Die insel des vorigen tages
Autor
Umberto Eco kam am 5 Jänner 1932 in dem
kleinen Dorf Alessandria in der Nähe von Turin in Italien zur Welt. Nach dem Willen des
Vaters begann er in Turin JUS zu studieren, brach jedoch das Studium ab um sich mit
Philosophie und Literatur zu beschäftigen. 1954 bekam er das Doktorat für Philosophie.
Anschließend nahm er eine Stelle beim italienischen Fernsehsender RAI an. 1956 wurde
seien erstes Buch, seine Dissertationsarbeit, veröffentlicht. Drei Jahre später wurde
sein zweites Buch herausgegeben.
In dieser Zeit verlor Umberto Eco seinen Job beim
Fernsehen. Er arbeitete dann für verschieden Zeitungen und Magazine und schrieb einige
wissenschaftliche Bücher. 1980 stellte er seinen ersten Roman Der Name der
Rose" fertig. Dieser wurde ein Bestseller, und brachte Umberto Eco Weltruhm. Neun
Jahre später kam sein zweiter Roman heraus, nämlich Das Faucaltsche Pendel".
1994 wurde sein bisher letzter Roman Die Insel des vorigen Tages"
veröffentlicht.
Dieses Buch will ich heute genauer vorstellen.
Inhalt
Ein unbekannter Erzähler, wahrscheinlich
Umberto Eco selbst, findet antike Briefe aus dem 17. Jahrhundert. Da sie eine interessante
Geschichte ergeben, beginnt er einen Roman zu verfassen.
Roberto de La Grive ist schiffbrüchig
geworden, und gegen jede Wahrscheinlichkeit auf einem Schiff, und nicht wie man annehmen
würde auf einer Insel, gestrandet. Mit letzter Kraft gelingt es ihm, über eine
Strickleiter auf das Deck der Daphne zu gelangen, wo er erschöpft einschläft.
Erst in der zweiten Nacht wacht Roberto
wieder auf, und er erkennt sofort, daß das Schiff keine Besatzung hat, und
dass Beiboot
fehlen. Trotzdem ist die Daphne in einem ausgezeichnetem Zustand, selbst die Kombüse ist
voll aufgefüllt. Da er aber auf dem Schiff Geräusche hört, die er nicht zuordnen kann,
zieht er sich hilflos und verängstigt in die Kapitänskajüte zurück, wo er voller
Erschöpfung einschläft.
Nun fängt Umberto Eco das erste mal mit
der Erzählung aus der Vergangenheit an. Sie beginnt in der Jugendzeit Robertos. Dieser
wuchs im italienischen Piemont auf, hatte keine Freunde, und genoss eine gute Ausbildung.
In seiner Einsamkeit begann er sich einzubilden einen Halbbruder namens Ferrante zu haben.
Jedesmal wenn er etwas angestellt hat, behauptete er, dass nicht er es war, sondern sein
Phantasie-Bruder.
Bereits im Alter von 16 Jahren musste
Roberto mit seinem Vater und dessen Untertanen nach Casale marschieren, um diese Stadt zu
verteidigen. Dort angekommen, wurde Roberto von den feindlichen Spaniern in einem kleinen
Haus eingeschlossen, doch seinem Vater gelang es, ihn zu retten. Durch diese Heldentat
wurden die Zwei in die höhere Gesellschaft des Anführers Toires aufgenommen. Bei einem
fürchterlichen Gemetzel, das Robertos Vater unter den Spaniern anrichtete, fand dieser
selbst einen unrühmlichen Tod.
Nach dem Tod des Vaters fühlte sich
Roberto wie jetzt auf dem Boot, hilflos und verlassen.
