Eine moritat
Kurzbiographie
Will Self wurde 1959 in London geboren.
Für den Erzählband "The Quantity Theory of Insanity" (bisher nicht auf Deutsch
erschienen) wurde er 1992 für den John Llewellyn Rhys Prize nominiert, erhielt 1993 den
Geoffrey Faber Memorial Prize und kam im selben Jahr mit 19 Kollegen auf die alle zehn
Jahre neu erstellte Liste der "Best young British novelists".
Werke
Auf Deutsch bisher erschienen:
Cock & Bull (Ein Rührstück und
eine Posse, 1995)
Spaß. (Eine Moritat, 1997)
"An einem Ort, der kein Ort ist, und
in einer Zeit, die keine Zeit ist, habe ich meine Kindheit verbracht. An einem Ort, der
gemeißelt und umrissen war vom wogenden Grün des Meeres und in einer Zeit, die nie
Zeitlichkeit war, sondern immer Jetzt."
Ian Wharton wächst ohne Vater (ein ehemals
erfolgreicher Marketingexperte, der seine Frau plötzlich verlassen hat) bei seiner Mutter
auf, die einen Wohnwagenpark in Saltdean betreut.
Als Ian etwa elf Jahre alt ist,
verbringt ein gewisser Mr. Broadhurst, ein unvorstellbar dicker, auffällig gekleideter
und mit ungewöhnlich weitschweifender Rhetorik gesegneter Gentleman, erstmals die
Wintermonate in diesem Park. Mit dem Beginn der jährlichen Besuche dieses Mannes setzt
auch der wirtschaftliche Aufschwung des Wohnwagenparks ein, verbunden mit dem
gesellschaftlichen und finanziellen Aufstieg Ians Mutter "Aus dem Mittagessen
wurde Lunch und aus dem Abendessen Diner."
Zu dieser Zeit etwa bemerkt Ian seine
besonderen eidetischen Fähigkeiten; er besitzt nicht nur ein fotografisches Gedächtnis,
sondern kann sich in den so erworbenen oder selbst geschaffenen Bildern (Räumen) frei
bewegen, in sie gedanklich eindringen und so Plätze betrachten, die er visuell nicht
wahrgenommen hat. Mr. Broadhurst erfährt von der Ians Eidetik, spricht ihn darauf an und
bietet ihm an, um seiner Erziehung willen "das Portefeuille seines Könnens einen
Spaltbreit zu öffnen".
So beginnt Ians Lehrzeit bei Mr. Broadhurst, "so begann
[...] mein eigentliches Leben", wobei sich bald dessen wahre Meisterschaft in
eidetischen Angelegenheiten herausstellt. Dieser "Faustische Pakt" ist Anlaß
für Mr.
Broadhurst fortan von Ian "Der Dicke Kontrolleur" genannt werden zu
wollen.
Durch seine Bekanntschaft mit dem Dicken
Kontrolleur eröffnet sich Ian eine Welt des Schreckens und der Grausamkeit; obwohl auch
Ian selbst hin und wieder zum mißhandelten Subjekt wird, betrachtet ihn sein Meister als
Adepten und lehrt ihn die Grundzüge seiner immoralistischen Weltanschauung. Nichtige
"Vergehen" werden vom Dicken Kontrolleur mit der Todesstrafe geahndet; so
ersticht er eine Frau während eines Theaterbesuchs, weil sie es gewagt hat, ihm seine
geräuschvolle Nahrungsaufnahme in einem Restaurant vorzuwerfen. Dieser Mord geschieht
fast beiläufig, er erscheint gewöhnlich und selbstverständlich - freilich versteht es
Mr. Broadhurst, die Polizei zu täuschen, die konstatiert, daß "gewisse Aspekte des
Todes dieser Frau zwar ungewöhnlich seien, daß eine Straftat aber nicht in Betracht
gezogen werde."
Ians Interesse für Produkte und
Verkaufsstrategien resultiert in einem Management- und Marketingstudium.
Während seines
Studiums lernt er June Richards kennen, eine junge Frau mit großem Interesse an
Verkaufsstrategien; doch bevor sich eine engere Beziehung bilden kann, greift Mr.
Boradhurst ein, verhindert die sich anbahnende Freundschaft (mittels seiner magischen
Fähigkeiten) und verbietet Ian unter Zuhilfenahme harter Drohungen, in Zukunft
Freundschaften zu schließen. Dennoch verblaßt die Figur des Dicken Kontrolleurs
allmählich, da Ian ihn immer seltener und schließlich gar nicht mehr zu sehen bekommt.
Einige Jahre vergehen und Ian glaubt jetzt, sich diesen Mann nur eingebildet zu haben, er
glaubt an eine komplexe Selbsttäuschung, der er durch die Abwesenheit des Vaters in
seiner Kindheit erlegen sei; er glaubt, Mr. Broadhurst mit so finsterer und umfassender
Macht ausgestattet zu haben, um den chronischen Mangel an einem richtigen Rollenmodell zu
kompensieren. Diese Zweifel an der Existenz seines ehemaligen Lehrmeisters lösen aber
nicht die Ängste, die dieser durch seine Drohungen ausgelöst hatte; Ians Isolierung von
der Gesellschaft und seine Kontaktunfähigkeit wird letztlich von einem besorgten Dozenten
bemerkt, der ihm in einem Gespräch rät, den Psychiater Dr.
