Die neue ostpolitik willy brandts
Die neue Ostpolitik Willy Brandts
è "Wandel durch Annäherung"
Willy Brandt: Visionär und Realist
Durch seine Politik wurde der Eiserne Vorhang ein wenig durchlässiger. Als Kanzler der Versöhnung ging er in die Geschichte ein. Hier eine kurze Biographie Brandts:
Als Herbert Frahm 1913 in Lübeck geboren, wächst Willy Brandt beim Großvater auf. Früh engagiert er sich in der sozialistischen Jugendbewegung und schreibt für die Lübecker SPD-Zeitung. Nach Hitlers Machtergreifung emigriert er nach Oslo und erlangt fünf Jahre später die norwegische Staatsangehörigkeit. Nach der Besetzung Norwegens geht er nach Schweden, wo er als Felix Franke bis Kriegsende journalistisch und politisch arbeitet.
Als Korrespondent kehrt er ins Nachkriegsdeutschland zurück und nimmt am Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess teil. 1947 lässt er sich wieder einbürgern und geht als Willy Brandt nach Berlin in die Politik.
"Wandel durch Annäherung"
Historische Geste: Der Kniefall von Warschau
Von 1957 bis 1966 ist Willy Brandt Regierender Bürgermeister von Berlin. Nach dem Mauerbau entwickelt er mit Egon Bahr dem Staatssekretär im Kanzleramt der Regierung Brandt/Scheel, seine außenpolitischen Leitgedanken: "Politik der kleinen Schritte" und "Wandel durch Annäherung".
1966 wird Brandt Vizekanzler und Außenminister. Drei Jahre später ist er Bundeskanzler und will: "Mehr Demokratie wagen".
Als Kanzler der Versöhnung treibt Brandt seine Ostpolitik voran. Die Treffen mit DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph entspannen das gegenseitige Verhältnis. Der Grundlagenvertrag mit der DDR und die Gewaltverzichtsabkommen mit Moskau und Warschau sorgen für mehr Stabilität in Europa. Am 7. Dezember 1970 kommt es zum legendären Kniefall Willy Brandts vor dem Ehrenmal des jüdischen Ghettos in Warschau. Diese spontane Geste zeigt, dass Macht und Moral kein Widerspruch sein müssen.
Als Dank erhält er 1971 den Friedensnobelpreis.
Ein Jahr später zieht die SPD als stärkste Fraktion in den Bundestag. Doch als 1974 sein Referent Günther Guillaume als DDR-Spion enttarnt wird, muss er als Bundeskanzler zurücktreten. Willy Brandt bleibt aber SPD-Vorsitzender und nutzt sein ungebrochenes Ansehen auf internationaler Bühne, um Chef der Sozialistischen Internationale zu werden.
"Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört"
Außenpolitisch konzentriert sich Brandt auf seine Ostpolitik, innenpolitisch versucht er die Strömungen innerhalb der SPD zu vereinen. Mitte der 80er Jahre gerät seine unangefochtene Position an der Spitze der Partei allerdings ins Wanken: 1987 muss er als SPD-Vorsitzender zurücktreten.
Vor allem in den Monaten um den 9. November 1989 erhält Willy Brandt breites Gehör. Er ruft den Deutschen die historische Tragweite des Umbruchs ins Bewusstsein. "Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört." wird gleichzeitig zur Mahnung, Drohung und Hoffnung für alle Deutschen. Nach langer Krankheit stirbt Willy Brandt drei Jahre später am 9.
Oktober 1992 an Krebs.
Der Wahlsieg der SPD am 1969 und die Annäherung an die DDR
Machtwechsel
Der Machtwechsel begann mit der Wahl des neuen Bundespräsidenten, Gustav Heinemann, am 5. März 1969, der von der SPD gestellt wurde. Bei der Wahl zum Bundestag am 28. September 1969 gewann die SPD über 40% der Stimmen. Der deutsche Bundestag wählte Willy Brandt am 21.
Oktober zum Bundeskanzler einer sozial-liberalen Koalition ( SPD und FDP) .