Als Roberto wieder fähig ist, einen klaren
Gedanken zu fassen, will er nun das Geheimnis der Geräusche an Bord lüften und geht
unter Deck. Dabei bemerkt er, dass das erste Deck durch einen Lattenrost in eine Art Laube
verwandelt worden ist, in dem ein Gewächs- und ein Vogelhaus untergebracht sind. Zu
seinem großen Erschrecken entdeckt Roberto, dass die Vögel erst vor kurzem gefüttert
worden sind, und er verzieht sich sogleich ängstlich in die Kapitänskajüte. Für ihn
steht jetzt fest, dass es einen Eindringling auf dem Schiff gibt und er hier nicht alleine
ist. Aber wer ist der Eindringling? Roberto ist lichtscheu, und darum erkennt er erst
jetzt, als die morgendliche Dämmerung beginnt, dass die Daphne ganz in der Nähe einer
Insel ankert.
Am nächsten Morgen stolpert Roberto über
ein Fäßchen Branntwein. Unverzüglich trinkt er dieses aus und schläft stark betrunken
sofort wieder ein. Aber durch laute Geräusche wird er wieder geweckt. Durch den
Branntwein ist er etwas mutiger geworden, und geht diesen Geräuschen nach. Dabei entdeckt
er, dass sich hinter der Laube der Vögel ein Raum voller Uhren befindet. Daraus zieht er
den Schluss, dass dieses Schiff auf der Suche nach dem 180sten Meridian, der Datumsgrenze
war.
Die Längengradbestimmung war zu dieser Zeit noch ein großes Problem, denn auf
Schiffen gingen die Uhren sehr ungenau.
In Casale wurde nach langer Belagerung
ein Friedensvertrag abgeschlossen, und Roberto kam nach Hause zurück. Hier hielt er es
aber nicht lange aus, und er zog nach Paris. Bald wurde er in den intellektuellen Kreisen
der Stadt aufgenommen. Er verliebte sich in die Witwe Lilia, wagt es aber nicht, ihr diese
Liebe zu gestehen.
Eines Tages wurde er völlig unerwartet
von einem Offizier verhaftet, und zum Kardinal geführt.
Dieser warf Roberto vor, ein
Staatsverräter zu sein. Mit seinem Leben sollte er diesen Verrat bezahlen. Aber mit einem
Spionageauftrag gab man ihm eine letzte Chance, dieses zu retten. Roberto willigt ein, um
sein Leben zu retten.
Man brachte ihn nach Holland, wo er auf
einem Schiff, mit dem Namen Amarilli seinen Auftrag ausführen sollte. Er hatte auch bald
ein schreckliches Geheimnis entdeckt: Dem holländischer Forscher Dr.
Bryd, gelang es, die
Längengrade durch eine neue Methode festzustellen. Mit einem Messer wurde noch in Holland
ein Hund verletzt. Dieses Tier wurde mit auf Reisen geschickt. Wann immer das Messer, mit
dem der Hund verletzt wurde ins Feuer gehalten worden ist, heulte der Hund auf dem Schiff
auf. Somit wurde auf telepathischem Wege immer genau die Mitternachtsstunde übertragen,
egal wie weit das Schiff auch vom Heimathafen entfernt war. Doch ein Orkan brachte die
Amarilli zum Kentern, und so wurde Roberto schiffbrüchig.
Ausnahmsweise in nüchternem Zustand,
beginnt Roberto einen Plan des ganzen Schiffs zu zeichnen um festzustellen, wo das
Versteck des Eindringlings sein könnte. Er findet nur einen Ort, wo dies möglich war.
Und tatsächlich entdeckt er an dieser Stelle einen überraschten alten Mann, den Pater
Caspar Wanderdrossel.
Der Pater erzählt nun Roberto, die
Geschichte des Schiffes Daphne, auf dem sich die beiden befinden. Mit diesem Schiff war
Caspar Wanderdrossel in ferne Länder aufgebrochen, um neue Pflanzen und Tiere zu suchen.
Bei diesen Studien wurde er von einem Insekt gestochen, und bekam starkes Fieber.
Diese
Krankheit wurde vom Kapitän des Schiffes als Pest diagnostiziert, und die Besatzung
verließ daraufhin mit den Beibooten das Schiff und setzte auf die nahe gelegene Insel
über. Auf der Insel angekommen veranstalteten sie ein Fest und wurden dabei von
Eingeborenen überrascht und getötet.
