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  Der russische historiker andrej amalrik über die zukunft der sowjetunion

Der russische Historiker Andrej Amalrik über die Zukunft der Sowjetunion   VERGLEICH VON PROGNOSE UND REALITÄT     A EinleitungIn den 70er Jahren erregte der Aufsatz eines sowjetischen Historikers weltweites Aufsehen. In seinem Essay „Kann die Sowjetunion das Jahr 1984 erleben?“ sagte Andrej Andrejewitsch Amalrik – in der UdSSR als Dissident mehrmals verhaftet, verbannt und schließlich ausgewiesen – den Untergang eines Staates voraus, der im Westen als waffenstarrender, monolithischer Block angesehen wurde. Den Untergang einer Hegemonialmacht, die zwar das falsche System betrieb, der aber dennoch ein gewisses Maß an Stärke und Macht zugesprochen wurde und der man im Laufe der Zeit auch von westlicher Seite Respekt zollte. Amalrik hingegen stellte in seinem Essay das Sowjetsystem der Gegenwart als in naher Zukunft zum Untergang verurteilt bloß. Seine Hauptthese: die Sowjetunion als ein künstliches, nur mithilfe von Gewalt aufrechterhaltenes Gebilde sei zu sehr erstarrt, um sich aus eigenem Antrieb zu ändern und werde als Folge eines außenpolitischen Konfliktes zusammenbrechen. In der vorliegenden Arbeit sollen die Analysen und Prognosen des Historikers bezüglich Gesellschaft, Staatsaufbau, Wirtschaft und Außenpolitik der UdSSR vorgestellt und mit ihrer Bedeutung für den Zusammenbruch in der Realität verglichen werden.

      B Ursachen für den Zusammenbruch der UdSSR - Vergleich von Prognose und Realität  Nach außen hin sichtbar wurde die UdSSR am 27.12.1991 aufgelöst. An diesem Tag unterzeichneten elf ehemals sowjetische Republiken den Vertrag zur Schaffung der GUS – der „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“. „Das Jahr 1984 überlebt“ - und das um sieben Jahre - hat die Sowjetunion aber nur dem Anschein nach. In Wirklichkeit war sie schon in den 70er Jahren vom Niedergang gezeichnet - der Zeit, die in der Literatur als Ära sowjetischen Wohlstands und Fortschritts bezeichnet wurde.

Dieser Niedergang zeigte sich direkt im Afghanistankrieg, der allgemein als Versuch des Sowjetregimes gewertet wird, innere Probleme kompensatorisch nach außen zu verlagern, und er zeigte sich indirekt, wie bei der Unterzeichnung des Abkommens der KSZE-Abschlusskonferenz von Helsinki 1975, was angesichts des Absolutheitsanspruchs des Regimes und des sozialistischen Systems ebenfalls von dessen Schwächung zeugte, oder der Verbannung Sacharows 1980. Eine nähere Erläuterung würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ich werde mich deshalb auf die Diskussion der grundlegenden Ursachen des Zusammenbruchs der Sowjetunion beschränken. Zeitraum der Betrachtung sollen die Jahre 1984 bis 1991 sein, also die Zeit der Herrschaft Gorbatschows. Denn gerade im Scheitern der gorbatschowschen Reformpolitik, die eine Neugestaltung, nicht jedoch die Zerstörung des sowjetischen Systems zum Ziel hatte, wurden dessen grundlegende und tiefgreifende Schwächen deutlich.          1.

Die Bevölkerung der UdSSR 1.1. Daten und Grundlagen 1.1.1. Die Sowjetgesellschaft  „.

..ein Tripledeckersandwich (...), dessen oberste Schicht sich aus der regierenden Bürokratie, die mittlere aus dem Mittelstand oder der Klasse der Berufsspezialisten und die unterste und größte Schicht aus Arbeitern, Bauern und kleinen Angestellten etc.

zusammensetzt.“  Im Jahr 1990 lebten in der UdSSR auf einer Fläche 22,4 Mill. km2 292 Millionen Menschen aus 138 verschiedenen ethnischen Gruppen. Offizielle Statistiken teilen die „Erwerbspersonen“ dem produzierenden Gewerbe (42%), der Landwirtschaft (18%) und dem Dienstleistungssektor (40%) zu. Nach den Analysen Amalriks nimmt die unterste Schicht der Sowjetgesellschaft also 60% ein, während sich die beiden oberen auf die restlichen 40% verteilen. In der Realität werden die Mehrheitsverhältnisse noch weiter in Richtung Unterschicht verschoben gewesen sein, da davon ausgegangen werden kann, dass dort die Anzahl der Kinder, die in den obengenannten Statistiken nicht erfasst sind, ein Vielfaches von der der beiden anderen Schichten betrug.

Im folgenden soll untersucht werden, inwiefern die einzelnen Schichten dieser Gesellschaft die Reform der Sowjetunion beeinflussten.   1.1.2. Die Demokratische Bewegung als Sammlungsbewegung reformerischer Kräfte  „Obwohl es einen sozialen Mittelstand gibt, der die Grundsätze der persönlichen Freiheit, der Rechtsordnung und einer demokratischen Verwaltung nicht nur sehr wohl verstehen könnte, sondern sie praktisch auch brauchte, und der auch bereits die meisten Anhänger der Demokratischen Bewegung stellt, ist die große Masse so durchschnittlich, (..


.) verbeamtet und (...) passiv, dass ein Erfolg der Demokratischen Bewegung, die sich auf diese soziale Schicht stützt, äußerst problematisch erscheint.“    Der Begriff „Demokratische Bewegung“ scheint eine Bezeichnung Amalriks zu sein – in der Literatur taucht er nicht auf.

Gemeint ist die innersowjetische Opposition der 60er und 70er Jahre. Ihre Ursprünge lagen in einer Protestbewegung von Künstlern gegen die staatlichen Repressionen und Vorgaben der poststalininistischen Ära unter Führern wie Chruschtschow und später Breschnew. Im Jahr 1968 politisierten ihre Anhänger die Ziele der Bewegung. Politischer Hintergrund waren die Prozesse gegen Sinjawskij und Daniel, die die Bevölkerung einschüchtern sollten, jedoch das Gegenteil bewirkten. „Zum erstenmal in der sowjetischen Geschichte kam es zu einer Welle von Protestbriefen, die (..

.) ganze Gruppen unterzeichneten. (...) Die innersowjetische Opposition war zum ersten Mal in die Öffentlichkeit getreten“.

In der Folge schlossen sich der Bewegung „Vertreter der technischen Intelligenz“, Naturwissenschaftler und liberale Intellektuelle an, die jedoch teilweise sehr verschiedene Ansichten hatten. So gab es Vertreter liberal-demokratischer (Andrej Sacharow), ebenso wie solche religiöser (Lew Wenzow), nationalistischer (Alexander Solschenizyn) und auch marxistischer (Roy Medwedjew) Vorstellungen. Amalriks Analyse der sowjetischen Opposition ist noch weitaus differenzierter. Dies hat jedoch für die weiteren Analysen keine große Bedeutung. Wichtig ist, dass der Autor, selbst aktiver Oppositioneller und Schriftsteller im „Samisdat“, dem illegalen „Selbstverlag“ der künstlerischen Opposition, die Rolle der Demokratischen Bewegung eher skeptisch sieht, obwohl sie seiner Meinung nach die einzige Basis für den Wandel zu einer demokratischen Sowjetunion darstellt. Grund für seine Skepsis ist einerseits ein fehlendes demokratisches Verständnis innerhalb des Volkes und die Erstarrung und Bürokratisierung der mittleren Schicht.

Sieben Jahre nach der Herausgabe seines Essays äußert er sich etwas optimistischer. Der Einfluss der Bewegung sei weiterhin sehr gering und aktive Mitglieder gebe es immer noch „nur ein paar Dutzend“. „Hilfe leisten aber einige hundert, passive Unterstützung geben einige tausend, und Millionen Leute teilen schweigend (unsere) Meinung.“ Trotzdem vertritt er weiterhin die Meinung, dass es „in Russland nur nach schweren Krisen zu Reformen (komme)“ .  1.2.