Mit der Regierungserklärung Brandts wagte sich die Bundesregierung dann in politisches Neuland vor: Zum ersten Mal wurde von der Existenz "zweier Staaten in Deutschland" gesprochen. Damit machte die Bundesregierung deutlich, dass sie bereit war alte Rechtspositionen zu verlassen und die Ergebnisse der Geschichte - die Realität - anzuerkennen.
In seiner Regierungserklärung nannte Brandt unter anderem als Schwerpunkte seiner Politik:
ð Einheit der deutschen Nation und Recht auf Selbstbestimmung (d.h. DDR ist kein
Ausland) .
ð Wandel und Reformen in der Sozialpolitik, finanzielle und wirtschaftliche Stabilität.
Die neue Ostpolitik
Ziele Deutschlands:
ð Die Aussöhnung mit den östlichen Nachbarn gestalten, sowie die Aussöhnung mit Frankreich.
ð Den "Kalten Krieg" in Deutschland überwinden. Die Folgen der Spaltung
Deutschlands für die Menschen in West und Ost erträglicher gestalten.
ð Humanisierung der innerdeutschen Beziehungen.
ð Mit der UdSSR über Erleichterungen in Europa und Deutschland reden und die
Verbesserungen vertraglich absichern.
ð Deutschland als Hauptkriegsschauplatz des Kalten Kriegs und eines möglichen 3. Weltkriegs sicherer machen.
ð Aufnahme in die UNO.
Das Konzept der Ostpolitik sah vor, zunächst mit der Sowjetunion über einen Gewaltverzicht und einer Bestätigung des Status-quo zu verhandeln. In Gesprächen mit Polen sollte eine Lösung für das Oder-Neiße-Problem gefunden und zusammen mit der Tschechoslowakei die Nichtigkeit des Münchner Abkommens von 1938 bestätigt werden. Zur Klärung der Berlin-Frage wollte man auf ein Abkommen zwischen den Vier Mächten hinwirken.
ð Diese Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition sollte eine Friedenspolitik sein und der Entspannung auf dem ganzen Kontinent dienen.
Ziele des Ostblocks:
ð Anerkennung ihres Systems, Gleichberechtigung, Anerkennung aller Grenzen, Wirtschaftshilfe und technisches Know How durch Handel und Investitionen, Überwindung des teuren Kalten Kriegs mit Wettrüsten.
In Moskau reagierte man auf die Wahl Brandts und seine Regierungserklärung positiv und schlug der neuen Bundesregierung die Aufnahme von Gesprächen zum Thema Gewaltverzicht vor. Auch die Unterzeichnung des "Vertrags über die Nichtverbreitung von Atomwaffen" (Nonproliferationsvertrag) durch die Bundesrepublik am 28. November 1969 hatte die Sowjetunion von der Ernsthaftigkeit der Absichten der Bundesregierung überzeugt.
Dieser "Wandel durch Annäherung", wie Brandt die Politik gegenüber dem Osten beschrieben hatte, vollzog sich in mehreren Schritten:
Der Moskauer Vertrag
Am 8.
Dezember kam es zu ersten offiziellen Gesprächen zwischen dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko und dem deutschen Botschafter in Moskau, Helmut Allardt, in denen die unterschiedlichen Positionen erörtert wurden. Die sowjetische Regierung wollte einer Gewaltverzichtserklärung nur zustimmen, wenn die Bundesrepublik die DDR anerkennen und die europäischen Grenzen als unveränderlich bestätigen würde, während die Bundesregierung nur bereit war, "die Grenzen als unverletzlich [...] anzuerkennen."
Um die Gespräche voranzubringen, entsandte Brandt seinen Freund und Berater, Staatssekretär Bahr, nach Moskau, wo dieser im Januar 1970 zum ersten Mal mit Gromyko zusammentraf.