Hieronymus Gyggle
aufzusuchen. Dr. Gyggle erfährt von Ians eidetischen Fähigkeiten, die er mittels
"Computer-Visualisierungs-Programmen" zu erforschen versucht, und schließlich
auch von Mr. Broadhurst, den er für eine Erfindung Ians hält und die er ihm (vergeblich)
durch eine Tiefschlaftherapie austreiben will.
Diese tagelang dauernden
Tiefschlafsitzungen führen Ian in eine ganz spezielle Traumwelt, in das Land der
Kinderwitze, die immer wieder mit der Realität verschmilzt. Er trifft dort nicht nur Dr.
Gyggle wieder, sondern auch den Dicken Kontrolleur, die Ian gemeinsam davon überzeugen,
daß alle Morde und Grausamkeiten Mr. Broadhursts in Wirklichkeit er selbst begangen habe,
daß sie diese Dinge vertuscht hätten, weil bei ihm die Abteilung Selbstkontrolle
chronisch unterentwickelt sei. So sehr Ian dies zuerst überrascht, so unerschütterlich
fest glaubt er es bald; er glaubt, sogar Spaß an seinen Eskapaden gehabt zu haben.
Analog zu seiner psychiatrischen Behandlung
im Lurie Foundation Hospital verläuft Ians Beziehung zu Jane Carter; es ist seine erste
Freundschaft mit einer Frau seit dem Verbot des Dicken Kontrolleurs - und dieser gewährt
sie. So heiraten Ian und Jane binnen weniger Monate, der Grausame und die Sensible.
Jane erwartet ein Kind, und Ian ahnt die
Geburt eines Monsters, eines neuen Dicken Kontrolleurs (bewirkt durch eine Genmanipulation
Mr.
Broadhursts) - weshalb er nur einen Ausweg sieht: er wird Jane verlassen, sie damit
zur Abtreibung zwingen, und sich in New York niederlassen.
"Dies ist [...] das Resultat meines
Lebens, das ruhige Vorstadthaus, die liebende, mir vertrauende Frau und ich, der ich [..
.]
weiß, daß ich in Kürze das alles niederreißen und sie dabei zerreißen werde.
Beharrlich habe ich diesen Augenblick [...] ersehnt.
Es ist schön und gut sich zu
berauschen, indem man Leute quält, sie schändet, ihnen unbeschreibliches Leid zufügt,
aber wenn sie einen nicht einmal kennen, ist das eigentlich nicht viel wert."
Plot
Die Insel Sodor und die
Lokomotivenmenschen
Gordon, Henry, Edward, James diese
vermenschlichten Dampflokomotiven und ihr Dicker Kontrolleur sind in Großbritannien und
in großen Teilen der englisch-sprechenden Welt bei Kindern und Erwachsenen sehr bekannt
und, dank Merchandising, auf Tassen, Handtüchern, Schulmappen etc. so allgegenwärtig wie
Mickey Mouse oder Superman. Es sind Figuren aus Geschichten, die The Reverend W. Andry,
ein anglikanischer Pfarrer, eigentlich für seinen masernkranken Sohn Christopher schrieb
und die ab 1946 in Form von illustrierten Kinderbüchern einer breiteren Öffentlichkeit
bekannt wurden. Inzwischen gibt es 38 dieser bebilderten Eisenbahnabenteuer, die letzten
bereits von Sohn Christopher verfaßt, eine Fernsehserie und Videos.
Obwohl in Stil,
Graphik und Weltsicht nicht mehr unbedingt modern, gehören sie noch immer zur britischen
Kinder- und Alltagskultur.
Die Geschichten folgen dem bewährten
Strickmuster aller antropomorphisierenden Märchen: Auf der Insel Sodor, einem fiktiven
Land, das aber nach Geographie und Kultur nur zum britischen Inselreich gehören kann,
erleben die Lokomotivenmenschen, Dampfloks unterschiedlicher Größe und Stärke, also
verschiedenen Alters und Charakters, mit freundlichen Gesichtern auf der Front ihrer
Kessel, diverse interessant-alltägliche Abenteuer unter der Oberaufsicht des Dicken
Kontrolleurs, einem der wenigen echten Menschen in diesen Geschichten und einer Figur,
die, so der Biograph des Reverend, Brian Sibley, "für die Lokomotiven [...] einen
ehrfurchterregenden, gottähnlichen Status hat, mit der Macht zu strafen und zu
belohnen".
Will Self bedient sich also aus einem
Bilderfundus, der jedem Briten aus seiner Kindheit präsent ist, er beschwört
Erinnerungen herauf an die heile Welt dieser Geschichten und pervertiert diese, denn The
Reverend Andrys Dicker Kontrolleur ist bei ihm kein gütig führender Gott mehr, sondern
der tückisch verführende Teufel.
