Die politische und gesellschaftliche situation in deutschland 1890 bis 1914
Author : Christoph Boden
Das Deutsche Reich stellte eine konstitutionelle Erbmonarchie sowie einen
föderalisteischen Bundesstaat
dar. Hervorgegangen aus dem
Norddeutschen Bund umfasste es
1871 immerhin eine Bevölkerung
von ca. 42 Millionen Menschen.
Der einfluss des immerhin schon
noch freiem Wahlrecht gewählten
Reichstag war in der Verfassung
stark eingeschränkt. So oblag es
dem Monarchen, welcher auch
geleichzeitig den König von
Preußen stellte, den
Reichskanzler, welcher dann die
Regierung bildet, zu ernennen.
Nachdem 1871 im Spiegelsaal
von Versailes mit der
Kaiserkrönung die Reichseinigung, welche nur über den "Reichseinigungskrieg" gegen
Frankreich möglich war, vollendete, war zwar der deutsche Nationalstaat geboren -
seine Zukunft jedoch keinesweges gesichert.
Gerade Frankreich, das nicht zulätzt
auch wegen des Verlustes von Elsaß-Lothringen nach "Revanche" suchte stellte eine
latente Gefahr dar. Daher war Bismarcks außenpolitisches Ziel die politische und
militärische Isolation Frankreichs, der einziege Weg das Deutsche Reich im Zusatand
des "Nichtkrieges zu halten - einen wirklichen Frieden erlebte es ohnehin nie. [5]
Auch innenpolitisch galt es das Reich zu stabilisieren.
So sah Bismarck vor allem im politischen
Katholizismus eine Bedrohung für die Monarchie. Im
"Kulturkampf", dem Versuch den Einfluss des Staates
auf weitere rechtliche und kulturelle Bereiche
auszudehnen, gelang es ihm jedoch nicht die von ihm
als "romhörige Papstanhänger" diffamierten
Katholiken zu schwächen. Doch leicht zweifelhafte
"Errungenschaften" wie die Zivilehe und die
Schulaufsicht sind uns bis heute als Teile des
öffentlichen Lebens erhalten geblieben - auch wenn
der "Kanzlerparagraph" leider seit 1953 nicht mehr
die Gesetzesbücher schmückt.
[1]
Den anderen großen "Feind", an dessen "nationaler
Zuverlässigkeit" gezweifelt werden musste, sah
Bismarck in der Sozialdemokratie. Um diese zu
bekämpfe oder wenigstens den Zulauf zu unterbinden
nutze er zwei Attentaatsversuche auf Kaiser Wilhelm
I. Im Jahre 1878 um das "Gesetz gegen die
gemeingefährlichen Bestrehbungen der
Sozialdemokratie" zu erlassen. Obwohl auch dieses
Ziel reichlich verfehlt wurde, leben die sozialen
Errungenschaften, wie die 1883 eingeführte
gesetzliche Krankenversicherung , die 1884
hinzugefügte Unfallversicherung und die Alters- und
Invaliditätsversicherung von 1889 bis heute als
fundamentale soziale Errungenschaften in unserem
Staat weiter.
Doch auch Bismarcks Politik hat zum Ende seiner
Amtszeit in eien Sdackgasse geführt.
So war zwar das Bündnis mit Rußland und Österreich Ungarn jeweils intakt.
Die
stetigen Konflikte der Harbsburger Monarchie auf dem Balkan belasteten das
Verhältnis zum Zarenreich jedoch zunehemend.[1], [2]
2. Als am 9. März 1888 Wilhelm I. Im stolzen Alter von immerhin 91 Jahren starb,
tart sein Sohn Friedrich zunächst die Nachfolge an. Dieser war zwar nicht minder
perußischer Offizier als sein Vater, jedoch wesentlich liberaler.