Die schwierigen Verhandlungen zwischen dem 30. Januar und 22. Mai 1970 führten zum sogenannten "Bahr-Papier", einem Entwurf für den zu schließenden deutsch-sowjetischen Vertrag, in dem sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtete, "heute und künftig die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich" zu betrachten; also auch die innerdeutsche Grenze und die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens. Zusammen mit dem Verzicht auf alle eventuellen Gebietsansprüche durch die Bundesrepublik Deutschland konnte die Sowjetunion so zu Zugeständnissen bewegt werden; sie verzichtete auf ihr Interventionsrecht in der Bundesrepublik, das auf den Feindstaatenartikeln 53 und 107 der Charta der Vereinten Nationen beruhte.
Ende Juli reiste Außenminister Walter Scheel nach Moskau, um nun die abschließenden Verhandlungen mit Gromyko zu führen. Zusammen mit dem Stab des Auswärtigen Amtes machte Scheel in Moskau deutlich, dass man keinen Vertrag schließen könne, der einem Friedensvertrag vorgreifen und die Rechte der Alliierten untergraben würde; Außerdem verständigte man sich auf einen grenzbezogenen Gewaltverzicht, betonte die Notwendigkeit einer Lösung in der Berlin-Frage und die Unabhängigkeit des Moskauer Abkommens von früher geschlossenen Verträgen.
Anlässlich der Vertragsunterzeichnung am 12. August 1970 durch die Regierungschefs Brandt und Kossygin, den Außenministern Scheel und Gromyko wurde dem sowjetischen Außenministerium der von Scheel verfasste "Brief zur deutschen Einheit" übergeben. In ihm stellte die Bundesregierung fest, dass der Moskauer Vertrag "nicht im Widerspruch zu dem politischen Ziel der Bundesrepublik Deutschland steht, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt." Der Inhalt des Briefes wurde von der sowjetischen Regierung zur Kenntnis genommen und vom Obersten Sowjet bei der Ratifizierung des Moskauer Vertrages berücksichtigt. Zwar hatte die sowjetische Seite die gewünschte Anerkennung der deutschen Teilung durch den Moskauer Vertrag erhalten, aber die deutsche Seite hatte die Option auf eine Wiedervereinigung auch nach dem Vertrag offengehalten. Außerdem war mit einer Bestätigung der Grenzen als "unverletzlich" (nicht unverrückbar, wie Gromyko wollte), eine Änderung oder Aufhebung dieser Grenzen mit Einverständnis der Beteiligten auch in Zukunft möglich.
ð Moskauer Vertrag vom 12. August 1970: Die UdSSR wie die BRD erkennen den geographischen Status quo nach dem Zweiten Weltkrieg an, d.h. auch die Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze und die Grenze zwischen der BRD und der DDR, und verpflichten sich, Streitfragen friedlich zu lösen.
Der Warschauer Vertrag
Parallel zu den Verhandlungen in Moskau fanden in Warschau erste Orientierungsgespräche zwischen dem deutschen Staatssekretär Georg Duckwitz und dem stellvertretenden Außenminister Polens, Jozef Winiewicz, statt.
Ziel der Bundesregierung war es, auch mit Polen ein Abkommen zur Normalisierung der beiderseitigen Beziehungen zu treffen und somit einen weiteren Beitrag zur Aussöhnung der Deutschen mit den Völkern Osteuropas zu leisten.
Aber "in Polen hätte man es gerne gesehen, wenn die Bundesregierung ihren ersten Vertrag in Warschau unterzeichnet hätte." Denn kaum eine andere Frage in der Ost-West-Entspannung war so brisant wie die Oder-Neiße-Linie. Nachdem sie im Potsdamer Abkommen zur Westgrenze Polens erklärt worden war, wollte man aus polnischer Sicht nun eine endgültige Festschreibung erreichen.
Weitere Verhandlungsgegenstände, die heftig diskutiert wurden, waren der Status der deutschen Minderheit in Polen, deren Ausreisemöglichkeiten, und die von den Polen geforderte Wiedergutmachung für das unter Hitler erlittene Leid in Form von "wirtschaftlicher Zusammenarbeit zu besonders günstigen Bedingungen."
In der endgültigen Vertragsfassung wurde die Oder-Neiße-Linie als westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen durch die Bundesrepublik bestätigt, deren "Unverletzlichkeit jetzt und in der Zukunft" anerkannt und außerdem ein beiderseitiger Gewaltverzicht vereinbart.