Thema
"Spaß" ist eine Satire auf die
moderne Konsumgesellschaft und ein Rundumschlag gegen sämtliche vermeintlich positiven
Errungenschaften unserer Zivilisation, indem ständig negative Auswirkungen dieser
Errungenschaften das Bild bestimmen.
Motive
Realität oder Einbildung?
"Der Dicke Kontrolleur zwang mir
die Schlußfolgerung auf, daß der Anschein immer und in jeder Hinsicht trügt."
Es gibt in diesem Buch keine exakte
Trennlinie zwischen Wirklichkeit und Einbildung; die einzige Instanz, die diese ziehen
könnte, ist Ian selbst - dieser scheint jedoch selbst nicht urteilsfähig. Er kann nicht
einmal entscheiden, ob Der Dicke Kontrolleur tatsächlich existiert - oder ob zwar Mr.
Broadhurst (der Wintergast des Wohnwagenparks) existiert, der Dicke Kontrolleur aber (der
diese Bezeichnung fordert und gräßliche Morde begeht) ein Produkt Ians Einbildung ist.
Selbst die eidetischen Fähigkeiten, die sich Ian zuschreibt, könnten nur in
beschränktem Maß vorhanden sein - so versagt er bei einigen Tests Dr.
Gyggles
jämmerlich, obwohl er sie zuvor für lächerlich einfach hält.
Zu Beginn scheint alles eindeutig: Mr.
Broadhurst kümmert sich um den jungen Ian und freundet sich mit dessen Mutter an; er
scheint ein ziemlich gewöhnlicher, freundlicher Mann zu sein. Im selben Maß, wie die
Beziehung zwischen Ian und Mr. Broadhurst enger wird, wird dieser Mann unheimlicher;
niemand weiß, wo er die Sommermonate verbringt, er betreibt alchemistische Experimente,
er kann Gedanken lesen etc. Ians Kontakt mit einer Außenwelt jenseits der Sphäre Mr.
Broadhursts verschwindet beinahe völlig. Das ändert sich jedoch, als Ian zu studieren
beginnt. Seine Unterhaltungen mit dem Psychiater Dr. Gyggle scheinen zu helfen, obwohl
sich seine soziale Situation nicht wesentlich ändert - er glaubt aber an einen Erfolg, da
er seine Beschäftigung mit dem Wesen von Produkten sowie mit Marketingstrategien als
äußerst "wirklichkeitsverbunden" empfindet, Produkte sind für ihn die
Realität schlechthin. In dieser Zeit zweifelt er an der Existenz eines "Dicken
Kontrolleurs", kann sich aber nicht ganz von der Vorstellung lösen. Hier scheint die
Figur des Dicken Kontrolleurs eindeutig eine ehemalige Einbildung Ians zu sein, alles
spricht gegen ihre Existenz.
Doch gerade in dem Augenblick, als sich
alles eindeutig aufgelöst zu haben scheint, bricht alles wieder ein, indem Ians
Lehrmeister aus dem Nichts wieder auftaucht. Die Ebenen überlagern sich, Ians Träume
verschmelzen mit der Wirklichkeit, der Dicke Kontrolleur und Dr. Gyggle (der bisher Ian
dessen Existenz ausreden wollte) treten als Verbündete gemeinsam auf. Ian selbst hält
alles für wahr, an die Möglichkeit einer Einbildung denkt er nicht mehr - er wird
vollends zum Schüler des Dicken Kontrolleurs, ihre Welten vereinigen sich und am Ende
geht Ian selbst als Dicker Kontrolleur hervor - - oder ist alles nur Einbildung? Hat weder
er, noch Mr. Broadhurst diese Morde, diese Grausamkeiten begangen? Ist Ian Wharton nur ein
gewöhnlicher Bürger, der sich seine nächtlichen Eskapaden nur einbildet? Es gibt darauf
keine Antwort.
"Wirklichkeit du kannst sie
lieben, du kannst sie hassen, aber du kommst nicht ohne sie aus.
"
Das Böse
Der Roman zeichnet das Bild einer Welt, in
der Bosheit notwendig ist, um nicht verrückt zu werden oder psychisch zugrunde zu gehen.
Der Dicke Kontrolleur fungiert als Symbol für das Böse, Jane Carter hingegen
symbolisiert den gegensätzlichen Pol, der für Liebe, Sensibilität und Empfindsamkeit
steht. Letzterer Pol kann aber in seiner ursprünglichen, eigentlichen Form nicht
existieren; die Welt wird so vom Konkurrenzdenken der Menschen, vom Kampf der Firmen um
Marktanteile, vom Kampf des einzelnen gegen den Rest der Welt bestimmt, daß sein
Vorhandensein unmöglich ist. Übrig bleiben nur noch fast unsichtbare Anspielung auf
etwas wie Liebe, vor dem Hintergrund einer kranken, gestörten Realität.
