Geschichte von berlin
Der Bezirk
Mitte von Berlin
Die Geschichte des heutigen Bezirks Mitte von Berlin ist weit mehr als nur die Lokalgeschichte einer Verwaltungseinheit: Dieses Gebiet war über mehrere Jahrhunderte hinweg gleichbedeutend mit "Berlin". Am Mühlendamm, dem einzigen Übergang über die Spree zwischen Köpenick und Spandau, entstand im 13. Jh. die kleine Handels- und Kaufmannssiedlung, aus der schließlich die Residenz der brandenburgischen Kurfürsten und schließlich die Hauptstadt des Königreichs Preußen wurde. Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts umfaßte das städtische Territorium dabei in etwa das Gebiet des heutigen Bezirks Mitte von Berlin. In den folgenden Jahrzehnten wuchs Berlin über seine Grenzen hinaus, die Mitte blieb aber politischer und kultureller Brennpunkt der Stadt.
Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs nach dem 1. Weltkrieg blieb Berlins Mitte - seit 1920 nun der Bezirk im heutigen Zuschnitt und Ausmaß - das Verwaltungs- und Machtzentrum auch der ersten deutschen Republik. Diese Funktionen bestanden auch im Berlin der NS-Zeit weiter, allerdings mit mörderischen Vorzeichen: Viele Schaltzentralen des nationalsozialistischen Terrorapparats konzentrierten sich in diesem Gebiet. Der Wiederaufbau der Nachkriegszeit vollzog sich in beiden Hälften der geteilten Stadt in unterschiedlicher Weise, jedoch blieb auch jetzt der Bezirk Mitte Verwaltungs- und Machtzentrum - nun der Deutschen Demokratischen Republik - , die den Ostteil Berlins zur "Hauptstadt der DDR" erklärte und diesen Anspruch mit einschneidenden städtebaulichen Umgestaltungen des Bezirks auch zum Ausdruck brachte. Die Wende 1989 und die folgende Wiedervereinigung der Stadt hat den Bezirk zum Schauplatz all jener rasanten Veränderungen gemacht, die wir heute erleben.
Bescheidene Anfänge
Eine derartige Karriere war für Berlin und Cölln, die beiden kleinen Ansiedlungen von Kaufleuten an den Ufern der Spreefurt, kaum zu erwarten gewesen.
Geographisch günstig am Schnittpunkt mehrerer wichtiger Handelswege gelegen, umfaßten sie flächenmäßig zusammen rund 70 Hektar, weniger als ein Zehntel des heutigen Bezirksgebietes. Cölln lag auf der Spreeinsel, Berlin am nordöstlichen Spreeufer. Eine erste urkundliche Erwähnung Cöllns datiert aus dem Jahr 1237, das seither als das offizielle Geburtsjahr der Stadt gilt. Die Doppelstadt entwickelte sich bereits im Lauf des 13.Jh. zum Haupthandelsort und Mittelpunkt der Mark Brandenburg, wozu nicht nur die verkehrsgünstige Lage, sondern auch die bevorzugte Behandlung durch die Landesherrn beitrug, die insbesondere Berlin durch die Verleihung von diversen Privilegien zu fördern suchten.
Mit der "Aula Berlin" besaßen die herrschenden brandenburgischen Markgrafen in der Klosterstraße auch bereits einen Amts- und Wohnsitz, der um 1300 zum repräsentativen "Hohen Haus" ausgebaut wurde. 1271 trat der Markgraf ein Teil des dortigen Areals an den Franziskanerorden ab, der hier das später weitbekannten "Graue Kloster" errichtete; die Ruine der Kirche ist am Ausgang der Klosterstraße zu finden. Die bedeutendsten sakralen Bauten waren die Nikolai- und Marienkirche in Berlin sowie die Pfarrkirche St. Petri in Cölln, die am südlichen Ende der Brüderstraße stand; sie wurde 1960 abgerissen. Als einer der wenigen mittelalterlichen Bauten erhalten ist die Kapelle des Heilig-Geist-Spitals in der Spandauer Straße sowie ein Rest der Stadtmauer in der Waisenstraße.