Friedrich war jedoch
schon bei der Amtsübernahme schwer krank und starb nach nur 99 Tagen
Regentschaft an Kehlkopfkrebs. Nichts desto trotz liefert dies eine Basis für
Spekulationen, nach denen Deutschlands Geschichte einen anderen Weg genommen
hätte, wäre Friedrich ein längeres Leben beschieden gewesen. [1]
Wilhelm II., der am 15. Juni 1888 die Nachfolge Friedrichs antrat, war damals gerade
29 Jahre alt und in fast allem, worauf es ankam, das Gegenteil seines Vaters. Er war
kein Mann liberaler überzeugungen, sondern ein zutiefts autoritärer, der
antisemitsischen Bewegung um Hofprediger Stoeck nahestehender, vielseitig
begabter jedoch oberflächlicher, prunkvoller Schwadroneur, der von innerer Unrhe
gekennzeichnet meist in markigen Reden die eigene körprliche Schwäche, den von
Geburt an verkrüpelten linken Arm, wettzumachen.
Der Konflikt mit Bismarck war vorprogrammiert. Doch galt es diesen zunächst ins
politische Abseits zu manövrieren, um der politischen Legendenbildung vorzubeugen.
Die erste Entladung des Sreites zuwischen beiden vollzog sic h bei der Verlängerung
des Sozialistengesetzes, für die Bismarck eintrat. Wilhelm zog es vor die
Arbeiterbewegung durch eine neue Sozialgesetzgebung von den Sozialdemokraten zu
isolieren, was zweifelsohne zum wiederholten Male zu Scheitern verurteilt war. Dieser
Disput führte letztlich zur Entlassung Bismarcks am 17. März 1890, zum Auslaufen
des Sozialistengesetzes im selben Jahr und zum Erlass von Sozialgesetzen, wie dem
Verbot der Sonntagsarbeit, dem Arbeitsschutz und der Arbeitszeitregulierung für
Frauen, führte.
Freilich verkannte auch Wilhelm, dass sich die Arbeiterfrage nicht durch mehr
Führsorge lösen ließ, sondern nur durch eine verfassungsrechtliche Integration in die
Gesellschaft. Doch zu mehr parlamentarischer Demokratie wäre der vom
Gottesgnadentum der Monarchie überzeugte Wilhelm wohl ohnehin nicht zu
überzeugen gewesen.
Eines tat er wohl aber gewiss : er verbrauchte sehr rasch durch wiederholte
Tollpatschichkeit in der Politik das Prestige der Monarchie und strapazierte die Nerver
selbst Kaisertreuer Nationalisten zeitweile auf das schärfste.
Im Gegensatz zur Gründerkriese 1973 herschte zur Zeit der Herschaft von Kaiser
Wilhelm II. wast durchgängig Hochkonjunktur, was nicht zuletzt durch die
großzügigen Reparationszahlung von Frankreich gestützt wurde. So kam es zu einem
bis bis dhain nicht dagewesenen Aufschwung in Industrie, Gewerbe und Handel - was
einen Schweren Konflikt mit dem feudalistischen Landadel provozierte.
Von Anfang An
stand die extreme Schutzzollpolitik, von der die Landwirtschaft profitierte im
Gegensatz zum Konzept des freien Welthandels, den man ohne Zweifel für den Export
benötigte. Bei steigendem Bevölkerungswachstum und fortschreitender
Industrialiserung war dieser unumgänglich, wie Reichskanzler Caprivie in seienm Zitat
: "Entweder wir exportieren Waren, oder wir exportieren Menschen" sehr direkt
zusammenfasste. Der allgegenwärtige Konflikt von industrielle-kapitalistischem
Welthandel und agraisch-autarkistischen Binnenhandel war jedoch nur einer der
vielen Gegensätze dieser Zeit. In einem Punkt waren sich beide Streitparteien jedoch
einig : ihrem Bekenntnis zur Weltmachtpolitik.