Das Böse hingegen, mit dem Dicken
Kontrolleur als gewichtigen Führer, erstrahlt in voller Blüte. Wer sich diesem Pol
nähert, kann sein Leben mit Genuß und Gewinn meistern.
Auf der Grundlage eines
"gesunden" Egozentrismus steht es jedem frei, so zu handeln, wie es gerade
beliebt - diese Lebenseinstellung gipfelt im programmatischen Ausspruch des Dicken
Kontrolleurs: "Wenn ich töten will, töte ich."
Marketing
"Geld ist nur eine extreme und
spezialisierte Form des Rituals." (Mary Douglas)
Die in annähernd regelmäßigen Abständen
eingestreuten Marketing-Satiren bilden die eigentliche Kernkritik des Romans am Zustand
unserer Welt. An absurden Beispielen wird vorgeführt, wie unbedeutende Produkte durch
gezielte Werbemaßnahmen derart propagiert werden, daß sie trotz ihrer sinnfälligen
Funktionslosigkeit zu Verkaufsschlagern werden.
Zusätzlich wird die Leere des
Gefühlslebens der im Marketingbereich Angestellten angeprangert; diese Leere kompensieren
sie durch immer härteres und härteres Arbeiten. "Ihre Kleinhirne waren [.
..] zu
eisgekühlten Präsentationsgondeln geworden, zum Überquellen voll mit tiefgefrorenen
Gedankenartikeln. Ihr Innenleben war eine Inszenierung, in der Ziele, Sehnsüchte, Träume
und moralische Verwirrungen nichts als Product Placements waren, die um ihren bezahlten
Auftritt im Sucher des Bewußtseins stritten. [..
.] Sie unterteilten sich innerlich in
sozio-ökonomisch klassifizierbare Kleingruppen positiv denkender Homunkuli, die gezwungen
waren, spekulative Feldforschung zu betreiben, in Brainstorming-Sitzungen Phänomene zu
analysieren und sich dann die krude Demonstration der nächsten Kleinen Idee
anzuhören."
Die wissenschaftliche Anschauung von
"Marketing", mit der es möglich wird "in einer Welt von so
offensichtlicher Irrationalität eine vorhersagetaugliche Quantifizierung der
Kaufentscheidung" der Konsumenten zu geben, wandelt sich zu einer religiösen
Sichtweise - Marketing wird eine Weltanschauung, in der das Produkt eine zentrale Stellung
einnimmt. Angestellte im Marketingbereich entwickeln einen unerschütterlichen Glauben an
ein Produkt, egal um welches es sich handelt; Ian selbst erfaßt das "Universum der
Produkte als primäres Konstrukt, als eine Raum-Zeit-Konfiguration, der sich das
allgemeine Bewußtsein aufpfropft". Er ist davon überzeugt, daß die Gemeinsamkeit
stiftende Kraft von Produkten stärker ist, als die der Sprache, des Fernsehens, der
Religion, der Partei, der Familie, der Heimat, der Rache, der Macht, stärker als die
"aller Parameter, die benutzt wurden zur Definition des zunehmend beliebigen
Charakters der Hütten, aus denen das globale Dorf besteht."
Auf den Straßen kommt es zu
"Schauspielen unentrinnbaren Kommerzes" - wohin man blickt, werden Schecks
unterschrieben, Kreditkartenformulare und Bestellzettel ausgefüllt etc.
"Es war,
als hätte der Tausch die Sprache als primäre Kommunikationsform ersetzt und die Leute
verkauften aneinander, um an ein paar Worte zu kommen."
Gewalt
"Die Finger fuhren in Bob Pinners
Augen und zerquetschten die Äpfel, so daß die Flüssigkeit herausspritzte. Sie stießen
weiter, die zerfetzten Netzhäute auf den Kuppen, folgten den gewundenen Tentakeln der
Sehnerven und stachen direkt in Pinners Hirn. Er war tot in weniger als einer Sekunde,
aber im letzten Viertel davon litt er mehr Schmerzen, als Sie sich je vorstellen können,
und in der vorletzten Viertelsekunde mehr Furcht und Todesangst, als Sie sich je ersinnen
können, auch wenn Sie allein in einem dunklen Zimmer liegen und kühl und rational über
das Grauen nachdenken, das die Zukunft womöglich für sie bereithält - für Sie
allein."
Beschreibungen von grausamer
Gewaltanwendung und Brutalität durchziehen das gesamte Werk. Sie betonen meist psychische
Extremsituationen, in die Ian Wharton getrieben wird.
Daß er zu so skrupelloser Gewalt
neigt, ist nicht selbstverschuldet, sondern eine Reaktion auf die gefühlskalte Welt, der
er gegenübersteht. Er kann dem nicht mit Liebe begegnen, sondern antwortet mit
erbarmungsloser Brutalität.
Zeiten der Reue sind selten, meist spricht
Ian von einem Riesenspaß, den er daran hätte, Menschen und Tiere zu quälen oder töten.
- "Es gibt so wenig echte Ekstase in der modernen Gesellschaft - warum sollte ich
mich meiner kleinen Fehltritte schämen, wo doch der Welt soviel sinnloses Leid
aufgezwungen wird, und das von Leuten, die nicht einmal die Möglichkeit haben, es zu
genießen?"