Innerhalb der mit fünf Toren versehenen Umfriedung lebten im 14.
Jh. ca. 6000 Menschen in Berlin und ca. 2000 in Cölln. Kontrolle und Verwaltung der Stadt lagen in den Händen des vom Landesherrn eingesetzten Schultheiß und des Rats der Stadt. Beide Städte verfügten über ein eigenes Rathaus, in dem neben den Ratssitzungen auch Gerichtsprozesse stattfanden und sich die Kaufleute zu Handelsgeschäften treffen konnten.
Das erste Berliner Rathaus stand wohl am Molkenmarkt, später an der heutigen Kreuzung Spandauer-/Rathausstraße.
Die stetig gewachsene Selbständigkeit, die die florierende Handelsstadt durch geschicktes Taktieren durchgesetzt hatte, endete Mitte des 15. Jh., als der Landesherr den sog. "Berliner Unwillen" niederschlug, einen Aufstand der Bürger gegen die Einschränkung ihrer errungenen Rechte und überlieferten städtischen Freiheiten. Von nun an stand Berlin unter enger Kontrolle der brandenburgischen Kurfürsten aus dem Haus Hohenzollern.
Sie bauten in den folgenden Jahrzehnten die Stadt zu ihrer Residenz aus, deren Machtzentrum das Schloß auf der Spreeinsel darstellte. Der erste Bau war 1451 fertiggestellt, änderte jedoch in den folgenden Jahrhunderten durch häufige An-, Um- und Ausbauten ständig sein Gesicht wie auch seine Dimensionen.
Residenz und Festungsstadt
Hatte die Stadt ihre politische Selbständigkeit weitgehend eingebüßt, so brachte der Rang einer Residenz doch auch Vorteile mit sich: die Bevölkerungszahl stieg stetig an, neue Behörden wurden eingerichtet, Handel und Gewerbe profitierten langfristig vom Bedarf des Hofes. Trotz dieser Fortschritte nahm die Doppelstadt jedoch bis ins 17. Jh. hinein eine vergleichsweise bescheidenen Rang ein und konnte weder mit den großen norddeutschen Handelsstädten noch den mächtigen süddeutschen Reichsstädten mithalten.
Auch die 1539 durchgeführte Reformation - für andere Städte der Beginn eines raschen Aufstiegs - änderte wenig an dieser Tatsache.
Unter der Regierung Friedrich Wilhelms (1640 - 1688), des "Großen Kurfürsten", schien die Stadt zunächst in eine Katastrophe zu geraten. Der verheerende 30-jährige Krieg führte auch in Berlin und Cölln zu wirtschaftlicher Depression und Entvölkerung: Einquartierungen, Plünderungen, erzwungene Zahlungen und Warenlieferungen schädigten das Wirtschaftsleben enorm. Mehrere Pestepidemien forderten zahlreiche Opfer in der Stadt. Bei Kriegsende bot sich ein trostloses Bild: das vernachlässigte Schloß und viele öffentlichen Gebäude wiesen schwere Schäden auf, die neuen Vorstädte waren niedergebrannt, von ehemals 12000 Einwohnern gerade noch die Hälfte übriggeblieben.
Trotz dieser miserablen Ausgangslage gelang der Wiederaufbau erstaunlich schnell.
Zur besseren Verteidigung ließ der Kurfürst einen modernen Festungsring mit Bastionen und Grabensystemen anlegen und führte ein stehendes Herr ein; Berlin wurde zur Garnisons- und Festungsstadt. Als Verbindungsweg zwischen Schloß und dem Tiergarten - der damals bereits an der heutigen Schadowstraße begann - entstand im Jahr 1647 die Straße Unter den Linden als sechsreihige Allee von Linden- und Nußbäumen. Das Stadtgebiet wurde nach Westen erweitert: 1662 erhielt als dritte Residenz der Friedrichswerder (westlich des Spreekanals), einige Jahre später die Dorotheenstadt (zwischen Linden und Spree) eigene Rechte und Verwaltung; ab 1688 wurde im Gebiet südlich der Linden die Friedrichstadt angelegt.
