Susanna margaretha faust
Inhalt
1. Susanna Margaretha Brandt .....
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Die frankfurter Gesellschaft des 18. Jahrhunderts .....
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Die Situation vor der Schwangerschaft ...
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Das Empfinden der Schwangerschaft ...
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Seite 4
Die voreheliche Schwangerschaft in der Gesellschaft
des 18. Jahrhunderts .....
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Der Verlauf der Schwangerschaft bis hin zum
Kindsmord ......
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Das frankfurter Prozesswesen ....
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Die Situation der Kindsmörderin im 18. Jahrhundert
und der Bezug zu Goethes Faust .
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Gemeinsamkeiten mit anderen Kindsmörderinnen ....
.. Seite 7
Susanna Margaretha Brandt und Johann Wolfgang
von Goethe ....
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.. Seite 8
Der Kindsmord in der Literatur der 18. Jahrhunderts .. Seite 8
Gegensätze zwischen Literatur und Realität .
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.. Seite 9
Unterschiede zwischen Susanna Margaretha Brandt
und Goethes "Gretchen" ....
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"sie ist die erste nicht" ......
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. Seite 10
Eigene Vermutung einer Parallelsituation .....
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.. Seite 11
Das Schicksal der Susanna Margaretha Brandt heute.. Seite 11
2. Anhang .
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2.
1. Buchquellen .....
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.... Seite 13
2.2.
Internetquellen ......
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2.
3. Erklärung zur Eigenständigkeit .....
.... Seite 16
Susanna Margaretha Brandt
Im Frankfurt des 18. Jahrhundert lebend, als Dienstmagd in einem mittelklassigen Gasthaus angestellt und somit dem vierten Stand der damaligen Gesellschaft zugehörig, also ohne Bürgerrecht, unterschied sich Susanna Margaretha Brandt durch ihre Situation und ihr soziales Umfeld grundlegend vom jungen Goethe.
Obwohl außer der Zeit in der beide lebten keine Gemeinsamkeiten zwischen Susanna Margaretha Brandt und Goethe, der den gehobenen Schichten der Frankfurter Gesellschaft angehörte, zu erkennen sind, dient sie als Vorlage für das Gretchen im "Faust", seinem wohl wichtigsten Werk.
Susanna Margaretha Brandt wurde nur 24 Jahre alt, da sie aufgrund von Kindsmord anhand der damals geltenden Rechtsordnung, der Carolina, der Halsgerichtsordnung Karls V. aus dem Jahre 1532, zum Tod verurteilt wurde.
Susanna Margaretha Brandt wurde 1748 in Frankfurt am Main geboren, war reformierter Religion und in der Zeit vor ihrem Prozess dreieinhalb Jahre als Dienstmagd im nahe der Judengasse gelegenen Gasthaus "Zum Einhorn" beschäftigt.
Die frankfurter Gesellschaft des 18. Jahrhunderts
In der damaligen Frankfurter Gesellschaft gehörte sie dem vierten Stand an, einer heterogenen Gruppe von Mägden, Knechten, Tagelöhnern, Gelegenheitsarbeitern und Handlangern, dem weder politischer Einfluss noch Bürgerrecht gegeben war.
Die Menschen des vierten Standes konnten weder lesen noch schreiben und bildeten die große Mehrheit der Einwohner Frankfurts.
Der dritte Stand war die mäßig gebildete bis ungebildete Handwerkerschaft, die über geringen politischen Einfluss verfügte.
Sie besetzte die dritte und hinterste Bank im städtischen Rat und ihre Zugehörigen durften keine Führungspositionen besetzen.
Die ersten beiden Stände waren deutlich vom dritten und vierten Stand abgegrenzt. Hochzeiten beispielsweise fanden, sofern sie standesübergreifend waren, entweder zwischen dem dritten und vierten oder dem ersten und zweiten Stand statt.
Reiche Stadtbürger, die als Kaufleute, Bankiers und Juristen häufig genauso vermögend wie die Patrizier waren, gehörten dem zweiten Stand an; der erste Stand, das Patriziat, bestand aus alteingesessenen adligen Familien.