Spaß
"Wir sind wie Kokser oder
chronische Masturbatoren, nicht? Versuchen, aus einem an sich hohlen und mechanischen
Vorgang das letzte Quentchen Ekstase herauszupressen [...
] und wir spüren nichts. Nicht
gerade nichts, Schlimmeres als nichts, wir spüren ein Flackern oder Prickeln, das
sinnliche Äquivalent eines retinalen Nachbilds. Das ist jetzt unser Spaß, nicht der
Spaß selbst, nur eine müde Anspielung darauf."
Schon die paradoxe Nebeneinanderstellung
der Worte "Spaß" und "Moritat" im Titel des Romans zeugt der
zentralen Bedeutung dieser Verbindung in diesem Buch.
Ian Wharton erweist sich als unfähig,
Spaß auf herkömmliche Weise zu empfinden. Für ihn gibt es Spaß nur mehr in
sadistischer Gewaltanwendung.
Spaß existiert nicht mehr in einer Gemeinschaftsform, Spaß
ist individuelles Vergnügen, absolutes Auskosten der eigenen Macht - am besten auf
möglichst hohen Kosten möglichst vieler anderer. Ian kann echten Spaß nur noch in
Extremsituationen empfinden, er spricht von "Holocausts en miniature". So
geschieht die schon nicht mehr groteske, sondern schreckliche Vereinigung von Spaß und
Gewalt.
"Ich habe mir tausendmal
eingeschärft, nicht entsetzt zu sein, aber jedesmal bin ich wieder entsetzt darüber, was
Leute tun, um Spaß zu haben, aus Gründen, die sie nicht erklären können." (Isaac
Bashevis Singer)
Fetter Körperbau
"Ohne die Polsterung des
Embonpoints ist der Körper nichts als eine skelettale Spiralfeder, die einem jeden
Augenblick die eigene Sterblichkeit entgegenschleudern kann."
Angesichts des Äußeren der einzelnen
Figuren, könnte man meinen, der Grad an Bosheit einer Figur sei direkt proportional zu
deren Körpergewicht.
Ungeschlagen an der Spitze steht der Dicke Kontrolleur, dessen Brust
einem Faß und dessen Kopf und Glieder fünf kleineren Fässern ähneln. Seine Kompaktheit
beruht auf "vergrößerten Organen, die ihn vollständig ausfüllten, ein Doppelherz
wie ein Kompressor, eine Leber von der Größe und dem Gewicht eines Medizinballs und
Meter um Meter feuerwehrschlauchdicker Gedärme" . Ähnlich verhält es
sich mit Ian Wharton, während Jane Carter hier wieder einen Gegenpol darstellt.
Schauplatz (Milieu)
Saltdean
Ians Eltern hatten sich nach seiner Geburt
in Saltdean auf einer Klippe (Cliff Top) niedergelassen und dort einen Wohnwagenpark
gegründet. "Ich sage Klippe, aber eigentlich war es ein monströses Rasenstück
[..
.]. Auf dem Rasenstück saßen die miteinander verwachsenen Stadtlandschaften der
beiden Seebäder Saltdean und Peacehaven. Dahinter lag die Hügelkette der South
Downs."
"Es war eine Landschaft [..
.], wo
alles, was provisorisch aussah, in Wahrheit von Dauer war, und allem, was dauerhaft
aussah, bereits der Abriß bevorstand."
Milieu
"In einem Zimmer die Junkies und im
anderen die Marketingspezialisten. Oberflächlich betrachtet ein ziemlicher Gegensatz,
aber im Grunde genommen sind beide mit derselben Sache beschäftigt -"
Ein Großteil der vorkommenden Personen
sind exzentrisch veranlagt, gesellschaftliche Außenseiter oder leiden an psychischen
Störungen. Angestellte im Marketingbereich erscheinen besonders abnorm und sind fast
schon als Karikaturen zu verstehen.
Ians Mutter bildet insofern eine Ausnahme,
als sie durch ihren plötzlichen Reichtum (durch den Aufschwung ihres Wohnwagenparks) eine
angesehene Person und damit in das gesellschaftliche Leben integriert wurde.
Ian macht
schon früh Bekanntschaft mit solchen Klassifizierungen - "Die Gesellschaft meiner
neuen Schule, wie die des gesamten provinziellen England, war so erbarmungslos kodifiziert
und stratifiziert, daß ich mir einen Menschen nicht vorstellen konnte, dessen Herkunft
und emotionaler Stellenwert nicht eindeutig feststanden."
Figuren
Ian Wharton
"[Es] wird mir klar, daß mein
Leben nichts anderes gewesen ist als ein langatmiger Filmvorspann, und daß die dürftige
Charakterisierung genau das war, was der Regisseur für einen Statisten wie mich
wollte."