Die verheerenden Bevölkerungsverluste suchte man - wie in anderen Ländern auch - durch Einwanderung allmählich auszugleichen, wobei sich religiöse Motive mit wirtschaftlichem Kalkül paarten. Ein Jahrhundert seit der gewaltsamen Vertreibung der Berliner Juden aus der Stadt bot im Jahr 1651der Kurfürst 50 wohlhabenden jüdischen Familien aus Wien erstmals wieder Asyl und Aufenthaltsrecht. 1714 errichtete die neue jüdische Gemeinde in der Heidereuthergasse ihre erste Synagoge.
Die zahlenmäßig stärkste Zuwanderergruppe stellten in dieser Zeit die Hugenotten dar, aus Frankreich geflohene Protestanten, denen im 1685 erlassenen "Edikt von Potsdam" Religionsfreiheit, Ansiedlungsrecht und Starthilfen angeboten wurden. Der folgende Zuzug von 6000 Flüchtlingen bedeutete für Berlin nicht nur einen erheblichen Bevölkerungszuwachs, das mitgebrachte Fachwissen der geschickten Handwerker stellte auch einen nachhaltigen Fortschritt für das Gewerbeleben der Residenz dar.
Hauptstadt Preußens
Während der Regierung des Kurfürsten Friedrich III.(1688-1713) - seit 1701 König in Preußen - erfuhr die Stadt einen beträchtlichen baulichen und kulturellen Aufschwung. Das alte kurfürstliche Schloß wurde im aufwendigen Barockstil zum prächtigen Mittelpunkt der königlichen "Haupt- und Residenzstadt Berlin" ausgebaut. Auf dem späteren Gendarmenmarkt legte man 1701 die Grundsteine für die beiden Kirchenbauten.
Mit dem Zeughaus Unter den Linden - Waffenarsenal und Schatzkammer für Kriegstrophäen - entstand eines der schönsten heute noch erhaltenen Gebäude des Stadtzentrums. Vier Jahre nach Gründung der Akademie der Künste 1696 wurde im neuen Marstallgebäude Unter den Linden (Standort der heutigen Staatsbibliothek) die Akademie der Wissenschaften eingerichtet.
Im Jahr 1709 wurden auf königlichen Befehl und gegen den Widerstand der Gemeinden schließlich die bislang selbständigen fünf Städte zusammengelegt: fortan existierte für das gesamte Berlin nur noch eine Stadtverwaltung mit Sitz im alten Cöllnischen Rathaus nahe dem Schloß. Ihre Zuständigkeit umfaßte auch die außerhalb der Mauern allmählich entstandenen Ansiedlungen, die nach den jeweiligen Festungstoren benannt wurden - wie etwa die Spandauer Vorstadt nördlich des Spandauer Tores. Aufgrund all dieser Aufbaumaßnahmen hatte die Stadt bereits um 1700 die Kriegsfolgen mehr als wettgemacht: die Zahl der Gebäude war fast doppelt so hoch wie zur Jahrhundertmitte, die Einwohnerzahlen hatten sich fast verzehnfacht.
Der "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I.
(1713-1740) machte der ersten kulturellen Blüte ein jähes Ende: das vormalige "Spree-Athen" wurde zum spartanischen Militärstandort. Der Hof wurde verkleinert, die Heeresstärke verdoppelt, aus Prunkhäusern wurden Manufakturen, der eingeebnete Lustgarten diente nun der hochgerüsteten Armee als Exerzierplatz. 1721 entstand mit der "Charité" eine zeitgemäße medizinische Ausbildungsstätte mit öffentlichem Krankenhausbetrieb, dem ersten in Berlin.
