Die raf
DIE RAF
Ein Referat von Ludwig Hartmann und Anna Pia Heitkamm
Zusammengestellt von Ludwig Hartmann
Vorwort
Eines der größten Probleme, vor das sich die sozialliberale Koalition der 70er Jahre gestellt sah, war die Bekämpfung des sich seit Anfang ihrer Regierungszeit ausbreitenden Terrorismus. Die Rote Armee Fraktion unter Führung der Journalistin Ulrike Meinhoff und des Studenten Andreas Baader versuchten nach dem Vorbild der in den südamerikanischen Städten operierenden Guerilla eine Revolution durch Gewalt und Terror durchzusetzen. Sie standen und stehen für die spezifisch deutsche Ausprägung des internationalen Phänomens, das während der Olympischen Spiele 1972 in München die Welt mit dem von der palästinensischen Organisation „ Schwarzer September “ verübten blutigen Anschlags auf die israelische Mannschaft erschütterte. Der Staat sah sich veranlasst, nicht nur die Verbrechensbekämpfung zu intensivieren, sondern auch die Gesetzgebung zu verschärfen. Mit diesen Maßnahmen lief der Staat jedoch auch Gefahr den Rechtsstaat der Staatsräson zu opfern. Bund und Länder waren nicht nur entschlossen gegen Gewaltkriminalität mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vorzugehen, sondern suchten auch die vermeinten RAF-Sympathisanten auszuschalten, die über den „ Marsch durch die Institutionen “ als Inhaber offizieller Funktionen ihr revolutionäres Gedankengut in den Staat hineinzutragen suchten.
Die zu diesem Zweck erlassenen „ Grundsätze über die Mitgliedschaft von Beamten in extremen Organisationen “ lösten mit der Forderung nach Verfassungstreue der Bewerber auf öffentliche Stellen heftige Kontroversen aus.
Dieses Referat berücksichtigt angesichts des beschränkten Zeitrahmens seiner Verwirklichung in erster Linie die Entwicklung der RAF, ihren Hintergrund und die Reaktionen aus Staat und Gesellschaft.
Chronik
Geschichte der RAF
1968: Radikale Studenten legen in zwei Frankfurter Kaufhäusern Feuer.
Mai 1970: Gründung der RAF (Rote Armee Fraktion) als bewaffnete Untergrundbewegung. Ulrike Meinhoff befreit den Kaufhausbrandstifter Andreas Baader aus der Haft.
1972: Erster Höhepunkt des Terrors und Festnahme der ersten Generation.
Nach Anschlägen auf das amerik. Hauptquartier in Frankfurt und das Hamburger Springer-Hochhaus führt eine bundesweite Fahndung zur Festnahme von Baader, Meinhoff, Jan-Carl Raspe, Holger Meins und Gudrun Ensslin.
1975: Rekrutierung der zweiten Generation, bewusste Gewalt gegen Personen Entführung des CDU-Politikers Lorentz, Erstürmung der deutschen Botschaft zu Stockholm: Tod zweier Diplomaten.
Mai 1976: Nach internen Auseinandersetzungen unter den Gefangenen Selbstmord Ulrike Meinhoffs in ihrer Zelle in Stuttgart-Stammheim.
Juni 1976: Der Staat wehrt sich: Der Bundestag verabschiedet das Anti-Terror-Gesetz.
April 1977: Baader, Raspe und Ensslin werden zu lebenslanger Haft verurteilt.
April – September: Dramatischer Höhepunkt des Terrors ( „Heißer Herbst“ )
1977 RAF ermordet Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto und entführt Arbeitgeberpräsident Hans-Martin-Schleyer. Palästinensisches Kommando Entführt aus Solidarität mit Inhaftierten Lufthansa-Maschine mit Touristen nach der Geiselbefreiung in Mogadischu und der Weigerung des Kabinetts Schleyer gegen 11 RAF-Gefangene auszutauschen wird Schleyer ermordet. Baader, Ensslin und Raspe begehen Selbstmord in Stammheim.
November 1982: Ende der zweiten Generation
Die Führungsriege mit Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt und Adelheid Schulz wird festgenommen.
August 1985: Der 20jährige US-Soldat Edward Pimental wird von der RAF in einem Waldstück bei Wiesbaden ermordet. Die RAF benutzt seinen Ausweis bei einem Bombenanschlag auf den Militärbereich des Rhein-Main-Flughafens, zwei Menschen sterben.
Juli 1986-1989: Die RAF ermordet Manager und hohe Beamte darunter:
Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts, den Chef des Außenministeriums Gerold Von Braunmühl, den Vorstandssprecher der Deutschen Bank Siegfried Herrhausen und den Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder.
April 1992: Die RAF erklärt, bei weiteren Anschlägen keine Personen mehr umbringen zu wollen.
März 1993: Ein RAF sprengt den Gefängisneubau im hessischen Weiterstadt kurz vor der Fertigstelle-
lung in die Luft.
Juni 1993: In Bad Kleinen versucht die Polizei die RAF-Mitglieder Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld festzunehmen. Bei einem Schusswechsel sterben Grams und der Polizist Newrzella.
April 1998: Nach Forderungen Hogefelds und anderer RAF-Gefangener, die Gewalt zu beenden, gibt die RAF in einer achtseitigen Erklärung ihre Selbstauflösung bekannt.
Ideen und Vorgehen
Es stellt sich zunächst die Frage, was Terrorismus überhaupt ist. Nach Konrad Hobe ist er " [...] das Verbreiten von Schrecken durch unberechenbare und überraschende, aber systematisch eingesetzte Gewalttaten, um politische Ziele zu erreichen." Viele Wörterbücher definieren den Terrorismus auch als ein System der Angst oder Schreckensherrschaft.
Der Historiker Walter Laquer hingegen macht bezüglich einer umfassenden Definition des Terrorismus
folgende Aussage: "Eine solche Definition gibt es nicht, und es wird sie auch in naher Zukunft nicht geben.". Diese Aussage beruht hauptsächlich darauf, daß es den "Terrorismus" schon sehr lange in den unterschiedlichsten Facetten gegeben hat, vom griechischen und römischen Tyrannenmord bis hin zu den heutigen Terroristengruppen. Er ist in politischen Lagern unterschiedlicher Couleur anzutreffen, als auch Staat und Gesellschaft ihn unterschiedlich definierten. Am 23. März 1819 ermordete der liberale Theologiestudent Karl Ludwig Sand den Schriftsteller August von Kotzebue, der die politische Opposition an den deutschen Hochschulen verspottet hatte.
Der Burschenschaftler Sand hielt ihn deswegen für einen Hauptvertreter der konservativen Reaktion, der für die Idee eines „neuen Deutschland“ beseitigt werden müsse. So ging der Terrorismus auch mit der Teilen der liberalen Oppositionsbewegung ein Bündnis ein. Er muss also keineswegs sozialistisch begründet sein. Auch seine Definition als politische Kampfbewegung, die einen Gesellschaftsumsturz anstrebe, trifft nicht immer zu. So leuchtet nicht ein, weshalb Deutsche, die auf dem Höhepunkt des Terrors „RAF“ auf Häuserwände sprühten, des Terrorismus verdächtigt wurden. Festzuhalten bleibt nur, dass Terrorismus kein neuerliches gesellschaftliches Gespenst darstellt.
Dieses facettenreiche Spektrum unter eine allgemeingültige Definition zu fassen , mit all seinen unterschiedlichen Zielrichtungen, Ideologien und Strategien, dürfte schwer erreichbar sein.
Selbst unter den neueren Terrorismusgruppierungen gibt es die unterschiedlichsten Formen in Bezug auf Orientierung , Ideologie und Strategie. Man kann hier unterscheiden in separatistische Bewegungen (z. B. ETA in Spanien, IRA in Nordirland), sozialrevolutionäre Aufstandsbewegungen
gegen diktatorische Regimes (z. B.
Guerillabewegungen in Südamerika) und schließlich die sozialrevolutionären Gruppierungen, welche gegen demokratische-parlamentarische Systeme (z. B. Brigate Rosse in Italien, RAF in Deutschland) ankämpfen. Nicht vergessen werden darf natürlich auch
der staatlich oder privat ausgeübte Terrorismus (z. B. Diktaturen, Ku Klux Klan in den USA).
