfte für das Bürgertum.
Darauf deutet hin, dass sich die Fischer „wasserständig“ nennen. Diese Wortneu-schöpfung halte ich für eine maritime Analogie zu dem Adjektiv „bodenständig“. Dieses klingt recht bürgerlich, denn es soll Werte wie Vernunft, realistisches Denken und Orientierung an den tatsächlichen Möglichkeiten verkörpern. Die Fischer haben das Meer untereinander aufgeteilt, obwohl es eigentlich nicht aufteilbar, weil nicht fest, ist. Sie leben von dem Ertrag ihres schein-baren Besitzes, aber die besten Stücke behalten sie für ihr Privatvergnügen. Eine Änderung dieser Zustände erlauben sie nicht.
Das Bürgertum tut Ähnliches: Rohstoffe und Land werden einfach zu Besitztümern erklärt, mit denen man dann Geld erwirtschaftet. Man schmückt sich mit Statussym-bolen und Trophäen. Ein Abrücken von diesen Gewohnheiten, die keine Zwänge sind, wird mit allen Mitteln versucht zu verhindern. Da Bertolt Brecht sozialistisch eingestellt war, denke ich, dass er mit der vorliegenden Geschichte die Behauptung von der angeblichen Natürlichkeit des Eigentumstriebes als lächerlich und haltlos darstellen wollte. Damit entzieht er auch der Forderung des Kapitalismus nach dem Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln den Boden.
Ich stimme der durch die Fabel verdeutlichten Meinung zu.
Der Drang nach Besitz ist meiner Auf-fassung nach verständlich und hat auch seine Berechtigung, aber er nimmt zum Teil groteske und sogar bedrohliche Formen an. Das wird sehr überzeugend dargestellt. Doch die von Brecht wohl erhoffte Wirkung ist bei mir nicht eingetreten; das Ziel, den Leser zum Nachdenken über Kapitalis-mus und Kommunismus zu bringen, hat er bei mir nicht erreicht. Dafür ist die Geschichte zu unein-deutig geschrieben und die Aussage zu wenig direkt formuliert.
638 Wörter
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