Die judenbuche
Die Autorin
Am 10. Jänner 1797 wurde Annette auf dem
Familienerbgut Hülshoff, südwestlich von Münster in Westfalen, als Sproß eines uralten
Adelsgeschlechtes geboren. Auf diesem Schloß, dann auf einem kleinen Gut bei Münster und
in der alten fränkischen Burg Meersburg am Bodensee, die ihrem Schwager gehört, verlief
ihr Leben in stiller Abgeschiedenheit, fern der verwirrenden Erscheinungen der Großstadt.
Ihre dichterischen Werke umfassen Epen, Verserzählungen, die Prosanovelle "Die
Judenbuche", die zu den größten Schöpfungen deutscher Erzählkunst gehört. Am 24.
Mai 1848 starb sie unvermählt in Meersburg.
Das Werk
Die Geschichte spielt um die Mitte des 18.
Jahrhunderts in einem westfälischen Dorf, das "inmitten tiefer und stolzer
Waldeinsamkeit" liegt und in dem Holz- und Jagdfrevel an der Tagesordnung sind. Den
begangenen Rechtsverletzungen begegnet man jedoch "weniger auf gesetzlichem Wege, als
in stets erneuten Versuchen, Gewalt und List mit gleichen Waffen zu überbieten". So
ist Friedrich Mergel bereits durch seine Herkunft für seinen späteren Lebensweg
geprägt. In seinem Elternhaus herrscht "viel Unordnung und böse Wirtschaft";
sein Vater ist ein chronischer Säufer und wird zu den "gänzlich verkommenen
Subjekten" gezählt. Nachdem ihm seine erste Frau weggelaufen ist, heiratet er die
stolze und fromme Margret Semmler.
Es dauert nicht lange, bis auch das gesunde Kind in das
Unheil, das der Vater verbreitet, hineingezogen wird. Als Friedrich neun Jahre alt ist,
kommt der Vater in einer "rauhen, stürmischen Winternacht" nicht nach Hause;
man findet ihn tot im Brederholz. Nach diesem schauerlichen Ereignis haftet dem scheuen
und verträumten Jungen in den Augen seiner Altersgenossen etwas Unheimliches an. Er
gerät auch wirklich mehr und mehr in den Bannkreis verhängnisvoller Mächte, die in dem
"unheimlichen Gesellen" Simon Semmler, der Bruder Margerts, Gewalt über ihn
gewinnen. Unter dem Einfluß seines Onkels verschafft sich der häufig verspottete und
gering geachtete Junge einen "bedeutenden Ruf" im Dorf: Wegen seiner Tapferkeit
und seines "Hangs zum Großtun" wird er bewundert und zugleich gefürchtet. Sein
ständiger Begleiter, Johannes Niemand verkörpert gleichsam sein abgelegtes Ich, er ist
"sein verkümmertes Spiegelbild".
Friedrich wird, ohne daß man ihm vor Gericht
etwas nachweisen kann, mitschuldig an dem Tod des Oberförsters Brandes, der von den
Blaukitteln, einer besonders listigen Holzfrevlerbande, im Brederholz erschlagen wird, und
begeht schließlich aus verletztem Ehrgefühl einen Mord an dem Juden Aaron, nachdem
dieser ihn wegen einer Restschuld von zehn Talern öffentlich bloßgestellt hat.
Da Friedrich jedoch mit seinem Schützling
Johannes Niemand flieht, kann er des Mordes nicht überführt werden. Nach 28 Jahren - der
Mord ist längst verjährt - kehrt Mergel als alter, "armseliger Krüppel" aus
türkischer Gefangenschaft zurück. Er gibt sich als Johannes Niemand aus und verdient
sich sein Gnadenbrot mit leichten Botengängen. Das Brederholz meidend und doch
unwiderstehlich von ihm angezogen, erhängt er sich schließlich an der sogenannten
Judenbuche. In seinem Selbstmord erfüllt sich der an den Judenmord mahnenden Spruch, den
die Glaubensgenossen Aarons zu seiner Rache in den Stamm eingehauen hatten: "Wenn du
dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir getan hast!"
Interpretation
Der Novelle liegt eine wahre Begebenheit
zugrunde, die der Dichterin seit ihrer Kindheit aus Erzählungen über ihre westfälische
Heimat vertraut war und die ihr Onkel August von Haxthausen unter dem Titel
"Geschichte eines Algierer Sklaven" nach Gerichtsakten aufzeichnete und 1818
veröffentlichte.
Die Schriftstellerin erfindet eine Vorgeschichte zu dem historisch
beglaubigten Ereignis, womit es ihr gelingt dieses Ereignis als Folge einer Störung der
menschlichen Gemeinschaft darzustellen. Das Verhängnisvolle dieser allgemeinen
gesellschaftlichen Situation enthüllt sich in einem individuellen Schicksal, das sich in
einer Reihe von ungewöhnlichen Ereignissen zunehmend verdichtet und dramatisch zuspitzt.
Entsprechend der Buche, der die Juden die
Rache an dem Mörder anvertrauen, erscheint die Natur in der Novelle stets als Richter und
Zeuge. Die Dichterin veranschaulicht durch diese enge Verbindung zwischen dem Handeln des
Menschen und der ihn umgebenden Natur, daß, verliert er sein "inneres
Rechtsgefühl", er zugleich die Einheit von Menschen und Natur stört, die in der
göttlichen Seinsordnung festgelegt ist. Bezeichnenderweise geschehen in der
"Judenbuche" alle furchtbaren Ereignisse in der Nähe der Buche im Brederwald,
während einer stürmischen oder monderhellten Nacht. Der Brederwald wird zu einem
magischen Raum, die Buche zum "Dingsymbol für ein Geschehen des Unheils".
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