Diese oberen beiden Stände verfügten über eine große Bildung, aber über unterschiedlich großen politischen Einfluss. Das Patriziat besetzte mehrheitlich die erste, mit größerer politischer Macht verbundene Bank im städtischen Rat, die reichen Stadtbürger die zweite.
Die abgegrenzt von der Gesellschaft in der sogenannten Judengasse am Stadtrand lebende jüdische Gemeinde bildete den fünften und untersten Stand. Diese Gruppe besaß gleichsam wie der vierte Stand weder das Bürgerrecht noch politischen Einfluss.
Die Situation vor der Schwangerschaft
Beruflich gesehen hatte Susanna Margaretha Brandt als Frau nur sehr wenig Möglichkeiten. Aus diesem Grund wurde eine möglichst vorteilhafte Heirat von ihr erwartet.
Zwei ihrer drei älteren Schwestern war dies bereits geglückt. Diese hatten durch die Heirat den Aufstieg in den dritten Stand geschafft und das Bürgerrecht erlangt.
Die noch junge Susanna hatte also Zeit und berechtigte Hoffnung, sich eine solide Lebensgrundlage aufbauen zu können.
Zum Zeitpunkt der Schwangerschaft, in die sie ungewollt geriet, war sie Vollwaise. Ihr Vater, ein Gefreiter, und ihre Mutter, über die keine Angaben bestehen, waren bereits verstorben.
Von ihrer Chefin, der Gastwirtin, wurde die Dienstmagd als solide, fleißig und fröhlich beschrieben
.
Das Empfinden der Schwangerschaft
Zum Verhängnis wurde Susanna die voreheliche Schwangerschaft, mit der die junge unaufgeklärte Frau nicht umzugehen wusste. Sie beschrieb diese Schwangerschaft als etwas Fremdes, Äußerliches, das ihr widerfahren war, als etwas, das mit ihr geschah, ohne dass sie genau wusste, was mit ihr geschah; die ersten Lebenszeichen ihres Kindes als ein Gefühl, wie wenn ein Stein von einer auf die andere Seite gewälzt würde. Sie sah das in ihr heranwachsende Kind von Anfang an als Fremdkörper und ihr nicht zugehörig.
Diese Art der Wahrnehmung der Schwangerschaft war typisch für viele Kindsmörderinnen in ihrer Zeit.
Die voreheliche Schwangerschaft inder Gesellschaft des 18. Jahrhunderts
Der Vater des Kindes, ein im Gasthaus einlogierter fremder Holländer, gab ihr eines abends im Dezember 1771 etliche Gläser Wein zu trinken, zerrte sie, wie Susanna während ihres Prozesses aussagte, aufs Bett und hatte mehrmals Geschlechtsverkehr mit ihr.
Voreheliche Schwangerschaften galten offiziell als Schande und wurden vom Frankfurter Rat als ein abzustrafendes Delikt betrachtet. Der Tatbestand der Unzucht war dadurch erfüllt. Den verführten Mädchen drohte Bestrafung anhand von Turmstrafen, öffentliche Ehrenstrafen oder sogar der Verweis aus der Stadt. In der Realität wurden aber nur die wenigsten vorehelichen Schwangerschaften strafrechtlich verfolgt. Dies war im besonderen auf Grund einer enormen Anzahl unehelicher Geburten nicht möglich. Ein Beispiel hierfür waren Goethe und Christiane Vulpius, die 18 Jahre unverheiratet zusammenlebten, mehrere uneheliche Kinder hatten, jedoch nie in Konflikt mit der städtischen Justiz gerieten.
Allerdings kümmerten sich die wenigsten Kindsväter um ihren Nachwuchs und dessen ledige Mutter. Diese hatte oftmals große Schwierigkeiten, sich und das Kind zu ernähren, da sie meist sowieso nur einen geringen Verdienst hatte und häufig nirgends eingestellt wurde.
