Johann wolfgang von goethe: iphigenie auf tauris
12/6 Deutsch, Klausur Nr. 2, 03.12.2002
Text: Johann Wolfgang von Goethe: Iphigenie auf Tauris
Aufgabenstellung:
1. Ein besonderes Thema in der „Iphigenie“ ist das Verhältnis zwischen Mann und Frau, beziehungsweise das Verhältnis von Iphigenie zu den Männern. Beantworte hierzu folgende Fragen:
a) a) Für was für einen Typ Frau steht Iphigenie?
b) b) Welche Männertypen treten im Drama auf?
c) c) Was bewirkt Iphigenie bei den Männern? Wie erreicht sie das?
2.
Im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer Theateraufführung setzte sich Goethe im Winter 1801/1802 erneut mit dem Schauspiel auseinander. In einem Brief an Friedrich Schiller schreibt er:
„(...) Hierbei kommt die Abschrift des gräcisierenden Schauspiels. Ich bin neugierig was sie ihm abgewinnen werden.
Ich habe hie und da hineingesehen, es ist ganz verteufelt human. Geht es halbwegs, so wollen wir’s versuchen. (...)“
Verfasse anstelle von Schiller einen Antwortbrief an Goethe, in dem du DEINE Auffassungen zur Iphigenie deutlich machst!
„Sehr geehrter Herr Geheimrat von Goethe.
..“
1. a) Das Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“ von Johann Wolfgang von Goethe erzählt die Geschichte von der Griechin Iphigenie, die ihren Bruder, dessen Freund und sich selbst aus einer brisanten Situation errettet und alle Darsteller zu menschlichem Verhalten führt.
Iphigenie steht in diesem Stück für einen emanzipierten Frauentyp. Das wird besonders deutlich, wenn sie verlauten lässt: „Dem rauen Ausspruch eines Mannes mich zu fügen, lernt’ ich weder dort noch hier“ (V.
1829 f.)
Und doch strahlt sie zu Anfang des Stückes eine gewisse Schwäche aus. Sie beklagt der Frauen Zustand und bemerkt treffend: „Zu Haus und in dem Kriege herrscht der Mann“ (V. 25) und „Wie eng-gebunden ist des Weibes Glück!“ (V.29). Daran erkennt man eine starke Orientierung am männlichen Vorbild, die auch von ihrer hilflosen Abhängigkeit von Thoas und Pylades geprägt ist.
Weiter ist bei Iphigenie auch eine kindliche Unterordnung unter eine Vaterfigur zu beobachten. Sei dies nur ihr richtiger Vater, Agamemnon, der sie zwar zugunsten seiner Kriegsführung den Göttern geopfert hat, bzw. es vorhatte, den sie aber trotzdem als „göttergleich“ (V. 45) verehrt, oder Thoas, in dem sie einen zweiten Vater gefunden hat („Den König, der mein zweiter Vater ward (...
)“, V. 1641).
Auch Pylades gegenüber fühlt siech Iphigenie wie ein Kind, das für einen Fehler von ihm getadelt werden kann („Ich habe, teurer Mann, doch wirst du schelten“, V. 1572).
Im Laufe des Stückes verändert sich die Frauengestalt Iphigenie jedoch in dem Sinne, dass sie plötzlich das starke Geschlecht repräsentiert. Ihre Orientierung am eigenen Empfinden, besonders deutlich erkennbar, wenn sie Pylades erklärt: „Ich untersuche nicht, ich fühle nur“ (V.
