Die feuerprobe
Autor
Werner Bergengruen wird am 16.9.1892 im
damals russischen Riga als Sohn eines Arztes geboren. Er studierte in Lübeck, Marburg,
München und Berlin Theologie, Germanistik und Kunstgeschichte. 1914 nimmt er als
Freiwilliger am Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite teil. Später ist er Kornett in der
Baltischen Landwehr (Befreiung Rigas).
Seit 1920 arbeitet er als Journalist, ab 1922 lebt
er in Berlin. 1925 übernimmt Bergengruen die Redaktion der Baltischen
Blätter". Während der Nazizeit zieht er sich in die Innerer Emigration"
(keine offizielle schriftstellerische Tätigkeit aus Opposition zum Regime) zurück. Er
wohnt in Berlin, München, seit 1942 in Tirol von 1946 bis 1958 in Zürich. 1958 siedelt
Bergengruen nach Baden-Baden über. Er ist seit 1919 verheiratet mit Charlotte Hensel, der
eines seiner persönlichsten und gleichzeitig allgemeinsten Gedichte gewidmet ist.
1936
konvertiert er zum Katholizismus. Der seine in die Tiefe der Zeit versunkene"
baltische Heimat Liebende hat seinen baltischen Freunden Otto v. Taube, Bruno Goetz,
Gerhard von Westermann, Rolf von Hoerschelmann verstehende Anhänglichkeit bekundet. Er
bekennt sich bei aller Neigung zu Einzelgängerei zu den Zugehörigkeiten" des
Daseins: Heimat, Familie, Nation, Sprache; der für sich die Kennzeichnung eines Traditionalisten"
Ablehnende verteidigt den Gedanken einer geistigen Kontinuität". Von diesem
Grunde ist die lange und fruchtbare Freundschaft mit Reinhold Schneider zu verstehen, mit
dem er, bei aller Verschiedenheit sonst, die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus und die
nicht ohne Gefährdung bewältigte christliche Daseinshaltung teilt. Der Stärkere,
Zuversichtlichere niemals aber billig Optimistische, hat in seinen Ansprachen, vor allem
nach dem Tode Schneiders, die schönste Deutung von dessen geistigem Wesen und
umschatteten Ausklang gegeben.
Werner Bergengruen verstirbt am 4.9.1964 in Baden-Baden.
Inhalt
Die Novelle Die Feuerprobe",
herausgegeben 1933, handelt in Riga wo sich immer zwei Ratsherrn im Rathaus aufhalten um
Botschaften in Empfang zu nehmen und nötigenfalls eilige Entscheidungen von begrenzter
Wichtigkeit zu treffen. Während sich Tidemann Gripen im Rathaus aufhält, erfährt er
eine törichte Klatscherei". Kaum heimgekommen, stellt er Barbara, seine Frau,
zur Rede und fragt sie schnaubenden Atems", ob Schwenkhusen, während seiner
Abwesenheit in seinem Bett gelegen sei.
Barbara verneint das Gerücht, worauf Tidemann
aufgebracht Schwenkhusen aufsuchen will. Er findet allerdings nur seine Mutter in
Traurigkeit", da an diesem Morgen ein Kriegsauszug" stattgefunden habe.
Von diesem Vorfall an schlafen Barbara und Tidemann nicht mehr beisammen, essen, schweigen
und meiden das Haus. Eines Tages, als er sich wieder im Rathaus befindet, wird ein Bote
hereingeführt, der berichtet, daß bei einem kriegerischen Mißgeschick Schwenkhusen
umgekommen sei. Bei dem Essen erzählt Tidemann das Vorgefallene seiner Frau. Es kommt
wieder zum Streit, in dem er vorschlägt, daß Barbara als Zeichen ihrer Unschuld doch
das Eisen tragen" solle.
Tidemann gibt ihr einen Tag Bedenkzeit. Am nächsten
fragt er sie abermals. Sie erwiderte mit Gründen, deren Gültigkeit nicht anzufechten
sind. (Schuld wolle bewiesen werden, nicht Unschuld."). Doch Barbara willigt
ein und läßt Gripen durch eine Magd ausrichten, daß sie einwillige und sie sich bis zur
Feuerprobe im Jungfernkloster zu St.
Marien und Jakob aufhalte.
Nach dem Aufenthalt im Jungfernkloster
versammelt sich beinahe die ganze Gemeinde in der Kirche. Der Priester besprengt das
Eisenstück mit Weihwasser und legt es auf die glühenden Holzkohlen. Der Priester bietet
Barbara um ihre Hand, worauf sie ihm diese entgegenstreckt. Die wird mit Weihwasser
gewaschen und auf eventuell Salbenreste überprüft. Dann wird vom Priester zur gleichen
Zeit eine Sanduhr auf den Kopf gestellt und das rotglühende Eisen auf Barbaras
Handfläche gelegt.