Die einzige Möglichkeit, die vor der Ehe schwanger gewordenen Frauen blieb, um der gesellschaftlichen Schande zu entfliehen, war die schnellstmögliche Heirat mit dem Kindsvater, was sich oft als schwer zu bewältigender Umstand erwies.
Im Fall der Susanna Margaretha Brandt gab es gleich mehrere Heiratshindernisse. Der Verführer war ein fremder Holländer, der sich in abhängiger beruflicher Stellung befand und Frankfurt bereits für immer in Richtung St. Petersburg verlassen hatte, als Susanna sich ihrer Schwangerschaft bewusst wurde.
Noch entscheidender war aber, dass er nicht das geringste Interesse daran hatte, sie jemals zu heiraten.
Im 18. Jahrhundert hatte weder die Gesellschaft noch die Justiz Erbarmen mit den verführten Mädchen. Auch die Richter, welche die Mädchen verklagten und verurteilten, gehörten zu denen, die ihren Söhnen nahelegten, ihre ersten Anzeichen von Männlichkeit an Mägden und Dienstmägden zu versuchen.
Der Verlauf der Schwangerschaft bis hin zum Kindsmord
Die ersten Anzeichen der Schwangerschaft zeigten sich Susanna Ostern 1771. Sie leugnete diese aber hartnäckig vor ihrer Dienstherrin, ihren Schwestern, den Nachbarn und dem sie untersuchenden Arzt Burggraf, da sie für sich und das Kind keine Zukunft sah.
Sie stritt ab, jemals sexuellen Kontakt zu einem Mann gehabt zu haben und begründete ihren immer dicker werdenden Bauch mit der auf Grund eines Zorns ausbleibenden Menstruation. Auch der Arzt Burggraf konnte ihre Schwangerschaft nicht eindeutig feststellen. Er gab ihr lediglich Medikamente, die sie einzunehmen hatte, um ihre Menstruation wieder zu bekommen. Einen Tag vor der Geburt am 1.August 1771 wurde Susanna mit der Aufforderung, wenn es ihr besser gehe, zurück zu kommen, von ihrer Dienstherrin entlassen und angewiesen, zu ihrer Schwester zu gehen. Da die Wehen aber bereits eingesetzt hatten, blieb sie in der Waschküche und entband dort heimlich.
Sofort ermordete sie ihr neugeborenes, sie überforderndes Kind, versteckte dieses unter dem Misthaufen und versuchte so gut es ihr gelang, die Spuren zu beseitigen. Die Gastwirtin allerdings fand eine Blutlache und die Nachgeburt.
Das frankfurter Prozesswesen
Als Susanna kurz darauf von ihrer Schwester Maria Dorothea Hechtel zur Rede gestellt wurde, gesteht sie die Schwangerschaft und den Kindsmord. Ihre Schwester Maria Ursula König zeigte sie darauf bei der städtischen Justiz an und brachte ihre Klage bei der Bürgermeisteraudienz, der ersten Instanz im damaligen Strafprozesswesen, vor. Bei der Durchsuchung des Gasthauses "zum Einhorn" war ein toter neugeborener Junge gefunden worden. Susanna, die kurzzeitig ins benachbarte Mainz geflohen war, wurde bei ihrer Rückkehr sofort festgenommen, da sie bereits steckbrieflich gesucht wurde.
Kurze Zeit später trat das peinliche Verhöramt, die zweite Instanz, bestehend aus dem jüngeren Bürgermeister, einem rechtsgelehrten Ratsherrn der zweiten Bank und einem Ratsschreiber, zusammen. Dieses führte in Absprache mit dem Schöffenrat und dem Rat die Ermittlungen gegen die Angeklagte durch. Ziel war es, zu überprüfen, ob man die Verdächtige eines Deliktes überführen konnte. Dazu musste entweder ein Geständnis vorliegen oder aber es mussten mindestens zwei Tatzeugen ausfindig gemacht werden. Im Fall der Brandt lag sehr schnell ein Geständnis vor.
Die dritte Instanz bildeten die sogenannten Syndiker, die abgesehen von einigen Ärzten, deren Gutachten bezüglich des Kindsmordes eine wichtige Rolle spielten, das einzige Gremium waren, das sich nicht aus den wenigen Ratsfamilien zusammensetzte.