Während sich viele Formen des oben genannten Terrorismus von selbst erklären, wie beispielsweise die Unabhängigkeitsbestrebungen in Nordirland oder die gewaltsame Auflehnung gegen ein diktatorisches Regime sowie der Versuch eben dieses Regimes, seine Macht durch Gewaltanwendung zu etablieren, so erscheint dem Beobachter die Gewaltanwendung gegen ein demokratisch-parlamentarisches Regierungssystem, wie die BRD, als vermutlich am unverständlichsten. Denn es bietet Schutz vor der Staatsgewalt und zugleich größtmögliche Freiheit für alle, insbesondere die Möglichkeit Regierungen per Mehrheitswillen abzulösen und eigene soziale und politische Begehren zu verwirklichen. Diese antidemokratischen Gruppierungen haben dann auch in stärkerem Maße versucht, ihre Taten ideologisch zu rechtfertigen, hauptsächliche Grundlagen bilden hierbei die Erklärungen zu sogenannten "Aktionen", wie beispielsweise die erste Erklärung des Kollektivs Rote Armee Fraktion anläßlich der Baader-Befreiung am 14.05.1970 aus der Bibliothek des Zentralinstituts für soziale Fragen in Berlin: "Die Rote Armee aufbauen". Im folgenden sollen ihre ideologischen und strategischen Ansätze herausgearbeitet werden.
Die Rote Armee Fraktion war ein Zerfallsprodukt der studentischen Protestbewegung Berlins am Ende der 60er Jahre. Somit ist ihre Entstehungsgeschichte und Grundlage unweigerlich mit dieser Protestbewegung verknüpft, wenn auch im weiteren Verlauf der Geschichte die Gruppierung um Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Mahler und Ulrike Meinhoff sich immer weiter in puncto Ideologie, Zielrichtung und vor allem Strategie von dieser Außerparlamentarischen Opposition (APO) entfernt hat. Eine gemeinsame Grundlage hatten beide Bewegungen:
- die Verlogenheit der Politik,
- die Vertuschung der Naziverbrechen,
- die veralteten Methoden, nach denen an Universitäten gelehrt wurde
- die USA, welche Krieg gegen den Vietnam führte,
- den Schah von Persien, welcher in Deutschland mit allen Ehren empfangen
wurde, obwohl er die Opposition in seinem Land niedergeschlagen hatte.
Zu Beginn der Studentenrevolten "beschränkten" sich die Aktionen des Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) sowie mehrerer anderer kleinerer Gruppierungen wie der Kommune I, umherschweifende Haschrebellen, Blues, u.s.w.
auf Demonstrationen, Sit-ins, Teach-ins,
Happenings und vor allem in Diskussionen über das weitere Vorgehen. Zentrale Themen hierbei waren schon zu Beginn dieser Protestbewegung die Anti-Imperialismus-Theorie, der Vietnam Krieg, das Springer´sche
Pressemonopol und dessen Hetzkampagne gegen die Studentendemonstrationen sowie die Kritik an der bundesrepublikanischen Gesellschaft an sich. Viele dieser Thematiken finden sich auch in der späteren Ideologie der Rote Armee Fraktion wieder. Auch wurde zu diesem Zeitpunkt schon über die Legitimation der Gewaltanwendung gegenüber dem Staat und seinen Institutionen diskutiert. Die große Mehrheit der APO lehnte diese Vorgehensweise der Revolution ab, wohingegen sich einzelne Personen, darunter auch Andreas Baader und Gudrun Ensslin - sich berufend auf die Theorien von Marx, Lenin, Mao Tse-tung, Marcuse und Che Guevara - eher gewalttätigen Aktionen zuwandten. Die Frage, ob denn nun gewaltsame Aktionen gegen den Staat gerechtfertigt seien, beantworteten Staat und Gesellschaft, wenn auch vermutlich unabsichtlich, zumindest teilweise selbst.
Zwei entscheidende Ereignisse haben höchstwahrscheinlich den Weg hin zum bundesdeutschen Terrorismus stärker als alles andere geebnet: Am 02.06.1967, anläßlich einer Demonstration gegen den Besuch des Schah von Persien und dessen Frau in Berlin, wurde der Demonstrant Benno Ohnesorg von Kriminalobermeister Karl Heinz Kurras in einem Hinterhof der Krummen Straße, Berlin, erschossen. Warum sich der Schuß aus der Dienstwaffe löste und dem Student tödliche Kopfverletzungen zufügte, konnte später nicht mehr zweifelsfrei festgestellt werden. Nur eines stand für die studentische Revolutionsbewegung zum damaligen Zeitpunkt fest: Die Auseinandersetzung hat ihr erstes Todesopfer gefordert. Es war einer aus den eigenen Reihen.
Der Staat war für dessen gewaltsamen Tod verantwortlich. Kurzum, die junge Bewegung hatte ihren ersten Märtyrer. Das zweite folgenschwere Ereignis war das Attentat auf den charismatischen Führer des SDS, Rudi Dutschke am 11.04.68, an dessen Folgen er elf Jahre später verstarb. In beiden Fällen war die Staatsgewalt sowie die Presse nicht ganz unschuldig, und beide müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, daß sie an der Entscheidungsfindung hin zur Gewaltanwendung durch einige Personen aus dem Umfeld der APO, mitbeteiligt gewesen sind.
Nach dem Tod von Benno Ohnesorg erlebte der SDS einen Mitgliederboom, die Gewaltdiskussion geriet in die entscheidende Phase, man redete: "[...] darüber, ob man als Ausdruck des Protests zu Gewalt greifen darf [...
] Eier gegen Fassaden, Steine gegen Autos, [...] gibt es stärkere Formen des Widerstandes, die legitim sind und mehr bewirken?" So wurde im Anschluss an die Osterunruhen 1968 im radikalen Umfeld Baaders und Ensslins teilweise zwischen legitimer Gewalt gegen Sachen und illegitimer Gewalt gegen Personen unterschieden. Was sich bis zu dem Jahr 1968 im Rahmen der studentischen Protestbewegung an Aktionen abgespielt hatte, war zumeist noch im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung abgelaufen, das heißt, bis auf vereinzelte Sachbeschädigungen oder Widerstände gegen die Staatsgewalt waren nicht gezielt Rechtsnormen verletzt worden. Dieses Bild änderte sich jedoch schlagartig mit dem 2.
April 1968. An jenem Abend waren in den beiden Frankfurter Kaufhäusern Schneider und Kaufhof mehrere Brandsätze gezündet worden und richteten nicht unerheblichen Sachschaden an. Die beiden Brandstiftungen wurden dem aus München stammenden Andreas Baader, der schwäbischen Pfarrerstochter Gudrun Ensslin, dem aus Kassel stammenden Architektensohn Thorwald Proll sowie dem Schauspieler Horst Söhnlein im anschließenden Strafprozeß zugeschrieben. Vor Gericht erklärten sie, die Tat sei „ [...
] Ausdruck des Protests gegen die Gleichgültigkeit, mit der die Menschen dem Völkermord in Vietnam zusehen." Bislang war über konkrete Gewaltanwendung nur diskutiert worden, an jenem 2. April machten dann vier Personen ernst. Es steht außer Frage, daß Politik und Polizei zu diesem Zeitpunkt mit dieser, noch nie dagewesenen, Situation völlig überfordert waren und versuchten, mit hartem Vorgehen die eigene Ohnmacht zu überspielen und die Sache in den Griff zu bekommen.
Eine Theorie für die Entstehung der RAF besagt demnach, dass der Staat überreagiert und so den Terroristen der ersten Generation neuen Zulauf beschert sowie deren Tendenz zu Gewaltanwendung gestärkt habe. Statt die Motive der Täter ernst zu nehmen, hätte der Staat die Aktivisten wie gemeine Verbrecher behandelt und habe so zur Eskalation der Gewalt beigetragen.
Öffentliche Isolierung und Verfemung der Aktivisten in der Presse hätten die Terroristen zunehmend radikalisiert.