Niemand wagt es hinzusehen, aber nachdem die Zeit vorüber ist und das
Eisen entfernt wird, ist die Hand unversehrt wie vor der Probe. Als Barbara und Gripen zum
Haus zurückkehren, kommen sie nur zollweise" voran, da die ganze Bevölkerung
Rigas Barbaras Saum des Kleides küssen will. Wären die Knechte nicht gewesen, hätte man
Gripen zu Boden gestürzt. Es wird auch ein Stein nach ihm geschleudert, doch Barbara
wirft sich vor ihn und der Stein trifft sie am Kinn. Tidemann bietet Barbara sein ganzes
Hab und Gut an, doch sie verzeiht ihm, indem sie sagt, daß sie es versuchen wolle, mit
ihm zu leben.
Barbara zieht sich in der nächsten Zeit
vom öffentlichen Leben zurück.
Am Weg zu einer kleinen Kapelle umarmt sie plötzlich die
Mutter Schwenkhusens und berichtet ihr, daß dieser zurückgekehrt sei. Gripen bittet auch
Tidemann um Verzeihung; doch dieser hat diese Sach längst wieder vergessen - er hat ihm
verzeiht. Tidemann lädt Schwenkhusen zu einem Essen ein, jedoch Barbara antwortete ihm,
daß er dieses nicht hätte tun sollen. Beim Besuch kommen sich Barbara und Schwenkhusen
näher doch eine gewisse Distanz bleibt erhalten.
Morgens verläßt Tidemann das Haus.
Dies war schwer zu ertragen gewesen
seit der Probe: die Selbstverdemütigung dieses Mannes (Tidemann), fast war es eine
hündische Preisgabe.
Hundertmal war Barbara bedrängt worden von der Versuchung,
hinstürzend seine Knie zu umfassen und das Bekenntnis, das sie dem Beichtiger des
Jungfernklosters getan hatte, auch ihm zuzuschreien."
Als Barbara wieder eine abgelegende Kapelle
besucht, wird sie in dieser von Schwenkhusen überrascht, der ihr während der ganzen
Messe zuflüstert, daß seine Rückkehr ebenso ein Wunder, wie ihre unbeschadet
überstandene Probe sei.
Die Einladung der Gripens an die
Schwenkhusens ist von der Stadt bemerkt und beredet worden und die Bewohner Rigas glauben,
daß die Gripens allmählich wieder zu ihren früheren Umgangsgewohnheiten zurückkehren.
Die Schwenkhusens laden die Gripens ein. Im Gespräch zu Schwenkhusen sagt sie auf Seite
37: Gott hat es nicht gedeckt, er hat es hinweggenommen weil ich selber es als
Schuld erkannt, bereut und gebeichtet hatte." Das Dorf glaubt, daß Barbara und
Tidemann jetzt wieder so zusammenleben wie früher - vor der Feuerprobe.
Doch Barbara
beginnt stolz zu werden, ihr Stolz voll Kälte, niemand dürfe den Glauben haben, ihr
Genüge zu tun.
Barbara verläßt Riga und siedelt nach
Gripenhof über, dem Erbgut ihres Mannes, das stromauf an der Düna liegt, weitab von der
Stadt.
Auch Schwenkhusen reist dorthin um nach
seinen verstreuten Besitztümern zu sehen. Er durchstreift die Wälder nahe dem Erbgut. Er
begegnet Barbara im Wald und sie treffen sich noch vier, fünf Male". Dann ist
Sonntag, und Gripen kommt aus der Stadt.
Gripen und Barbara kehren nach Riga zurück,
Schwenhusen folgt ihnen eine Woche danach. Schwenkhusen betrat das Gripensche Haus
ohne Rücksicht auf Gegenwart oder Abwesenheit des Ratsherrn."
Am zweiten Jahres der Probe liegt das
Stück Metall, das Barbara glühend in der Hand gehalten hatte auf den Stufen zum Altar.
Nach der Messe wird Barbara beglückwünschnt aus Ehrfurcht, Ergriffenheit und
herzenerbötiger Bewunderung. Niemand verläßt die Kirche.
So stand sie auf den Stufen, mit dem
Rücken zum Altar, mit dem verhüllten Gesicht den Menschen zugewandt, wunderbar
aufgerichtet, schneeweiß und hoch.
Abseits, eine Stufe unter ihr lag das
Eisen. Barbara deutete darauf hin mit einem leichten Handwinken. Die Umstehenden erieten
im Augenblick ihren Wunsch, das Werkzeug des Wunders gedächtnishaft zu berühren. Gripen
und Warendorp bückten sich gleichzweitig, um das Eisenstück aufzuheben. Schwenkhusen kam
ihnen zuvor und reichte es Barbara zu. Es fröstelte ihn vor der kalten Berührung.