Die Syndiker gehörten zu den am höchsten bezahlten Beamten der Stadt und waren allesamt ausgewiesene Juristen.
Diese überprüften, ob das Peinliche Verhöramt alle zur Überführung eines Täters wichtigen Schritte eingeleitet hatte. Die Angeklagte bekamen sie nie zu Gesicht.
Die vierte Instanz, der Rat, überprüfte die Ratschläge der Syndiker. Damit waren die Ermittlungen vorerst abgeschlossen. Erst jetzt wurde der Angeklagten ein Verteidiger bestellt.
Im Fall der Brandt hieß dieser Dr. Marcus Christoph Schaaf. Zu diesem Zeitpunkt war das Schicksal der Brandt aber schon so gut wie besiegelt. Eine Verteidigung der Angeklagten im heutigen Sinne war nicht mehr möglich.
Dem Verteidiger wurden die Akten des Falles übergeben, so dass er eine Verteidigungsschrift verfassen konnte. Auch hatte er die Option, das Verhöramt um weitere Ermittlungen zu bitten oder Anträge der Angeklagten vorzutragen, über deren Genehmigung wiederum der Rat entschied.
Er war überdies die einzige Person, die ihre Position stärken konnte. Dadurch lief er aber gleichzeitig Gefahr, zuvor am Prozess beteiligte Freunde, Verwandte und Bekannte zu kritisieren. Die Verteidigungsschrift wurde darauf den Syndikern zugeschickt, die auf der Grundlage der Carolina und vor dem Hintergrund der in Frankfurt üblichen Strafen ihr Urteil fanden. Für Susanna Margaretha Brandt war es die Todesstrafe. Diese wurde nach dem in Artikel 131 der Carolina festgesetzten Strafmaß verhängt.
Die Situation der Kindsmörderin im 18.
Jahrhundert und der Bezug zu Goethes "Faust"
Der Fall der Brandt war kein alltäglicher aber auch kein ungewöhnlicher. In Städten wie Frankfurt gab es jährlich zirka drei Anklagen wegen Kindsmord. Susanna kannte sich mit dem Frankfurter Justizwesen kaum aus, die Welt der dort tätigen war ihr fremd. Auf Grund von mangelnder Bildung verstand sie weder die Art des Fragens noch wusste sie über den formalen Ablauf von Prozessen Bescheid. Außerdem verhielt es sich zu ihrem Nachteil, dass das an Universitäten vermittelte Rechtsempfinden nicht unbedingt dem der unteren Stände entsprach.
In einer Zeit, in der Rousseau die besonderen Gefühlsqualitäten von Müttern pries, war es für Kindsmörderinnen besonders schwer, ihre Sicht der Dinge vor Gericht darzulegen.
Auch bestand im damaligen Rechtsprozess kein Interesse daran, erklärende Motive aufzuspüren, die im individuellen Lebenslauf der Täterin oder in den gesellschaftlichen Bedingungen zu finden gewesen wären.
Auch wenn ihr Verteidiger, Dr Marcus Christoph Schaaf, ihr Schicksal letzten Endes nicht mildern konnte, führte er in seinem Plädoyer als mögliche Tatmotive Armut, Verzweiflung und Schande, also in der Gesellschaft begründete Ursachen, an und gilt damit als prototypischer Verteidiger der Aufklärung. Sein Plädoyer weist starke Ähnlichkeiten zu den in den 1780er Jahren veröffentlichten Streitschriften, die für eine mildere Bestrafung von Kindsmörderinnen plädierten, auf.
Viele dieser Argumente finden sich auch in Goethes "Faust". Darin ist Gretchen durch die Gefühle von Schande und Scham verleitet worden, dadurch also auch letztlich entschuldigt, während der Verführer, Faust, der eigentlich abzustrafende Täter ist.
Im Fall der Brandt war diese Art der Argumentation aber noch nicht wirksam.