Ian Wharton, die zentrale Figur des Romans,
sieht sich selbst als gespaltene Persönlichkeit. Mit scheinbarer Leichtigkeit entscheidet
er über Wirklichkeit und Einbildung, denn für ihn ist "alles nur eine Frage des
Willens".
Wenn er es wünscht, nimmt er den Dicken
Kontrolleur als real an; er sieht sich dann als den aktiven Partner in ihrer Beziehung,
als denjenigen, der Mr. Broadhurst überredet hat, ihn in die dunklen Künste
einzuführen, als den unbarmherzigen Mörder.
"Über fünf Jahre lang gab es keine
Woche ohne eine meiner Eskapaden. Morde, Mißhandlungen, Kindesentführungen, Überfälle,
willkürliche Erpressungen, es gab nichts, was ich nicht versuchte." Das alles nur
aus Lust am Verletzen, nur um Spaß zu haben, denn "es gibt so wenig echte Ekstase in
der modernen Gesellschaft - warum sollte ich mich meiner kleinen Fehltritte schämen, wo
doch der Welt soviel sinnloses Leid aufgezwungen wird, und das von Leuten, die nicht
einmal die Möglichkeit haben, es zu genießen?"
Wenn Ian jedoch an seine Eskapaden nicht
glauben will, verschwindet das Wissen darum aus seinem Gedächtnis. "Ach, und dann
traf der Faultank auf die Umwälzpumpe, ich wurde ängstlich, schuldbewußt und gehetzt.
Mehr als besorgt um meine geistige Gesundheit. War ich vielleicht wirklich eine
Borderline-Persönlichkeit [.
..]?"
Damit bleibt Ian stets nur die Wahl, böse
oder verrückt zu sein - eine andere Lösung gibt es nicht.
Ian entscheidet sich für die Bosheit; er
nähert sich im Lauf seiner Entwicklung konsequent einem Höchstmaß an Bosheit und
Grausamkeit an (das gipfelt am Ende des Romans vorläufig mit der psychischen Gewalt an
seiner Frau, die er im Stich läßt), wobei die Figur des Dicken Kontrolleurs als Endziel
angesehen werden kann, nach dem er strebt - der Dicke Kontrolleur ist das personifizierte
Böse, der Teufel.
Dabei erscheint Ian anfangs als passiver
Protagonist, der vom Dicken Kontrolleur geleitet wird - ob der tatsächlich existiert oder
ob er eine Erfindung Ians ist, mit dessen Hilfe er anfängliche Schuldgefühle und Zweifel
an seiner Brutalität verdrängt, ist bedeutungslos. Wesentlich ist seine Entwicklung vom
unschuldigen Volksschüler zum konsequenten Sadisten.
Der Leser wird zu dazu gedrängt, Ian als
gesellschaftsuntüchtigen Ausnahmefall zu sehen, sogar die Selbstzeugnisse Ians fördern
eine solche Einschätzung: "Schließlich ist meine Identität vermikularer Aufwurf,
meine Seele von Würmern zerfressen." Und doch kann man sich zu keiner vollständigen
Verurteilung durchringen; sein Handeln wird, wenn schon nicht ganz verständlich, so doch
ein wenig erklärlich durch sein soziales Umfeld, seine Isolation von der Gesellschaft und
seine Beziehung zum Dicken Kontrolleur - er kennt keine Freundschaft. Zu Menschen hat er
kaum Kontakt, er flüchtet sich in die begreifliche Welt der Produkte, beschäftigt sich
mit Marketingtheorien - er meint selbst: "Dinge hatten mich immer mehr interessiert,
viel mehr als Menschen."
Aus dieser Perspektive besehen, wirkt es
überraschend menschlich, wenn er darlegt: "Ich mag getötet haben, ich mag
gequält haben, ich mag Ungeheuerliches begangen haben, aber es hat auch mir weh getan.
Nicht so sehr, wie es meinen Opfern weh getan hat, das gebe ich zu, aber es hat mir weh
getan. Ich fühlte es ihnen nach [.
..] allen und jedem."
Der Dicke Kontrolleur (alias Mr.
Broadhurst alias Samuel Northcliffe)
"Es ist wichtig, daß du den
bestimmten Artikel und das Attribut großschreibst - auch in Gedanken -, verstehst du
mich?"
Der Magus des Alltäglichen, Brahman des
Banalen, Dharmakaya des Drögen, Tieresias der Transmigration, Vajrasattva der Verlorenen
Seelen bzw. der Manitu der Malefizienz, um nur eine kleine Auswahl aus seinen bevorzugten
Selbstbezeichnungen zu geben, betrachtet sich als einen der größten Rhetoriker aller
Zeiten (seltener als Gandolf des Galimathias), während andere ihn eher als
"Beelzebub des Blabla" ansehen - derart ironische Anspielungen aber in seiner
Gegenwart zu wagen, könnte lebensgefährlich werden, denn er duldet keine noch so feinen
Angriffe gegen seine Person.