Hochkonjunktur herschte auch bei Wissenschaft und Forschung, vor allem in den
Naturwissenschaften. Die 1911 gegründete "Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft" (heute
Max-Planck Gesellschaft) als außeruniversitäre Forschungseinrichtung setzte ebenso
weltweite Maßstäbe wie das Konzept der Verquikung von Forschung und Lehre an den
Universitäten selbst.
Die Fortschritte in der Grundlagenforschung schlugen sich auch
in den Auszeichnungen neider - so ging zwischen 1901 und 1914 jeder dritte
Nobelbreis der Naturwissenschaften an deutsche Forscher.
Aber auch die technischen Hochschulen erlebten rasch nach ihrer Geburt einen
enormen Aufschwung. Sie bildeten die von der Industrie benötigten Ingenieure und
Techniker aus, die unter anderem in den Wachstumsbranchen Elektrotechnik und
chemischer Industrie eingesetzt wurden. Firmen wie Siemens, AEG, BASF, Bayer,
oder Hoechst waren es, die aus dieser Periode des industriellen Aufschwungs
hervorgingen. Überhaupt erreichte die technisierung auch breite Schichten der
Gesellschaft. Zwar waren Neuentwicklungen wie das Luftschiff oder das Automobil
noch einer kleinen finanziell besser ausgestatten Elite vorbehalten, doch eien
zunehmende, flächendeckende Elektrifiziereung der Städte machte sich bemerkbar.
Im Gegensatz zu all dem wissenschaftlichen Fortschritt, hersche an den Universitäten
politshc ein sehr konservativer Geist. Sie waren quasi Bollwerke tradierte Normen und
Wertevorstellungen, deren Studenten oft Affinitäten zum Antisemitismus hatten.
Sozialdemokraten war der Zugang zum akademischen Lehramt gleich ganz verwehrt.
Acuh die Mitgliedschaft in einer der berüchtigten Studentenverbindungen war beinahe
obligatorisch und auch für die weitere Kariere nicht gänzlich unbedeutend, da auch
einflussreiche Personen diesen angehörten.
Die enorme Entwicklung der Wissenschaft hattte nicht zuletzt auch Auswirkungen auf
das Schulwesen. So wurden das Realgymnasium und die Realschule als stärker
naturwissenschaftlich orientierte Schulen gegründet und auch Frauen ein Abitur und
ab 1908/09 auch das Hochschulstudium ermöglicht.
Widersprüche findet man zu dieser Zeit vor allem auch in der Gesellschaft. Die
industrielle Entwicklung hat viele mänliche Arbeitskräfte vom Lande in die Stadt als
Industriezentrum geholt. Als Folge standen Urbanisierung und ein verstärkter Anteil
von Frauen und polnischen Gastarbeitern in der Landwirtschaft im Raume. Obwohl
der Anteil der Arbeitnehmer, welche immerhin das steuerpflichtige
Mindesteinkommen von 30% 1890 auf 60% im Jahre 1913 stieg, war der reale
Lohnzuwachs eher bescheiden - was vor allem auch vermehrt Frauen dazu brachte,
eine Beschäftigung aufzunehemen. So war trotz allen technischen und
wissenschaftlichen Fortschritts noch immer ein Elend in den Mietskasernen als krasser
Gegensazt zu den Prunkbauten der Unternehmer vorhanden.
Doch eines zeigte sich in allen Gesellschaftsschichten : der "preußische Untertangeist"
war sprichwrtlich, trotz einer erstarkenden Arbeiterbewegung.
So konnte man auch in
sozialdemokratischen Haushaten mitunter
neben dem Familienfoto ein Kaiserportrait
finden. "Der Hauptmann von Köpenik" war
ein eindrucksvolles Beispiel für die in der
Realität wirklich vorhandene Ehrfurcht vor
Uniformen und der hochgezwirbelte Bart des
Kaisers war modeprägend. Der Anstieg von
Macht und Ansehen des Kaiserreic hes wirkte
nicht zuletzt als Klammer, die trotz
Klassengegensätzen die Gesellschaft
zusammen hielt.