Weiter darf auch kein Geheimnis daraus gemacht werden, inwieweit die Presse, und hier insbesondere der Springer Verlag, versucht hat, die öffentliche Meinung zu einer absoluten Negation der studentischen Revolution zu bewegen. Die junge Linke in der BRD hatte diese sogenannte "Hetzkampagne" der Presse für das Attentat auf Rudi Dutschke, durch einen jungen - eher dem nationalistischen Lager zuzuordnenden - Arbeiter, verantwortlich gemacht. Auch wenn die Geburtsstunde der Rote Armee Fraktion erst mit der Baader-Befreiung offiziell in Verbindung gebracht wird, so waren die beiden Kaufhausbrände doch der erste Schritt in die Illegalität und für einen, wenn auch zunächst nur sehr kleinen Personenkreis, hatte sich die Frage der Legitimation von Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele beantwortet. Zur Begründung gaben Baader und Ensslin im Prozess gegen sie weiter an, dass es im Rahmen der APO keine Möglichkeit in Form von Demonstrationen und ähnlichem geben würde, um die Bevölkerung auf diese Mißstände aufmerksam zu machen. Andreas Baader ging sogar noch weiter in dem er sagte: "Damit ist bewiesen, daß die revolutionäre Bewegung in der Bundesrepublik tot ist.
" Hiermit grenzte er sich und seine Mitstreiter von der restlichen linken Protestbewegung aus. Und bereits in dieser ersten, recht spontanen und ungeplanten Aktion, äußern sich Ideologien der späteren Rote Armee Fraktion. Zum Ersten wird das Versagen der revolutionären Kräfte wie Proletariat, kommunistische Parteien und - hier konkret benannt - der Studentenbewegung genannt. Ein solches Scheitern erfordert das Tätigwerden einer sogenannten Avantgarde, die der gesamtrevolutionären Bewegung zu neuem und ganzheitlichem Schwung verhelfen soll. Zum Zweiten findet sich auch das sogenannte „Primat der Praxis“ in den Ausführungen von Baader und Ensslin in deren Strafprozeß. Dies bedeutet, kurz zusammengefaßt, daß die Tat im Vordergrund und am Anfang stehen muß, und später erst die Theorie.
Hier wird Kritik an der gescheiterten Studentenrevolte deutlich, die sich selbst über ihre endlosen Diskussionen über die Anwendung von Gewalt und das weitere Vorgehen tot geredet habe.
Die Kaufhausbrände von Frankfurt wurden von der sogenannten Neuen Linken unterschiedlich gewertet. Während der gemäßigtere und auch größere Teil der Revolutionsbewegung die Gewaltanwendung für sich verneinte und die Anschläge verurteilte, gab es einen radikaleren Teil, der diese Aktion gut hieß und aus dessen Kreisen sich auch die späteren Mitglieder terroristischer Vereinigungen rekrutierten. Das Strafmaß für die beiden Brandstiftungen wurde auf drei Jahre festgesetzt. Während der Haft kam Gudrun Ensslin erstmals mit der konkret-Kolumnistin Ulrike Meinhof in Kontakt, die sie zum Zwecke eines Interviews besuchte. Andreas Baaders Anwalt im Brandstifterprozeß war der Berliner Rechtsanwalt Horst Mahler.
Diese vier Personen sollten fortan als Führungskader der sogenannten ersten RAF-Generation gelten. Nach der Befreiung Andreas Baaders erhielt die Szene-Zeitung 883 einen Brief mit der Erklärung zur Baader-Befreiung: "Die Rote Armee aufbauen". Am Ende dieses Schreibens heißt es: "Die
Klassenkämpfe entfalten Das Proletariat organisieren Mit dem bewaffneten Widerstand beginnen Die Rote Armee aufbauen!" Bereits aus dieser ersten Erklärung gehen wesentliche Grundsätze für die Gründung der Rote Armee Fraktion hervor.
Die Rote Armee aufbauen
Schon der Bestandteil „Fraktion“ im Namen dieser terroristischen Vereinigung deutet darauf hin, daß es sich hierbei nur um einen Teil des Gesamten handelt, also um eine Gruppe aus der Roten Armee. Hier stellt sich nun die Frage: Warum gibt es diese Gruppe innerhalb der Roten Armee, welche Ziele und
Aufgaben hat sie, und was ist die Rote Armee überhaupt, beziehungsweise was soll sie darstellen? Der erste Teil der Frage soll zuerst beantwortet werden: Ulrike Meinhoff, die als Verfasserin dieser Schrift vermutet wird, sieht die RAF als kleinen Teil einer großen Bewegung - der Roten Armee - an, welche
Jedoch zunächst aufgebaut werden muß. Es muß vorausgesetzt werden, daß im Gedankengut der RAF eine Revolution, also die Umstürzung der bestehenden Macht- und Gesellschaftsverhältnisse unbedingt notwendig war.
Jedoch hatte hier, anders als bei der klassischen marxistischen Theorie, das sogenannte
revolutionäre Subjekt, das Industrieproletariat, sowie die orthodoxen kommunistischen Parteien versagt, auch die Studentenrevolte konnte in den Augen der Mitglieder als gescheitert angesehen werden. Die
Mitglieder der neuen Linken wurden in der Erklärung zur Baader-Befreiung als intellektuelle "Schwätzer", "Hosenscheißer" und "Alles-besser-Wisser" verbrämt. Das Industrieproletariat, welches im klassischen marxistischen Sinne als das revolutionäre Subjekt betrachtet wurde, zeigte jedoch keinerlei revolutionäres Bewußtsein und somit nach Ansicht der RAF ein falsches. Dies rührte nach Meinung von Ulrike Meinhof aus den bisher erlittenen Niederlagen,
Beeinflussung durch die herrschende Klasse und schließlich auch durch die Beteiligung des Industrieproletariats an der Ausbeutung der Dritten Welt her. Hierdurch wurde dann der Schluß gezogen, daß das Industrieproletariat als revolutionäres Subjekt gar kein Interesse für gesellschaftliche Veränderungen zeigte, beziehungsweise die unabdingbare Notwendigkeit hierfür gar nicht erkennen konnte, ohne daß nicht eine kleine Gruppierung, man könnte auch sagen „Fraktion“, das Proletariat über die tatsächlichen Umstände aufklärte, es organisierte und schließlich im revolutionären Kampf führte. Die These des „falschen Bewusstseins“ der Menschen tauchte bereits in den Schriften Marx` auf und fand Eingang in die Gesellschaftslehren der „Frankfurter Schule“.
Die vernichtenden Gesellschaftskritiken ihrer Hauptvertreter wie Theodor W. Adorno oder Herbert Marcuse erklärten, dass der immer rascher laufende Kreislauf von Produktion, Werbung und Konsum integrale Faktoren der Wohlstandsgesellschaft als auch des Krieges seien, da nur Krieg und Konsum die Überproduktion von Gütern auffangen könnten. Die Machthaber verherrlichten das bestehende Gesellschaftssystem und täuschten so den Menschen Wohlstand und Freiheit vor. Das daraus entstehende falsche Bewusstsein der Menschen verneble, ihre Unterdrückung und Erniedrigung durch Werbung undVerbrauch. Um die Fesseln dieser „Fremdbestimmung“ zu sprengen, müsse das Gesellschaftssystem, das irreparabel sei, beseitigt werden. Die RAF erkannte ihre Sendung darin, diesen Kampf anzuführen.
Sie sah sich als eine Avantgarde im leninistsischen Sinn, deren Ziel und Aufgabe es war, den Klassenkampf durch einzelne Aktionen auf einer breiten Ebene zu entfesseln und das nun in der Gesellschaft freigewordene revolutionäre Potential zu organisieren und die entstandene Rote Armee in ihrem Kampf gegen die herrschende Klasse zu führen. Hiermit ist auch schon der zweite Teil der Frage beantwortet: Als Rote Armee kann nach Auffassung der RAF die durch ihre Aktionen hervorgerufene, breite, revolutionäre Gesellschaftsebene verstanden werden, die sich hauptsächlich aus dem ausgebeuteten Industrieproletariat rekrutiert und letztlich für den Umsturz des bisherigen Systems verantwortlich ist. Die Mitglieder dieser terroristischen Vereinigung waren sich bewußt, daß es einer kleinen Gruppierung wie der RAF nicht möglich sein würde, die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse zu stürzen und eine neue Gesellschaftsordnung zu errichten, daß es einer breiten Massenbewegung bedurfte, um die bestehenden gesellschaftlichen Mißstände zu beseitigen. Die Auflösung der terroristischen Vereinigung im April 1998 hat gezeigt, daß sie die Lage völlig falsch eingeschätzt hatte, da es einfach nicht zur Entfaltung des Klassenkampfs auf breiter Ebene kam, beziehungsweise gar
kein revolutionäres Potential in der Gesellschaft vorhanden war und ist.