1650), ihr mutiges eigenständiges Handeln, als sie Thoas in 5,3 die Wahrheit sagt („Auf und ab steigt in der Brust ein kühnes Unternehmen: Ich werde großem Vorwurf nicht entgehn, noch schwerem Übel, wenn es mir misslingt“, V. 1913 ff.) und ihre Einsicht, dass Frauen und Männer gleichermaßen befähigt sind, autonom und frei zu handeln („Ich bin so frei geboren als ein Man“, V. 1858), stellen ihr Verhalten am Ende über das des Mannes.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Iphigenie für eine selbstbestimmte, selbstverantwortliche, friedliche und menschliche Frauenfigur steht, an der man sich zweifellos ein Beispiel nehmen könnte.
b) Um Iphigenie scharen sich in dem Schauspiel streng symmetrisch vier Männer.
Zum einen die zwei Barbaren Thoas und Arkas, zum anderen die geistesgeschichtlich höher gestellten Griechen Orest und Pylades.
Thoas und Pylades stehen für die Herrschertypen, sie strahlen Zielorientiertheit und Entschlossenheit aus, während Arkas und Orest den Männertyp darstellen, der sich unter ein bestehendes System fraglos unterordnet.
Wichtig zu sagen ist, dass für die Männer hauptsächlich Taten zählen. Pylades sagt: „Ein jeglicher, gut oder böse nimmt sich seinen Lohn mit seiner Tat hinweg“ (V. 715 f.), Orest lässt verlauten: „Wenn sie dem Menschen frohe Tat bescheren, (.
..)“ (V.701), Arkas sagt über Thoas: „Er, der nur gewohnt ist, zu befehlen und zu tun, (..)“ (V.
165 f.) und als Iphigenie Arkas fragt, was sie in ihrem Leben denn schon erreicht habe, antwortet er mit einer Aufzählung der Taten, durch die Iphigenies Leben einen Sinn bekommen sollte.
Und doch sind die Männer unter sich noch einmal zu unterscheiden.
Orest ist am Anfang des Stückes dem mythologischen Wahnsinn verfallen, ordnet sich also nicht nur einem bestehenden System auf Erden unter, sondern auch dem der Götter. Er glaubt an das Schicksal, das ihm durch den Tantalidenfluch auferlegt wurde („Mich haben sie zum Schlächter auserkoren“, V.707).
Daraus entsteht eine Hoffnungslosigkeit, die durch die vermeintliche Unumgehbarkeit seiner Situation bestärkt wird und ihn zu einem Vorzeigepessimisten macht.
Pylades ist das krasse Gegenteil zu Orest. Er ist pragmatisch, schmiedet auch in scheinbar ausweglosen Situation listige Pläne zur Flucht („Ob nicht zu irgendeiner frohen Flucht die Götter Rat und Wege zubereiten“, V. 602 f.), ist sehr selbstverantwortlich, optimistisch, und versucht Orest zu neuem Lebensmut zu motivieren.
Thoas ist, wie schon gesagt, der typische Herrscher, der von Iphigenie auf Zeit humanisiert wurde.
Er hat ihr sehr modernes Götterbild angenommen, nämlich das, dass die Götter keine Blutopfer fordern, hält die Wiederaufnahme dieser Opfer jedoch jederzeit für verfügbar, was zeigt, dass er sich noch nicht ganz von den mythologischen Ideen gelöst hat.
Arkas übernimmt die Rolle des Vermittlers, er hat jedoch auch durchaus eigene Interessen, die er vertritt.
Abschließend ist zu bemerken, dass die Männer am Anfang als das starke Geschlecht dargestellt werden, während sie am Ende deutlich dem weiblichen Prinzip der Humanität unterliegen und auch ihre Unterordnung unter ein bestehendes System anstatt einer Wahrung des Selbst, stark kritisiert wird.
c) Iphigenie bewirkt bei den Männern hauptsächlich, dass sie human und selbstverantwortlich werden, anstatt mit Gewalt sich einem bestehenden System unterzuordnen.
Zunächst befreit sie Orest von seinem mythologischen Wahn, wobei nicht geklärt werden kann, ob nicht auch ein Erkenntnisschub seinerseits zum Heilungsprozess geführt haben kann.