Die Prognosen1.2.1. Die Unterschicht   „...

eine destruktive Bewegung, die sich in verderblichen, gewaltsamen und unverantwortlichen Handlungen äußern wird, sobald diese Schichten mit relativer Straflosigkeit rechnen können.“    Zur Unterschicht Amalriks gehörten hauptsächlich die Bauern und Arbeiter. Sie stellten bereits im zaristischen Russland und - wie oben ausgeführt - auch in der Sowjetunion die zahlenmäßig überlegenste Bevölkerungsschicht. Zum Aufbau einer Demokratie im Sinne von „Volksherrschaft“ war und ist Rückhalt gerade in dieser Schicht notwendig. Amalrik, der sich selbst als "am meisten sowjetischer Mensch" bezeichnete, der auf eine Demokratisierung der UdSSR auf Grundlage des Rätemodells hoffte, hält das angesichts der „Verständnislosigkeit“ der untersten Schichten gegenüber aufklärerischen Idealen wie Persönlichkeit und Freiheit („für die Mehrheit gleichbedeutend mit ‚Unordnung’, mit der Möglichkeit, ungestraft beliebige gesellschaftsschädigende und gefährliche Taten auszuführen“) für unmöglich. Positive Vorstellungen habe das Volk nur von der „Idee der ‚starken Herrschaft‘, die recht hat, weil sie stark ist“ und von Gerechtigkeit, „die in der Praxis in den Wunsch (umschlägt)‚ daß es keinem besser gehen soll als mir`“.

Innerhalb dieser wert- und ideallosen Schicht bestehe zwar durchaus ein distanziertes, fast feindliches Verhältnis zu Staat und Regime, dies allerdings nur in Form „passiver Unzufriedenheit“, „die nicht gegen das Regime als ganzes gerichtet (ist), (...) sondern gegen einzelne Bereiche.“ Letzteres ist in Literatur und Wissenschaft häufig dokumentiert. Der Satz „Russland ist groß und der Zar ist weit“ ist zu einem geflügelten Wort geworden.

In einem Staat von der Größe der ehemaligen Sowjetunion oder des zaristischen Russlands wurden „Hauptstadt“ und „Regierung“ für den einzelnen Bürger zu abstrakten Begriffen – präsent nur durch die Medien. Im Alltag schwanden politische und ideologische Theorien angesichts allzu naher Probleme zur Bedeutungslosigkeit. Was das Volk erstrebte, war das eigene Wohlergehen und somit eine funktionierende Wirtschaft. Der seinerzeit relativ hohe Lebensstandard, so Amalrik, „hebt diese Erregung (i.e. die passive Unzufriedenheit) nicht auf, sondern neutralisiert sie irgendwie“.

Wirtschaftlicher Stillstand oder Rückschritt hätte das Aufflammen von revolutionären, zerstörerischen Volksaufständen zur Folge. Durch dieses ständig immanente destruktive Potential erhält das Volk des sowjetischen Staates für Amalrik seine Bedeutung. Als bestätigendes Beispiel dieser Hypothese führt der Autor den Hungeraufruhr in Nowotscherkassk 1962 an.  1.2.2.

Die Mittelklasse   „...so durchschnittlich, in ihrem Denken so verbeamtet und (...

) so passiv, dass mir ein Erfolg der Demokratischen Bewegung, die sich auf diese soziale Schicht stützt, äußerst problematisch erscheint“    Amalrik nannte sie die „Klasse der Berufsspezialisten“. Zu ihr zählte er Wissenschaftler, Intellektuelle, Künstler. Sie ist seiner Meinung nach die Schicht, die wegen ihres kulturellen Niveaus und der „Fähigkeit zur Beurteilung der eigenen Situation und der der Gesellschaft“ Ausgangspunkt von einer Demokratisierung der UdSSR sein könnte, da sie sich der Notwendigkeit von Reformen bewusst sei. Sie betreibe jedoch „eine Art Kult der eigenen Machtlosigkeit im Vergleich zur Stärke des Regimes“, der zu Passivität und willenloser Unterordnung führe. Die „negative Auslese der stalinistischen Säuberungen der 30er Jahre habe zusätzlich „allen Schichten der Gesellschaft den Stempel grauer Mittelmäßigkeit (aufgedrückt)“ und „alle unabhängigen und besonders aktiven Elemente“ planmäßig entfernt. 1.

2.3. Die OberschichtDie oberste Schicht Amalriks sowjetischen „Tripledeckersandwiches“ bildete die „regierende Bürokratie“. Da sie das Regime verkörperte, das im folgenden noch ausführlich analysiert wird, soll sie an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Zahlenmäßig war sie den anderen beiden Schichten deutlich unterlegen.    1.

3. Die Realität1.3.1. Volksunruhen und ihre Bedeutung für den sowjetischen NiedergangBedingt durch die Gorbatschowschen Reformen und besonders durch „Glasnost“ – die Transparierung von Politik und Gesellschaft, fand in den 80er Jahren eine gewisse Politisierung des sowjetischen Volkes statt. Wie Amalrik vorausgesagt hatte, führte diese Tatsache allein jedoch noch nicht zu Reformbewegungen innerhalb des Volkes.

Erst die wirtschaftliche Krise und die Unterdrückung daraus resultierender nationaler Bewegungen im Baltikum führten zu Streiks und Massendemonstrationen. Bezeichnend dafür war der Bergarbeiterstreik im Juli 1989. Auslöser waren die katastrophalen sozialen Zustände, die Wolfgang Leonhard in seinem Buch „Die Reform entläßt ihre Väter“ ausführlich beschreibt. Die Forderungen richteten sich gegen das autoritäre Management und die unwirtschaftliche Produktionsweise, wurden später jedoch politisiert und beinhalteten schließlich Ziele wie die Zulassung freier Gewerkschaften und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Nach Konzessionen der Regierung wurde der Streik abgebrochen, Gorbatschow sprach jedoch von „der größten Prüfung in den vier Jahren der Perestrojka“.    1.

3.2. Die Bedeutung demokratischer BewegungenWie bereits erwähnt hatten „Glasnost“ und der wirtschaftliche Niedergang eine politisierende Wirkung auf das Volk. Gorbatschows Ziel – die Erhaltung des Machtmonopols der KPdSU -, das sich beispielsweise in der bis 1990 beschränkten Versammlungsfreiheit und der Erhaltung der verfassungsrechtlich verankerten Monopolstellung der Partei zeigte, schuf eine immer größere Opposition, die sich in Interessengruppen, Bewegungen und Parteien manifestierte. Im Gegensatz zu der fast elitären Demokratischen Bewegung der 70er Jahre handelte es sich in den Demokratiebewegungen Ende der 80er Jahre um „spontane Massenerscheinungen“ wie bei dem erwähnten Streik oder bei den Massendemonstrationen 1990 anlässlich der Wahlen zum Volksdeputiertenkongress. In wirklichen Parteien organisierten sich die einzelnen Bewegungen allerdings erst Anfang der 90er Jahre – und auch dann blieb die Mitgliederzahl wegen der schlechten Erfahrungen der Sowjetbürger mit den organisierten Institutionen der UdSSR verhältnismäßig gering.

Bei den Wahlen traten die einzelnen Parteien in Blöcken auf (...), um den gemeinsamen Kandidaten die Chancen zu erhöhen.  Zusammenfassung  Im Prinzip hatte Amalrik also recht, wenn er den unteren Schichten Protestbewegungen nur als Folge wirtschaftlicher Schwächung zutraut. In dem oben beschriebenen Streik zeigt sich jedoch, dass innerhalb des Volkes durchaus Verständnis gegenüber Demokratie und Politik vorhanden war.

Unmittelbar systemauflösend war dieses Verständnis – darin stimmen Realität und Prognose überein – jedoch nicht. Insgesamt kann man sagen, dass eine Demokratisierung der Bevölkerung in größerem Maße eintraf als von Amalrik vorhergesagt. Dass sie dennoch keine unmittelbar umstürzendende Bedeutung hatte, lag erstens an dem Misstrauen in weiten Teilen der Bevölkerung gegen Parteien im allgemeinen und andererseits in der noch vorhandenen Furcht vor dem Regime.     2. Das Regime 2.1.

Die Prognose   „(Es) hält sich für vollkommen und will sich ganz bewusst nicht ändern, nicht freiwillig und schon gar nicht, indem es irgend jemandem in irgendeiner Sache unter Druck nachgibt. (...) Jede wesentliche Veränderung wäre heute mit einem personalpolitischen Aufräumen von oben bis unten verbunden (..