Kampf dem Kapitalismus
Einen Hauptgrund für die Umwälzung des bestehenden Systems sah die RAF in der Gesellschaftsform selbst, dem Kapitalismus. So schreibt - vermutlich Ulrike Meinhoff - in dem Grundsatzpapier "Dem Volk dienen Rote Armee Fraktion: Stadtguerilla und Klassenkampf": "20000 Menschen sterben jedes Jahr - weil die Aktionäre der Automobilindustrie nur für ihre Profite produzieren lassen und dabei keine Rücksicht auf die technische Sicherheit der Autos und den Straßenbau nehmen.
5000 Menschen sterben jedes Jahr - am Arbeitsplatz oder auf dem Weg dahin oder auf dem Heimweg, weil es den Produktionsmittelbesitzern nur auf ihre Profite ankommt [...] 12000 Menschen begehen jedes Jahr Selbstmord, weil sie nicht im Dienst des Kapitals hinsterben wollen, [...
] 1000 Kinder werden jedes Jahr ermordet, weil die zu kleinen Wohnungen nur dazu da sind, daß Haus- und Grundbesitzer eine hohe Rendite einstreichen können."
Nach dieser sogenannten zweiten RAF-Schrift, ist das Kapital die Wurzel allen Übels. Durch die Herrschaft desselben lasse sich die Ausbeutung der Dritten Welt durch die westlichen Industriestaaten begründen, da dort billige Arbeitskräfte zu einem Hungerlohn in Bergwerken, Produktionshallen, auf
Kaffee- oder Fruchtplantagen schuften müssen. Ulrike Meinhof nimmt hier unter anderem Bezug auf den Besuch des Bundeskanzlers Willy Brandt beim Schah in Persien: "Nach dem Kniefall des Kanzlers in Polen nun der Kniefall vor dem Mörder Schah ." Bei diesem Besuch wären jedoch nicht die
Interessen der BRD vertreten worden, sondern die Interessen der deutschen Großkonzerne. Auch habe der Kapitalismus tiefgreifenden Einfluß auf die bundesrepublikanische Gesellschaft.
Die Anhäufung des Kapitals sei Hauptzweck der Produktionsmittelbesitzer, hierdurch würde das
Industrieproletariat noch mehr ausgebeutet, büße noch mehr an Macht ein, wohingegen der Einfluß der Produktionsmittelbesitzer zunehme und sich auf Politik und Gesellschaft auswirke. Welcher Unternehmer kann an einem politisch mächtigen Proletariat interessiert sein? Hiermit zielte die RAF
populistisch auf das revolutionäre Subjekt, das Industrieproletariat ab, um wie oben beschrieben, eine breite Bevölkerungsschicht für ihre Zwecke erreichen zu können. Denn nur wem bewußt war, daß die eigene Ausbeutung durch die Bourgeoisie auf der Herrschaft des Kapitals beruht, würde sich
gegen eine solche Herrschaftsordnung wenden. Ferner wurde der Kapitalismus auch als antirevolutionär wirkend angesehen, da er verantwortlich dafür war, daß es kein einheitliches Proletariat weltweit geben konnte. So war einem Proletarier eines westlichen Industriestaates der Kampf gegen die Ausbeutung der Dritten Welt schwerlich vermittelbar, da selbiger für ihn eine finanzielle Bereicherung darstellte, was sich beispielsweise im günstigen Erwerb von Kaffee, Bananen, sonstigen Produkten und Leistungen offenbare.
Die monokausale Rückführung gesellschaftlicher Missstände auf eine Ursache stellt ,wie besonders deutlich im letzten Satz des Zitates zu erkennen, jedoch die Tragfähigkeit der Kapitalismuskritik in Frage.
Ob zwar Erwerbsinteressen in Wirtschaft und Politik eine bedeutende Rolle spielen, so maßen Meinhoff und ihre Mitstreiter dem Kapitalismus eine allzu große Bedeutung zu. So gingen die Ostverträge und die Ausweitung des Sozialstaats unter Brandt auf politische Initiativen zurück, die einen vermeintlicher Primat der Wirtschaft in Frage stellen.
Kampf dem faschistoiden Staat
Ein bedeutender Faktor für die Begründung der APO und somit auch der RAF ist die Theorie vom faschistoiden Staat. Eine Reflexion über die jüngere deutsche Vergangenheit hatte bereits Ende der fünfziger Jahre eingesetzt. Die jungen, politisch interessierten Menschen fragten sich: Welche Rolle in
der NS-Diktatur haben meine Eltern, Verwandten und Bekannten gespielt, wo sind die damals beteiligten Personen jetzt? Nehmen sie vielleicht noch immer politische und gesellschaftliche Führungsaufgaben wahr?
Die Vermutung, in einem mehr und mehr zum Faschismus neigenden Land zu leben, wurde durch die Notstandsgesetze - mit der Einschränkung von Grundrechten -, das harte Vorgehen der Staatlichen Macht gegen die Protestbewegungen und nicht zuletzt durch die ähnliche Reaktionen aus dem Ausland bestärkt. Es war ein Ziel der RAF durch Gewaltaktionen den als faschistisch diffamierten Staat zu entlarven, um damit revolutionäres Bewusstsein bei der Bevölkerung zu erzeugen.
Die RAF schien jedoch genau das Gegenteil zu erreichen. Mit Zunahme ihrer Gewaltaktionen konnte sich die Staatsgewalt immer stärker in weiten Teilen der Bevölkerung als Hüterin der freiheitlich-demokratischen Grundordnung profilieren, womit er den Faschismusverdacht zerstreuen konnte. Denn eben sein konsequentes Eintreten für die Demokratie und gegen politischen Terror ließ sich nicht mit faschistischen Diktaturen verbinden, obgleich der Staat den Bogen seiner im Grundgesetz umgrenzten Möglichkeiten nicht selten überspannte.
In enger Verbindung zur Faschismustheorie steht die Kampfansage gegen den Vietnam-Krieg. Hier wurde eine Verbindung zum zweiten Weltkrieg hergestellt, welchen die damalige Generation nicht zu verhindern wußte. Es stand fest, daß die Geschichte sich nicht wiederholen dürfte und dieser eskalierende Krieg mit allen Mitteln bekämpft werden mußte.
Ferner wurde ein faschistischer Komplott der westlichen Industrienationen, an der Spitze die Vereinigten Staaten von Amerika, gegen die Dritte Welt angenommen. Dieser Umstand sollte den Vietnam-Krieg erst möglich gemacht haben.
Einen weiteren ideologischen und strategischen Ansatzpunkt bot die Faschismustheorie noch dazu: Ziel der RAF war das Heraufbeschwören der staatlichen Gegengewalt, verursacht durch gezielte Anschläge, da man vermutete, hierdurch die Akzeptanz und Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen und schließlich den antiimperialistischen Kampf gemeinsam zu führen: "das ist die Dialektik der Strategie des antiimperialistsichen Kampfes: daß durch die defensive die Reaktion des Systems, die Eskalation der Konterrevolution, die Umwandlung des politischen Ausnahmezustandes in den militärischen Ausnahmezustand der feind sich kenntlich macht, sichtbar - und so, durch seinen eigenen Terror, die Massen gegen sich aufbringt, die Widersprüche verschärft, den revolutionären Kampf zwingend macht." Die Faschismustheorie erlangt ihren Höhepunkt nach der Ergreifung des Führungskaders Baader, Raspe, Ensslin und Meinhof 1972 und der anschließenden Haft in Stuttgart-Stammheim. Demnach zeigte der Staat jetzt, da er der Haupttäter habhaft geworden war, sein wahres, faschistisches Gesicht, durch die sogenannte Isolationsfolter und den toten Trakt. Die gefangengenommenen Führungskader der RAF erlebten eine strenge Einzelhaft, zum einen getrennt untereinander und zum anderen von den übrigen Häftlingen.
In einer Notiz stellt Ulrike Meinhof zu ihren Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf fest: "der politische Begriff für den toten Trakt, Köln, sage ich ganz klar - ist: Das Gas [...] Meine Auschwitzphantasien darin waren realistisch" In gerade neurotischer unterstellte die RAF nun jeder Aktion der Staatsgewalt gegen sie faschistische Motive.
Mit der Theorie vom faschistoiden Staat und der jetzigen zur Passivität verurteilten Situation der Führungspersonen in der Haft erkannte die RAF als eine neue Legitimation für ihr gewalttätiges Handeln sich selbst. Die Täter thematisierten sich verstärkt als Opfer eines „unmenschlichen“ Systems.