Sie
streckte langsam die geöffnete Hand aus. Der Ärmel schob sich zurück, und am Handgelenk
erschien der einfache goldene Reif. Der Ellenbogen ruhte auf dem Hüftknochen. Hand und
Unterarm standen in einer Linie rechtwinklig vom Körper ab. Alle Blicke hatten sich auf
sie gerichtet.
In dem Augenblick, da der Priester aus der
Sakristei ins totenstille Kirchenschiff trat, vernahm er einen unmenschlichen Aufschrei:
Ich brenne! Ich brenne!" Gleich danach war der dumpfe Aufschlag eines
niederstürzenden Körpers zu hören.
"
Schauplatz
Die Erzählung findet im damals noch
russischen Riga statt, wo auch Bergengruen selbst geboren ist. Nur kurz wird auch nach dem
kurzweiligen Umzug Gripenhof genannt.
Personen / Charaktere
Tidemann Gripen: Ehemann von Barbara und
Ratsherr.
Barbara: Ehefrau von Tidemann Gripen.
Schwenkhusen: ledig, leichtsinnig, jung,
leidenschaftliche und lebt bei
seiner Mutter. Ist bei der Bevölkerung
sehr beliebt.
Gehört zur Kompanie der Schwarzen
Häupter.
Heimlicher Liebhaber Barbaras.
Frau Schwenkhusen: Mutter Schwenkhusens
Erzählungsperspektive
Die Novelle wird von Werner Bergengruen aus
der Sicht eines allwissenden Erzählers geschildert. Obwohl durch diese Form des
Erzählens der Spannungsaufbau sehr schwierig ist, gelingt es Bergengruen doch durch
Satzbau, Satzlänge und Sprache Gefühle wie Angst, Freude oder Spannung zu vermitteln.
Wirkung und Wertung
Der Text war interessant, da dieser erstens
das Gottesurteil, zweitens aber auch unangebrachten Stolz und Arroganz in Frage stellt.
Nachdem Barbara Gott bezwungen hat wird sie übermütig und beginnt wieder eine Affäre
mit Schwenkhusen, die sie noch einige Zeit bevor gebeichtet und bereut hat.
Schließlich
wird dieser Übermut durch die Selbstentzündung Barbaras bestraft.
Wirklich fasziniert hat mich das
bemerkenswerte, autobiographische Nachwort Werner Bergengruens dem die letzten fünf
Seiten des Buches gewidmet ist. In diesem bezieht er sich auf seine Vergangenheit aber
auch auf manch eine Lebensweisheit. Zwei dieser möchte ich gerne zitieren:
Manche Menschen haben die Sitte,
jeden Gesprächspartner ausschließlich von ihren eigenen Angelegenheiten zu unterhalten.
Dies gilt nicht als ein Merkmal vorbildlicher Erziehung, ist aber ungemein verbreitet.
Leute solcher Art muß man getrost reden lassen; tut man es ohne Unterbrechungsversuch, so
erklären sie hernach von ihrem Zuhörer: Mit dem Menschen kann man sich
ausgezeichnet unterhalten.
" So wohlfeil also gelangt man in den Ruf eines geistvollen
Gesellschafters."
Zerstörte Häuser lassen sich
wiederaufrichten, zerstörte Höhlen nicht, denn sie sind ja nicht von menschlichen
Händen erbaut worden. Ich werde fortfahren nach meiner Höhle zu brummen, obwohl von der
Höhle nichts mehr steht. Sie ist versunken nicht in der Ferne des Raumes, sondern in der
Tiefe der Zeit, in der sie nicht von Länderkunde, sondern nur noch von der Geschichte und
der Überlieferung aufgesuchte werden kann. Aber wahrhaft gefunden wird sie doch von
nichts anderen als von der liebenden schwermütigen Erinnerung des Herzens."
Er schließt sein Nachwort mit den Worten:
Und nun dünkt mich, ich habe
vielleicht doch mehr Persönliches unmittelbar ausgesagt, als ich hätte sollen und
mögen.
Der Deutsche, vor sich selber in die Enge getrieben, flüchtet gern in ein
Goethewort. Erlaube man auch mir diesen abschließenden Ausweg:
Erst sich in Geheimnis wiegen,
Dann verplaudern früh und spat!
Dichter ist umsonst verschwiegen:
Dichten selbst ist schon Verrat."
Verwendete Literatur
W. Rainer: Literaturdatenbank
W. Bergengruen: Die Feuerprobe - Stuttgart
1975
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