Im Gegenzug war die polnische Regierung bereit, die Ausreise von Personen deutscher Volkszugehörigkeit zu erleichtern.
Eine weitere Problematik des Vertrages bestand in der Frage seiner Gültigkeitsdauer. Die Bundesrepublik war der Auffassung, der Vertrag mit Polen sei nur bis zu einem Friedensvertrag bzw. einer Wiedervereinigung Deutschlands gültig, da die Bundesregierung nur für die Bundesrepublik handeln könne; die Aufnahme dieser Formulierung in den Vertrag scheiterte am Widerstand der polnischen Regierung, und man ließ dieses Problem ungelöst. (Erst am 14. November 1990 wurde ein Grenzabkommen zwischen Polen und dem wiedervereinigten Deutschland geschlossen, dass die Oder-Neiße-Grenze völkerrechtlich definitiv anerkannte.)
Anlässlich der Vertragsunterzeichnung in Warschau am 7.
Dezember 1970 durch Brandt und Scheel bzw. Ministerpräsident Jozef Cyrankiewicz und Außenminister Stefan Jedrychowski, besuchte Brandt das Denkmal des Warschauer Ghettos und kniete vor ihm nieder. Dieser berühmt gewordenen "Kniefall von Warschau" sollte als demütige Geste die Versöhnungsbereitschaft der Bundesrepublik gegenüber Polen zeigen. Sie erleichterte alle weiteren Gespräche im Ostblock.
=> Warschauer Vertrag am 7. Dezember 1970:
Im Vertrag wurde die bestehende Grenze bekräftigt, zudem sollen die beiden Länder wirtschaftlich zusammenarbeiten und humanitäre Probleme lösen dies bedeutete vor allem die Umsiedlung von in Polen lebenden Deutschen, deren Angehörige in der BRD lebten.
ð Beide Verträge waren im Bundestag sehr umstritten; sie führten zu einem Misstrauensvotum am 27. April 1972, bei dem aber der Kandidat der CDU/CSU, Rainer Barzel, nur 247 statt 249 Stimmen erhielt.
ð Am 19. November 1972 wurde vorzeitig neu gewählt, weil die Austritte aus der SPD (so umstritten war die neue Ostpolitik) zu einer Pattsituation zwischen den großen Parteien führte. Allerdings gewann die SPD dann 45,8 % der Stimmen und wurde damit stärkste Partei im Parlament.
Probleme:
Alle Verhandlungen wurden von der deutschnationalen Opposition als Ausverkauf deutscher Interessen und als Verzichtpolitik verurteilt.
Brandt wurde als Verräter und Handlanger Moskaus denunziert. Die Vertriebenenverbände, die CSU und Teile der CDU versuchten die Verträge zu stoppen.
Die Aussöhnung war wegen der Vertreibung und der Verbrechen im Zusammenhang damit sehr schwer. Jede Grenzanerkennung, jede Akzeptanz des Status Quo musste auf einen Verzicht auf alle Gebiete östlich der Oder-Neiße-Grenze hinauslaufen. Dieser fiktive Anspruch war von der Regierung Adenauers im Kalten Krieg immer wieder betont und vertreten worden, so dass die Verbände der Schlesier, der Ostpreußen und der Pommern gegen alle Aussöhnung unter Verzicht ihrer "Heimat" agitierten. Die rechten Medien in der BRD unterstützten diese Kampagne gegen die sozialliberale Regierung.
In Polen und der UdSSR bestanden wegen der vielen Opfer deutscher Verbrechen während des Krieges und unter dem Deckmantel des Krieges große Vorbehalte. Die BRD war in der Kalten-Kriegs-Propaganda immer wieder als Fortsetzung des faschistischen Deutschlands bezeichnet worden, so dass viele den "Wandel zur Annäherung" nicht verstanden.
Im September 1973 wurden dann beide deutsche Staaten in die UNO aufgenommen. Alle EG-Staaten schickten daraufhin Botschafter auch in die DDR, und ab 1974 gab es eine sogenannte ständige Vertretung beider Länder, ( keine Botschaften) .