Kampf dem Imperialismus
Die Imperialismus-Theorie steht in engem Zusammenhang mit der Negation des Kapitalismus, da die Herrschaft des Kapitals erst eine Ausbeutung der Dritten Welt ermöglicht, beziehungsweise für die westlichen Industrienationen notwendig macht. Nur durch weitere, kostengünstige Arbeitskräfte, welche
in großer Zahl in Afrika, Asien und Lateinamerika zur Verfügung stehen, ist eine weitere Akkumulation des Kapitals möglich, was schließlich auch Ziel des Kapitalismus ist.
Die RAF berief sich bei ihrer Imperialismus-Theorie hauptsächlich auf Lenin, Marx und Mao Tse-tung. Es wird in diesem ideologischen Ansatz darauf abgehoben, daß die ehemaligen Kolonien zwar alle ihre politische Unabhängigkeit erreicht hätten, jedoch jetzt der Neokolonialismus in Form der
Ökonomischen Ausbeutung an dessen Stelle getreten sei. Folge hieraus sei auch, daß in besagten Ländern meist eine, durch die Imperialismusstaaten initiierte, Militärdiktatur herrscht, die möglichen Reformismus mit gewalttätigen Mitteln niederschlagen würde. Den Zeitbezug hierbei bieten die Debatten über den Neokolonialismus im Anschluss an die formale Unabhängigkeit vieler ehemaliger Kolonien.
Seine theoretischen Verfechter wie Paul A. Baran und Johan Galtung argumentierten, dass die neuen einheimischen Regierungen mit dem ausländischen Kapital zur Wahrung und finanziellen Ausnutzung ihrer Machtposition gemeinsame Sache machten und sich damit gegen die Interessen ihrer Bevölkerung stellten. Die Unabhängigkeit sei „ [...] deshalb nur ein Schein und sie werde so lange nicht erreicht, wie die Ausbeutung durch das internationale Kapital andauere“.
Die RAF sah sich auch in großem Maße als solidarisch mit den Widerstandsbewegungen in Lateinamerika, Asien und Afrika. Sie war im strategischen Sinn sogar nach deren Guerillataktik aufgebaut und agierte auch so. In dem Grundsatzpapier "Die Aktion des Schwarzen September in München Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes" schreibt Ulrike Meinhof: "Die Genossen vom Schwarzen September haben ihren eigenen Schwarzen September 1970 - als die jordanische Armee über 20000 Palästinenser hingemetzelt hat, dahin zurückgetragen, wo
Dieses Massaker ursprünglich ausgeheckt worden ist: Westdeutschland - früher Nazideutschland – jetzt imperialistisches Zentrum. [...
] dahin, wo der Springerkonzern Israels Blitzkrieg im Juni 1967 als antikommunistische Orgie gefeiert hat [...] Dahin, von wo aus der Imperialismus - wenn anders er
Die arabischen Befreiungsbewegungen nicht zur Unterwerfung erpressen kann - seine Bombengeschwader gegen sie starten wird: Westdeutschland - München – NATO-Flughafen Fürstenfeldbruck [...
] Vietnam ist die grauenhafte Erfahrung der Dritten Welt, daß der Imperialismus entschlossen ist, Völkermord an ihnen zu begehen, wenn nichts mehr bei ihnen herauszuholen ist - sie als Markt, als Militärbasis, als Rohstofflieferant, als Lieferant von billigen Arbeitskräften nicht mehr mitmachen [...]" Die RAF erkannte also ein Bündnis der westlichen Industrienationen gegen die Dritte Welt, mit den USA als Anführer. Der BRD unterstellten sie das imperialistische Zentrum Europas zu sein, im Hinblick auf ihre starke politische und wirtschaftliche Verflechtung mit den USA sowie ihrer Handelskontakte mit Ländern der Dritten Welt. Zur Beseitigung des Imperialismus sei Solidarisierung mit den Befreiungsarmeen in den unterdrückten Ländern notwendig, wie sie das Konzept der Stadtguerilla erwähnt.
Im Rahmen um die Diskussion des antiimperialistischen Kampfes tauchte oftmals der Terminus des "als interessiert unterstellten Dritten" auf. Nach der Ideologie der RAF handelt es sich hierbei zum einen um
die neuen Regierungen der Dritten Welt, zum anderen um die neue Linke in der Bundesrepublik Deutschland. Durch die Solidarisierung mit den Befreiungskämpfern jener Länder gegen ihre kleptokratischen Regierungen und die imperialistischen Aggressoren der westlichen Welt, sah die Terrorgruppe ihre eigenen Anschläge auf dem Boden der BRD als gerechtfertigt an, da sie sowohl im Sinne der unterdrückten Bevölkerung der Dritten Welt, als auch im Sinne des bundesrepublikanischen Proletariats geschehen waren. Dieses entsprach auch den Theorien von Mao Tse-tung und Che Guevara, welche die weltweite Auflehnung des Proletariats gegen die imperialistische Aggression propagierten.
Mit den USA als treibende Kraft und Vorreiter des westlichen Imperialismus waren auch die Ziele der linksterroristischen Anschläge klar vorgegeben: sämtliche US-amerikanische Einrichtungen auf dem Boden der BRD. Die Spur des terroristischen Kampfes gegen den Aggressor USA zog sich fortan durch
die Geschichte der RAF, beginnend mit dem Bombenattentat auf das Hauptquartier des V.
Corps der US-Armee in Frankfurt am 11. Mai 1972, über das Autobombenattentat auf das Heidelberger Hauptquartier der US-Landstreitkräfte am 24. Mai 1972 bis hin zum Anschlag auf die
US-Airbase in Frankfurt am 08. August 1986. Weitere antiimperialistische Ziele der Aktionen waren Vertreter der Militärmacht der USA sowie Einrichtungen und Personen des westlichen Militärpaktes der NATO.
Wie in der Einleitung erwähnt, ist dieses Feld sehr umfangreich und theoretisch komplex.
Auch waren sich die ideologischen Köpfe der Vereinigung - Ulrike Meinhof und Horst Mahler - über wesentliche Teile der Ideologie der RAF uneins, wie dies aus den neuen Analysen zum Terrorismus hervorgeht. Dieses Spannungsverhältnis über die ideologische und strategische Vorgehensweise hat schließlich zum Ausschluß von Horst Mahler aus der Gruppierung geführt. Mahler bemerkte, daß " [...] die ideologische Grundlage [.
..] die Leninsche Imperialismus-Theorie in ihrer Zuspitzung auf die Situation in den 60er Jahren [...]" war.
Er führte weiter aus, daß die " [...] Befreiungskriege der Völker der sog. Dritten Welt [..
.] als die moderne Erscheinungsform des Klassenkrieges zwischen Kapital und Arbeit [...] " gesehen wurden und berief sich hierbei auf
Lenins Schrift "Staat und Revolution, die in diesem "[..
.] Kontext [...] zu lesen [..
.]" sei. Die Theorie vom faschistoiden Staat teilte Mahler damit nicht. Er ging sogar noch weiter, indem er behauptete, die RAF sei selbst faschistisch. Ein Vorwurf, der so abwegig gar nicht erscheint: „Ein wesentlicher Grund zur Revolte der 68er war der Kampf gegen die Naziväter. Die Opfer der Nazis waren die Juden.
Und dann gehen die Kinder zur Al Fatah, deren Religion darin bestand, die Juden ins Meer zu treiben und die Überlebenden auszurotten. Das
ist die schändlichste Niedrigkeit der RAF“. Baader zeigt mit seinen kritischen Worten zugleich auf, wie weit sich die RAF von ihren Ursprüngen in der Apo entfernt hatte.
Aktuelle Publikationen wie „Der Baader-Meinhof-Komplex“ von Stefan Aust verweisen berechtigterweise auf ein bedeutendes Realitätsdefizit in der Ideologie der RAF. Es bestand darin mit bislang unbekannter Rigorosität einen Kampf gegen ein politisches System zu führen und aufrechtzuerhalten, das hauptsächlich in den Köpfen der Terroristen existierte, aber mit der Realität nur ansatzweise zu tun hatte. Noch atemberaubender muss erscheinen, dass die RAF die Hilfe von Kräften annahm, die sie selbst in ihrer Ideologie befeindete.
Dieser Umstand tat der Glaubwürdigkeit der Gruppe auch in den eigenen Reihen empfindlich Abbruch, wie das Beispiel Mahler zeigt.
