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"Einen jener klassischen" von Rolf Dieter Brinkmann
Das Gedicht "Einen jener klassischen" von Rolf Dieter Brinkmann ist eines jener eher weniger klassischen Gedichte und beschreibt einen kurzen Moment den das lyrische Ich erlebt, als es durch die abendliche Straßen von Köln läuft und sehr angetan ist von den Klängen eines Tangos, die auf die Straße dringen und diese für es einen Moment lang verändern.
Die Besonderheit des Gedichts liegt sicherlich unter anderem darin, dass es eigentlich nur aus drei Sätzen, zwei zu einem sehr langen zusammengefassten, und einem eher kurzen, besteht, wobei die Überschrift auch der Anfang des ersten, langen, Satzes ist.
"Einen jener klassischen schwarzen Tangos in Köln, Ende des Monats August, da der Sommer schon ganz verstaubt ist, kurz nach Laden Schluß aus der offenen Tür einer dunklen Wirtschaft, die einem Griechen gehört, hören, ist beinahe ein Wunder: für einen Moment eine Überraschung, für einen Moment Aufatmen, für einen Moment eine Pause in dieser Straße, die niemand liebt und atemlos macht, beim Hindurchgehen. Ich schrieb das schnell auf, bevor der Moment in der verfluchten dunstigen Abgestorbenheit Kölns wieder erlosch."
Diese beiden Sätze formiert der Autor in acht Strophen und der Überschrift, was die verschachtelte Art des ersten Satzes noch komplizierter und unverständlicher wirken lässt.
Insgesamt erzählt das Gedicht davon, dass das Ich eine Straße entlang geht und aus einer Wirtschaft ein Lied hört.
Dieses Lied bedeutet dem Ich sehr viel, denn es bringt für es eine Weile etwas positives in das alltägliche Grau. Befürchtend, den Moment bald wieder zu vergessen, schreibt er ihn nieder.
Ich vermute, dass der Autor bzw. der Schreiber diese Erinnerung in Gedichtform wiedergibt, weil er nur so das Besondere darstellen kann. Um die Tatsache, dass er Musik gehört hat, schriftlich festzuhalten, hätte eine kleine kurze Notiz genügt. Aber er möchte die Einzigartigkeit des Augenblicks darstellen und das Gefühl einfangen, dass ihn zum Schreiben bewog.
Er faßt das ganze Erlebnis in einem Satz zusammen, der dadurch lang und verschachtelt ist. Das verdeutlicht die Besonderheit und irgendwie auch Kompliziertheit des Erlebnisses. Er setzt alle Eindrücke in diesen einen Satz, das Wunderliche, das er fühlte.
Ein "Aufatmen", eine "Überraschung", und eine "Pause für die Straße, die niemand liebt" (Z.7-12) , liegen für ihn in den paar Tönen, die aus der Kneipe dringen.
Er kennt die Kneipe und er kennt die Straße, denn er weiß, wem die Wirtschaft gehört (Z6), doch die Musik ist für ihn etwas ungewohntes.
Er trennt diese beiden Eindrücke - das gewohnte und das ungewohnte - zwar nicht in dem er unterschiedliche Sätze schreibt, aber er teilt seinen einen Satz eben in die Strophen ein, die das Erlebte aufteilen und sortieren.
Die Aufteilung passt nicht zu dem Satz selbst, und verwirrt dadurch noch weiter, wie eben das Erlebte und das Gefühlte nicht ganz zusammen passen bzw. die beiden unterschiedlichen Eindrücke, denen das lyrische Ich sich ausgesetzt sieht. Andererseits ordnet das Gedicht augenscheinlich das Erlebte, so wie der Schreiber mit seinem Aufschreiben seine Eindrücke ordnen möchte. Er möchte sie einerseits in Worte setzten, die sie verständlich und begreifbar für andere machen, andererseits ist es eben ein so "magischer" Moment, den er fühlte, dass er das Gefühlte nicht auf etwas einfaches reduzieren oder in zu simple Worte "sperren" will. Also nutzt er die Möglichkeit, die fast nur ein Gedicht bietet, nämlich die der gestalterischen Formation.
Dass er zuletzt noch notiert, warum er diesen "Moment" niederschreibt verdeutlicht, wie besonders er für ihn war und auch sehr die Resignation, die er erleben würde, wenn er diese kleinen Lichtblicke zwischendurch nicht hätte ("verfluchten dunstigen Abgestorbenheit" 14/15).
Der Autor beschreibt also nicht nur einfach eine Tatsache, ein Erlebnis oder eine Beobachtung, sondern auch etwas seine Eindrücke bzw. eine Meinung gegenüber einer bestimmten Stadt, Köln.
Auf der einen Seite verachtet er zwar die Abgestorbenheit und Lieblosigkeit in der Stadt, auf der anderen wäre er allerdings nicht in der Lage ein so kleines unwichtiges Erlebnis so stark zu erleben, wenn er die Stadt nicht in irgendeiner Art doch lieben würde, vielleicht gerade oder nur um dieser kleinen Momente willen.
Das Gedicht ist Gedankenanstoß und Festhalten von Gedanken in einem, Festhalten des Augenblicks und weiterdenken über die Kostbarkeit solcher kleinen Zeitschätze.
Man mag sagen, dass es lächerlich ist, zwei Sätze nur weil sie etwas auseinander geschrieben wurden, als Gedicht zu bezeichnen, aber ich denke doch, dass es eine Kunst ist, einen Gedanken oder ein Gefühl in einem Satz "rüber zu bringen", ob dieser nun hundertprozentig so verstanden wird, wie er gemeint war oder nicht, ist unwichtig, solange irgendein "guter" Gedanke abgeschickt und empfangen wird.
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