Geminsamkeiten zu anderen Kindsmörderinnen
Susannas Lebenssituation war typisch für die anderer Kindsmörderinnen. Häufig waren diese zwischen 20 und 30 Jahren alt und verwaist; sie hatten also keine Eltern, die sich um das Kind hätten kümmern können. Einige hatten sogar schon ein bis zwei Kinder, hatten aber nicht die Mittel, ein weiteres zu ernähren.
Die Beziehungen zu den Kindsvätern waren im allgemeinen kompliziert. Häufig waren diese Fremde, zu denen die Frauen nur kurzzeitigen sexuellen Kontakt hatten, oder aber sie befanden sich als Knechte oder Lehrlinge in abhängigen Berufsverhältnissen, so dass keine Heirat möglich war.
Ebenfalls als typisches Verhaltensmuster der Kindsmörderinnen gilt das vehemente Leugnen der Schwangerschaft, von welcher die nähere Umgebung entweder wusste oder diese mutmaßte.
Susanna Margaretha Brandt und Johann Wolfgang von Goethe
Im Gegenteil zu der aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Brandt war Goethe der Sohn eines reichen kaiserlichen Rates und der Enkel eines in Frankfurt sehr einflussreichen Juristen. Auch an ihn wurde deshalb die Erwartung einer juristischen Karriere gestellt.
Zur Zeit des Prozesses gegen Susanna Margaretha Brandt hatte er gerade sein Jurastudium abgeschlossen. Mit Kriterien der Rechtsfindung, der personellen Zusammensetzung des Gerichtswesens und den Regeln des frühneuzeitlichen Prozesses war er besser vertraut als mit der Lebenswelt und den sozialen Hintergründen der Täterin.
Die gerichtlichen Untersuchungen im Fall Brandt konnte er aus der Nähe verfolgen, da er direkt am Prozess beteiligte Ratsherren, Juristen, Mediziner und Schreiber kannte. Dass sich Goethe intensiver mit diesem Fall beschäftigte, sehen wir auch daran, dass Abschriften der Prozessunterlagen und - dokumentationen in seinen Unterlagen gefunden wurden.
In seinen "positiones juris" behandelte er den Kindsmord.
Der Kindsmord in der Literatur des 18. Jahrhunderts
Doch es gab in den 1770er und 1780er Jahren auch zuhauf literarische Texte, in denen der Kindsmord eine zentrale Rolle spielte, wie Goethes "Faust", das Gedicht "Die Kindsmörderin" von Schiller, das gleichnamige Theaterstück von Heinrich Leopold Wagner und Gottfried August Bürgers "Des Pfarrers Tochter von Taubenhain". Viele dieser Literaten waren ausgebildete Juristen, die über Kindsmord recht gut Bescheid wussten. Trotzdem erinnerten die literarischen Verarbeitungen nur sehr entfernt an die realen Täterinnen.
In der Literatur sind bürgerliche Mädchen an Stelle von Mägden die Verführten, deren Verführer sind nicht Handelsdiener, Gesellen, Soldaten und Tagelöhner sondern sitten- und hemmungslose Adlige.
Auch ist die Kindsmörderin im Gegensatz zum adligen Verführer letztendlich ganz unschuldig. Der wohl wichtigste Unterschied besteht aber darin, dass die Verurteilung zum Tod in den literarischen Werken nicht eindeutig begrüßt wird, ganz im Gegenteil; das Todesurteil erscheint als Ausgeburt eines inhumanen Justizwesens.
Gegensätze zwischen Literatur und Realität
In der Realität waren Goethe und die anderen Literaten Befürworter der Todesstrafe. Im Lauf seiner Karriere, im Jahr 1783, mit 34 Jahren, plädierte Goethe in seiner Funktion des geheimen Rats für die Todesstrafe einer des Kindsmords verdächtigen Magd. Auch hatte er als Repräsentant des Justizwesens Anteil an der Art und Weise, wie vor Gericht argumentiert wurde und Urteile - darunter etliche Todesurteile für Kindsmörderinnen - gefunden wurden. In seiner Literatur erscheint das von ihm selbst repräsentierte Justizwesen völlig anders; als brutal, da die sozialen und ökonomischen Lebenslagen der Täterinnen nicht beachtet wurden und als ungerecht, da nach ständischen Gesichtspunkten und nicht nach den Prinzipien des gleichen Rechts für alle geurteilt wird.
