Digitales fernsehen
Universität Potsdam SS 1998Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
FB Politikwissenschaften
Kurs: (HS) Medienpolitik II
Kernbereich: Verwaltung und Organisation
Lehrkraft: Prof. Dr. W. Jann
Thema der Arbeit:
Die Einführung des digitalen Fernsehens aus politikwissenschaftlicher Sicht
vorgelegt von:
Hinnerk Peters
(8. Semester Politikwissenschaften)
Ma.-Nr.
: 27634
Am Rosenanger 72a
13465 BerlinPotsdam, im September 1998
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Die deutsche (Sonder-) Situation
2. Versuche zur Etablierung digitalen Fernsehens in Deutschland
Vorgeschichte(n)
Die Digital-Allianz aus CLT/UFA, Kirch und Telekom 2.2.1 Die Pläne der beteiligten Akteure 2.2.
2 Die Verhandlungen mit und die Entscheidung der EU-Kommission
3. Konflikte im Umfeld der Einführung des digitalen Fernsehens
4. Regulierungsdebatten im Zuge der Digitalisierung
4.1 Der Übergang von analoger zur digitalen Technik
4.2 Ausgestaltung des chancengleichen Zugangs
5. Folgen der Digitalisierung für die Medienpolitik
5.
1 Eine neue Kommunikationsordnung?
5.2 Aufgabenverlagerung der Medienbehörden
5.3 Wirtschaftsgut Medien?
Fazit
Quellen- und Literaturverzeichnis
“Kein Stein wird auf dem anderen bleiben!”
Einstiegszitat in den Abschlußbericht der Enquete Kommission “Zukunft der Medien” (Zitat: R. Berger)
Wie kaum eine andere technische Entwicklung ist die Digitalisierung der Übertragung von Signalen zu einem Synonym für eine zukünftige Gesellschaftsordnung geworden, in deren Mittelpunkt die Informationen und die Möglichkeiten ihrer Vermittlung stehen. Die gelegentliche Beschreibung zukünftiger Zeiten als ein “digitales Zeitalter” zeugt davon, daß hier nicht der technische Aspekt in den Vordergrund gestellt wird, sondern vielmehr seine vermutete umwälzende Auswirkung auf die Allgemeinheit.
Es nimmt daher nicht Wunder, daß sich eine hohe Anzahl von Kommissionen, Verbänden und Ausschüssen mit den Umständen sowie den Folgen dieser neuen Techniken auseinandersetzen.
Oftmals, auch das ist kennzeichnend für die beigemessene Bedeutung, im Rahmen von breit angelegten Zukunftsvisionen und Handlungsanleitungen etwa zur Schaffung einer neuen Kommunikationsordnung (vgl. Übersicht von Pregel in Tendenz I/98: 4-8). Ungeachtet seiner Unbestimmtheit findet der Begriff der “Informationsgesellschaft” dabei eine häufige Anwendung.
Rein technisch betrachtet liegt der Fortschritt bei der Digitalisierung von Rundfunksignalen in der daraus resultierenden Möglichkeit der Datenreduktion (MPEG-2). Eine Vielzahl von Programmen - je nach Qualitätsanspruch vier bis zehn - können damit über eine Frequenz verbreitet werden. Zudem wird es möglich, mittels “Rückkanälen” die Interaktivität in einer neuen Qualität zu realisieren (Homeshopping-Bestellungen, Viedeo on demand, pay per view etc.
). Eine konkrete gesellschaftliche Auswirkung wird darin bestehen, daß aufgrund der neuen Vielzahl von Übertragungsplätzen Programme für hier lebende Ausländer ausgestrahlt werden (sog. Fremdsprachenpaket der Telekom, Asia-Channel). Aus dem gleichen Grund wird es möglich werden, Zielgruppen bis hin zu Jägern und Anglern nun auch direkt per Fernsehen anzusprechen. Mit dieser Fragmentierung des Angebotes wird das Medium Fernsehen daher weitgehend seinen Charakter als Massenmedium verlieren.
Die Arbeit befaßt sich mit den Schwierigkeiten, das digitale Fernsehen durchzusetzen.
Dazu wird im Abschnitt 1 die Besonderheiten der deutschen Situation dargestellt und im zweiten Abschnitt die unternommenen vergeblichen Versuche - mit Schwerpunkt auf die vor der EU gescheiterten Fusion von DF1 und Premiere - das digitale Zeitalter einzuläuten, beschrieben. Der Dritte Teil beschäftigt sich mit den Konflikten, die im Umfeld der Digitalisierung auftraten, daran schließen sich in Teil 4 die Darlegung der mit der Digitalisierung einher gehenden ordnungspolitischen Herausforderungen und Regulierungsdebatten an. Vorausgesetzt, der politische Wunsch erfüllt sich und das digitale Fernsehen löst das analoge in 12 Jahren gänzlich ab (vgl. Abschlußbericht IDR, 1998), so zeichnet sich schon jetzt ab, daß diese Entwicklung große Auswirkungen auf die einzelnen Akteure der Medienpolitik haben wird, die im letzten Abschnitt Gegenstand der Erörterung sind.