è Fazit:
Die Ostverträge ziehen wie die Aussöhnung mit Frankreich und den anderen Westsiegern auch einen Schlussstrich unter den 2. Weltkrieg.
Dessen Folgen werden aber nicht überwunden (Teilung Deutschlands, Gebietsverluste im Osten ). Der Kalte Krieg ist in Deutschland damit praktisch beendet, eine Zusammenarbeit in Deutschland zum Wohle der Menschen beginnt.
Das "Vier-Mächte-Abkommen"
In der Berlin-Frage konnte man die Sowjetunion davon überzeugen, dass der deutsche Bundestag die in Moskau und Warschau geschlossenen Verträge nicht ratifizieren würde, wenn es nicht zu einer angemessenen Regelung der Verhältnisse in und um Berlin kommen würde.
Dieses "Berlin-Junktim" wurde am 30. Oktober 1970 vom russischen Außenminister Gromyko, der eigens dafür als erster sowjetischer Politiker nach 12 ½ Jahren wieder Bonn besuchte, akzeptiert und verband fortan das Schicksal der Ostverträge mit dem Verlauf der Vier-Mächte-Verhandlungen ab März 1970 in Berlin.
ð Die Berlin-Blockade 1948/49, die Kriegsdrohungen der Sowjetunion Ende der fünfziger Jahre, der Mauerbau 1961 und die ständigen Schikanen auf den Zufahrtswegen hatten gezeigt, dass die Stadt über zwanzig Jahre lang der Krisenherd Europas gewesen war.
Ziel der westlichen Alliierten - und der Bundesrepublik - war es, den zivilen Zugang nach Westberlin zu sichern. Darüber hinaus wollte man die von John F. Kennedy formulierten "Three Essentials" wahren:
Das Recht der drei Westmächte auf Anwesenheit in Berlin.
Das Recht auf freien Zugang der Westmächte in die DDR.
Die Gewährleistung der Selbstbestimmung und freie Wahl der Lebensform für die Bewohner Westberlins.
ð Die Vereinigten Staaten waren auch deshalb am Zustandekommen eines Berlin-Abkommens interessiert, weil man erst nach der Ratifizierung der Ostverträge im Deutschen Bundestag einen amerikanisch-sowjetischen Entspannungsdialog in der Rüstungskontrolle erfolgreich abschließen konnte.
In dem am 3. September 1971 unterzeichneten Abkommen wurden die "Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten", das Recht der drei Westmächte auf Anwesenheit und das Zugangsrecht bestätigt. Außerdem wurde vereinbart, dass der Transitverkehr "ohne Behinderungen" stattfinden sollte. Das sogenannte "Transitabkommen", das in direkten Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu Stande kam. Es ergänzte die Bestimmungen über den verbesserten Zugang und die Reisemöglichkeiten.
Hinsichtlich der Bindung zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin wurde erklärt, dass diese "aufrechterhalten und entwickelt" würden, dass aber West-Berlin weiterhin "kein Bestandteil (konstitutiver Teil) der Bundesrepublik Deutschland" sei und nicht von ihr regiert werde.
ð Trotz der - wie auch schon in den Ostverträgen - verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten einzelner Vertragspunkte hatte das Vier-Mächte-Abkommen Stabilität geschaffen. Durch die bessere Regelung über die Zugangswege - zum einen für den Transit und die Reisen von und nach West-Berlin, und zum anderen von West-Berlin und der Bundesrepublik nach Ost-Berlin und in die DDR - konnte man einen Bereich, in dem die Bundesrepublik und die Westmächte sehr anfällig für Druck aus der Sowjetunion und der DDR gewesen waren, entschärfen.
Die neue "Deutschlandpolitik"
Wenige Tage nach seinem Regierungsantritt erklärte Bundeskanzler Brandt: "Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein." Damit zeichnete sich der Wandel in der bisher von einer meist konsequenten Durchsetzung der Hallstein-Doktrin geprägten Deutschlandpolitik ab; zum ersten Mal zeigte eine Bundesregierung die Bereitschaft, die Existenz der DDR als zweiten Staat in Deutschland anzuerkennen.