.) Die Personen, die das Regime verkörpern, (werden) sich nie darauf einlassen. Der Verzicht auf ihre Posten scheint ihnen ein zu hoher Preis für die Erhaltung des Regimes.“    Das Regime setzt sich laut Amalrik aus einer bürokratischen Elite zusammen, die sich infolge der stalinistischen aber auch später der chruschtschowschen „negativen Auslese“ zur einer „von Mal zu Mal schwächeren und unentschlosseneren Generation der bürokratischer Eliten“ entwickelte, die es zwar „ganz ausgezeichnet“ versteht, an einmal erworbener Macht festzuhalten, diese „jedoch überhaupt nicht zu gebrauchen wissen“. Die Folge ist für ihn eine Bürokratie, die nur um der Selbsterhaltung willen handelt und deren „Dilemma“, so Amalrik, darin besteht, dass sie „entweder um das Regime (i.e.

den Staat) zu erhalten, dieses ändern muss oder, um sich selbst zu erhalten, alles unverändert lassen muss“. Letztendlich wird es sich jedoch laut Amalrik für eine erhaltende, konservative und gegen eine reformerische Politik entscheiden.  „Sein Ziel: alles soll bleiben, wie es war.“   2.2. Die Realität2.

2.1. „...wie es war.

“ Der Marxismus-Leninismus, in den 20er Jahren von Lenin im Rahmen der marxschen Theorien konzipiert, war Grundlage des gesamten Sowjetsystems. Vom bloßen Marxismus hob er sich durch seinen rigorosen Antiimperialismus hervor. Der Sowjetunion kam nach leninschem Verständnis die Aufgabe globaler Mission zu. Instrument dieser Mission war die „Kommunistische Partei der Sowjetunion“ – die KPdSU.  2.2.

1.1. „Diktatur des Politbüros“ – Monopolsozialismus und „System der Transmissionen“ „Die führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft, der Kern ihres politischen Systems, der staatlichen Organe und gesellschaftlichen Organisationen ist die KPdSU.“ Was so erst 1977 in die Verfassung aufgenommen wurde, war spätestens seit den 50er Jahren politische Praxis. Die Partei hatte nach eigenem Selbstverständnis das ideologische Erkenntnis- und Interpretationsmonopol. In einem Staat, dessen verfassungsrechtliche und theoretische ebenso wie die wirtschaftlichen Grundlagen auf Ideologie beruhten, war sie also schon rein formal höchste und unfehlbare Instanz, die für sich „das strikte Monopol der ideologischen Verkündungs-, der politischen Richtliniensetzungs- und exekutiven Durchsetzungskompetenz“ beanspruchen konnte.

Die verfassungsrechtlich verankerte Machtkonzentration auf die Sowjets und den Ministerrat als wichtigstes Staatsorgan war in der Praxis außer Kraft gesetzt. Zwar gab es regelmäßig Wahlen, diese dienten jedoch lediglich der Legitimation im Ausland als „demokratisch“ gewählte Regierung sowie der Demonstration sowjetischer Einigkeit. Der Bürger hatte das Recht, einer Liste zuzustimmen oder sie abzulehnen – wobei von vornherein ein Ergebnis von mehr als 90 Prozent Zustimmung feststand. Rein formal war die Sowjetunion zwar ein „Sowjet-“ – also ein „Rätestaat“ - so war beispielsweise auch der Parteikongress gedacht als demokratisch gewähltes, jährlich zusammentretendes Gremium „von absolut zentraler Bedeutung für die Arbeit der Partei und damit für die ganze Sowjetunion“, das die Grundsatzentscheidungen traf und von Zentralkomitee und Politbüro lediglich vertreten wurde. In der Praxis verhielt sich die Situation jedoch genau umgekehrt. Den absoluten Oberbefehl besaß das Präsidium bzw.

Politbüro. Es war die ständige Vertretung der Partei. Parteikongresse fanden nur alle fünf Jahre, Kongresse des Zentralkomitees nur zwei bis dreimal im Jahr statt. Das Politbüro dagegen bestehend aus fünf bis sechs Funktionären tagte und beschloss ständig. So waren „Parteikongresse aus zeitlichen, sachlichen und personellen Gründen lediglich dazu in der Lage, vorher an der Spitze ‚wasserdicht‘ gemachte Grundentscheidungen zu bestätigen und zu legitimieren.“    2.

2.1.2. Das „System der Transmissionen“  „...

wirtschaftliche Reformen und eine damit zusammenhängende Liberalisierung des Regimes (wären) denkbar, (...) wenngleich auch der Parteiapparat, gegen den sich der Umschwung in beiden Fällen tatsächlich richten würde, sowohl mit der Armee wie mit den Wirtschaftskreisen so verquickt ist, daß alle beiden Gespanne, selbst wenn sie vorpreschten, bald im selben Sumpf versinken müßten...

"    Der Ausdruck „System der Transmissionen“ ist ein in der Fachliteratur häufig zu findender Terminus. Er beschreibt das Prinzip, mit dem die Partei versuchte auf möglichst alle Bereiche der Sowjetgesellschaft Einfluss zu nehmen. Erstens waren Parteifunktionäre meist in Personalunion sowohl mit der Regierung als auch mit der Wirtschaft verbunden. („So sind der Vorsitzende des Ministerrats der UdSSR und seine ersten Stellvertreter, der Vorsitzende des Obersten Sowjets der UdSSR sowie der Vorsitzende der Sowjetgewerkschaften in der Regel auch Mitglieder des Politbüros“ ). Durch das sogenannte Nomenklatursystem sicherte sich die Partei zusätzlich ihre Macht in sämtlichen staatlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisationen: sie verteilte die wichtigsten Ämter und Positionen an Menschen, vornehmlich Russen, die die politisch richtigen Ansichten vertraten. Dieses Prinzip hatte längerfristig zur Folge, dass Ämter sehr oft sprunghaft und unqualifiziert umbesetzt wurden.

Stieg ein führendes Parteimitglied in der Hierarchieleiter weiter nach oben, so besetzte er die ihm neu unterstellten Positionen mit Menschen seines Vertrauens – Qualifizierung war meist zweitrangig.  2.2.1.3. ZusammenfassungDie Sowjetunion war also ein Staat, in dem die politische Macht zentralistisch gebündelt war, und in dem die Maxime galt: „Die Partei führt und der – aus Parteimitgliedern bestehende – Staat verwaltet.

“ Oberbefehlshaber waren alte, oft kranke Männer – die besten Beispiele sind Breschnew, Andropow, Tschernenko -, die für ein Land von über 22 Millionen km2 Größe die Befehle ausgaben, ohne Kenntnisse von den tatsächlichen Gegebenheiten an der Basis zu haben. Statt von unten nach oben waren die Instanzen von oben nach unten durchorganisiert – streng hierarchisch. Eine Karriere war nur mit politischer Korrektheit und guten Beziehungen möglich. Dies war das System, von dem Amalrik schrieb:  Es ist verständlich, daß das einzige Ziel eines solchen Regimes, jedenfalls in der Innenpolitik, Selbsterhaltung sein muß. (..

.) Diese Selbsterhaltung wird als das Dilemma der bürokratischen Elite verstanden, die entweder, um das Regime zu erhalten dieses ändern oder, um sich selbst zu erhalten, alles unverändert lassen muß.“   2.2.2 Perestrojka und Glasnost – Reform von oben 1985 wurde Michail Gorbatschow vom Politbüro zum Generalsekretär der KPdSU gewählt. Die Spannungen, die der Wahl vorangegangen sein mussten, wurden in den Berichten der sowjetischen Presse deutlich.

Das ständige „edhlmcj`glm“ der vergangenen Jahrzehnte war durch ein „edhlmdrwlm“ ersetzt worden. Nicht „einstimmig“ war die Wahl also getroffen worden, sondern „einmütig“ – was vorangegangene ernsthafte Streitigkeiten bedeutete. Grund für diese Auseinandersetzungen war einerseits das Alter Gorbatschows - mit 54 Jahren war er das jüngste Staatsoberhaupt der Sowjetgeschichte. Hoffnungen eventueller Nachfolger auf einen baldigen Tod wie es bei Andropow oder Tschernenko der Fall gewesen war, waren damit zunichte gemacht. Hauptstreitpunkt waren jedoch die Reformforderungen Gorbatschow, die er anfangs noch hinter dem Schlagwort „rpimoelhe“ - „Beschleunigung“ - verbarg. (So propagierte er beispielsweise am 23.