1. Die deutsche (Sonder-) Situation
Die Situation für die Etablierung des digitalen Fernsehens gestaltet sich in Deutschland schwierig.
Zum einen besitzen die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland, nicht zuletzt aufgrund des föderalen Aufbaus und ihrer vom BVerfG bescheinigten Bestands- und Entwicklungsgarantie, eine sehr starke Stellung. Die Qualität dieser Programme gilt im europäischen Maßstab gesehen als gut. Mit Phönix und dem Kinderkanal sind sie überdies an der “Verspartung” von Programmen beteiligt. Zu den Öffentlich-rechtlichen Sendern gesellen sich 30 private frei - das heißt ohne Entgelt - zu empfangene Programme, von denen 28 bislang rote Zahlen schreiben. In Großbritannien gibt es hingegen sieben, in Frankreich acht frei zu empfangene Programme. 12400 Spielfilmen im Free-TV stehen 2000 (GB) bzw.
1200 (F) gegenüber (siehe MedienDialog, 6/98: 2). Infrastrukturell wurden die Voraussetzungen für ein breites und freies Angebot durch die expansive Verkabelungspolitik der konservativ-liberalen Regierung in den 80er Jahren gelegt. In Deutschland gibt es mit anderen Worten ein vergleichsweise reichhaltiges, qualitativ hochwertiges Programm, das frei zu empfangen ist: “Ein ähnliches Multikanal-Angebot, wie es deutsche Haushalte für ihre Rundfunk- und Kabelgebühren empfangen, gibt es auf anderen europäischen Märkten nur gegen gesonderte Bezahlung, als Pay-TV.” (Kleinsteuber/Rosenbach, 1998: 8)
Damit fehlt eine der Voraussetzungen für entgeltpflichtige neue Programme und Programmbouquets, die in anderen europäischen Ländern das digitale Fernsehen mit auf den Weg bringen. In Deutschland ist der Wunsch nach mehr Programmen, für die ein zusätzlicher monatlicher Betrag zu entrichten sowie ein Dekoder zu mieten oder zu kaufen ist, nur rudimentär ausgeprägt. Auf den deutschen Fernsehmarkt läßt sich das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen aus der Volkswirtschaft in seiner praktischen Erscheinung studieren.
Zu schlußfolgern ist, daß der für den wirtschaftlichen Erfolg notwendige zusätzliche Nutzen für den potentiellen Zuschauer auf der Angebotsseite mit zwei (ggf. parallel angewendeten) Strategien zu erreichen ist:
Das analoge Free-TV Angebot wird entsprechend verknappt (eine entsprechende Neuaufteilung zwischen Pay- und Free-TV erscheint aufgrund der im wesentlichen gleichen Veranstaltergruppierungen zumindest realistisch).
Das Angebot im Pay-TV Bereich selbst wird mit exklusiven sowie nachfrageintensiven Programmteilen versehen.
Beide Strategien sind jedoch lediglich von Akteuren zu verfolgen, die bereits eine herausragende Stellung als Programmveranstalter und Besitzer von Exklusivrechten innehaben.
Das heißt, daß insbesondere in Deutschland, wo die Grenze, ab der zusätzlicher Nutzen anfängt, sehr hoch liegt, eine punktuelle Zusammenarbeit von Konkurrenten naheliegt, um die hohen Investitionen vor allem in Programmrechte, aber auch in die neu zuschaffende Infrastruktur (Vertrieb von Dekoder u.a.
m.) zu bewerkstelligen.
Die deutsche Situation ist darüber hinaus gekennzeichnet durch die dominierende Rolle eines Akteurs insbesondere über die drahtlose Übertragung von Signalen und jene über Kabel. So verfügt die Telekom auf der sog. Netzebene 3 (umfaßt die Leitungen von den Kabelkopfstationen bis zur Grundstücksgrenze) mit über 16,5 Mio. Haushalte.
Der Programmempfang der Haushalte über Kabel kommt in Deutschland mit einem Anteil von 53,7% weit vor terrestrischer (18,7%) oder satellitengestützter (27,6%) Übertragungsmethode die größte Bedeutung zu (Stand 5/97; ALM, 1997: 271).