Die Strategische Grundlagen
Die führenden ideologischen Köpfe der RAF waren über die Theorie und Pragmatismus nicht in allen Belangen einig. Grundlegender Streitpunkt war die Frage des revolutionären Subjekts, das heißt, wem die Aktionen der avantgardistischen Bewegung dienen sollten. Horst Mahler vertrat hierbei die Meinung, daß das westliche Industrieproletariat als „interessiert unterstellter Dritter“ entfallen müsse, vielmehr hätten sich die Aktionen der Gruppe an den Befreiungsbewegungen der Dritten Welt zu orientieren. Im Gegensatz dazu hoffte und vertraute Ulrike Meinhoff auf das wachsende revolutionäre Bewußtsein der Massen in den kapitalistisch orientierten, westlichen Industrieländern. Tatsächlich ist die Suche nach dem revolutionären Subjekt ein ständiger zentrales Anliegen in der Geschichte der RAF gewesen.
Und er hat sicherlich auch mit zur Auflösung der Vereinigung geführt, da sie es nicht vermochte, dieses greifbar zu machen, beziehungsweise es dieses Subjekt gar nicht gab. So ist es auch nicht verwunderlich, daß sich die Gruppe mehr und mehr selbst thematisierte. War zu Beginn noch der Kampf im Auftrag des Volkes geführt worden, so richtete sich im weiteren Verlauf die Aufmerksamkeit mehr und mehr auf die Freipressung inhaftierter Genossinnen und Genossen. Während zu Beginn noch hauptsächlich Bombenanschläge auf strategische Stützpunkte der US-Armee und NATO im Mittelpunkt der Aktionen standen, so wandelte sich dies mit der Zeit in Form von Entführungen und gezielten Mordanschlägen auf einzelne Personen mit dem Höhepunkt 1977, dem Deutschen Herbst.
Es muss trotz der Vielzahl der Papiere, die die RAF im Laufe ihrer blutigen Geschichte veröffentlicht hat, festgestellt werden, dass sie keine konkreten Gesellschaftsentwürfe vorstellte und somit in einer rein destruktiven Opposition zu den bestehenden Gesellschafts- und Machtverhältnissen der BRD stand. Dieser Umstand mag sowohl auf den Primat der Praxis zurückzuführen sein als auch auf die Uneinigkeit der Gruppe bezüglich ihrer Theorien.
Der Bewaffneter Kampf
Zu Beginn waren die Demonstranten Idealisten ohne Maschinenpistolen. Ulrike
Meinhoff betonte, Frieden könne man nur durch Waffenlosigkeit gewinnen.
Das harte Durchgreifen der Polizei bewirkte bald das Gegenteil. Meinhoff jetzt: ,,Jede politische Arbeit ist perspektivlos, wenn man nicht gleichzeitig auch die Bewaffnung betreibt." Schon in ihrer Geburtsstunde am 14. Mai 1970 war Andreas Baader mit Waffengewalt und sogar unter Verletzung eines Institutsbediensteten befreit worden.
Die Theorien zur bewaffneten Revolution lieferten Lenin, Mao Tse-tung, Che Guevara, und schließlich Carlos Marighella.
Die Terroristen haben sich häufig auf Lenins "Partisanenkrieg" von 1906 berufen. Darin heißt der Theoretiker den bewaffneten Kampf einzelner Personen gut. Dieser solle zum einen der Tötung einzelner Personen, wie Polizeibeamten und Vorgesetzten dienen. Die RAF sprach sich dabei ein Widerstandsrecht gegen einen unterdrückenden Polizeistaat zu, der sie als politisch Andersdenkende verfolge und die gegenwärtige Herrschafts - und Wirtschaftsordnung befestige. Zum anderen solle der „Partisanenkrieg“ die Enteignung ermöglichen, sprich Banküberfälle und ähnliches zu begehen.
Völlig außer acht gelassen wurde von der Gruppe, daß es sich hierbei nicht um eine Theorie an sich handelte, sondern dies lediglich eine Analyse der Revolution von 1905 war. Weiter wurden auch die sonstigen theoretischen Voraussetzungen des bewaffneten Kampfes von der RAF nicht beachtet. Alle Befürworter des bewaffneten Kampfes wie Marx, Mao-Tse-tung, Che Guevara und Luxemburg, räumten diese Möglichkeit des Widerstandes nur zu einem Zeitpunkt der allergrößten Not und absoluter Unterdrückung der Bevölkerung sozusagen als ultima ratio ein. Diese Umstände waren schlicht und ergreifend in der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der 70er Jahre nicht gegeben, womit sich die RAF auf kein verfassungsmäßiges Widerstandsrecht stützen konnte.
Die wahren Gründe für den bewaffneten Kampf waren wohl anderer Ursache. Zum einen sah es die Gruppierung - aus den Erfahrungen der Studenrevolte - als erwiesen an, daß es keine andere Möglichkeit des politischen und gesellschaftlichen Umsturzes als durch gezielte Bombenanschläge und Tötungen
von Menschen gab.
Man ging davon aus, daß der Staat nicht mehr konsensfähig und somit eine außerparlamentarische Opposition wie zu Zeiten der APO legitim sei.
Zur Durchsetzung ihrer Ziele bediente sich die RAF des Terrorismus, dessen Ursachen nicht zweifelsfrei erklärbar sind. Zwar ist das Phänomen des politischen Terrorismus nicht neu: man denke an den Anarchismus in Russland im 19. Jahrhundert oder an die politischen Attentate zu Beginn der Weimarer Republik. Jedoch entwickelte sich der Terrorismus der 70er Jahre vor dem Hintergrund einer freien Wohlstandsgesellschaft, die kaum soziale Spannungen barg. So stand die Arbeiterschaft, in deren Namen Attentate und Anschläge geschahen, der RAF schroff ablehnend gegenüber.
Auch ließen sich Demokratie und Liberalität der BRD einfach nicht mit einem diktatorischen Regime gleichsetzen. Der Terrorismus in Deutschland speiste sich so keineswegs aus sozialen Missständen oder politischer Unterdrückung. Gesellschaftswissenschaftler wiePsychologen und Theologen suchten daher nach weiteren Erklärungen. So sahen einige Wissenschaftler in Anlehnung an die Wohlstandskritik der Frankfurter Schule die Verachtung der Terroristen gegenüber einer angeblich übersatten Wohlstandsgesellschaft als Grund für ihren erbitterten Kampf an. Diese These stützt die Tatsache, dass die meisten Terroristen wie z.B.
Gudrun Ensslin oder Ulrike Meinhoff aus gehobenen Elternhäusern stammten.
Horst Mahler untermauert in seinem Brief an Stefan Aust dieses Argument mit der Aussage, dass es kritische Menschen gegeben habe, „die sich nicht im Suff, Drogenrausch oder Selbstmord still entsorgen wollten.“
Andere Experten begründen den skrupellosen Terror der RAF mit dem Verlust fester Wertvorstellungen in der modernen Industriegesellschaft. Die daraus resultierende Sinnleere und die Gesellschaft, die keine Geborgenheit und Bindung mehr vermittle, würden ein moralisches Vakuum schaffen, in dem sich terroristisches Gedankengut ausbreiten könne. Jene Argumente geben der Gesellschaft die Schuld für die Entstehung des Terrorismus.
Wieder andere beschuldigen die Gesellschaft kein ausreichendes Maß an Reformfähigkeit an den Tag zu legen.
Da der Prozess der Verfestigung nicht aufzuhalten gewesen sei, hätten idealistische Naturen zu Gewalt gegriffen, um auf radikalem Wege umfassende Änderungen zu erreichen.
Bei der Suche nach Antworten erweist sich, dass es keine befriedigenden Erklärungen gibt. So spiegelt unsere beklagte Ego-Gesellschaft den Umbruch traditioneller Werte besonders auffällig. Auch stehen „Reformstau“ und „Haben und Sein“ zur Debatte vieler Gesellschaftskritiker. Trotzdem stellt der Terrorismus keine bedeutende gesellschaftliche Kraft dar. So muss die Entstehung und Entwicklung der RAF auch vor dem Hintergrund der Studentenproteste, ihren Ideen und Zielen sowie vor einer übermäßig reagierenden Staatsgewalt gesehen werden.