April 1985 auf dem Plenum eine „beschleunigte sozialökonomische Entwicklung“.) Mit dem XXVII. Parteitag der KPdSU im Frühjahr 1986 setzte die Wende für die Sowjetunion ein. „Erstmals seit dem berühmten XX. Parteitag Chruschtschows (..

.) rügte ein Parteichef ‚negative Prozesse‘ in der sowjetischen Geschichte; er kritisierte Trägheit, verknöcherte Leitungs- und Planungsmethoden, sprach von ‚Stagnationserscheinungen‘ in der Gesellschaft.“ Sein Konzept zur Lösung dieser Probleme überschrieb Gorbatschow mit den Worten „Glasnost“ (Transparenz) und „Perestrojka“ (Umbau). Eine „radikale Reform“ sollte es sein, eine „wahre Revolution“, die sich „im ganzen System der gesellschaftlichen Beziehung, in den Hirnen und Herzen der Menschen, in der Psychologie und im Verständnis der heutigen Zeit“ entwickeln sollte. „Das politische System wandelt sich radikal, wirkliche Demokratie mit freien Wahlen, Mehrparteiensystem und Menschenrechten setzt sich durch, die reale Volksmacht erlebt ihre Wiedergeburt. (.

..) Die Umwandlung des superzentralisierten Staates in einen wirklichen Bundesstaat, der auf Selbstbestimmung und freiwilliger Einigung der Völker beruht, hat begonnen.“, schrieb Gorbatschow noch im Jahr 1990. Wären diese Forderungen auch in der Praxis umgesetzt worden, so hätte das im direkten Gegensatz zu Amalriks Theorie von dem unflexiblen, erstarrten und zum Untergang verurteilten Regime gestanden. Ein grundlegender Systemwandel war allerdings keineswegs Ziel der gorbatschowschen Reformpläne.

Deren Basis und Grundpfeiler blieb der Sozialismus und mit ihm das parteiliche Monopol in Staat und Gesellschaft. In seinem autobiographischen Werk „Perestroika. Die zweite russische Revolution“ schrieb Gorbatschow: „Das Wesen der Perestroika liegt in der Tatsache, daß sie Sozialismus und Demokratie miteinander verbindet und das leninsche Prinzip des sozialistischen Aufbaus sowohl in der Theorie als auch in der Praxis wiedereinführt.“ Und weiter: „Um allen Gerüchten und Spekulationen ein Ende zu setzen (...

), möchte ich noch einmal betonen, daß alle Reformen, die wir durchführen in Übereinstimmung stehen mit unserem sozialistischen Weg.“ Ziel war der paradoxerweise der „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, um dessentwillen 1968 sowjetische Truppen in die Tschechoslowakei einmarschiert waren. Im folgenden sollen die Grundzüge und Widersprüche der Reformen und ihre Folgen für Staatsaufbau und das ideologische System in der UdSSR beschrieben werden.  2.2.2.

1. GlasnostMit „Glasnost“ – Transparenz – forderte Gorbatschow einerseits die Aufdeckung der Vergangenheit und die öffentliche Auseinandersetzung vor allem mit der stalinistischen Ära. Andererseits propagierte er eine populistische Aktivierung der Bevölkerung durch Garantie der freien Meinungsäußerung, durch Schaffung unabhängiger Medien und durch die Veröffentlichung von Parteiprogrammen, politischen Reden und parlamentarischen Diskussionen. Ziel war es, “von außen politischen Druck auf die starren Machtapparate auszuüben, die sich von innen nur äußerst schwer dynamisieren lassen“. In der Praxis hatte die „Glasnost“ große Wirkung: Freie historische Forschungen ermöglichten eine Abkehr von der geschönten, sowjetischen Geschichtsbetrachtung und der bedingungslosen Verherrlichung des „Marxismus-Leninismus“. Ein breites Spektrum von Zeitungen unterschiedlicher Anschauungen entstand.

Das Regime musste seine Politik öffentlich verantworten. „Das wichtigste war: Die Sowjetbürger verloren ihre Angst vor der allmächtigen Bespitzelung und Unterdrückung, sie konnten ihre Meinung auf Veranstaltungen, Konferenzen und Demonstrationen frei und ungehindert zum Ausdruck bringen“. Glasnost war der Teil der Reformen, der fast ohne Einschränkungen durchgeführt wurde. Im Gegensatz zu den Absichten Gorbatschows trug er jedoch nicht zum Erhalt der Sowjetunion bei. Im Gegenteil: die Politisierung der Bevölkerung setzte sowohl demokratische als auch nationalistische Kräfte in ihr frei, die den Zerfall der UdSSR beschleunigten.  2.

2.2.2. „Umbau“ des politischen und ideologischen SystemsErste konkrete Reformmaßnahme in Bezug auf die Struktur der Sowjetunion war eine Verfassungsänderung am 1.12.1988.

Sie legte die Schaffung eines „Kongress der Volksdeputierten der UdSSR“ als „formal höchstes Organ der Staatsmacht der UdSSR“ fest. Aus 2250 Abgeordneten bestehend sollte er einmal im Jahr über die wichtigsten Fragen und Probleme beraten, wobei er nach Artikel 108 der neuen Verfassung berechtigt war, „jede Frage zur Prüfung an sich zu ziehen und zu entscheiden, die zur Kompetenz der UdSSR gehören“. Aus seinen Reihen sollte ein Oberster Sowjet als ständiges gesetzgebendes Organ gewählt werden, dessen Vorsitzender im Gegensatz zum bisherigen machtlosen „Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets“ erweiterte Befugnisse und damit die Stellung eines Präsidenten erhalten sollte. Die Bedeutung dieser Kongresswahlen ist in der Fachliteratur umstritten. Laut Wolfgang Leonhard waren es zwar „noch keine echten freien Wahlen“, sie stellten aber dennoch eine „Zäsur in der 70jährigen sowjetischen Geschichte“ dar, da sich „das Schwergewicht (..

.) auf parlamentarische Körperschaften zu verlagern (begann).“ David Pryce-Jones schreibt von einem „potemkinschen Absurdium“, das „den gleichen Absolutismus wie vorher“ ermöglicht habe, „nur unter anderer Leitung“. Dass 12% der Abgeordneten nicht aus dem KPdSU-Lager stammten, unter ihnen Jelzin, Sacharow und andere Oppositionelle, sei „völlig unabsichtlich“ und von Gorbatschow „unerwartet“ geschehen. Der Theorie nach, führt Pryce-Jones aus, habe ein spezielles Wahlverfahren dafür sorgen sollen, dass „keiner ohne die Zustimmung der Partei in den Kongress gewählt werden konnte“. Konkret seien Kandidatennominierungen zu einem Drittel direkt von den Parteiorganisationen ausgegangen, während bei den übrigen zwei Dritteln „auf allen Ebenen die Ersten Parteisekretäre das letzte Wort behielten.

“ Die Erörterung dieses Punktes ist deshalb wichtig, weil sie bei klarer Sachlage direkte Schlüsse auf die Intentionen Gorbatschows und seiner Anhänger zuließe, was wiederum für den Vergleich mit den Thesen Amalriks über die Reformfähigkeit des Regimes von großer Bedeutung wäre. In Bezug auf diesen Aspekt kann es jedoch nur Vermutungen und Spekulationen geben, denn natürlich sind die Aussagen Gorbatschows selbst nicht objektiv und damit auch nicht unweigerlich richtig. Dokumentiert und erwiesen ist aber zumindest eine „Ambivalenz“ in den Reformen Gorbatschows: schon die erste Tagung des Volksdeputiertenkongresses war von „Redefreiheiten, Sachauseinandersetzungen und (...) einer Dichte der direkten Berichterstattung insbesondere im sowjetischen Fernsehen“ geprägt, „wie sie die Sowjetunion noch nie erlebt hatte“ – was eine direkte, plangemäße Fortführung von „Glasnost“ bedeutet.