An der Peripherie des Stadtgebietes legte man große Markt- und Paradeplätze an, von denen das "Octogon" (Leipziger Platz) und das "Quarré" (Pariser Platz) im heutigen Bezirk Mitte liegen. Die militärisch nutzlos gewordene Festung wurde geschleift, im westlich erweiterten Stadtgebiet - die Straße Unter den Linden wurde auf ihr heutiges Maß verlängert - entstanden in kurzer Zeit eine Reihe neuer Straßen. Auch wohlhabende Adlige hatten sich am weiteren Ausbau Berlins zu beteiligen; so entstanden an der neuen Wilhelmstraße prächtige Palais' mit weitläufigen Gärten.
Umgeben wurde die vergrößerte Stadt nun von einer über vier Meter hohen und 15 km langen Mauer, an deren 14 Toren eine Verbrauchssteuer, die "Akzise", erhoben wurde; die Umfriedung wurde erst nach der Mitte des 19.Jh. wieder abgetragen. Einige vormalige Vorstädte wie die Spandauer Vorstadt im Norden oder die Königsstadt im Osten wurden eingemeindet. Um 1740 hatte sich das Stadtgebiet schließlich fast verdoppelt: Berlin umfaßte nun in etwa die Fläche des heutigen Bezirks Mitte, die Friedrichstadt war dabei mit 30000 Einwohnern das bevölkerungsreichste Gebiet.
Der Nachfolger des Soldatenkönigs, Friedrich II.
(1740-1786), machte Preußen zur Großmacht und Berlin zu deren repräsentativer Hauptstadt. Als neues Zentrum von Kunst und Wissenschaft wurde die Stadt auch architektonisch aufwendig um- und neugestaltet: die beiden prunkvollen "Dome" der Kirchen auf dem Gendarmenmarkt wurden errichtet, die bislang recht unscheinbaren Tore der Akzisemauer durch repräsentative Bauten ersetzt, von denen das 1795 fertiggestellte - bereits im klassizistischem Stil erbaute - Brandenburger Tor das einzige heute noch erhaltene ist.
Am östlichen Ende der Linden entstand das "Forum Fridericianum", das Oper, Königliche Bibliothek, St. Hedwigskathedrale und das Prinz-Heinrich-Palais (heute Humboldt-Universität) in einem eindrucksvollen städtebaulichen Ensemble zusammenfaßte. Auch kulturell ging es wieder aufwärts: die jahrelang vernachlässigte Akademie der Wissenschaften wurde neu begründet, Berlin wurde zum geistigen Zentrum der Aufklärung, das Gelehrte aus dem In- und Ausland anzog. Im Jahr 1786 war Berlin mit 150000 Einwohnern zur Großstadt von europäischem Rang aufgestiegen.
In städtebaulicher Hinsicht prägte seit dem Ende des 18.Jh. der an antiken Vorbildern orientierte klassizistische Stil das Gesicht der Stadt. Karl Friedrich Schinkel, ebenso genialer wie produktiver königlicher Baurat, entwarf mit dem Museum am umgestalteten Lustgarten, der Neuen Wache Unter den Linden, dem Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, der Friedrichswerderschen Kirche oder auch der Schloßbrücke eine Reihe hervorragender Bauwerke, die gerade den Bezirk Mitte heute auszeichnen.
Auf dem Weg zur Metropole
Die Zeit der napoleonischen Besatzung zu Beginn des 19. Jahrhunderts brachte für die Stadt und ihre Bewohner zwar enorme wirtschaftliche Belastungen mit sich, führte aber im Zuge der Befreiungsbewegung zunächst auch zu fortschrittlichen gesellschaftlichen Entwicklungen.