Die Stadtguerilla
Nach der Terroristenausbildung und dem Erlernen des bewaffneten Kampfes im El-Fatah-Camp in der jordanischen Wüste im Sommer 1970 kehrte die Gruppe, bereit und gerüstet für den „antiimperialistischen“ Kampf auf dem Boden der BRD, in die Heimat zurück. Hier begann sie nun die Logistik für das Konzept Stadtguerilla aufzubauen. Beim Aufbau dieser Logistik bezog sich die RAF hauptsächlich auf die Ausführungen von Carlos Marighella in seinem "Mini-Handbuch des Stadtguerilla". Marighella war ein brasilianischer Guerillaführer und hatte dieses Handbuch für den Kampf gegen südamerikanische Militärdiktaturen geschrieben. Dieses Handbuch war sozusagen die Bibel sämtlicher westeuropäischer Terrorgruppen.
Was ist ein Stadtguerilla?
Carlos Marighella führt hierzu in seinem Mini-Handbuch aus: "Der SG (Stadtguerilla) ist jemand, der die Militärdiktatur mit Waffen bekämpft und dabei mit unkonventionellen Methoden vorgeht.
Als politischer Revolutionär und glühender Patriot ist er ein Kämpfer für die Befreiung seines Landes, ein Freund des Volkes und der Freiheit. [...] Der SG unterscheidet sich jedoch radikal vom Gesetzlosen.
Der Gesetzlose will sich mit seinen Aktionen persönlich bereichern, greift wahllos an und macht keinen Unterschied zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern.
Deshalb sind so viele einfache Menschen Unter seinen Opfern. Der SG hingegen folgt einem politischen Ziel und führt seine Angriffe nur gegen die Regierung, die großen Kapitalisten und ausländische Imperialisten, insbesondere die US-Imperialisten."
Weiter führt Marighella dann noch die persönlichen Eigenschaften des Stadtguerilla aus, wie zum Beispiel Mut, Entschlossenheit, Schlauheit, Beweglichkeit, Anpassungsfähigkeit und so weiter.
Ziele
Marighella nennt zwei grundlegende Ziele des bewaffneten Kampfes
„a) die Ermordung der Chefs und Ausführenden der Streitkräfte und der Polizei
b) die Enteignung von Vermögen und Produktionsmitteln, die der Regierung, den Monopolisten, Großgrundbesitzern und Imperialisten gehören; mit kleineren Enteignungen für den individuellen Bedarf der SG und größeren für die notwendigen Mittel der Revolution selbst."
Der bewaffnete Kampf sollte also zum einen zur Vernichtung der herrschenden Klasse und der Exekutive führen und zum anderen der Enteignung selbiger Personen dienen, um die notwendigen Mittel für die Revolution zu beschaffen. Hierin steckt bereits eine grundlegende Aussage, auf welche sich die Mitglieder der Gruppe und ihre Verteidiger während der Terroristenprozesse beriefen: Der gewöhnliche Straftäter verübt seine Straftat zumeist in der Absicht sich zu bereichern, der Revolutionär hingegen ist an einer persönlichen Bereicherung gar nicht interessiert, sondern will den usurpierten Besitz der Revolution, also dem Volk, zur Verfügung stellen.
Der Revolutionär könne deshalb nicht wie ein "normaler" Straftäter abgeurteilt werden. Und fällten Richter und Politiker diesbezüglich widersprüchliche Urteile. Zum einen wurde den Angeklagten der politische Aspekt der Tat aberkannt, zum anderen wurde die Terrorgruppe wieder von diesen Personen als größte politische Herausforderung der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet. Jedoch gelang es der RAF nicht, die widersprüchlichen Urteile aus Politik und Rechtswesen gegeneinander auszuspielen und somit einen Keil in die einheitliche Front ihrer Gegner zu treiben. Nachdem die Gruppe aus dem Trainingslager zurückgekehrt war, begann sie sogleich mit dem den Aufbau der Logistik im Sinne Marighellas. Meist große und starke Fahrzeuge wurden gestohlen oder unterschlagen, restliche Mitglieder der RAF wurden im Umgang mit den aus
Jordanien eingeführten Schußwaffen geschult, man übte sich in Sprengstofftechnik und Brandbomben und schließlich wurden auch Banküberfälle durchgeführt.
Hier wurde die selbstentwickelte Taktik des Dreierschlags angewandt, das hieß konkret, daß immer mehrere Mitglieder zur selben Zeit drei unterschiedliche Banken der selben Stadt überfielen, um somit die Fahndung der Polizei zu erschweren. Weitere Maßnahmen zum Aufbau der Logistik waren das Fälschen von Ausweisen, Pässen, Führerscheinen, Kraftfahrzeugscheinen und Kraftfahrzeugkennzeichen. Hierzu hatte die Gruppe ebenfalls ein neues System entwickelt, das der sogenannten "Doublettenfahrzeuge". Fahrzeuge wurden gestohlen und anschließend die amtlichen Kennzeichen typen- und farbgleicher existierender Fahrzeuge nachgeprägt, so daß bei einer polizeilichen Abfrage der Kennzeichen kein Verdacht auf das betreffende Fahrzeug fallen konnte.
Ein weiterer wichtiger Punkt der Logistik waren ausreichend Unterschlupfmöglichkeiten im gesamten Bundesgebiet. Hierzu wurden sogenannte konspirative Wohnungen durch Strohmänner angemietet, welche sich aus dem legalen Umfeld der Gruppierung rekrutierten.
Diese Strohmänner hatten lediglich den Auftrag, die Mietverträge zu unterzeichnen und ihre Namen für Wohnung und Klingel zu leihen. Anfang der 70er Jahre bestand das legale Umfeld der RAF hauptsächlich aus Linken und liberalorientierten Bürgern. Diese Personengruppen waren bis zu diesem Zeitpunkt bereit, den gesuchten RAF-Mitgliedern Unterschlupf zu gewähren.
Insgesamt war der Aufbau der Logistik der Terrorgruppe niemals abgeschlossen. Ständig mußten neue Fahrzeuge entwendet, andere Wohnungen gemietet, neue Ausweisdokumente, Waffen und Munition beschafft werden. Im Rahmen der zweiten Generation wurde es üblich, daß man sogenannte Erddepots anlegte,
welche sich ebenfalls über die ganze Bundesrepublik verteilten.
Neben Waffen und Munition befanden sich auch Ausweispapiere in diesen Erddepots. Sie erfüllten hauptsächlich den Zweck, die auf der Flucht befindlichen Genossinnen und Genossen zu unterstützen. Teilweise waren diese Depots so raffiniert versteckt, dass bis heute nicht alle dieser Erddepots entdeckt worden sind.
Betrachtet man die Tatsache, daß die RAF, aus dem Untergrund und der Illegalität heraus agierte, unter ständigem Fahndungsdruck, und dazu unter dem selbst auferlegten Zwang, ständig "Aktionen" durchzuführen, muß klar werden, daß dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt war. Ein ehemaliger Terrorist bezeichnete in einem Fernsehinterview den Versuch des Aufbaus der Terrorgruppe aus der Illegalität heraus als "absoluten Schwachsinn". Da ihnen auch die Möglichkeit genommen war legale Tätigkeiten in der Öffentlichkeit auszuführen, mussten sie zwangsläufig den Bezug zum Alltag, also der Realität, verlieren.
Wie sieht das Vorgehen des Stadtguerilla aus?
Marighella erklärt in seinem "Mini-Handbuch des Stadtguerilla" Technik als "aggressive Technik, d. h. sie hat offensiven oder Angriffscharakter" Weiter legt Marighella dar, daß aufgrund der größeren Macht in Personal und Waffen seitens des Staates die Techniken ständig variieren müßten. Auf eine
durchgeführte Aktion müsse umgehend der Rückzug folgen, um die eigene Kampfkraft zu bewahren sowie den Gegner durch diese Taktik der Nadelstiche zu ermüden, zu demoralisieren und zu verwirren. Im weiteren führt Marighella die entscheidenden Vorteile des Konzepts Stadtguerilla auf. Es sind, unter dem Begriff Anfangsvorteile zusammengefaßt, die Überraschung des Feindes, die bessere Ortskenntnis , die größere Mobilität und Schnelligkeit gegenüber dem Feind, sowie der bessere Informationsdienst und die leidenschaftliche Entschlossenheit des Stadtguerilla im Kampf um Freiheit und Revolution.