1. Mit Beginn der Neuen Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr wurden die deutsch-deutschen Beziehungen auf eine neue, eine vertragliche Ebene gehoben.
Die Deutschen öffneten sich in Richtung Osten. Die neue Ost- und Deutschlandpolitik war zeitgemäß und überdies im Interesse der Menschen in beiden deutschen Staaten.
2. Da Fortschritte in den parallel laufenden Verhandlungen der Bundesrepublik mit der Sowjetunion und Polen die DDR-Führung in Zugzwang brachten, nahm sie das Angebot an, und es kam am 19. März 1970 zum ersten "innerdeutschen Gipfeltreffen" zwischen Stoph und Brandt in Erfurt. Das Treffen symbolisierte die faktische Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik und wurde wohl von beiden Teilnehmern in der Absicht geführt, Moskau zu beeinflussen.
Stoph formulierte Maximalziele, wie z.B. die sofortige Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Brandt ging in seinen Ausführungen auf Kompromiss und Dialog ein. Während dieser Verhandlungen kam es zu großen Sympathiebekundungen für Brandt durch die ostdeutsche Bevölkerung.
Ein weiteres Treffen zwischen Brandt und Stoph am 21.
Mai 1970 in Kassel brachte keine Veränderung in der Position beider Seiten. Brandt formulierte die "20 Punkte von Kassel", in denen er die deutschlandpolitischen Ambitionen der sozial-liberalen Regierung darlegte und bezüglich des Innenverhältnisses zwischen beiden deutschen Staaten
ð neben Gewaltverzicht und Anerkennung der Grenzen,
ð die Beibehaltung der Viermächte-Verantwortlichkeit für ganz Deutschland,
ð die Respektierung der Bindungen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin,
ð die Erweiterung des Reiseverkehrs zwischen der DDR und der Bundesrepublik,
ð Familienzusammenführungen und
ð sowohl wirtschaftliche, als auch kulturelle Zusammenarbeit forderte.
Im Zuge einer solchen Entspannung sollten ständige Bevollmächtigte in die beiden deutschen Hauptstädte entsandt und beide deutschen Staaten Mitglieder der Vereinten Nationen werden.
Die Gespräche wurden dann von der DDR eingestellt, weil sie immer noch hoffte, von der Bundesrepublik nicht nur faktisch, sondern auch völkerrechtlich anerkannt zu werden, weil sie Grund zur Annahme hatte, dass die Sowjetunion die DDR-Führung in dieser Hinsicht nicht unterstützen würde. Nach diesem Rückschritt wartete man auf die Ergebnisse der Verhandlungen in Moskau und Berlin.
Die am 15.
Juni von Egon Bahr und Michael Kohl begonnenen Gespräche auf Grundlage der "20 Punkte von Kassel" verliefen zunächst ergebnislos, da keine Einigkeit über die Qualität der "besonderen Beziehungen" hinsichtlich eines Botschafteraustausches, der Vier-Mächte-Verantwortlichkeit für ganz Deutschland usw. zu erzielen war.
Anfang September reiste der amerikanische Außenminister, Henry A. Kissinger, nach Moskau, um Breschnew klarzumachen, dass die USA gegen den Beitritt der DDR zu den Vereinten Nationen ein Veto einlegen würden, wenn sich die DDR-Führung weiterhin einer Anerkennung der Vier-Mächte-Verantwortlichkeit widersetze. Breschnew verstärkte daraufhin seine Einflussnahme bei den Verhandlungen und drängte die DDR, ihre unnachgiebige Haltung aufzugeben. In geheimen Gesprächen mit Honecker und während eines Besuches bei Gromyko in Moskau vom 8.
bis 10. Oktober konnte Egon Bahr den endgültigen Durchbruch in den Vertragsverhandlungen erzielen.