Durch diese Literatur wurde indirekt zur Humanisierung des Strafwesens beigetragen. Goethe und die anderen können aber keinesfalls als Initiatoren gelten.
Unterschiede zwischen Susanna Margaretha Brandt und Goethes "Gretchen"
Zwischen dem Gretchen aus Goethes "Faust" und Susanna Margaretha Brandt, die das reale Vorbild Gretchens darstellte, gibt es außer vielen Gemeinsamkeiten auch deutliche Unterschiede. Gretchen ist ein 14jähriges Bürgermädchen, das noch bei ihrer Mutter wohnt, während die 10 Jahre ältere Susanna verwaist war und bei ihrer Dienstherrin lebte. Der Kontakt zwischen ihr und dem Holländer lässt sich höchstens als Affaire bezeichnen, da alles auf sexueller Ebene basierte. Hoffnung auf Heirat hatte sie nie.
Gretchen dagegen empfindet wirkliche Liebe zu Faust, wünscht sich eine gemeinsame Zukunft und hofft, dass er sie zur Frau nimmt. Die beiden begegnen sich mehrmals und obwohl er sie mit der Schwangerschaft im Stich lässt, bietet er ihr zum Schluss, als sie bereits wegen ihrer Tat im Kerker sitzt, an, mit ihm zu fliehen. In Gretchens Leben spielt die Religion eine sehr wichtige Rolle; sie ist sehr gläubig, regelmäßige Kirchgängerin und geht "wegen nichts zur Beichte".
Auch die Schuld wird durch eine übernatürliche Kraft von ihr genommen (Zitat aus "Faust": "sie ist gerettet").
Susanna ist zwar religiös, allerdings nicht überdurchschnittlich. Die Arbeit hat in ihrem Leben Priorität vor der Kirche.
Allerdings stellte sie in der Zeit ihres Prozesses einen Antrag, am heiligen Abendmahl teilnehmen zu dürfen. Im Gegenteil zum letztendlich unschuldigen Gretchen wird Susanna im historischen Urteil klar schuldig gesprochen.
Auch bezüglich der Art des Kindsmords hielt sich Goethe nicht an die ihm als Vorlage dienenden Prozessunteragen. Gretchen ertränkt ihr Kind, während Susanna ihres würgte und erdrosselte, es gegen die Wand schlug und mit einer Schere darauf einstach. Dieser Unterschied ist aber eher unwesentlich.
"sie ist die erste nicht"
Genauso deutlich wie die Unterschiede zeichnen sich Parallelen zwischen der lyrischen Figur und ihrem realen Vorbild ab.
Beide sind "Stationen" auf der Reise der Liebhaber; Gretchen ist "Station" auf Fausts Weltenreise, Susanna "Station" auf der Reise des Holländers nach St. Petersburg.
Auch die Schwangerschaft selbst, die Angst sich jemandem anzuvertrauen und die Angst vor der Schande als ledige Mutter verbindet Wahrheit und Dichtung.
Die Aussage "sie ist die erste nicht" findet sich sowohl in den Prozessakten als auch im "Faust". In der Realität gab Susannas Schwester Maria Ursula König bei ihrer Befragung vor Gericht an, versucht zu haben, Susanna dazu zu drängen, die Schwangerschaft zuzugeben. Eine uneheliche Geburt habe "ja nichts zu sagen", da sie "nicht die erste und auch nicht die letzte" sei.