Ausdruck dieser Stimmung waren auch die
nationalen Interessensverbände wie der
Alldeutsche Verband, oder der Flottenverein.
Eindeutig ein Massenphänomän waren die
Kriegervereine, die meist von Veteranen zur
Erinnerung an gemeinsame
Kriegserfahrungen genutzt wurden - aber
auch eine Breite Schicht der Bevölkerung
ansprachen. 1913 waren immerhin 2,8
Millionen Deutsche Mitglieder in diesen
Verinen.
Die widersprüchliche Gesellschaft spiegelte
sich in Kunst, Kultur und Literatur wider. Von
Historismus über Avantgarde in der Kunst,
über spätromantik à la Wagner bishin zu der
atonalen Musik Schönbergs in der Musik und
von Naturalismus bis Realismus in der
Literatur war so ziemlich jede nur denkbare Strömung vorhanden. Vor allem die
Literatur war zu einer Instituation von gesamtgesellschaftlicher Relevanz avaciert, die
sich durch eine erstaunliche Distanz zum Geist der Zeit auszeichnete.
3. Im imperialistischen Europa hatte das deutsche Kaiserreich, welches durch seine
späte Reichseinigung in ein territorial bereits verteites Europa "hineingeboren" wurde,
wahrlich schwer. Entgegen der Bismarckschen Premisse der Isolation Frankreichs
lehnte Wilhelm 1890 eine verlängerung des Rückversicherungsvertrages mit Rußland
aus dem Jahre 1887 ab.
Man baute in der Persektive auf ein Bündnis mit
Großbritanien, welches mit Frankreich über Kollonialpolitische Fragen tief zerstritten
war. So zeigte man sich wenig beunruhigt über das Zustandekommen des Bündnisses
zwischen Frankreich und Rußland im jahre 1893.
Unter diesem Ansatz wahrlich etwas schwer zu verstehen ist die mit Vehemenz
verfolgte Flottenpolitik.
Der starke Ausbau der
deutschen Hochseeflotte,
welcher von Alfred Tirpitz
geleitet wurde, war
nichtzuletzt durch die
bravouröse Lobbyarbeit
desselien sowohl bei der
breiten Öffentlichkeit als
auch bei der Obrichkeit
eine Möglichkeit seinen
Patriotismus, etwa durch
Unterstützung des
Projaektes und Agiation
im Flottenverein, unter
Beweis zu stellen.
In Ernüchterung über das
Entstehen der "Entente Cordiale" im Jahre 1904, die nach 1907 neben Frankreich und
Großbritanien auch Rußland umfasste verblasste das Unternehmen und Symbol
deutscher Ingenieurskunst zunehemnd.
Doch sollte dieser außenpolitische Fehltritt nicht der einzige bleiben.
Die "Daily
Telegraph Affäre" 1908 ist hier nur ein Beispiel. Mit einem Interview in dieser
englischen Zeitschrift hatte der Kaiser das deutsche Volk Brüskiert.
Die zwei Marokkokriesen von 1905 und 1911, mit denen Wilhelm die Weltpolitischen
Bestrebungen Deutschlands betonen wollte endeten in einer Blamage.
So hatte der Monarch das Deutsche Reich mit wenig kalkulierbarer, sprunghafter
"Weltpolitik" in eine schwierige Außenseiterrolle manövriert.
Insgesamt zeigte sich das deutsche Kaiserreich unter Wilhelm II. so widersprüchlich
wie der Monarch: Deutschland schwankte zwischen den Extremen einer überaus
dynamischen Modernisierung und dm strikten Beharren auf längst unzeitgemäßen
Traditionen, Vor allem in Pre ußen, dem mit Abstand wirtschaftlich stärksten und
bevölkerungsreichsten Land, prallten industrieller Fortschritt und extrem konservative
Agrarstrukturen hart aufeinander.
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