Inzwischen hatte Brandt - nach einer bewusst betriebenen Niederlage - bei der ersten Vertrauensfrage in der Geschichte der Bundesrepublik, Bundespräsident Heinemann um die Auflösung des Bundestages gebeten. Durch die anstehenden Neuwahlen, die am 19. November stattfinden sollten, gerieten die Verhandlungspartner unter Zeitdruck: Um der sozial-liberalen Koalition zu helfen, bei den Bundestagswahlen ihre Mehrheit zu behalten bzw. auszubauen, wollte sowohl die Bundesregierung, als auch die Sowjetunion einen Abschluss der Vertragsverhandlungen noch in den ersten Novembertagen erreichen.
Am 8. November 1972 schließlich konnten Bahr und Kohl den "Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen" paraphieren. Neben der Gewährung von Gleichberechtigung für die DDR kam man überein, "dass keiner der beiden Staaten den anderen international vertreten oder in seinem Namen handeln kann." Außerdem ging man davon aus, "dass sich die Hoheitsgewalt jeder der beiden Staaten auf sein Staatsgebiet beschränkt." Damit hatte die Bundesrepublik den Alleinvertretungsanspruch, also auch die Hallstein- bzw. Scheel-Doktrin, aufgegeben und der DDR Gleichberechtigung gewährt; ihr Staatscharakter wurde bestätigt, ohne sie völkerrechtlich anzuerkennen.
Die DDR bestätigte ihrerseits in einer Note an die Sowjetunion die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte; außerdem sollten keine Botschaften, sondern lediglich ständige Vertretungen am Sitz der jeweiligen Regierung errichtet werden, da die Bundesregierung weiterhin der Auffassung war, die DDR sei kein Ausland. In dieser nationalen Frage stimmte man ab, nicht übereinzustimmen. Die Bundesregierung übergab hierzu den "Brief zur deutschen Einheit", den die DDR - genauso wie die Sowjetunion - entgegennahm. Auch in "praktischen und humanitären Fragen" konnte man Vereinbarungen treffen, die Erleichterungen im Grenzverkehr, wie z.b. die Bewahrung und Wiederherstellung familiärer und nachbarschaftlicher Verbindungen, bringen sollten.
Die Vertragspolitik, die mit dem Abschluss des Grundlagenvertrages im Dezember 1972 ihren Höhepunkt erreichte war ein wesentlicher Bestandteil der deutsch-deutschen Beziehungen. Der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag war der wichtigste Staatsvertrag bis zum Einigungsvertrag von 1990. Er bildete die Basis für ein umfangreiches Vertragswerk, das in den siebziger und achtziger Jahren immer stärker ausgebaut wurde.
Dem Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 gingen zwei Gipfeltreffen zwischen Brand und Stoph voraus, eines in Erfurt, eines in Kassel. Beschlossen wurde ein Transitabkommen, das den Verkehr mit West-Berlin erleichterte, und ein Verkehrsvertrag, durch den es möglich wurde, nicht nur einmal jährlich, sondern mehrmals die Verwandten zu besuchen.
ð Beide Staaten respektieren ihre Selbständigkeit und die Unverletzbarkeit der Grenzen, sie richten ständige Vertretungen ein und arbeiten auf menschliche Erleichterungen hin.
ð Nicht geregelt ist die Frage der Staatsangehörigkeit.
ð Die Telefonverbindungen zwischen West- und Ost-Berlin wurden schon 1971 wieder hergestellt ( siehe "Vier-Mächte-Abkommen") .
ð Geplant und gebaut wurde eine Autobahn zwischen Berlin und Hamburg.
ð Die Eisenbahn-Verbindung zwischen Berlin und Helmstedt wurde ausgebaut.
ð Zudem räumte die BRD der DDR einen zinslosen Überziehungskredit ein.
Ein Rückschlag war dagegen die Tatsache, dass jeder Westbesucher Geld umtauschen musste und dass Honecker weiterhin verlangte, die DDR-Staatsbürgerschaft anzuerkennen.
Dieser Vertrag war in der BRD so umstritten, dass Bayern das Bundesverfassungsgericht fragte, ob er mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Das BVG hieß den Vertrag gut, wies aber darauf hin, dass die DDR nicht Ausland sei, sondern wie die BRD ein Teil des Deutschen Reiches.