Goethe gebraucht den Satz in anderem Zusammenhang und mit anderer Bedeutung. Mephisto erwidert ihn, als Faust ihm Vorwürfe macht, weder von Gretchens Elend berichtet noch ihr geholfen zu haben, nachdem er in der Szene "Walpurgisnacht" die schreckliche Wahrheit des Mordes Gretchens an ihrem Kind, ihrem trostlosen Dasein im Kerker und ihrem bevorstehenden Tod erfährt. Mephisto bringt durch die Aussage seine Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit zum Ausdruck, es ist ihm völlig egal, was mit Gretchen passiert, schließlich ist sie ja auch nicht die erste, die zu Grunde geht.
Maria Ursula König dagegen meinte, dass Susanna nicht die erste vor der Ehe schwanger gewordene war. Man kann den Satz so als indirekte Milderung des damals als Schande begriffenen Umstands verstehen. Die Schwester wollte Susanna beruhigen, vielleicht bot sie ihr so sogar indirekt Hilfe an.
Eigene Vermutung einer Parallelsituation
Während meiner Arbeit an diesem Thema habe ich mich immer wieder gefragt, warum das Schicksal der Susanna Margaretha Brandt den jungen Goethe so bewegte, dass er sich so intensiv mit ihr beschäftigte, und die folgenden Überlegungen aufgestellt.
Zur gleichen Zeit, zu der Susanna auf den Holländer traf, lernte Goethe die Pfarrerstochter Elisabeth Brion kennen. In beiden Fällen handelte es sich nicht um eine Beziehung sondern nur um eine Affaire. Goethe war, wie der Holländer wahrscheinlich auch, nur auf seine Lusterfüllung bedacht. Dies drückt er durch das auf Friederike Brion bezogenen Gedicht "Heidenröslein" aus, in dem der egoistische und rücksichtslose Umgang mit der Geliebten verdeutlicht wird. Der Knabe nutzt seine Überlegenheit ungestüm aus, ist ausschließlich auf seine eigenen Ziele bedacht und achtet nicht auf die Einwände und Bedürfnisse der Geliebten.
Die Geliebte, das "Röslein", ist ihm im Zweikampf unterlegen.
Vielleicht war es für Goethe ein großes Glück, dass seine Geliebte nicht schwanger wurde und es wurde ihm anhand des Prozesse gegen die Brandt klar, in welche Lage er seine Geliebte hätte bringen können.
Diese Theorie ist aber nicht bewiesen und soll als solche stehen bleiben.
Das Schicksal der Susanna Margaretha Brandt heute
Das Schicksal der Susanna Margaretha Brandt wurde nicht nur durch die Umstände sondern insbesondere auch durch die Zeit, in der sie lebte, besiegelt. Wäre sie 1998, also 226 Jahre später, für ihre Tat zur Rechenschaft gezogen worden, hätte sie deutlich mildere Richter als zu ihrer Zeit gefunden.
An Goethes 249.
Geburtstag nämlich wurde der Prozess neu aufgerollt und fand als Einstimmung auf das Jubiläumsjahr 1999 statt.
Während es im Januar 1772 in grausamer Deutlichkeit hieß, dass sie "mit dem Schwerd vom Leben zum Todt zu bringen und dieses Urtheil fordersamst zu vollziehen seye", hielt das Gericht 1998 eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung, mit den Auflagen, die Angeklagte solle sich sowohl um eine Grundschulausbildung als auch um eine neue Arbeitsstelle, da sie die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, bemühen, für angemessen.
Am 14. Januar 1772 wurde Susanna Margaretha Brandt in Frankfurt öffentlich enthauptet. Unter den Zuschauern befand sich mit großer Wahrscheinlichkit auch der junge Goethe.
Anhang
Buchquellen
Schmidt, Jochen: Goethes Faust.
Erster und zweiter Teil.
München, 2001
Birkner, Siegfried: Goethes Gretchen. Insel.
Frankfurt, 1999
Hommen, Tanja; Habermas, Rebekka: Das Frankfurter Gretchen. Der Prozess gegen die Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt.
Beck - Verlag.
München, 1999
Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie erster Teil. Reclam. Stuttgart, 1971
Bernhard, Rüdiger: Königs Erläuterungen und Materialien. Band 21. Johann Wolfgang von Goethe.
Faust I. C. Bange Verlag.
Hollfeld, 2001
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