Die verlorene ehre der katharina blum
Die Zentralfigur dieser Erzählung ist eine
junge Haushälterin. Diese Frau verliebt sich in einem Mann, der ein von der Polizei
gesuchter Rechtsbrecher ist. Sie verhilft ihm zur Flucht. Daraufhin erscheinen in der
"ZEITUNG" Berichte, in denen Katharina als Mörderbraut denunziert wird. Sie ist
der andauernden Hetze nicht gewachsen und erschießt in unerwarteter Gegenwehr den für
diese Berichte verantwortlichen Journalisten. Die Erzählung konstruiert Schritt für
Schritt die Vorgänge der drei relevanten Tage.
Die Rentabilität einer Boulevardzeitung,
hier ZEITUNG, steigt mit der Höhe der Auflage. Wenn die ZEITUNG von möglichst vielen
Leuten gekauft und gelesen werden soll, so muß sie sich konsequent dem Leserverhalten des
Normallesers anpassen. Diese Anpassung hat die ZEITUNG im inhaltlichen wie im sprachlichen
Bereich vollzogen.
Bereits die ersten Schlagzeilen offenbaren
die Strategie der ZEITUNG: Sensationalisierung des Geschehens. Die Vermutung der Polizei,
Katharina gehöre einer anarchistischen Gruppe an, gibt der ZEITUNG die Möglichkeit, das
Geschehen zu einer Story auszuweiten. Da sie um das schnell erlahmende Interesse ihrer
Leserschaf weiß, verwendet sie gezielt Verleumdungen und Übertreibungen, um das für den
Verkaufserfolg wichtige Interesse wachzuhalten.
Katharina wird zur
"Mörderbraut" abgestempelt, die ihren bescheidenen und zufriedenen Ehemann
böswillig verlassen hat. Durch Kontrastisierung erreicht die ZEITUNG Parteinahme der
Lesers für den sympathisch dargestellten, bemitleidenswerten Brettloh, in gleichem Maße
erzeugt sie Haßgefühle gegen die "skrupellose" Katharina, was zur
Emotionalisierung der Leserschaft führen muß. Aggressionen werden freigesetzt zum
zugleich auf ein der Zeitung verdächtiges Objekt oder eine Zielgruppe gelenkt
(Kommunisten).
Um Zweifel an der Echtheit ihrer
Behauptungen auszuräumen zitiert die ZEITUNG hauptsächlich Aussagen aus dem
Bekanntenkreis der Katharina Blum. Passen diese Aussagen nicht in das vorgefertigte Bild,
werden Zitate verdreht, entstellt oder total verfälscht. In der Bewertung der
Verhaltensweisen der beteiligten Personen enthüllen sich gesellschaftspolitische
Vorstellungen um Intensionen.
Künstlich wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen dem
Fall "Blum" und der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Katharina wurde zur
Mörderbraut, weil sie mit Kommunisten verkehrte. Die Leserschaft vollzieht die von der
ZEITUNG gewünschte Assoziation: Sozialismus = Verbrechertum! So wird ein
Freund-Feind-Verhältnis aufgebaut: "Freund gleich kapitalistische
Gesellschaftsordnung, Feind gleich sozialistische Gesellschaftsordnung".
Bewußt werden auf diese Weise politische
Ängste heraufbeschworen, "aber gleichzeitig ...
auch die Entlastungsmechanismen
geliefert."
Schließlich verletzt die ZEITUNG
fortwährend das oberste Gebot der Nachrichtenübermittlung: Die Trennung von "facts
und opinions"! Sie vermischt Fakten mit Meinungen, spricht von unumstößlichen
Fakten" die in keiner Weise vorhanden sind von dem "Banditen" Göttinen,
der "undurchsichtigen Vergangenheit" Katharinas. Stetig vergrößert sich der
Zwiespalt zwischen sachlichem und berichtetem Geschehen; aus dem
"Räuberliebchen" wird die "Mörderbraut", aus dem Bundeswehrdeserteur
Götten ein Bandit, Räuber und Mörder, die Wohnung Katharinas gar zu seinem
"Waffenumschlagplatz". Diese Verfahrensweise bringt es mit sich, daß den Lesern
das Ordnen, Sichten und werten der Ereignisse im voraus abgenommen und damit ihre Meinung
in dem gewünschten Sinne gesteuert wird. Folgerichtig bleiben eindeutig festzustellende
Irrtümer und Falschmeldungen in der Berichterstattung unkorrigiert. Darüber hinaus weiß
man um die Wirkungslosigkeit von möglicherweise erzwungenen Gegendarstellungen, und so
kann man sich der Wirksamkeit der eigenen Berichterstattung gewiß sein.