Bei seinen Studien hatte der Pater
entdeckt, dass zwischen dem Schiff und der Insel ganz sicher die Datumsgrenze liegt.
Roberto und der Pater können das Festland nicht erreichen, da beide nicht schwimmen
konnten. Auch mit einem Floß war dies nicht möglich, da zum Bau jegliches Werkzeug
fehlte. Die getötete Besatzung hatte alle Werkzeuge an Land mitgenommen.
Roberto versuchte das Schwimmen zu
erlernen. Mit diesen Wassserbewegungen kommt er jedoch nicht sehr schnell voran. Da
entsinnt sich Caspar einer alten Buchaufzeichnung, in der er eine Art Tauchglocke gesehen
hatte, mit der man auch unter Wasser gehen kann. Die zwei versuchen sofort einen
Taucheranzug dieser Art zu bauen. Der Geistliche steigt damit ins Wasser und geht in
Richtung Insel.
Roberto wartet lange, doch der Geistliche
kommt nicht mehr an die Wasseroberfläche.
Der junge Italiener ist nun wieder alleine, und
versucht erneut das Schwimmen zu erlernen.
In seiner Einsamkeit beginnt er einen Roman
zu schreiben, die Geschichte von Ferrante, seinem Bruder.
Nach dem Abschluß des Friedensvertrages
in Casale wurde Ferrante ein Spion für korrupte Leute in Madrid. Ein Zwischenfall zwang
ihn dazu ins Exil nach Frankreich zu gehen, wo er die Witwe Lilia kennenlernte. Es gelang
ihm Roberto als Verräter hinzustellen, doch da der Kardinal ihm mit dem Spionageauftrag
eine letzte Chance gab, brachte blinder Haß Ferrante dazu ihn weiter zu verfolgen. Dazu
war ihm jedes Mittel recht, selbst die Fahrt mit einem Schiff.
Die Schiffsbesatzung
meuterte, und obendrein geriet das Schiff in einen heftiger Sturm und somit mißglückte
dieser Versuch. Ferrante versuchte das Leben von der Geliebten Robertos zu retten, und
band Lilia an ein Holzstück, damit sie nicht untergehen konnte. Doch sein eigens Leben
konnte er nicht retten. Lilia wurde an die Insel, die Roberto vom Schiff aus sehen konnte,
geschwemmt, und strandet dort an einem Felsen, an dem sie sich festklammern konnte.
Der verliebte Schiffbrüchige, der nach dem
vielen Schreiben und durch seine große Einsamkeit Wirklichkeit nicht mehr von Wahn
unterscheiden kann will sie retten.
Da dieses Buch erst 1995 in Deutsch und
auch in Englisch veröffentlicht worden ist, gibt es bis jetzt noch keine Art von
Sekundärliteratur.
Meiner Meinung nach liegt der größte Reiz
dieses Romans in den ewigen Zeitwechseln zwischen der Vergangenheit des 30-jährigen
Krieges, und damit mit Robertos Jugend, und den Vorgängen auf dem Schiff. Die Wechsel
kommen meistens Kapitelweise vor, unterbrechen das Fortgehen des Geschehens aber nicht,
sondern greifen oft fließen ineinander über, so dass es oft nicht einfach ist
festzustellen, in welcher Zeit der Autor gerade erzählt. Dies ist aber ganz typisch für
Umberto Eco, der in seinen Büchern immer etwas komplizierte Handlungen aufbaut. Es ist
flüssig zu lesen, doch kostet es einige Konzentration, den Handlungsfluß nicht zu
verlieren.
Das Buch besitzt nur einen Hauptcharakter
Roberto. Er ist ein junger Mann, der
nach dem Tod seines Vaters keine Ansprechperson mehr hat, mit der er über seine Probleme
reden kann.