Erstaunlicherweise hat sich die RAF fast in ihrer gesamten aktiven Zeit an diese Grundprinzipien des bewaffneten Kampfs gehalten. Anschläge wurden von langer Hand geplant und vorbereitet, das Objekt sowie dessen Umgebung tagelang beobachtet, Fluchtmittel und Wege vorbereitet. Die meisten Aktionen waren zuvor bis ins kleinste Detail durchgespielt und diskutiert um alle möglichen Eventualitäten abzudecken. Nach einer durchgeführten Aktion wurde über Fehler Einzelner, der Gesamtaktion und Verbesserungen für die Zukunft diskutiert. Jedoch das Strategiekonzept der RAF wies erhebliche Defizite auf. Der Hauptkritikpunkt am Konzept der Stadtguerilla ist, daß die RAF versuchte, ein für Lateinamerika entwickeltes Konzept des bewaffneten Guerillakampfes ohne nennenswerte
Einschränkungen zu übernehmen.
Die Unterschiede in Geographie, Infra- und Gesellschaftsstruktur zwischen Brasilien und der Bundesrepublik Deutschland waren einfach zu groß, um sich darüber hinwegzusetzen. Dort unwegsamer Regenwald mit wenig ausgebauten Straßen und Wegen, hier ein Land mit einer der höchsten Bevölkerungsdichte der Welt, mehreren großen und kleinen Städten und einer sehr gut ausgebauten Infrastruktur. Dort ein dünnbesiedeltes und mit unzähligen Versteckmöglichkeiten ausgestattetes Gelände, hier ein Gebiet mit relativ modernem Überwachungs- und Kontrollapparat seitens der Polizei. Dort eine Militärdiktatur und hier ein parlamentarisches Regierungssystem auf der Grundlage einer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Ein weiterer Punkt, weshalb die RAF das Konzept Stadtguerilla für sich in Anspruch nahm, war die Tatsache, daß Guerillagruppierungen, insbesondere in Vietnam und Algerien Mitte dieses Jahrhunderts große Erfolge verbuchen konnten. Jedoch bedachte man nicht, daß diese Erfolge gegen fremde Kolonialarmeen errungen worden waren, so daß dies wiederum nicht übertragbar auf die inneren Zustände in der BRD war.
Auch fehlte der RAF die in Marighellas Handbuch beschriebene Unterstützung aus der Bevölkerung, wohingegen sich die genannten Guerilleros auf die Unterstützung breiter, vom Staat unterdrückter Massen verlassen konnten. Auch kam es nicht zu einer Entfachung des revolutionären Kampfes auf einer breiten gesellschaftlichen Ebene in der BRD. Dieses wird jedoch durch Marighella als Voraussetzung für den Erfolg des Guerillakampfes gesehen. Somit gelang es der RAF nicht ihre Aktionen theoretisch zu untermauern.
Mitte der 70er Jahre entfernte sich die RAF mehr und mehr von der Strategie des Guerillakampfes, welche hauptsächlich von Horst Mahler vertreten wurde. Ulrike Meinhoff ging dann mit der sogenannten dritten RAF-Schrift auf die
terroristische Sabotage über, welche die Zerstörung der Logistik und Versorgungsnetze des imperialistischen Systems zu Ziel hatte.
Aber wie Mahler zuvor, gelang es Ulrike Meinhoff mit dieser Theorie nicht, Strategie und Ideologie zu versöhnen. Sie selbst konnte sich nicht vorstellen, daß ihr revolutionäres Subjekt, das Industrieproletariat, mit der strategischen Zerstörung der Versorgungsanlagen der BRD zu begeistern sei um sich schließlich dem revolutionären Kampf anzuschließen.
Die Terroristische Strategie
Nachdem Ausschluß des Verfechters der Guerillastrategie, Horts Mahler, und des Widerspruchs der Sabotagestrategie mit der Ideologie des revolutionären Subjekts, ging die Gruppierung gegen Ende der 70er Jahre zur terroristischen Strategie über. Diese Form des bewaffneten Kampfes sah vor, daß durch gezielte Attentate auf staatliche Einrichtungen und Personen, das System zu Maßnahmen gezwungen wird, die in der Bevölkerung Empörung und
Solidarisierung mit den Terroristen hervorrufen sollten. So sollte ein revolutionärer Proteststurm gegen die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung geschürt werden, welcher in letzter Konsequenz einen Bürgerkrieg lostreten sollte. Vorteil dieser Demaskierung des Staates war es, daß Strategie und Ideologie dieselben Ziele hatten, nämlich die Mobilisierung breiter Massen hin zum Volkskrieg gegen den Staat.
Interessant ist die Tatsache, daß die führenden Köpfe der RAF erst zu dem Zeitpunkt, als sie bereits inhaftiert waren, ihr strategisches Konzept für den antiimperialistischen Kampf fertiggestellt hatten. Zuvor war die Gruppe noch vom sogenannten Primat der Praxis ausgegangen, welches besagt, daß erst
durch den praktischen Kampf die Theorie erkannt werden kann. Einige Kritiker meinen, daß die Terrorgruppe hiermit versuchte, ihr theoretisches Defizit zu überspielen. Diese Kritik läßt sich auch mit der Tatsache begründen, daß erst zum Zeitpunkt ihrer Gefangenschaft Baader, Ensslin, Meinhoff und andere
Führungskräfte die ideologischen und strategischen Theorien für den bewaffneten Kampf entwickelten. In dieser Zeit wurden durch die Führungskader in den Haftanstalten mannigfaltig theoretische
und praktische Literatur zum revolutionären Kampf gelesen.
Ulrike Meinhof sieht dies in der Grundsatzschrift "Das Konzept Stadtguerilla" jedoch anders oder gibt dies zumindest so vor: "In der Papierproduktion der Organisationen erkennen wir ihre Praxis wieder als den Konkurrenzkampf von Intellektuellen, die sich vor einer imaginären Jury, die die Arbeiterklasse
nicht sein kann, weil ihre Sprache schon deren Mitsprache ausschließt, den Rang um die bessere Marx-Rezeption ablaufen.
Es ist ihnen peinlicher, bei einem falschen Marx-Zitat ertappt zu werden als bei einer Lüge, wenn von der Praxis die Rede ist. Die Seitenzahlen, die sie in ihren Anmerkungen angeben, stimmen fast immer, die Mitgliederzahlen, die sie für ihre Organisation angeben, stimmen fast nie."
Man könnte durch ihre Argumentation auch auf Frustration und Desillusionierung in Richtung Studentenrevolte schließen, die es ihrer Ansicht nach nicht geschafft hatte, den theoretischen Hintergrund tatsächlich in die Praxis umzusetzen, und den entscheidenden Schritt hin zum bewaffneten
Kampf nicht vollzogen hatte. Es darf jedoch hier nicht unerwähnt bleiben, dass die Studentenunruhen eine im Kern „urdemokratische Bewegung“ (Genscher) gewesen ist, deren Mehrzahl mit politischer Gewalt nichts im Sinn hatte und ihr revolutionäres Gebaren mehr als Protest gegen das „Establishment“ verstand als die Anstiftung zu Gewalt und Terror.
Abschließend zu der terroristischen Strategie läßt sich anmerken, daß auch diese nicht die gewünschten Ziele zu erreichen vermochte. Je brutaler die Gruppe versuchte, den faschistischen Staat zu demaskieren und in Mißkredit zu bringen, desto mehr wandte sich die Bevölkerung von ihr ab und forderte zum Teil sogar die Todesstrafe für Terroristen.
Die zweite und insbesondere dritte Generation der RAF hatte eine neue Konzeption des Kampfes gegen den Weltimperialismus entwickelt. Eine sogenannte "westeuropäische antiimperialistische Front" wurde aus der Taufe gahoben, die aus zwei Ebenen bestehen sollte: Zum einen auf einer auf
internationaler Zusammenarbeit basierende "Auslandsfront", zum anderen auf den Zusammenschluß der bundesdeutschen radikalen Linke in einer "Inlandsfront". Ziel der Verbindungen zu anderen europäischen Terrorgruppen war es, den Kampf gegen das imperialistische System nicht nur auf deutschem Territorium zu führen, sondern die linksterroristischen Aktionen auf den gesamten europäischen Kontinent auszudehnen. Ein Grund war möglicherweise die zunehmende Ernüchterung der Terrorgruppe, da es ihr offensichtlich nicht gelang ein revolutionäres Bewusstsein auf breiter gesellschaftlicher Ebene zu stiften. Die RAF mußte allmählich erkennen, daß ihr auserkorenes revolutionäres Subjekt, das Industrieproletariat sowie die Linke in Deutsc
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