Um bei ihrer Leserschaft anzukommen, paßt
sich die ZEITUNG konsequent ihrem Sprach- und Leseverhalten an: Durch fettgedruckte
Schlagzeilen, die der Normalleser zuerst sucht, erweckt sie das Interesse des
Zeitungslesers.
Die Sprache der ZEITUNG bewegt sich beinahe
durchgängig auf dem Sprachniveau der angesprochenen Leserschaft. Bezeichnend ist die
Verwendung von Schlagwörtern, grammatikalischen Verkürzungen
"Mörderbraut verstockt!",
einfachem parataktischem Satzbau,
"Die Blum erhielt regelmäßig
Herrenbesuch. War ihre Wohnung ein Waffenumschlagplatz ? Wie kam sie an eine
Eigentumswohnung? War sie an der Beute beteiligt? Polizei ermittelt weiter"
Nominalstil
Mörderbraut - Kein Hinweis auf Gs
Verbleib - Großarlam
sowie der Gebrauch von umgangssprachlichen
Redewendungen
Diese konkrete Sprache spricht den Leser
der ZEITUNG an. Sie erleichtert ihm das Verständnis, denn es ist seine Sprache. Besondere
Wirkung muß naturgemäß denn erzielen, wenn ein Zeitungsleser selbst zu Wort kommt.
So
bietet sich der ZEITUNG der Arbeiter Berettloh geradezu an, durch ihn ihren Lesern die
angestrebte Bewußtseinslage vermitteln zu lassen. Brettloh wird verstanden , wenn er
feststellt "Jetzt weiß ich endlich, warum sie mir tritschen gegangen ist. Warum sie
mich sitzengelassen hat. Das wars also, was da lief" Bereitwillig nimmt er den
gutgemeinten Rat Brettlos an, sich zu hüten vor sozialistischen Ideen die das
Zusammenleben zweier Menschen zerstören.
Eine derart breite analysierende
Erzählung, die die Arbeits- und Verfahrensweise einer Boulevardzeitung zum Gegenstand
hat, stellt naturgemäß die Frage, ob hier Dichtung oder Wahrheit, fiktionale Realität
vorliegt. Unmißverständlich nimmt der Autor bereits im Vorwort dazu Stellung:
Sollten sich bei der Schilderung gewisser
journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der "Bild"-Zeitung
ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern
unvermeidlich.
Diese direkten Hinweise bedurfte es
allerdings nicht. Zweideutigkeiten in der Namengebung - "Bildjournalist" Adolf
Schönner, die Ausgaben der ZEITUNG und der SONNTAGSZEITZUNG (Bild und Bild am Sonntag).
Anhand dieser Parallelen läßt sich leicht feststellen, daß hier auf literarischen Wege
mit der Sensationspresse abgerechnet, d.h. deren Strategien ins Licht gerückt und dem
Leser der Erzählung bewußt gemacht werden sollen. Besonders angesprochen ist hier der
Branchenführer, die vom Springerkonzern verlegte millionenfach gelesene
"Bild-Zeitung".
Unverkennbare Ähnlichkeiten zwischen
"Zeitung" und "Bildzeitung" offenbaren sich, vergleicht man die in die
Erzählung eingerückten fiktionalen Zeitungstexte mit Ausgaben der wirklichen
"Bild-Zeitung". Hier wie dort wird mit Balkenüberschriften, grammatikalischen
Verkürzungen und umgangssprachlichen Redewendung auf formal-sprachlicher, Übertreibungen
bis zur Sensationalisierung auf inhaltlicher Ebene. Bewußt passen sich diese Art
Zeitungen dem Leseverhalten des Normallesers an, der durch schockierende Titel, durch
angebliche oder tatsächliche Sensationen und Greueltaten stärker als durch trockene
Fakten aus Wirtschaft und Politik angesprochenen und so zum Kauf der Boulevardzeitung
gereizt wird.
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