Der kaukasische kreidekreis
Inhalt
"Der Kaukasische
Kreidekreis" ist heute eines der meistgespieltesten Stücke auf deutschen Bühnen.
Brecht erzählt hier alte Motive, die sich ebenso in der Bibel wie in alten chinesischen
Märchen finden, auf seine Weise neu: Nach einem Staatsstreich gegen den Großfürsten
wird der reiche Gouverneur Abaschwili hingerichtet. Seine Frau kann entkommen, läßt aber
ihren Sohn Michel einfach zurück, da sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist.. Die
Magd Grusche nimmt sich nach einigem Zögern des Kindes an und flieht mit ihm ins Gebirge,
da der Thronfolger überall gesucht wird, und 1000 Piaster auf seine Ergreifung ausgesetzt
sind. Grusche hat kaum Geld, um Michel zu ernähren, und deswegen erwägt sie schon, ihn
einfach vor der Tür eines Bauernhofes auszusetzen, doch sie bringt es nicht übers
Herz.
Die Schergen des Fürsten Kazbeki, die Panzerreiter sind ihr auf den Fersen, Grusche
entkommt ihnen jedoch immer mit Glück. Im Gebirge gelangt sie dann endlich zu ihrem
Bruder, der inzwischen mit einer sehr frommen Frau verheiratet ist. Obwohl sie mit dem
Soldaten Simon verlobt ist, heiratet sie einen angeblich sterbenskranken Bauern, um ihr
Ziehkind durch ein "Papier mit Stempel" angesichts des wachsenden Mißtrauens
ihrer Schwägerin zu legitimieren. Dieser Bauer erweist sich aber plötzlich als
kerngesund nachdem die Nachricht über das Ende des Krieges eintrifft. Nach dem
Bürgerkrieg kehrt die Gouverneurin zurück und will die Herausgabe ihres Kindes
erstreiten. Der Fall wird von dem einfachen, aber schlauen Dorfschreiber Azdak verhandelt,
der im Krieg zu Amt und Würden gelangt ist und beim Volk als Armeleuterichter gilt.
In
dem nun zu verhandelnden Fall ordnet er an, den Beweis der Mutterschaft zu erbringen. Der
Richter läßt das Kind in einen Kreidekreis stellen. Beide Frauen sollen gleichzeitig
versuchen, das Kind zu sich aus dem Kreis herauszuziehen. Schließlich erweist sich
Grusche als die wahre Mutter des Kindes, da sie zuerst losläßt, damit dem Kind kein Leid
geschieht. Nicht Erbrecht und Blutsbande entscheiden, sondern wahre Liebe und Aufopferung,
die sich durch die soziale Mutterschaft entwickelt haben.
Charakteristik der Personen
In der Ziehmutter des Kindes,
Grusche Vachnadze, und dem Richter Azdak hat Brecht zwei seiner vielschichtigsten und
beeindruckendsten Bühnencharaktere geschaffen.
Somit wird der Kreidekreis gleichzeitig zu
einem persönlichen Psychogramm zweier gewöhnlicher Menschen, die Ungewöhnliches
leisten.
Grusche Vachnadze ist einfache
Dienstmagd, die durch eine Verkettung von Zufällen dazu kommt, Michel in Obhut zu nehmen.
Sie weiß, wie gefährlich es ist, mit dem Gouverneurserben erwischt zu werden, und sie
braucht eine ganze Nacht, bevor sie der schrecklichen Verführung der Güte"
erliegt. Sie erkennt, daß das Leben des Kindes von ihr abhängt, und das sie sich dem
Anspruch des Kindes auf ihre Hilfe nicht entziehen kann. Grusche verkörpert jedoch die
Ausnahme, sosehr sie schnell weg möchte, das hilfsbedürftige Kind liegen zu lassen
bringt sie nicht fertig. Sie unterscheidet sich darin nicht nur von der Frau des
Gouverneurs, die sich mehr um ihre teuren Kleider als um ihr Kind kümmert, sondern von
allen umstehenden Personen, die sich vor der Verantwortung drücken, und nur ihr eigenes
Interesse wahren, indem sie sich selbst in Sicherheit bringen.
Grusche tut das
ungewöhnliche, sie zeigt die andere, unter den herrschenden Verhältnissen ungewöhnliche
Möglichkeit: Opferbereitschaft aus sozialen und humanitären Gründen. Deswegen bringt
sie es auch nicht fertig Michel einer fremden Bäuerin zu überlassen, obwohl viele
Argumente dafür sprechen, zu sehr hat sie Michel schon ins Herz geschlossen.
Die Volksgestalt Azdak ist
eine vergnügliche Bühnenfigur, sie ist jedoch nicht für unverbindliches
Zuschauervergnügen gedacht. Azdak ist eigentlich Dorfschreiber, der aus einer Laune der
Panzerreiter heraus für 2 Jahre zum neuen Richter gemacht. Während dieser zwei Jahre
verdreht er das Recht zum Nutzen der armen Leute, und stellt damit beinahe so etwas wie
Gerechtigkeit her. Doch am Ende der 2 Jahre fürchtet er schon das Schlimmste, wird jedoch
vom Großfürsten nicht nur gerettet, sondern er darf sein Amt weiter ausüben.
