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  Essbrechsucht

Essbrechsucht     Vom äußeren Erscheinungsbild her sind bulimische Frauen/Männer unauffällig, meist schlank. Auch ihr Essverhalten in der Öffentlichkeit ist eher kontrolliert. Nach außen hin funktioniert alles perfekt. Bulimie ist eine schambesetzte und heimliche Essstörung. Die Betroffenen ekeln sich vor sich selbst, haben das Gefühl abnorm zu sein. Sie tun alles, um ihre Essanfälle und das danach Folgende (Erbrechen oder Abführmittelmissbrauch) ungeschehen zu machen, die Kalorienzufuhr zu verheimlichen.

Oft entscheiden sie sich für extreme sportliche Betätigungen, die zwar viele verwundern, jedoch nicht misstrauisch machen. Im fortgeschrittenen Stadium kommt es vermehrt zur sozialen Isolation und depressiven Verstimmungen. Um ihren Heißhungerattacken nachgeben zu können, vernachlässigen Betroffene häufig jegliche Interessen und den Kontakt zu anderen Menschen. Die Diagnosekriterien für Bulimia nervosa sind ·      mindestens 2 Essattacken pro Woche über 2 Monate, Aufnahme großer Mengen meist leicht verzehrbarer und kalorienreicher Nahrungsmittel, das Gefühl, das Essverhalten während der Anfälle nicht unter Kontrolle halten zu können, ·      im Anschluss Ungeschehen-Machen der Kalorienzufuhr durch selbstinduziertes Erbrechen, Medikamentenmissbrauch (Abführmittel und/oder Entwässerungstabletten) und/oder Diät-/Fastenphasen und/oder übermäßige körperliche Betätigung, andauernde übertriebene Beschäftigung mit Figur und Gewicht, ·      krankhafte Furcht davor, dick zu werden, scharf definierte sehr niedrige persönliche Gewichtsgrenze. In der Vorgeschichte von Betroffenen finden sich häufig magersüchtige Phasen. Auch im Verlauf der Bulimie kann es wieder zu Magersucht kommen.

Essstörungen können sich immer wieder verlagern. Besonders Magersucht und Ess-Brech-Sucht haben fließende Grenzen. Die körperlichen Folgeschäden der Bulimie sind Schwellung der Speicheldrüsen, Zahnschmelzschäden, Speiseröhreneinrisse, Magenwandperforationen sowie Elektrolytenentgleisungen, die zu Nierenschäden und Herzrhythmusstörungen führen. Die Regelblutung kann ausbleiben. Hinzukommen häufig finanzielle Schwierigkeiten, bedingt durch den großen Nahrungsmittelkonsum und Ausgaben für Abführmittel. Typische Muster und Abläufe PerfektionismusGefährdet sind Menschen, in deren Familien Suchtverhalten aufgetreten ist.

Außerdem kann eine Neigung zum übertriebenen Perfektionismus ein Hinweis auf eine Gefährdung sein. Perfektionismus wird im Verlauf einer Bulimie noch stärker und quält Betroffene nicht nur im Hinblick auf ihre Figur, sondern in allen Lebensbereichen: Schule, Ausbildung, Rolle als Tochter oder/und Freundin, Ehefrau, Mutter etc. Ich bin nicht gut genug, nicht schön genug, nicht genug überhaupt! Ich bin so wie ich bin nicht richtig, alles an mir könnte besser sein. Obwohl die Fassade lange Zeit stimmt, ist das Selbstwertgefühl der Betroffenen sehr schwach ausgeprägt, ihre Identität verschwommen. Unterdrückung von BedürfnissenBulimische Frauen haben nicht gelernt, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen und gegenüber anderen zu vertreten. Außerdem berichten sie über starke Abhängigkeitsgefühle, die mit großen Verlust- und Trennungsängsten einhergehen.