Ein wichtiger Schritt für Berlin war die Etablierung einer 1809 erstmals gewählten Stadtverordnetenversammlung, die in der Folgezeit die Geschicke der Stadt mitbestimmen sollte. Auch das Bildungswesen wurde erneuert: 1810 eröffnete mit der Friedrich-Wilhelm-Universität Unter den Linden (heute: Humboldt-Universität) mit 52 Professoren und 256 Studenten eine Hochschule, die es mit einer neuen Konzeption von Wissenschaftsfreiheit und enger Verbindung von Forschung und Lehre bald zu internationalem Ansehen brachte. Das geistige Leben der Stadt bestimmten in diesen Jahrzehnten auch die literarischen Salons, von denen die bekanntesten in der Friedrichstadt zu finden waren. Hier trafen sich Künstler und Intellektuelle über alle Schranken der Konfession oder Herkunft hinweg zu freiem Gedankenaustausch.
Wirtschaftlichspolitische Neuerungen wie die Einführung der Gewerbefreiheit bahnten den Weg für die Anfänge der Industrialisierung, die aus Berlin die Industriestadt des 19.Jh.
schlechthin machen sollte. Vor dem Oranienburger Tor siedelten sich seit 1820 Eisengießereien und Maschinenbaubetriebe an; der helle Schein aus den Hochöfen und Schornsteinen verlieh dem Gebiet im Volksmund bald die Bezeichnung "Feuerland".
Auch die Bevölkerungszahl verdoppelte sich zwischen Beginn und Mitte des Jahrhunderts, mit rund 400000 Einwohnern nahm Berlin den vierten Rang unter Europas Metropolen ein. Wenig tat sich allerdings auf der politischen Ebene: versprochene Reformen wurden nicht eingehalten, das Volk blieb von politischer Mitwirkung weiterhin ausgeschlossen. Im Zusammenwirken mit einer Wirtschaftskrise kam es schließlich zur Revolution: Am 18. März 1848 tobten im Stadtzentrum blutige Barrikadenkämpfe, die über 300 Opfer forderten, aber trotz anfänglicher Erfolge letztendlich keine dauerhafte Neugestaltung der Machtverhältnisse brachten.
Trotz gescheiterter Revolution und verstärkter staatlicher Aufsicht über das öffentliche Leben in der Folgezeit blieb der Anspruch auf städtische Selbstverwaltung bestehen; ihren architektonischen Ausdruck fand sie im Bau des Roten Rathauses, das 1869 fertiggestellt wurde. Drei Jahre zuvor war die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße eröffnet worden, die eindrucksvoller Mittelpunkt der jüdischen Gemeinde wurde. Um diese Zeit waren ca. 28000 (4 %) der Berliner Einwohner jüdischer Konfession, von denen die überwiegende Mehrheit im heutigen Bezirksgebiet lebte.
Führte die Eingemeindung umliegender Gebiete im Jahr 1861 bereits fast zur Verdoppelung der Fläche Berlins, so begann mit der Reichsgründung ein Jahrzehnt später eine völlig neue Epoche: In fast fieberhaftem Tempo wurde die Stadt zum Mittelpunkt des neuen Kaiserreichs ausgebaut. Die alte Berliner Mitte als kulturelles und politisches Zentrum erhielt nun auch die erweiterten Funktionen der Hauptstadt des Gesamtstaates.
Neue Ämter und Verwaltungsstellen siedelten sich im Gebiet um Wilhelmstraße und Leipziger Straße an, die sich in der Folgezeit zur edlen Einkaufsmeile entwickelte. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs zogen auch die Spitzen florierender Industrieunternehmen, Banken und Handelsgeschäfte verstärkt in die repräsentative Stadtmitte, luxuriöse Hotels und prunkvolle Warenhäuser wurden gebaut. Der 1905 eröffnete monumentale neue Dom am Lustgarten brachte den Geltungsdrang des wilhelminischen Kaiserreiches auch architektonisch zum Ausdruck.
Im 20. Jahrhundert
Der verlorene 1. Weltkrieg und die darauf folgende Novemberrevolution 1918 machte dem Kaiserreich ein Ende und etablierte die erste deutsche Republik.