So vereinsamt er schon in Frankreich, obwohl ihn die Gesellschaft als
Bereicherung für die Abendgestaltung empfindet, da er ihnen interessante Diskussionen
liefert. Trotzdem findet er unter diesen Personen keine guten Freunde, denn nachdem er des
Verrates beschuldigt wird, hilft ihm niemand. Er geht wahrscheinlich nicht einmal jemandem
ab. Bemerkenswert ist Robertos ungeheure Feigheit. Allein durch ein Geräusch kann er so
eingeschüchtert werden, dass er sich ohne zu Zögern zurückzieht. Nur einmal in dem
Roman ist seine Neugierde größer, nämlich dann, als der Branntwein ihm Mut macht.
Andeutungen in dem Buch lassen darauf schließen, dass seine Lichtscheue nur auf seinen
geistigen Zustand zurückzuführen ist. Geht es ihm gut, zum Beispiel als er mit dem Pater
Pläne zum Erreichen der Insel sucht, stört ihn die Sonne gar nicht. Als dieser stirbt,
verkriecht er sich sofort wieder in die abgedunkelte Kapitänskajüte.
Ferrantes Rolle ändert sich in der
Zeit von Robertos Jugend. Anfangs ist der imaginäre Bruder schuld, wenn Roberto etwas
angestellt hat. Später verbricht Ferrante Dinge, und Roberto selbst
muss dafür büßen.
Lilia ist die Person, für die
Roberto alle Briefe schreibt, die als Grundlage des Romans gelten. Trotz der ungeheuren
Liebe zu ihr verrät uns der jung Mann beinahe nichts über sie. Der Leser erfährt nur,
dass sie aus der intellektuellen Gesellschaft von Paris ist. Sie wird in weiterer Folge
von Ferrante um den Finger gewickelt, und begibt sich mit ihm auf eine Seereise.
Pater Caspar Wanderdrossel ist ein
gut gebildeter Praktiker, der versucht, das Längengradproblem zu lösen. Trotz seiner
Weisheit überredet er Roberto dazu, den Taucheranzug auszuprobieren.
Das war für ihn
eine Tod bringende Fehlhandlung.
Die restlichen Charaktere sind meist
fiktive Nebenrollen, aber trotzdem hat Eco Personen eingebaut, die es wirklich gegeben
hat.
Schluss
Im Gegensatz zu Der Name der
Rose" und Das Faucaltsche Pendel" finden sich im neuesten Werk Ecos keine
Illustrationen. Der genaue Aufbau des Schiffes oder das Aussehen der Insel bleiben trotz
relativ genauer Beschreibungen der Phantasie des Leser selbst überlassen.
Umberto Eco ist ein wahrer Künstler des
Themenwechsels. Während dies in den vorigen Romanen immer über einige Seiten geht, gibt
es in diesem Buch ganze Kapitel, in denen die Handlung eigentlich nicht weitergeht.
Trotzdem sind diese als amüsante Abwechslungen zu werten, obwohl ich zugeben
muss, dass
sich die Neugierde auf den Fortgang der Handlung fast ins unverträgliche anspannt.
Das einzige Zeichen, dass in dem Buch immer
wieder vorkommt, ist eine flammenfarbene Taube. Der Pater entdeckt sie eines Tages,
erblickt sie dann aber nie wieder. Caspar und Roberto suchen sie bis zum
Schluss mit dem
Fernrohr, dadurch scheint sie ein Symbol für die Hoffnung auf Rettung zu sein, da beiden
so viel an ihrer Wiederentdeckung liegt.
Der Erzähler ist in die Handlung
eigentlich nicht besonders eingebunden, er kommt in einigen Kapiteln gar nicht vor, in den
restlichen nur zeilenweise. Nur der Abschluss ist aus seiner Sicht geschrieben.
(LP 508)
Wie die meisten Bücher Umberto Ecos hat
mir dieser Roman sehr gut gefallen. Obwohl er mit Sicherheit nicht zur leicht lesbaren
Lektüre gehört, und man das Buch nicht in einem Zug lesen kann, fand ich die Geschichte
bis zum Ende, das man erraten konnte, aber nicht wirklich daran glaubte, interessant. Eco
gelingt es hiermit, ohne einen Kriminalfall zu schreiben, die Spannung bis zum
Schluss aufrecht zu erhalten..
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