Über Identität dieses Mannes ist wenig
bekannt - oder zuviel, denn er ist nicht nur der unfaßbar dicke Mr. Broadhurst, der jeden
Winter in Saltdean verbringt und dort als freiwilliger Helfer in einem Blindenheim
lobenswerte Arbeit verrichtet, sondern auch Samuel Northcliffe, ein milliardenschwerer
Geschäftsmann, dem, schenkt man den Zeitungen Glauben, schon fast die halbe Welt gehört
- und er ist auch der Dicke Kontrolleur, das Gestalt angenommene Böse. Als solcher
verfügt er über scheinbar unglaubliche Fähigkeiten, er kann Gedanken lesen, er ist ein
Meister der schwarzen Magie - er läßt Menschen erstarren oder verschwinden, wie es ihm
beliebt. Sein meisterhaftes Gedächtnis und seine herausragenden eidetischen Fähigkeiten,
die Ians bei weitem übertreffen, scheinen angesichts dessen fast nebensächlich. Daß
seine Finger keine Abdrücke hinterlassen, ist bezeichnend für ihn - trotz seiner
unzähligen Vergehen ist gegen ihn noch niemals ein Verdacht gehegt worden.
Wer ihm das Rauchen verbietet, wird
kurzerhand erschlagen; trotz seiner Körperfülle bereitet es ihm keine Schwierigkeiten,
ein Opfer mit fast geschmeidigen Bewegungen zu fassen oder zu erdrosseln.
Prinzipiell
überlebt keiner, der es wagt, den Manitu der Malefizienz zu beleidigen oder kritisieren -
wie er meint, berechtigt, denn "die Menschen sind nicht alle gleich" Vor dem
Mord an einer Frau erklärt er Ian: "Ihre moralische Verantwortlichkeit entspricht
nicht der unseren, und deshalb besitzt sie auch nicht dieselben Rechte." - Er selbst
sei nämlich "im Besitz von Kräften, die dem Mann von der Straße ehrfurchterregend,
übermenschlich, vielleicht sogar gottgleich erscheinen mögen. Natürlich geht mit diesen
Kräften ein erhöhtes moralisches Bewußtsein einher." - Dennoch gilt als Grundsatz:
"Wenn ich töten will, töte ich."
Ian - Der Dicke Kontrolleur
"Und was ist mit diesem Mann?
Dem großen, dicken Mann, der all den Maschinen sagt, was sie zu tun haben? Wie heißt
der, Ian? - Dig-ga Kor-rol-lä! Dig-ga Kor-rol-lä! Ich schwelgte in
diesen Silben. Ich trällerte und schrie sie.
"
Wenn Ian meint, er sei "des Satans
Schüler", so liegt er damit ganz richtig. Doch der Dicke Kontrolleur ist nicht nur
sein Lehrmeister und Mentor, sondern auch ein Vaterersatz. Sowohl Ian, als auch der Dicke
Kontrolleur sind sich dessen bewußt - letzteren erfüllt die Vorstellung zwar nicht mit
Freude, allerdings verspürt er, wie er Ian mitteilt, wie jeder biologische Vater, das
Bedürfnis, sein Vermächtnis weiterzugeben. Seine Wahl fiel auf Ian, weil diesen seine
Eidetik, seine ungewöhnliche Fähigkeit zur mentalen Bilderzeugung, vor allen anderen
Kandidaten auszeichnete.
Der Dicke Kontrolleur vergleicht sich
ständig mit Ians leiblichen Vater, den er für einen "nichtswürdigen Essener, eine
klösterliche Null [hält], die kaum zum armseligsten Kontakt zu seinen Mitmenschen fähig
ist." Er gibt aber nicht nur Ians Vater, sondern auch seiner eigenen Einflußnahme
die Schuld dafür, daß Ian sich in einer isolierten Lage befindet, ausgeschlossen von der
normalen Gesellschaft: "Hätte ich auch nur einen Funken Verantwortungsgefühl, wäre
allein schon dieser Faktor ein gewichtiges Argument für meinen Rückzug".
Jane Carter
"Das Trauma war über sie gekommen
wie der Inkubus selbst."
Jane Carter bildet den Gegenpol zum Dicken
Kontrolleur. Sie ist eine ungewöhnlich sensible Person, die an der Alltagsbrutaltität
der Welt scheitert - schon in der Kindheit wird sie von ihrem Bruder unterdrückt,
gedemütigt und enttäuscht, ohne daß dieser bemerkt, wie sehr er sie dadurch zerstört.
Aus ihr wird eine "attraktive junge Frau, keine auffallende Schönheit, denn das
hätte bei ihr zu unzweckmäßigen Komplexen geführt." Zurückhaltung und
Bescheidenheit bestimmen ihr Handeln, sie bleibt stets passiv.
In ihr schlummert die potentielle Macht,
Ian von seinem Bosheitswahn zu befreien, die sie allerdings nicht nutzen kann.
Sie wird
gehemmt durch negative Umwelteinflüsse, durch die Janes Leben zu einer Aneinanderreihung
von traumatischen Erlebnissen gestaltet wird. In ruhigeren Zeiten droht sie in tödlicher
Melancholie zu versinken und leidet an Minderwertigkeitskomplexen. Ebenso wie Ian ist sie
isoliert von jedweder Gesellschaft, allein ihre Arbeit in einem Wollgeschäft bringt ihr
Befriedigung - sie flüchtet sich ins Stricken, Häkeln, Sticken und Weben, wie Ian in die
heile Welt der Produkte, des Marketings.
