Der richter und sein ´henker
Der Richter und sein Henker
von Friedrich Dürrenmatt.
Anfangs findet der Dorfpolizist Clenin auf der Straße von Twann nach Lamboing einen Toten in seinem Wagen, die Schläfen durchschossen. Er bringt die Leiche ohne zu zögern im Dienstwagen nach Biel. Es wird festgestellt, dass es sich um einen jungen Kriminalisten namens Schmied handelt und der verantwortliche Kommissar Bärlach, zugleich Schmieds Vorgesetzter, wird eingeschaltet. Er bittet allerdings, unter Verweis auf seine Magenprobleme, seinen Untergebenen Tschanz aus dem Urlaub zu holen, da er Hilfe brauche. Bärlach holt sofort einige Dokumente aus der Wohnung des Toten, sagt seinem Vorgesetzten Lutz, er habe einen Verdacht, könne ihn aber unmöglich aussprechen, und findet am Tatort durch Zufall eine Revolverkugel.
Das Buch beginnt - typisch für das Genre Krimi - mit dem Fund einer Leiche, der Detektiv tritt auf den Plan, die Suche nach dem Mörder beginnt. Später werden dann Zeugen verhört, Alibis abgewogen, etc. Der Autor versucht falsche Spuren zu legen. Dürrenmatt hält sich also an die Vorgaben des Krimis, obwohl er sie da und dort auch durchbricht.
Am nächsten Morgen erscheint Tschanz, erklärt dem Kommissar eifrig seine Theorie zu dem Fall. Er erwähnt weiters, in Schmieds Terminkalender sei auffallend oft der Buchstabe »G« zu finden.
Auch an diesem Tag sei ein solcher Eintrag zu finden, worauf er beschließt, sich auf der Straße nach Twann auf die Lauer zu legen. Bärlach will ebenfalls dabei sein, und so wird er abends von Tschanz abgeholt. Ein befragter Tankwart glaubt sich an einen solchen Wagen, wie Schmied ihn gefahren hat, erinnern zu können, worauf Tschanz schließt, Schmied habe diese Strecke genommen. Bärlach meint allerdings, diese Route sei äußerst merkwürdig. Dann bleiben sie am Straßenrand stehen und folgen mehreren Limousinen zu einem abgelegenen Haus. Der Besitzer heißt Gastmann - »G« wie Tschanz meint.
Vor dem Haus wird Bärlach von einem Hund angefallen, doch der herbeieilende Tschanz kann den Hund erschießen. Daraufhin kommt der Anwalt von Gastmann, Oberst von Schwendi, beschwert sich über die Vorgangsweise und sagt, er werde - anstelle Gastmanns - am nächsten Tag bei der Polizei erscheinen. Bei einem Gespräch mit dem Dorfpolizisten wird deutlich, dass Gastmann hohes Ansehen genießt. Bärlach scheint von dem Hundeangriff gewusst zu haben, denn er hat seinen Arm mit dicken Tüchern umwickelt.
Am nächsten Tag sucht von Schwendi Bärlachs Vorgesetzten Lutz, seinen Parteifreund, auf. Er sagt, Schmied habe unter falschem Namen Gastmanns Gesellschaften beigewohnt und gibt ihm noch eine Liste mit den regelmäßigen Besuchern.
Es finden sich auch zahlreiche chinesische Diplomaten darunter, weshalb von Schwendi Schmied als Spion bei außenpolitischen Privatverhandlungen bezeichnet.
Lutz und von Schwendi sind eine Karrikatur der Schweizer Elite - ohne politische Überzeugung, selbstgefällig, arrogant und letztlich dumm ist von Schwendi der starke Lobbyist, Lutz dagegen ein schwacher Charakter.
Die Beerdigung verzerrt sich zur Groteske. Tschanz erscheint mit Schmieds Freundin, es regnet stark und schließlich werfen noch zwei Betrunkene lallend einen schmutzigen Kranz auf Schmieds Grab. Lutz sagt später, sie seien wohl von Gastmann geschickt worden und beschwert sich über das Verhalten Gastmanns.