Dies trägt zur Unterdrückung eigener Gefühle und Bedürfnisse bei und hat eine starke Orientierung an den Erwartungen anderer Menschen zur Folge. Das mangelnde Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen bewirken depressive Verstimmtheit sowie Gefühle der emotionalen Leere, Hilflosigkeit und Anspannung und der Scham über die Unzulänglichkeit des eigenen Körpers. Das Wahrnehmen, Benennen und Ausdrücken der eigenen Gefühle gelingt den Frauen nur schwer. Die in der eigenen Wahrnehmung bestehenden Unterschiede zwischen dem »Wie ich sein will« und dem »Wie ich bin« führen zu Spannungszuständen, die sich dann im Essverhalten entladen. Rund 50 Prozent der bulimischen Frauen waren früher einmal magersüchtig. Die Symptomverlagerung ist eine scheinbare Lösung und begünstigt die Entwicklung zu einer chronischen Essstörung.

Ein anderer Einstieg ist eine oder mehrere missglückte Diäten. Der Wille, schnell schlank zu werden, eine extreme Diät stehen dann am Anfang einer Krankheit. Der »Diät-Geheimtipp« wird durch die Medien verbreitet und oft auch bagatellisiert. Dieser Anfang erscheint harmlos. Die Schwelle zur Essstörung, aus der sich Betroffene ohne fremde Hilfe kaum noch befreien können, ist aber schnell überschritten. Die Entwicklung kann, muss aber nicht dramatisch werden.

Bei einem schweren Krankheitsverlauf kommt es neben schweren körperlichen Schäden auch zu sozialen Auffälligkeiten: Häufig ambivalentes Verhalten (»launisch sein«, »mal hü, mal hott«) und Aggressivität be- und verhindern Kontakte, führen zur Vernachlässigung der Schulpflichten, zu einer chaotischen Wohnsituation (Zimmer ist überfüllt mit Lebensmittelresten, offenen Büchsen, Papier etc.), zum Stehlen von Lebensmitteln oder Geld, zu hoher Verschuldung Hinweise auf Ursachen und Auslöser RollenerwartungAls wesentliche Risikofaktoren haben sich das gesellschaftliche Schlankheitsideal und eine veränderte Rollenerwartung an Frauen erwiesen. Einerseits können Frauen sich von der traditionellen Hausfrau- und Mutterrolle distanzieren und beruflichen Erfolg und Leistungsbereitschaft anstreben, andererseits werden ihnen aber nach wie vor die weiblichen Tugenden der Warmherzigkeit, des Sorgens für andere und vor allem des Schönseins zugesprochen und abverlangt. Psychische Risikofaktoren sind vor allem ein Mangel an Selbstwertgefühl, eine große Selbstunsicherheit und eine insgesamt gestörte Entwicklung der eigenen Identität. Es besteht ein Mangel in der Wahrnehmungsfähigkeit der eigenen Körpersignale wie Hunger oder Sättigung, diese werden kaum oder verzerrt wahrgenommen. Gewichtskontrolle und Diäten vermitteln dann ein Gefühl der Sicherheit, weil die eigenen Bedürfnisse scheinbar kontrolliert werden.


Die familiäre Situation bulimischer Frauen ist häufig durch große Unsicherheit geprägt; mindestens zu einem Elternteil besteht in der Regel eine unsichere Bindung. Häufig finden sich frühe Verlustereignisse, z.B. Trennung von einem Elternteil, so dass die junge Frau schon früh das Erleben mangelnder Unterstützung zu verarbeiten hatte. Immer wieder wird auch über sexuellen und emotionalen Missbrauch in den Familien berichtet. Kontrolle und KonfliktvermeidungKontrolle und Konfliktvermeidung charakterisieren das familiäre Klima in diesen Familien.

Es gibt indirekte gegenseitige Beschuldigungen und Abwertungen. Widersprüchliche Botschaften kennzeichnen den Umgang miteinander. Vor allem die Konfliktvermeidung trägt dazu bei, dass bulimische Frauen kaum taugliche Strategien zur Konfliktlösung lernen. Vielmehr scheint ein Überleben angesichts von Konflikten nur durch ein hohes Maß an Kontrolle der eigenen Gefühle möglich. Viele bulimische Frauen berichten über familiäre Schlankheits- und Gesundheitsideale, der äußeren Erscheinung wurde eine hohe Bedeutung eingeräumt. In einer Atmosphäre, in der die Bedürfnisse des Einzelnen nicht respektiert werden, wird auch die Wahrnehmung von Körpersignalen wie Hunger und Sättigung verlernt.