Es gab weitere Ereignisse dieser Art, die vom staatlichen Streben nach Demokratisierung und Reform des Systems zeugten. Andererseits waren auch Anzeichen für eine restaurative Politik vorhanden, die – wie Amalrik es vorausgesagt hatte – nach Macht und Selbsterhalt der Partei zu streben schien. So baute Gorbatschow in den Jahren 1988 bis 1990 seine Macht aus, bis er schließlich diktatorisch sowohl das Amt des Präsidenten, als auch das des Parteichefs und des Vorsitzenden des Obersten Sowjets innehatte. „Gorbatschow (hatte) faktisch die Verantwortung für sämtliche Bereiche sowjetischer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf sich konzentriert, ohne sich allerdings je eine demokratische Legitimation durch direkte Volkswahlen verschafft zu haben.“ Dies stand in direktem Gegensatz zu der von ihm noch 1988 geforderten Dezentralisierung und lässt zumindest an seiner „demokratischen Gesinnung“ zweifeln. In der politischen Praxis isolierten ihn sein Machtausbau und die „Halbherzigkeit“ seiner Reformmaßnahmen: innerhalb der oppositionellen Liberalen schafften sie ihm politische Gegner oder - wie im Fall Jelzins - sogar persönliche Feinde.

Auch der Widerstand innerhalb der „Apparatschiks“, Befürworter beschränkter Reformen innerhalb des Regimes, wuchs, als offensichtlich wurde „dass vorsichtige Reformschritte einen immer größeren Bedarf nach immer weitergehenden Veränderungen auslöste und dass vor allem die Perestroika von oben eine bedrohliche Dynamik von unten in Gang brachte.“ Widerstand vonseiten der alten Kader gab es seit Beginn der Reformen. Mit der Zeit befand sich Gorbatschow so zwischen dem konservativ-sozialistischen, dem liberalen und dem gemäßigt reformerischen Lager, ohne bei einem von ihnen Rückhalt für seinen sozialistischen Reformkurs zu finden. Der Politologe Hans Wassmund bezeichnet ihn deshalb als „König ohne Land“, der „hilflos mit ansehen musste, wie die UdSSR als Herrschaftsverband zerfiel, die Ökonomie ins Bodenlose abstürzte (und) seine Anweisungen nirgends mehr befolgt wurde(n)“.  Zusammenfassung  Es ist dennoch schwierig, die Reformen Gorbatschows objektiv zu analysieren. Die Tatsache, dass er nach einem Erhalt des Sozialismus und damit der Machtstellung von Partei und (sozialistischem) Regime strebte, deckt sich jedoch mit der Aussage Amalriks, das Regime sei zu wirklichen Veränderungen nicht fähig.

Inwiefern reiner Macht- und Selbsterhaltungstrieb, wie von Amalrik vorhergesagt, dabei eine Rolle spielte, ist kaum festzustellen. Die zunehmende Zentralisierung der politischen Macht Ende der 80er Jahre, die im Widerspruch zur propagierten Dezentralisierung stand, spricht jedoch für diese These. Festzuhalten ist einerseits, dass das Reformprogramm Gorbatschows von weit mehr Veränderungs- und Modernisierungswillen zeugte, als Amalrik es dem Regime zugebilligt hatte. Wenn man jedoch andererseits berücksichtigt, dass dieses Programm erstens keinen grundlegenden Systemwandel zum Ziel hatte und zweitens von einem großen Teil des Regimes nicht befürwortet wurde, kann von grundsätzlicher Übereinstimmung von amalrikscher Prognose und gorbatschowscher Realität gesprochen werden.         3. Die Wirtschaft „Es kann sein, dass es bei uns tatsächlich einen Sozialismus mit unbedeckten Knien geben wird, ganz gewiss aber keinen Sozialismus mit menschlichem Gesicht.

(...) erhöhter Lebensstandard und Wohlstand an sich schützen noch nicht vor Gewaltanwendung“   Die Bedeutung der Wirtschaft für Amalrik  Die Wirtschaft ist für Amalriks Theorien ein wesentlicher Faktor – wenn auch kein unmittelbar reformauslösender. „Es ist klar,“, schreibt Amalrik, „dass eine einschneidende Verlangsamung des Wohlstands-Wachstums, sein Stillstand oder Rückschritt das Aufflammen heftiger Erregungen und Gewaltakte hervorrufen würde, die früher undenkbar gewesen wären“. Der Grad des Revolutionswillen innerhalb des Volkes ist also unmittelbar von der jeweiligen wirtschaftlichen Situation oder dem wirtschaftlichen Trend abhängig.

Einen wirtschaftlichen Niedergang der Sowjetunion prognostiziert Amalrik jedoch konkret hauptsächlich als Folge des von ihm vorausgesagten Krieges mit China. Zur Entstehungszeit des Essays befindet sich die UdSSR laut Amalrik in einer Phase des Wirtschaftswachstums. Meist schreibt er von „Produktionssteigerung“ und „Wohlstands-Wachstum“, die sogar zu „einer Art Kult des komfortablen Lebens“ in Mittel- und Oberschicht geführt hätten. Das zukünftige Problem des sowjetischen Regimes ist für Amalrik, diesen Standard zu halten, was ihm „angesichts seiner Verknöcherung schwerfallen dürfte“. Dennoch schafft Amalrik mit seiner Warnung vor einem „Sozialismus mit unbedeckten Knien“ den Eindruck, als lebten die Sowjetbürger in einem Staat, der sich in wirtschaftlicher Blüte befindet, dessen Bürger zwar im Vergleich zum goldenen Westen auf niedrigerem Standard leben, es sich jedoch leisten können von westlichem Luxus, von „Jazzplatten und Miniröcken“ zu träumen. In Wirklichkeit war die Wirtschaft der Sowjetunion bereits in den 70er Jahren so desolat, dass es zu Hungerkatastrophen kam und die ökonomische Krise schließlich einer der Auslöser der Gorbatschowschen Reformen und letztendlich auch der Auflösung der UdSSR war.

 Das System der Planwirtschaft  Nach den Vorgaben durch die marxistische Ideologie war die Wirtschaft der Sowjetunion von staatlichen Direktiven und Plänen geleitet – seit 1928 in Form von Fünfjahresplänen. Der amerikanische Journalist Hedrick Smith kommentierte nach dem Zerfall der UdSSR: „In den Augen der sowjetischen Marxisten verkörperte sich im Plan die wissenschaftliche, rationale Organisation der Macht des Staates. (...) Es kam ihm fast die Bedeutung eines Grundgesetzes zu.

Er wurde zum Kompaß, an dem sich das Land orientierte, und „Plansollerfüllung“ zur nationalen Beschwörungsformel.“ Von einem Staatlichen Planungskomitee, dem „Gosplan“, erstellt bestimmte er bis ins kleinste Detail Produktion, Lieferung und Materialbeschaffung. Smith berichtet, die Pläne für die einzelnen Betriebe seien „in Form überdimensionaler Bücher“ eingetroffen, die „so groß, so dick und so voller Kleingedruckten waren wie das Telefonbuch Manhattans“. Reformforderungen dieses Systems totaler administrativer Bestimmtheit kamen von verschiedenster Seite. Offizielle Dissidenten stellten sie ebenso wie führende Funktionäre, so beispielsweise Kossygin, Vorsitzender des Gosplans und späterer Ministerpräsident. Er befürwortete eine dezentralisiertere und nachfrageorientierte Konsumgüterproduktion, die durch Beschneidungen des Rüstungsetats finanziert werden sollte.

Reformpläne wie diese scheiterten jedoch meist am Widerstand des Militärs, das sich im Fall der kossyginschen Reform durch die amerikanische Intervention in Vietnam in seiner Vorrangrolle bestätigt fand.  3.3. Wirtschaftliche Reformen und ihre EffizienzDie Nachteile der Planwirtschaft machten sich ab den 70er Jahren immer stärker bemerkbar. Unflexibilität und Investitionen in veraltete Wirtschaftsbereiche wie Rüstung und Schwerindustrie hatten zur Folge, daß in dem Zeitraum des elften Fünfjahresplans (1981 – 1985) „sämtliche Wirtschaftsdaten einem Negativtrend (unterlagen)“. „Bei der statistischen Erfassung der Lebensstandards aller Länder nahm die Sowjetunion (Ende der 70er Jahre) ungefähr den 60.