Ohne dieses deutsch-deutsche Vertragswerk wäre die vom Westen gewollte Politik des "Wandels durch Annäherung" nicht möglich gewesen. Insofern schuf die Vertragspolitik der siebziger und achtziger Jahren auch Voraussetzungen für den 1989/90 vollzogenen Weg in die deutsche Einheit.
3.
Die deutsch-deutschen Beziehungen vollzogen sich zu jeder Zeit in starker Abhängigkeit von der Deutschlandpolitik der Sowjetunion. Praktisch kann man von einem Dreiecksverhältnis zwischen Bonn, Moskau und Ost-Berlin sprechen. Die Bundesregierung hat sowohl in den siebziger als auch den achtziger Jahren ihre offiziellen und inoffiziellen Verbindungen zur sowjetischen Führung genutzt, um unter Beachtung der sowjetischen Interessen in den Beziehungen zur DDR Fortschritte zu erreichen, die im Sinne der Menschen in beiden deutschen Staaten waren.
4. Das Dreiecksverhältnis zwischen Bonn, Moskau und Ost-Berlin basierte auf der schon bei Konrad Adenauer anzutreffenden Erkenntnis, dass der "Schlüssel zur Wiedervereinigung" in Moskau liege. Die DDR war weder in ihrer Außenpolitik noch in der Deutschlandpolitik wirklich souverän.
Dennoch hatte sie eigene Interessen. Diese lagen vor allem in der Durchsetzung ihrer weltweiten diplomatischen Anerkennung und in der UNO-Mitgliedschaft beider deutscher Staaten.
ð An die sowjetischen Ziele musste ebenso angeknüpft werden wie an die Interessen der DDR, um eigene Ziele durchzusetzen.
5. In den siebziger und achtziger Jahren hatte es trotz wechselnder Regierungen in der Bundesrepublik eine bemerkenswerte deutschlandpolitische Kontinuität gegeben. Nach dem Oktober 1982 knüpfte die neue Bundesregierung unter Helmut Kohl an die Deutschlandpolitik ihrer Vorgänger an und entwickelte diese vor allem auf dem Gebiet der Handelsbeziehungen weiter.
Die bestehenden Verträge wurden selbstverständlich respektiert und das Vertragswerk 1986/87 erheblich ausgebaut.
Für die DDR war der offizielle Besuch von SED-Generalsekretär Erich Honecker im September 1987 in der Bundesrepublik der Höhepunkt ihrer Deutschlandpolitik.
6. Noch Ende der achtziger Jahre gingen nahezu alle wichtigen deutschen Politiker von der Weiterexistenz der deutschen Zweistaatlichkeit aus. Kaum jemand konnte sich den politischen Zusammenbruch der Sowjetunion und des gesamten Ostblocks vorstellen. Das genau war aber die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Ende 1989 ein Prozess einsetzte, der kurzfristig die deutsche Zweistaatlichkeit überwand.
Das deutsch-deutsche Verhältnis bewegte sich zu jeder Zeit in einem politischen Dreiecksverhältnis mit den Eckpunkten Ost-Berlin, Moskau und Bonn. Ende der achtziger Jahre hatten zwei dieser Eckpunkte dramatisch an politischem Eigengewicht verloren, was zur Dominanz Bonns im Vereinigungsprozess führte.
ð Die von Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung geprägt Wendung, " auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein." blieb bis zum Tage der deutschen Einheit, dem 3. Oktober 1990, auch für die folgenden Regierungen der Bundesrepublik oberste Handlungsmaxime
ð Die Ergebnisse der sozial-liberalen Ost- und Deutschlandpolitik wurden zur Grundlage für neues Vertrauen zwischen Ost und West; eine Aussöhnung konnte nun nicht mehr nur auf politisch-diplomatischer, sonder auch auf zwischenmenschlicher Basis vorangetrieben werden.
Quellen:
Literarisch:
Willy Brandt - 1913-1992 - Visionär und Realist - von Peter Merseburger-
Geschichte Buch - Deutschland im Umbruch.
Internet:
https://www.spd-online.de/servlet/PB/menu/1009540/
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