Bärlach lässt sich nach Hause bringen, wo ein Mann, der in Unterlagen auf Bärlachs Schreibtisch vertieft ist, schon auf ihn zu warten scheint.
Es ist Gastmann. Es wird deutlich, dass er Bärlach schon vor 40 Jahren in Istanbul kennengelernt hat. Der eine junger Kriminalist, der andere gewitzter Herumtreiber haben bei reichlich Alkohol gewettet. Gastmann hat gemeint, dass durch die menschliche Unvollkommenheit ein ideales Verbrechen möglich sei, Bärlach war gerade deswegen anderer Meinung. Einige Tage später hat er einen Freund unbehelligt von einer Brücke gestoßen. Danach ist Bärlach ein immer besserer Kriminalist geworden, Gastmann ein immer besserer Verbrecher, doch nie ist es Bärlach gelungen, ihn eines Verbrechens zu überführen.
Bärlach hat Schmied zu Gastmann geschickt, um ihn auszuspionieren. Gastmann fragt Bärlach schließlich, ob er denn nicht schießen wolle, doch Bärlach meint, Gastmann habe die Waffe selbstverständlich funktionsunfähig gemacht. Gastmann flieht und Bärlach bemerkt, dass die Waffe voll funktionsfähig ist. Er stürzt auf die Straße, wo freilich keiner mehr ist und wird von seinen Magenschmerzen übermannt. Schließlich bleibt er mit den Worten »Was ist der Mensch?« liegen.
Tags darauf bestätigt Bärlachs Lutz' These, Gastmann könne keinesfalls der Mörder sein, bittet aber um eine Woche Krankenurlaub, die ihm auch genehmigt wird.
Er bestimmt weiters, es sei Zeit, einen Schriftsteller aufzusuchen, der Gastmann gut kenne. Tschanz hat einstweilen den Wagen Schmieds erstanden und beide fahren zu dem Schriftsteller. Wie schon mehrmals erwähnt Bärlach gegenüber Tschanz, dass er sehr krank, alt und schwach sei.
Der Schriftsteller zeigt sich fasziniert von Gastmanns vollendetem Nihilismus. Er sei ein schlechter, doch faszinierender Mensch, aber keinesfalls der Mörder Schmieds. Er tue Gutes und Böses nur aus einer Laune heraus.
Zu Tschanz' Erstaunen entspinnt sich ein Fachgespräch über die Kochkünste verschiedener Länder.
Es wird deutlich, dass die Figur des Schriftstellers klar autobiographische Züge enthält, nicht umsonst spielt Dürrenmatt selbst bei einer Verfilmung von Maximilian Schell den Schriftsteller. Dürrenmatt karikiert sich selbst, zeigt eine gewisse Selbstverliebtheit, gibt seine Vorliebe für das Kochen preis, weist dem Stand der Schriftsteller eine gewisse Wächterfunktion zu. Es scheint angebracht, einige Stichworte zu Dürrenmatts Leben zu erwähnen - 1921 in Konolfingen bei Bern geboren studierte er Philosophie und Theologie. 1950 hatte er schon mehrere Werke geschrieben, doch sein Diabetes und die schlechte finanzielle Lage der Familie zwangen ihn, vom Krankenbett aus das vorliegende Buch zu schreiben, das im »Schweizerischen Beobachter« erschien. Als er 1990 in Neuchâtel an Herzinfarkt stirbt, hat er neben »Der Besuch der alten Dame«, »Die Physiker«, »Romulus der Große« und der »Ehe des Herrn Mississippi« noch viele weitere erfolgreiche und literarisch wertvolle Tragikomödien und Krimis veröffentlicht und dafür zahlreiche Auszeichnungen erhalten.
Als Tschanz und Bärlach den Schriftsteller verlassen will, will Tschanz Gastmann verhören, doch Bärlach meint, die Sache werde wohl dem Bundesanwalt übergeben. Tschanz ereifert sich darüber, weist darauf hin, dass Schmied immer alle Chancen gehabt habe, er jedoch nicht. Nochmals bittet er Bärlach, doch bei Lutz eine Durchsuchungsgenehmigung zu erwirken, doch Bärlach lehnt kühl ab.