Platz ein.“ Es kam zu einer „doppelten Scherenkrise“, zu einem innersowjetischen Auseinanderklaffen der wachsenden gesellschaftlichen Bedürfnisse und ihrer Befriedigung durch die Wirtschaft einerseits und zu einem ebenfalls immer deutlicher werdenden Kontrast zwischen dem Lebensstandard des Ost- und des Westblocks andererseits. Grundlegende Reformen waren vor allem nötig, da es sich „nicht um eine konjunkturelle, vorübergehende Wachstumsverzögerung handelte, sondern um einen strukturellen Vorgang“. Hauptziel und –motivation Gorbatschows war denn auch die „tiefgründige Umgestaltung der Wirtschaft“, die „unmöglich“ sei „ohne Demontage des autoritär-bürokratischen Systems insgesamt“. Glasnost und Demokratisazija (Demokratisierung) waren also nur Vorraussetzungen, vielleicht sogar nur unerwünschte, aber notwendige Nebenprodukte einer wirtschaftlichen Umgestaltung. Dennoch verlief die Wirtschaftsreform „im Unterschied dazu (.

..) halbherzig und schleppend“. Trotz Gorbatschows ständiger Propagierung und Forderung eines „Marktes“ als Schlüssel zu „gesellschaftlichem Reichtum“ und „steigendem Lebensniveau“ wurden in den ersten Jahren lediglich eine Reihe gesetzlicher Neuerungen eingeführt wie das „Gesetz über die Staatsunternehmen“ (1987), das „Pacht-“ (1989) und das „Bodengesetz“ (1990) - Maßnahmen, die in der Literatur als „widerspruchsvoll und unzureichend“, als „inkonsequent“ und „halbherzig“ beschrieben werden. Ursache der Ineffizienz dieser „keineswegs dezidiert vorangetriebenen Änderung der Wirtschaftspolitik“ war das erreichte Ausmaß der Krise, die Verkrustung des Systems, der „Widerstand der um ihre Privilegien fürchtenden Bürokratie wie auch die Unsicherheit der Bevölkerung“. Die Folgen beschreibt der Sowjetexperte Wolfgang Leonhard: „So schwand die frühere Disziplin der Planerfüllung, die Produktion ging zurück, das staatliche Verteilungssystem funktionierte immer schlechter, die Lebenshaltungskosten stiegen, der Lebensstandard sank, die soziale Unzufriedenheit wuchs.

“  Zusammenfassung  Die unmittelbar destruktive Kraft der Wirtschaft hat Amalrik unterschätzt. Der ökonomische Niedergang war nicht Folge eines Krieges, sondern einer der Hauptauslöser für den gesamten Zusammenbruch der Sowjetunion. Der Grund für diese Fehleinschätzung, die teilweise auch im Westen vorherrschte, waren die Verschleierungspraktiken vonseiten des Regimes auf der einen und der sowjetischen Betriebe auf der anderen Seite. Konkret waren ständig geschönte Statistiken im Umlauf. Vom Staat wurden direkt verfälschte Daten in der Presse publiziert, um dem ideologischen Überlegenheitsanspruch des Sozialismus über den Kapitalismus gerecht zu werden. Einen wichtigen Anteil hatten aber auch die einzelnen Betriebe und Fabriken.

Wegen der unrealistischen Planvorgaben wurden Produktions- und Verkaufszahlen an höhere Instanzen weitergegeben, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hatten. Die Folge war ein völlig unrealistisches Bild der Wirtschaft sowohl beim Regime, als auch im Ausland und in der sowjetischen Bevölkerung. Amalriks Thesen spiegeln diese Sachlage deutlich wieder.    4. Nationalitätenfrage 4.1.

Die Prognose   „Allmählich stellt sich ein immer größerer Überdruß am Krieg ein (und es) kommt (...) zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Damit verstärken sich auch die nationalistischen Tendenzen der nichtrussischen Völkerschaften (..

.) vor allem im Baltikum, im Kaukasus und in der Ukraine.“    Wie die Wirtschaft spielt auch die Nationalitätenproblematik für Amalrik eine eher untergeordnete Rolle. Erst in Folge eines sowjetisch-chinesischen Krieges und „wirtschaftlicher Schwierigkeiten“ sieht er die Gefahr nationaler Aufstände, die er dann jedoch sehr realitätsgetreu lokalisiert. Dass Amalrik in seiner Unterschätzung der Nationalitätenfrage in direkter sowjetischer Tradition steht, wird in den folgenden Kapiteln deutlich. 4.

2. Der Vielvölkerstaat UdSSR  Laut statistischen Angaben des Jahres 1990 lebten in der Sowjetunion 138 Völker, die sich jedoch teilweise noch in ethnische Untergruppen aufspalten ließen (so werden z.B. Krysen und Chinalugen der Völkerschaft der Aserbaidschaner zugerechnet). Der Nationalitätenfrage versuchte man dadurch gerecht zu werden, dass die 15 sowjetischen Republiken aufgeteilt wurden in 20 Autonome Sozialistische Sowjetrepubliken (ASSR), acht Autonome Gebiete (AG) sowie zehn Nationale Kreise (NK). Den Grundtenor gab jedoch die Verfassung von 1977 vor.

Dort hieß es: „Das Sowjetvolk (...) legt die Grundlagen der gesellschaftlichen Ordnung und der Politik der UdSSR fest, bestimmt die Rechte, Freiheiten und Pflichten der Bürger (...

) und die Ziele des sozialistischen Staates des gesamten Volkes und verkündet sie in dieser Verfassung.“ „Nicht mehr die in der Sowjetunion zusammengeschlossenen Völker, sondern ein fiktives, rein ideologisch definiertes Sowjetvolk“ war also Träger dieser Verfassung. Nichtsdestotrotz wurde die UdSSR in Artikel 70 eben dieser Verfassung als „Ergebnis der freien Selbstbestimmung der Nationen und der freiwilligen Vereinigung gleichberechtigter sozialistischer Sowjetrepubliken“ definiert. In der Praxis herrschte jedoch in den russischen Republiken ein „Überlegenheitsgefühl (...

) mit chauvinistischen Zügen“. So wurde Mitte der 70er Jahre „die Beseitigung der Landessprachen und die eindeutige Vorherrschaft des Russischen unter dem Deckmantel des ‚Konzepts der Zweisprachigkeit‘ forciert vorangetrieben“. Hinzu kam, dass sich trotz ihrer zahlenmäßiger Unterlegenheit (in den 80er Jahren weniger als 50% der Gesamtbevölkerung) die innenpolitische Macht auf die „Großrussen“ konzentrierte: „Ihr Anteil an der Mitgliedschaft in der Partei (lag) bei über 60%, in den Führungsgremien der Partei wuchs er sogar noch an (...) im Spitzengremium, dem Politbüro, waren Mitglieder der nicht-slawischen Völker immer die Ausnahme“.

 4.3. Der Zusammenbruch des Vielvölkerstaates Ende der 80er Jahre erhielten nationale Bewegungen in den einzelnen Teilrepubliken neue, dynamische Impulse, die 1991 letztendlich zum unmittelbaren Zusammenbruch des Einheitsstaates Sowjetunion führen sollten. Grund war die oben beschriebene jahrelange Ignorierung der Vielvölkerproblematik durch das Regime. Gorbatschow selbst erklärte 1986: „Die nationale Frage, wie sie uns die Vergangenheit hinterlassen hat, wurde in der Sowjetunion erfolgreich gelöst.“ In seinem Buch „Perestrojka“ vertrat er ein Jahr später dieselbe Meinung, fügte jedoch hinzu, dies bedeute „noch lange nicht, daß nationale Prozesse problemlos verlaufen.

“ „Nicht problemlos“ – damit umschrieb er Aufstände in Kasachstan 1986, „wochenlange Demonstrationen von Krimtataren für das Recht auf Rückkehr in ihre alte Heimat“ 1987; „nicht problemlos“ - das bedeutete noch im selben Jahr blutige Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach, die sich monatelang ohne Lösung des Konflikts durch die Zentralregierung hinzogen. Allerdings bezeichnete Gorbatschow die Nationalitätenpolitik nun als „grundsätzlichste und vitalste Frage unserer Gesellschaft“ und kündigte „in naher Zukunft“ Sondersitzungen des Zentralkomitees an. Im Laufe des Jahres 1988 spitzte sich der Konflikt immer mehr zu („in vielen Republiken – allen voran den drei baltischen – erfuhren ab Ende 1988 die nationalen Symbole (...) eine umfassende Renaissance, was gleichzeitig gegen die kommunistischen Dominanzzeichen (.