Erzählform - Erzählperspektive
Der Roman ist in zwei Teile getrennt, wobei
der erste Teil in der Ichform aus der Sicht Ian Whartons, der zweite Teil in der dritten
Person geschrieben ist. Daß dieser formale Wechsel mit dem Inhalt korreliert, bezeugt die
Abkehr vom Seelenleben des Protagonisten zugunsten eines handlungsbetonteren zweiten Teils
- "Denn jetzt, Ian Wharton, jetzt, da du nicht mehr Subjekt dieser Moritat bist,
sondern nur noch ihr Objekt, jetzt, da du nur noch ein unproduktives Atom bist, das aus
dem Fenster einer Produkt-Monade starrt, jetzt, da du bist, wo ich dich haben will, jetzt
laß das Spektakel beginnen."
Die Identität des übergeordneten
Erzählers, der hier spricht, bleibt im Dunkeln; der eigentliche Erzähler des ersten
Teils ist Ian selbst.
Dabei wendet er sich relativ oft an den Leser, eingangs bezeugt er,
ein "großer Befürworter der Publikumsbeteiligung" zu sein, die allerdings erst
ganz am Ende wieder aufgegriffen wird: "Was wollen Sie? Ach ja, Ihre Gelegenheit zum
Mitmachen, wie dumm von mir, das hätte ich fast vergessen ..." - Diese Beteiligung
des Lesers beschränkt sich jetzt aber darauf, den Fortgang Ians Lebens im Kopf zu
entwerfen und betont somit lediglich den offenen Schluß.
Der Leser wird von Ian nicht richtig ernst
genommen, als "kleinmütiger, zögerlicher, gegen dunkle Suaden verschlossener
Leser" eingestuft und nicht selten beleidigt. Der Erzähler fühlt sich überlegen
und warnt zu Beginn vor der Gewalt seiner Erzählung: "Ich werde nicht in der Lage
sein, Ihnen an diesem Ort zu helfen, und, wenn ich das sagen darf, will es auch gar
nicht.
"
Auch das eigene Schreiben wird hin und
wieder thematisiert, meist selbstkritisch und die Metaphorik des Textes unterstützend -
"Die Zeit ist ein zerfleddertes altes Akkordeon, mißbraucht von einem besoffenen
Straßenmusikanten; glücklos schnauft es ein und aus, drängt Ereignisse eng zusammen und
zieht sie dann wieder weit auseinander. Und natürlich ist die Zeit auch wie diese
Metapher, formelhaft, flach, schlecht durchdacht."
Persönliches Leseerlebnis
Zugang
Will Selfs "erster richtiger
Roman" wurde in einigen Feuilletons als "Faust der neunziger Jahre"
gepriesen, was mich dazu veranlaßte, dieses Buch zu lesen. Außer einigen vagen
Inhaltsangaben und wenigen zitierten Textstellen war mir nichts darüber bekannt; auch
konnte ich leider keine detaillierteren Informationen über den Autor auftreiben, obwohl
er kürzlich in Österreich eine Lesung hielt.
Wirkung
Der Roman wirkt vor allem durch seine
radikale Ausdrucksweise, er schockiert stellenweise sogar. Die Schilderungen von
blutverklebten Kleinkindern, die freudig mit Rasiermessern spielen, oder detailverliebte
Beschreibungen von Gewalttaten zielen auf Schockwirkungen im Leser; ob dieses
schonungslose Darstellen tatsächlich notwendig ist, scheint zweitrangig - die
extremistische Schreibart selbst dominiert das Bild.
Wertung
Nach dem ersten Lesen war ich versucht mit
den Worten Ian Whartons zu sagen: "Es war eine Menge Spaß - nur nicht, was ich mir
drunter vorstelle." Der Autor schien primär um jeden Preis radikal wirken zu wollen,
ich mußte mich erst an seine Ausdrucksweise gewöhnen. Während ich mich dann aber näher
mit dem Roman auseinandersetzte, fand ich immer mehr Ansatzpunkte für eine tiefergehende
Interpretation - "Spaß" offenbarte sich mir nicht nur als Satire auf die
Konsumgesellschaft, sondern auch als Satire auf etliche andere Teilgebiete unserer
modernen Welt. Hinter der Fassade aus detaillierter Gewaltdarstellung verbirgt sich die
Satire, der "Spaß" - aber gerade durch das Vorhandensein dieser abstoßenden
Fassade bleibt einem das Lachen im Hals stecken. Hier zu lachen, würde bedeuten, die
Probleme nicht ernst zu nehmen.
"Spaß" hält in diesem Sinn
nicht, was der Titel verspricht.
Aber trotz des pessimistischen, beklemmenden Grundtenors
stecken auch viele eindeutig humoristische Teile darin.
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