Essen wird in diesen Familien häufig nicht bedürfnisorientiert eingesetzt, sondern als Mittel der Ablenkung, Belohnung und Entspannung und zur Aufrechterhaltung traditioneller Normen. Hat sich die Bulimie erst einmal ausgebildet, so wird sie im Sinne eines psychosomatischen Teufelskreises aufrechterhalten. Diäten, Fasten, Erbrechen, exzessiver Sport und Abführmittelmissbrauch führen zu einem körperlichen und psychischen Mangelzustand, der nicht unbegrenzt ausgehalten werden kann. Typischerweise folgen Heißhungeranfälle, die wiederum auf körperlicher und psychischer Ebene zu massivem Unwohlsein führen, das nun abermals durch Diäten, Fasten, Erbrechen, exzessiven Sport und Abführmittelmissbrauch beendet wird. Dies hat erneut einen körperlichen und psychischen Mangelzustand zur Folge usw. usw.

Fallbeispiel: Kathrin oder mein zweites ich Für Kathrin interessieren sich viele Menschen. Sie ist klug und attraktiv. Sie scheint kontaktfreudig und aufgeschlossen. Jeder verzeiht ihr gern, wenn sie ab und zu eine Verabredung kurzfristig absagt. In ihrem Job ist sie ehrgeizig und erfolgreich. Keiner käme auf die Idee, dass etwas mir ihr nicht stimmt.

Doch Kathrin führt ein Doppelleben. Das offizielle Leben der perfekten Frau, die allen Rollen gerecht wird: kluge Kollegin, attraktive Geliebte, aufmerksame Tochter und das heimliche Leben als gierige, unbeherrschte Frau im ständigen Krieg mit sich selbst. Kathrin ist bulimisch. Sie denkt den ganzen Tag an das Essen, hat panische Angst vor einer noch so geringen Gewichtszunahme und kauft heimlich im Supermarkt riesige Mengen von Nahrungsmitteln ein. Ihre inzwischen angewachsenen Schulden und ihre Heißhungeranfälle quälen sie. Sie hat das Gefühl, jegliche Kontrolle über sich zu verlieren: beim Einkaufen, wenn sie den Stecker vom Telefon herauszieht, die Verpackungen aufreißt und alles in sich hineinstopft.

Wie von Sinnen. Erst wenn sie danach eine Handvoll Abführmittel nimmt, erbricht oder tagelang fastet, um alles ungeschehen zu machen, fühlt sie sich besser. Jedes mal schwört sie: Nie wieder. Bis die Gier wieder da ist und sie sich wieder in dieses fressende Etwas verwandelt. Anfangs hatte sie gehofft, ihre "Gewichtsprobleme" auf diese Weise ohne viel Anstrengung zu lösen: ab und zu ein paar Abführmittel oder nach dem Essen erbrechen. Was jedoch scheinbar harmlos anfing, wurde zwanghaft und bedrohlich: die Nahrungsmengen, die sie verschlang, wurden immer größer.

Manchmal glaubt Kathrin an diese selbstbewusste, erfolgreiche Frau in sich, doch sie kennt auch ihr anderes Ich, und das muss sie auf jeden Fall vor anderen verbergen. Das kostet Kraft und macht sie sehr einsam. Kathrin fühlt sich zerrissen von ihren ambivalenten Gefühlen. Nach und nach machen sich auch die ersten körperlichen Folgeschäden bemerkbar: ihr wird schwindelig, ihre Haut macht ihr Probleme. Kathrin hat große Hemmungen, sich jemandem anzuvertrauen. Erst nachdem sie zufällig in einer Fernsehsendung einen Bericht über eine bulimische Frau sah, und ein Hinweis auf eine Beratungsstelle eingeblendet wurde, wendet sie sich mit ihrem Brief dorthin.

Sie erhält Kontaktadressen in ihrer Nähe und geht zu einem Beratungsgespräch. Hier kann sie das erste Mal offen über ihre Problematik sprechen und fühlt sich verstanden. Ihr wird ein Arzt empfohlen, damit sie sich erst einmal um ihren körperlichen Mangelzustand kümmern kann. Eine angeleitete Selbsthilfegruppe wird ihr vermittelt. Sie erwägt, sich zu einem späteren Zeitpunkt einen Therapieplatz zu suchen. Die ersten Schritte sind getan.

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