..) gerichtet war“) – und gipfelte im November in der Souveränitätserklärung Estlands, der weitere folgten. Es kam zu einem "Krieg der Gesetze“ zwischen Union und Republiken. Reformversuche der Regierung seien, heißt es in der Literatur, „viel zu spät“, „unsystematisch“ und „halbherzig“ gewesen. 1990 erklärten nach Wahlsiegen nicht-kommunistischer Parteien die baltischen Staaten, sowie Georgien und Armenien ihre Unabhängigkeit, erkannten sich gegenseitig diplomatisch an und schlossen zwei- oder mehrseitige Verträge.

Die Ratlosigkeit der Regierung zeigte sich im Entwurf eines neuen Unionsvertrages zur Gründung einer „Union der Souveränen Sowjetrepubliken“ (USS), der der Realität in keiner Weise entsprach. Mit ihm habe, kommentiert der Historiker Anton Bebler, Gorbatschow „die Quadratur des Kreises vollzogen, indem er sowohl den Unionsrepubliken als auch der Union selbst Souveränitätsrechte zugestand. In dem Vertragsentwurf wurden den Republiken das Eigentumsrecht an ihren eigenen Ressourcen zugesprochen, während die wesentlichen imperialen Vollmachten in den Händen der Sowjetbürokratie und bei der Zentrale blieben.“ Im Gegensatz zur früheren Fassung von 1977, die den Unabhängigkeitserklärung von Republiken zumindest theoretisch zuließ, „sollte, so Gorbatschow, keiner Republik der Austritt aus der Sowjetunion gestattet werden – höchstens nach dem neuen Gesetz vom 3. April 1990, das in Wirklichkeit eine Verhinderung des Austritts war.“ Mit Berufung auf die dementsprechende Ungesetzlichkeit der Unabhängigkeitserklärungen kam es „Mitte 1991 im Baltikum zu offenen Repressalien, Terrorisierung der Bevölkerung und zum Einsatz der Streitkräfte“ .

Für die nationalen und die demokratischen Bewegungen war der Vertrag der „Versuch, die alten, hierarchischen und zentralistischen Strukturen aufrechtzuerhalten“, während konservative und reaktionäre Kreise in ihm „den Anfang vom Ende der Sowjetunion“ sahen, was auch das Ende ihrer Macht bedeutet hätte. Unmittelbare Folge des Konflikts war der Putsch im Jahr 1991, in dessen Folge Gorbatschow drei Tage lang in seinem Haus auf der Krim festgehalten wurde. „Nicht die KPdSU putschte; es wurde auch nicht im Namen der Bewahrung des zentralbürokratischen Sozialismus geputscht, sondern aus ‚sowjetpatriotischen‘ Motiven“.    5. Das Verhältnis zum Ausland  Amalrik spielt in seinem Essay die verschiedenen möglichen Ursachen des Zusammenbruchs durch – mehr oder weniger ausführlich. Allein nach quantitativen Gesichtspunkten beurteilt, wird jedoch schon deutlich, was seiner Meinung nach Ausgangspunkt eines sowjetischen Niedergangs sein wird: auf 75 Seiten breitet Amalrik seine Analysen des Staates und der Gesellschaft, seine Thesen über die Zukunft der Demokratischen Bewegung und deren Rückhalt im Volk und seine Prognosen über den Zusammenbruch des Sowjetimperiums aus.

Mehr als ein Viertel des ganzen Aufsatzes – genau 27 Seiten – sind dabei für die Außenpolitik der UdSSR bestimmt, für das Verhältnis zur USA und zu den sozialistischen Staaten Europas, vor allem aber zu China. 5.1. Prognosen über die Außenpolitik der UdSSR5.1.1.

Krieg mit China  „Die unerbittliche Logik der Revolution (führt) China zum Kriege hin, der, wie es die chinesischen Führer hoffen, die schwierigen ökonomischen und sozialen Probleme Chinas lösen und ihm eine führende Rolle in der heutigen Welt sichern soll.“    Für Amalrik ist ein Krieg zwischen der UdSSR und China aus politischen, ideologischen und geographischen Gründen „unerbittlich logisch“. Seine Ausgangshypothese ist, dass die sozialistische Revolution in China „genau die gleichen Etappen“ durchlaufe wie die sowjetische. Diese unterteilt er in eine internationale, eine nationale und eine militärisch-imperialistische Phase, die sich allgemein durch Expansionsstreben auszeichne und im Fall der Sowjetunion „mit der Kontrolle über halb Europa“ geendet habe. Nach Amalriks Theorie hatte das China der 70er Jahre sowohl die internationale als auch die nationale Phase durchlaufen. Ein Krieg ist also allein nach ideologischen Gesichtspunkten für Amalrik vorprogrammiert.

Zusätzlich biete er jedoch, so der Historiker, einerseits die Möglichkeit zur Lösung sozialer und wirtschaftlicher Probleme und andererseits zur „nationalen Rache für jahrhundertelange Demütigung und Abhängigkeit“. Als Expansionsobjekte seien für China drei Staaten bzw. Räume möglich: die USA, die UdSSR und allgemein der südasiatische Raum. Zu einem Krieg mit der USA ist China jedoch laut Amalrik vom militärischen Gesichtspunkt aus „keinesfalls in der Lage“. Damit scheide auch eine Expansion in den Süden Asiens, der unter amerikanischem Schutz stehe aus, da es andernfalls „zu zermürbenden lokalen Kriegen nach Art des Vietnamkrieges“ kommen könne. Ein Krieg in dieser Region sei umso gefährlicher, da „im Norden ein heimtückischer Feind steht, der bereit ist, jeden Fehler Chinas auszunutzen“ – die Sowjetunion.

Die Ausschaltung dieses Feindes und die Eroberung seiner wirtschaftlich interessanten Gebiete müsse also logischerweise Ziel chinesischer Außenpolitik sein. Diese Überlegungen könnten außerdem auch das Sowjetregime zu einem „präventiven Schlag“ seinerseits veranlassen.   „Und die USA?“   „Die Frage der Annäherung der USA an die UdSSR oder an China (muß) nicht nur auf der Gleichheit der Kräfte und auf den negativen Bestreben, die eigene Ausnahmestellung zu erhalten basieren, sondern auch auf der Gemeinsamkeit irgendwelcher positiven Interessen. (...

) Was gibt es schon Gemeinsames zwischen einem demokratischen Land mit seinem Idealismus und seinem Pragmatismus und einem Land ohne Glauben, ohne Tradition, ohne Kultur und ohne die Fähigkeit, irgend etwas richtig zu machen?“    Eine amerikanisch-sowjetische „Front gegen Gelb“ ist für Amalrik aus oben genannten Gründen unwahrscheinlich. Ein „rassenfanatischer Standpunkt“ seitens der USA wäre „sehr bedauerlich“, aber auch genauso unwahrscheinlich, da China mit steigendem Lebensstandard „in eine Periode der Liberalisierung eintreten (werde), was in Verbindung mit seinem traditionellen Glauben an geistige Werte aus ihm einen ausgezeichneten Partner für das demokratische Amerika machen würde.“  5.1.3. Das Verhältnis zu Europa  „Es (wird) vermutlich zur Wiedervereinigung Deutschlands kommen, (was) mit dem Prozeß der „Entsowjetisierung“ Osteuropas zusammenfallen und diesen stark beschleunigen würde.

“  Ausgangspunkt für Amalrik ist auch bei der „europäischen Frage“ der Krieg mit China, der „Kräfte der Sowjetunion in den Osten verlagern (werde)“ und so der „Verteidigung sowjetischer Interessen in Europa“ im Weg stehen werde. Mögliche Varianten des europäischen Umbruchprozesses seien „die ungarische, die rumänische und die tschechoslowakische“, allerdings „dürften höchstwahrscheinlich nationalkommunistische Regimes entstehen“, die in den einzelnen Ländern Ähnlichkeit mit dem vorkommunistischen Regime haben würden. Im Falle einer sowjetischen Okkupation dieser Staaten werde die UdSSR in einen Zweifrontenkrieg zwischen China und Europa geraten, „worauf sich die UdSSR natürlich nicht einlassen kann.“ 5.2. Entwicklung der sowjetischen Außenpolitik 5.