Bärlachs Arzt eröffnet Bärlach später, dass er auch wenn die Operation innerhalb der nächsten drei Tage gelingen werden, bestenfalls noch ein Jahr zu leben habe.
In der darauffolgenden Nacht wird bei Bärlach eingebrochen, augenscheinlich um Bärlach zu töten. Der sofort herbeigerufene Tschanz bekommt zu hören, dass der Täter zwar unerkannt bleiben konnte, aber trotzdem logisch erkennbar sei.
Am nächsten Morgen bestellt Bärlach ein Taxi und bemerkt, dass Gastmann darin sitzt. Er kündigt Bärlachs Ermordung an, doch dieser meint, er, der Richter, habe ihn wegen seiner Taten zum Tode verurteilt, und der Henker, den er ausersehen habe, werde noch am selben Tag kommen. Sogar der sonst so selbstsichere Gastmann zuckt zusammen.
Gastmann ist - und das haben Kritiker Dürrenmatt zur Last gelegt - im Vergleich zu Bärlach doch eher eine farblose Figur. Gutes oder Böses tut er aus einer Laune heraus - er agiert als Diplomat, Industrieller und trägt zahlreiche Ehrenzeichen. Im Prinzip ist er nur ein Gegenpol zu Bärlach.
Tschanz fährt zur Villa Gastmanns und betritt das Haus. Gastmann erkennt seinen drohenden Tod und sein Diener eröffnet das Feuer. Tschanz erschießt Gastmann und die zwei Diener und der herbeigerufene Lutz bezeichnet Gastmann nun als Verbrecher und Mörder Schmieds. Tschanz werde befördert und der Fall sei gelöst. Bärlach betrachtet die Leiche des Mannes, den er ein Leben lang gejagt hat.
Am Abend ist Tschanz bei seinem Vorgesetzten Bärlach eingeladen um die Aufklärung des Verbrechens zu feiern.
Bärlach verschlingt die Portionen geradezu, was Tschanz dazu veranlasst, zu glauben, er sei gar nicht krank. Der eben noch so schwach wirkende Bärlach klärt Tschanz dahingehend auf, dass er selbstverständlich von Anfang an der Überzeugung gewesen sei, Tschanz sei der Täter. Er habe ihn jedoch benutzt um an Gastmann Rache zu nehmen. Er beweist diese Behauptung und meint, Tschanz' Hauptmotiv sei seine krankhafte Eifersucht gewesen, die ihn auch dazu gebracht hat, schließlich Schmieds Wagen zu kaufen und mit Schmieds Freundin ein Verhältnis anzufangen. Als Tschanz nach seiner Waffe greift, meint Bärlach, es sei sinnlos und bittet ihn dann zu gehen. Er sagt, er habe schon einen gerichtet und werde Tschanz nicht verraten.
Bärlach, die Hauptperson des Buches, zeigt sich durchaus als gemischter Charakter, keinesfalls als glorifizierter Held, wie in vielen anderen Kriminalgeschichten. Allerdings hat er, wie so gut wie jeder berühmte Detektiv Marotten - er sperrt sein Haus nicht ab, weil er es amüsant findet, am Abend im Ungewissen, ob eingebrochen worden ist, heimzukommen. Weiters hat er kein Auto und geht die meisten Strecken, raucht - ganz klar um Lutz zu provozieren - in dessen Gegenwart genüsslich Zigarren. Er liebt Essen und Bücher. Der Magenkrebs ist wohl auch im übertragenen Sinne zu verstehen - die jahrelange Jagd auf Gastmann ist ihm buchstäblich auf den Magen geschlagen. Zuerst wirkt er weltoffen und zurückgezogen, schließlich entdeckt man konservative Züge an ihm.
Gastmann nennt ihn im Taxi einen Narren.
Tschanz ist - im krassen Gegensatz zu Gastmann - kein Verbrecher von Format, sondern nur ein minderwertigkeitskomplexbeladener Spießbürger, der Schmied aus Neid ermordet. Bärlach hat letztlich nur Verachtung für ihn über. Tschanz ist die Chance für Bärlach, die Wette doch noch zu gewinnen.
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