1920 wurde mit der Neugliederung von 20 Bezirken die neue Gemeinde Groß-Berlin gebildet, der heutige Bezirk Mitte entstand - damals mit knapp 300000 Einwohnern einer der bevölkerungsreichsten. Freilich waren die kulturell innovativen "Zwanziger Jahre" politisch und sozial alles andere als "golden" - Massenarbeitslosigkeit und Wirtschaftskrisen bestimmten das Bild. Alfred Döblin schildert in seinem 1929 erschienenen Roman "Berlin-Alexanderplatz" das Leben und Treiben an diesem Brennpunkt des urbanen Lebens; dort zog wenige Jahre später mit dem Bau der beiden erhalten gebliebenen Bürohäuser von Peter Behrens die städtebauliche Moderne ein.
Der Bezirk Mitte war in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur Bühne für propagandistische Selbstdarstellungen des Regimes, gleichzeitig Zentrum der Unterdrückung und Verfolgung. Das Jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße wurde zum zentralen Sammellager und Durchgangsstation auf dem Weg in die Vernichtung: Mehr als 50000 jüdische Einwohner Berlins fielen dem organisierten Massenmord der Nazis zum Opfer, davon stammten mehr als ein Zehntel aus dem Bezirk Mitte.
Die Bombennächte und die Endkämpfe des 2.
Weltkriegs verwandelten weite Teile des Stadtzentrums in eine rauchende Trümmerlandschaft, bei Kriegsende waren über zwei Drittel des Wohnraums zerstört, öffentliche Gebäude und Kultureinrichtungen vernichtet oder schwer beschädigt. Der allmähliche Wiederaufbau vollzog sich in einer politisch gespaltenen Stadt, deren historisches Zentrum nun im sowjetischen Sektor lag; der Bezirk Mitte wurde politisches und kulturelles Zentrum der 1949 gegründeten "Deutschen Demokratischen Republik". Das Stadtbild änderte sich in den Nachkriegsjahrzehnten einschneidend: 1950 wurde das beschädigte Schloß gesprengt und vollkommen abgetragen, an seinem Standort errichtete man ein Vierteljahrhundert später den "Palast der Republik". Lediglich eines der Schloßportale fand Verwendung im benachbarten Staatsratsgebäude.
Mit dem Bau der Mauer 1961 wurde der Bezirk von historisch gewachsenen Verbindungen abgeschnitten und in der Folgezeit zum Mittelpunkt der "Hauptstadt der DDR" ausgebaut. Sorgfältige Rekonstruktion historischer Bausubstanz im Einzelfall ging dabei andernorts einher mit großangelegten Umgestaltungen, denen ganze Straßenzüge zum Opfer fielen.
Breite Verkehrsschneisen durchzogen nun die Stadt, der Alexanderplatz wurde auf die dreifache Fläche vergrößert und - wie die Fischerinsel und die Leipziger Straße - mit Hochhäusern bebaut. Erst im Zug der 750-Jahr-Feier Berlins versuchte man, sich wieder mehr an historischen Gegebenheiten zu orientieren: In einer Mischung aus nostalgischen Gebäudeformen und moderner Betonplattentechnik wurde das Nikolaiviertel errichtet, heute eine der touristischen Hauptattraktionen Berlins.
Die Wende und die folgende Vereinigung der beiden Stadthälften haben den Bezirk erneut tiefgreifenden Veränderungen unterworfen. An keinem anderen Ort der Stadt wurde und wird soviel um- und aufgebaut, nirgendwo wurden und werden noch derart umfassende historische, städtebauliche, verkehrstechnische und kulturpolitische Debatten geführt werden wie hier. Der Bezirk Mitte wird - so das Ziel der gegenwärtig laufenden Bezirksreform - in seiner derzeitigen Form ab 2001 nicht mehr existieren, seine historisch gewachsene Identität in einer neuen Großverwaltungseinheit aufgehen, die den alten Namen zwar beibehalten dürfte, aber im neuen Jahrtausend auch ganz neue urbane Aufgaben zu bewältigen haben wird.
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