Somit hat
er über den Fall von Michel zu entscheiden, und nach Anwendung der Kreidekreisprobe
beweist er einmal mehr seinen Gerechtigkeitssinn und spricht Grusche das Kind zu. Azdak
beweist tiefe Menschlichkeit und soziale Weisheit, obwohl seine Erscheinung auf einen
lustigen, gefräßigen und einfachen Dorfschreiber glauben läßt. Das Leitwort seiner
Rechtsprechung wird von den Panzerreitern so definiert: Immer war der Richter ein
Lump, jetzt soll ein Lump der Richter sein." Azdak richtet immer parteilich zugunsten
der Armen, nicht ohne vorher von den Reichen Geld zu nehmen. Er achtet zwar streng auf die
Würde des Gerichts, verwendet aber das Gesetzbuch, Sinnbild des Rechts der Ausbeuter, als
Sitzkissen. Azdaks Richterschaft ist jedoch gebunden an eine Ausnahmesituation, so legt er
seine Tätigkeit auch zurück, nachdem er ein letztes Mal für die Armen entschieden
hatte.
Interpretationsansätze
Ein umstrittener Teil des
Stücks ist das Vorspiel, in dem es um den Streit zwischen zwei Ortschaften geht. Streit
ist es jedoch kein wirklicher, da das Ergebnis schon vorher feststeht, es keine wirkliche
Opposition gibt. Die Vernunft soll bestimmen, und der Streit wird sicher auf
einvernehmliche Weise geklärt. Das Vorspiel soll die Einleitung zum eigentlichen Stück
sein, jedoch ist der Streit um ein Stück Land nicht unbedingt dem um ein Kind
gleichzusetzen.
Das Vorspiel wurde von den
westlichen Kritikern als typisch für das kommunistische System bezeichnet und als
lächerlich verworfen, so daß die ersten Aufführungen im Westen einfach gleich mit dem
eigentlichen Stück beginnen.
Kritikbeispiele: Bolschewistisches
Einwickelpapier", Idyll in Rosa.
..ein Kindermärchen aus dem man die Hexe
herausgeschnitten hat".
Doch auch im Osten fand man
nicht viel gefallen am Vorspiel, so wurde z.B. der an den Haaren herbeigezogene
Zusammenhang zwischen Vorspiel und Geschichte kritisiert.
Ein Aspekt der Kritik in dem
Stück ist Brechts Kritik an der Macht des Geldes, die allgegenwärtig ist. Es entsteht
eine ganze soziale Werteskala, auf die Azdak Bezug nimmt wenn er sich nach dem
Anwaltshonorar erkundigt: Ich frag, weil ich ihnen anders zuhör, wenn ich weiß,
sie sind gut". Zwischen der in Rede stehenden Summe und der moralischen Qualität der
Person besteht ein direkt umgekehrtes Verhältnis. Die lauterste Person hat auch den
geringsten Wochenlohn, Grusche bekommt 2 Piaster in der Woche, der Preis für ein wenig
Milch. Die Panzerreiter sind alle für Geld zu haben, die Mutter des Bauern, den Grusche
zum Schein heiraten soll, verlangt 400 Piaster dafür, und je höher man in der Hierarchie
aufsteigt, desto schwindelerregender werden die Beträge. Anstatt Millionenbeträge für
die Armee zu verwenden, wanderten sie einfach in die Taschen der korrupten Fürsten.
Der Protest gegen den Krieg
ist ein weiteres zentrales Thema des Stücks. Schon das Vorspiel ist nach dem 2.WK
angesiedelt, und alles ist zerstört. Grusches Verlobter Simon muß in den Krieg ziehen
und so verliert sie ihn beinahe. Einige Lieder greifen diese Thematik auf, wie Azdaks
Antikriegslied, das er noch von seinem Großvater hält. Der Höhepunkt des Themas ist
sicher die gespielte Gerichtsverhandlung, wo Azdak als Großfürst die Friedensschwüre
des fetten Fürsten lächerlich macht und mit den knappen Worten schließt: Fürsten
kämpften, kämpften um Kriegslieferungskontrakte".
Das zentrale Thema des Stücks
ist natürlich die Gerechtigkeit. Die Kreidekreis-Probe findet man schon in der Bibel oder
in chinesischen Volksstücken, nur das dort die leibliche Mutter mit der Gewinnerin der
Probe übereinstimmt. Für Brecht beruht die Mutterschaft also mehr auf Menschlichkeit und
sozialen Aspekten, als auf Blutsbanden. Es steht also eine eindeutig sozial motivierte
Rechtsfindung zur Diskussion.
Azdaks Urteil ist rein
juristisch nicht tragbar, im Lichte menschenwürdigen Denkens und Handelns ist es jedoch
das einzig mögliche: die Entscheidung für die Mütterlichkeit als humanes Prinzip.
Überhaupt ist Azdaks
gesamte Rechtsprechung eindeutig mit einer Klassenjustiz gleichzusetzen, die Angehörigen
der feindlichen Klassen wie der Gouverneur, seine Frau, der Großfürst, der Fürst und
die Grundbesitzer haben somit im vorhinein jeglichen Anspruch auf Recht verspielt.
Azdaks
Mitleid mit den Armen äußert sich in Rache und Unrecht gegenüber den Klassenfeinden".
Trotz Brechts genialer dichterischen Kunst, die Azdak im bestmöglichen Licht
erscheinen läßt, vertritt Brecht hier die Vergewaltigung des allen Menschen zustehenden
Rechts im Klasseninteresse. Insofern entfernt sich das Stück also von der eigentliche
Aussage der Kreidekreis-Probe, die da lautet, Gerechtigkeit sei dein höchstes
Ziel".
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