2.1. Perestrojka in der sowjetischen AußenpolitikZiel der sowjetischen Regierung war es Anfang der 80er Jahre „möglichst viel Zeit, Mittel, Aufmerksamkeit und Phantasie auf die Lösung der enormen inneren Umstellungsprobleme zu verwenden. Dazu bedarf es eines relativ entspannten internationalen Klimas, das der UdSSR einen weitgehenden Rückzug von den überambitionierten Positionen und Engagements der 70er Jahre erlaubt.“ Nicht Krieg und Expansion – wie von Amalrik vorhergesagt – bestimmten also die sowjetische Außenpolitik, sondern internationale Entspannung. In einer Grundsatzrede konkretisierte 1987 der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse Ziel und Weg der Außenpolitik, die in Verringerung der militärischen Konkurrenz, Beseitigung bestehender Konfrontationen zu anderen Staaten und Dämpfung von Konflikt- und Krisensituationen bestehen sollten.

Konkrete Ereignisse waren beispielsweise das erste sowjetisch-amerikanisches Gipfeltreffen im November `85 in Genf, das auf Initiative der UdSSR zustandegekommen war. 1986 stellte Gorbatschow die Idee eines „gemeinsamen europäischen Hauses“ vor, ab 1988 unterhielten der Rat für gemeinsame Wirtschaftshilfe (RGW) und die Europäische Gemeinschaft (EG) offizielle Beziehungen. Am deutlichsten wurde der Wandel der sowjetischen Außenpolitik jedoch in der Aufgabe der ideologischen wie politischen Hegemonialmacht im Osten Europas. Die Vereinigung Deutschlands fand 1990 auch durch die Vermittlung Gorbatschows statt  5.2.2.

Der ChinakonfliktDer Konflikt zwischen China und der Sowjetunion war in ideologischen Gegensätzen begründet. Der chinesische Kommunismus war geprägt von dem jahrzehntelangen Partisanenkampf der 30er und 40er Jahre und von der siegreichen Revolution 1949 geprägt. Staat und Partei waren Teil und Ergebnis einer revolutionären, dynamischen Kraft. Die UdSSR dagegen zeichnete sich auch nach Ende der Diktatur Stalins durch bürokratischen Zentralismus aus, die KPdSU war bloßes Machtinstrument. Zu diesen unterschiedlichen ideologischen Ausgangspunkten kam hinzu, dass beide Staaten auf verschiedenen Entwicklungsstufen standen und damit unterschiedliche Ziele und Interessen in Wirtschaft sowie in Außen- und Innenpolitik vertraten. Dieser Gegensatz wog umso schwerer, da der Kommunismus immer als ahistorische Ideologie gesehen wurde, die unabhängig von Ort und Zeit gleich ablaufen sollte.

Der Konflikt gipfelte Ende der 60er Jahre in Grenzstreitigkeiten am Ussurifluss. In der Folge warf China der Sowjetunion „Sozialimperialismus“ vor und bezeichnete deren Regierung als „neue Zaren im Kreml“ – für Kommunisten waren beides schwerwiegende Vorwürfe, die von tiefen Konflikten in dieser Zeit zeugten. In den 60er und 70er Jahren durchlief China jedoch die Entwicklung, die die Sowjetunion unter Gorbatschow erst ein Jahrzehnt später erfasste. Die Kulturrevolution (1965-1969) stürzte China in eine tiefgreifende wirtschaftliche Krise. Nach dem Tode Mao Zedongs und der Entmachtung der alteingesessenen Kader gelangte Deng Xiaoping an die Macht, der wie Gorbatschow auf einen „Kurs der administrativen und wirtschaftlichen Konsolidierung“ umschwenkte. Ziel der chinesischen Politik war „‘sozialistische Modernisierung‘ in Gestalt von Wirtschaftsreformen und Öffnung zur Außenwelt“.

Diese Veränderungen im Innern ließen außenpolitische Ambitionen vonseiten Chinas nicht mehr zu. Die Verfolgung ideologischer Ziele rückten in den Hintergrund und damit auch der Konflikt mit dem „Freund-Feind“ UdSSR.    5.3. Zusammenfassung  Mit der Vorhersage seines sowjetisch-chinesischen Krieges hat sich Amalrik am offensichtlichsten geirrt. Dies wiegt umso schwerer, da für den Autor dieser Konflikt Ausgangspunkt sämtlicher von seinen Analysen ist.

Ursache der Fehleinschätzung ist die bereits erwähnte wirtschaftliche Überschätzung der UdSSR und auch Chinas. Beide Staaten hatten wenn auch phasenverschoben in den 70er und 80er Jahren innere Probleme zu bekämpfen. Für Expansion blieben weder die finanziellen, noch die militärischen Mittel.  C Zusammenfassende Analyse des Essays und seiner Bedeutung  Ein „Prophet“ oder „Seher“, wie es im Nachwort des Essays heißt, war Amalrik nicht. Er hat die Schwerpunkte falsch gesetzt. Aus der Fehleinschätzung der Stärke der UdSSR zieht Amalrik logische, in der Konsequenz aber oft falsche Schlüsse über die Auslöser und den Charakter des sowjetischen Niedergangs.

Umso zutreffender sind jedoch seine Aussagen über den Verlauf dieses Zusammenbruchs: über die Auflösung der Hegemonialmacht Sowjetunion in Osteuropa, die „nicht ganzen und nicht halben“ Reformversuche vonseiten des Regimes, die Auflösung des Nationalstaates. Und dennoch – die wirkliche Bedeutung des Essays liegt nicht so sehr in der Aufstellung genauer Prognosen über das „wann“ und „wie“ des Zusammenbruchs. Amalrik war kein „Prophet“, wollte nie als einer gesehen werden. „Ich glaube, man muss sich die schlimmste aller Möglichkeiten vor Augen halten, um für die beste arbeiten zu können“, sagte er 1976 gegenüber dem SPIEGEL. In seinem Vorwort schreibt er: „Ich möchte unterstreichen, daß mein Aufsatz nicht auf irgendwelchen Forschungen, sondern nur auf Beobachtungen und Überlegungen beruht. Von diesem Gesichtspunkt aus kann er als leeres Geschwätz erscheinen; in jedem Fall aber“- und darin liegt der eigentliche Sinn des Essays – „wird er bei den westlichen Sowjetologen das Interesse erregen, das bei den Ichthyologen ein plötzlich sprechender Fisch hervorrufen würde.

“ Interesse erregte er in der Tat: „er ist kein Prophet und Künder, kein Fanatiker für oder wider das Regime. Er ist ebensowenig revolutionär wie orthodoxer Dogmatiker, sondern ein von außen und oben seine Sache analysierender, aufgeklärter und toleranter Publizist (...) Amalrik (ist) mit genau den Qualitäten ausgestattet, die in der russischen Geistesgeschichte so ungemein selten sind.“ – schreibt der Journalist Andreas Graf Razumosky – offensichtlich fast erstaunt.

Die Analysen und Prognosen Amalriks erschienen dem Westen so untypisch für einen Bürger der Sowjetunion, dass in der Presse – zuerst in der „Washington Evening Star“, später auch im SPIEGEL - offen spekuliert wurde, Amalrik kooperiere mit dem russischen Geheimdienst. „Amalriks Argumentation“, schrieb der SPIEGEL, „läßt auf einen Autor schließen, der besser informiert ist als die meisten Spitzenfunktionäre“ – und zitiert dann die Ost-Expertin Wanda Bronska-Pampuch: „Wie so häufig in letzter Zeit kommt einem der Gedanke, daß das Herausschmuggeln von Manuskripten aus der Sowjetunion bereits zu einem Geschäft geworden ist, das der Sicherheitsdienst zumindest infiltriert hat, wenn er es nicht gar zu seinem eigenen gemacht hat“ Das Sowjetregime müsste, so die Argumentation des SPIEGEL, wie bei den anderen Fällen vorsorglich versuchen &bdqu

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