Der geheilte Orest ist aber immer noch nicht auf die geistesgeschichtlich überlegene Position seiner Schwester aufgestiegen, sondern steht nun für eine feudal heroische Position.
Ein Mann, der bereit ist, zu kämpfen, um Konflikte zu lösen. Ebenso steht Thoas auf dieser Stufe („(...), bin bereit, mit dir der Waffen Los zu wagen“, V. 2063).
Iphigenie jedoch bietet statt Waffengewalt, Sprache als Konfliktlösungsmuster an. Ihr unbedingter Drang zur Wahrheit und zur Menschlichkeit, bringt schließlich auch die Männer dazu, menschlich zu handeln. Dies wird besonders deutlich an Orests Kommentar: „Gewalt und List, der Männer höchster Ruhm, wird durch die Wahrheit dieser hohen Seele beschämt, und reines kindliches Vertrauen zu einem edlen Manne wird belohnt“ (V. 2142 ff.).
Der Schluss des Schauspiels zeigt, dass jeder einzelne Mensch unabhängig von Geschlecht und Machtposition nur dann wahrhaft menschlich handelt, wenn er autonomes und selbstverantwortliches Handeln über den Zwang eines herrschenden Systems stellt.
2. Sehr geehrter Herr Geheimrat von Goethe,
zunächst einmal möchte ich mein großes Lob zu ihrem sehr gelungenen Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“ äußern. Besonders bewundere ich, wie sie ein so zeitlos klassisches Drama, mit dem Stoff der Antike erarbeitet haben.
Zwar sind die Meinungen über das griechische Menschenbild ja geteilt –die einen sehen in ihm die Verkörperung eines in der Harmonie von Idee und Wirklichkeit vorbildlichen Menschentums, während andere ein eher pessimistisches Bild des antiken Menschen vorweisen- jedoch muss ich sagen, dass der Rückgriff in diese Zeit, wo die Mythologie noch eine große Rolle spielte, sehr passend ist.
Nun zu ihrer eigenen Kritik, dass sie ihr Werk „verteufelt human“ nennen: Es ist schon richtig, dass Iphigenie ein sehr utopisches und realitätsfernes Menschenbild darstellt. Aber wo liegt denn da der Fehler? Ist es nicht gut, das Idealbild eines Menschen zu entwerfen, wie er zwar nicht ist, aber durchaus sein könnte?
Man muss ihr Werk ja nicht auf die Realität anwenden, aber man kann es doch durchaus zu Nachahmungszwecken verwenden.
Ich, meinerseits, fand es sehr nachdenkenswürdig, das Stück zu lesen und das ideale Menschenbild, das sie zeichneten, zu überdenken.
Ein so selbstverantwortliches autonomes Wesen, das zugunsten der Menschlichkeit auf sämtliche Gewaltanwendungen verzichtet, bringt einen sicher dazu, über sein eigenes Verhalten nachzudenken und sich evtl. auch zu bessern.
Ist nicht Iphigenie ein Mensch, der auch noch in der modernen Vorstellung perfekt ist?
Natürlich ist es realitätsfremd, zu glauben, eine politische Figur –die Thoas ja wohl darstellt-, würde sich von einem edlen Menschen von ihren Taten abbringen lassen.
Aber wie schon gesagt, Iphigenie ist ein Mensch, an dem man sich durchaus ein Beispiel nehmen kann.
Auch verdeutlicht ja ihre abgehobene Sprache die Abgehobenheit von der Realität.
Kein Mensch spricht so, wie ihre Figuren in dem Stück, das vermittelt dem Leser eigentlich schon recht gut, dass er es mit einem Schauspiel zu tun hat, dass nicht unmittelbar auf die Realität übertragen werden kann/soll.
Aber alles in allem finde ich ihre Idee sehr lobenswert, einen idealen Menschen vorzustellen, der einer autonom gesetzten Ethik folgt und auf jede Gewaltanwendung verzichtet. So wollen wir doch alle sein.
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