“Weltweit gibt es kein Beispiel einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft, in der ein einzelnes Unternehmen einen so großen Teil der Infrastruktur für die Verbreitung der elektronischen Medien - in der digitalen Welt: für die Datenübertragung an Privathaushalte mit hohen Datenraten - kontrolliert.” (Hege, in MedienDialog 4/97: 8f.) Diese marktbeherrschende Position der Telekom macht sie in jeder Digital-Verhandlung zu einem wichtigen Akteur. Da die meisten Haushalte an das Kabelnetz angeschlossen sind, kommt um seiner Marktdurchdringungschancen willen an der Telekom als Partner kaum ein Veranstalter vorbei. Mit der anfänglichen Weigerung, die digitalen Pilotprojekte Premiere und DF1 in das digitale Kabelnetz einzuspeisen bewies das Unternehmen, daß es auch gewillt es ist, diese Macht in seinem Sinne einzusetzen.
Mit dieser Alleinstellung kommt der Telekom bei der Konzeption für die Verbreitung digitaler Programme fern jeder medienpolitischen Entscheidung eine zentrale Rolle zu.
2. Versuche zur Etablierung digitalen Fernsehens in Deutschland
2.1 Vorgeschichte(n)
Bereits im Februar 1994 wurde die Media Service GmbH bestehend aus Telekom, Bertelsmann und Kirch gegründet und noch im gleichen Jahr von der EU-Kommission aus wettbewerblichen Gründen gestoppt. Im November 1995 stellt die Nachfolgeorganisation Multimedia-Betriebsgesellschaft (MMBG), an der auch ARD und ZDF beteiligt sind, einen Digitaldecoder namens Mediabox vor. Dabei wird der Entscheidung der EU insofern Rechnung getragen, als das Anteile der Gesellschaft für interessierte Unternehmen “reserviert” werden.
Parallel dazu entwickelt Kirch die auf einer anderen Technik aufbauende d-box und bestellt bei Nokia eine Millionen Stück (wie es heißt, weil die Firma aus Risikogründen ansonsten nicht bereit wäre, diese zu produzieren. Später sollte der Ballast unverkaufter d-Boxen zum unverhandelbaren Teil der Einigungsgespräche mit Bertelsmann werden.)
Verhandlungen zum Beitritt Kirchs an der MMBG scheitern im Februar 1996, auf der anderen Seite führt Bertelsmann Gespräche mit Murdoch, Canal+ und Havas. Im September 1996 zerfällt die MMBG, die Telekom kündigt ihren Rückzug an und plant, selbst Fernsehprogramme zu veranstalten. Murdoch hat zwischenzeitlich die Seiten gewechselt und will sich mit 49% bei Kirchs im Juni 1996 gestarteten DF1 einkaufen. Im September 1996 stoppt Bertelsmann sein digitales Fernsehprojekt (Club RTL).
Im März 1997 zieht sich Murdoch mit seinem BskyB vermutlich vor dem Hintergrund der nicht eingetroffenen Prognose der Abonenntenzahlen und der rechtlich unsicheren Lage aus der geplanten Beteiligung an DF1 zurück und trägt damit dazu bei, daß Kirch in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten gerät. Im März 1997 schließlich schlägt die Telekom, die zwischenzeitlich auch die Einführung eines Dekoders angekündigt hatte, die Bildung eines Runden Tisches vor, an dem alle Programmanbieter beteiligt sein sollen. Die Allianz von Bertelsmann (genauer: CLT/UFA), der Kirch-Gruppe und der Telekom sind Ergebnis der damit einsetzenden Gespräche.
Die langwierigen Bemühungen, in unterschiedlichen Zusammensetzungen und Verhandlungsrunden digitales Fernsehen in Deutschland einzuführen, können als Indiz für die damit verbundenen Schwierigkeiten und Unsicherheiten verstanden werden.
Für die Verhandlungen im Vorfeld der beschlossenen Allianz prägend war die Mischung aus Einsicht zur Zusammenarbeit und eigenen Ambitionen, die vor dem Hintergrund sich erst entwickelnder (und sich wieder ändernder) Pläne der Beteiligten zu wechselnden Koalitionen führte. Zudem ist zu vermuten, daß über all dem eine mißtrauische Grundstimmung vorherrschte, die sich daraus erklärt, daß sich hart konkurrierende Wettbewerber nun zu gemeinsamen Verhandlungen veranlaßt sahen, bei denen die Angst, “über den Tisch gezogen zu werden”, latent vorhanden war.
2.2 Die Digital-Allianz aus CLT/UFA, Kirch und Telekom
2.2.1 Die Pläne der beteiligten Akteure
Die Interessenlage der verschiedenen Akteure, die letztlich zum nachfolgendem Ergebnis geführt hat, sind in Abbildung 1 festgehalten.
Abbildung 1: Verhandlungskonstellation bei den Gesprächen
Deutlich wird der hohe Verhandlungsdruck, unter denen die Unternehmen standen. Kirch mußte seine Verträge hinsichtlich der hohen den Studios beim Rechteeinkauf versprochenen Abonnentenzahlen einhalten, zudem war er nach dem Nichteinstieg von Murdoch in finanzieller Verlegenheit.
Mit der Blockade von Kirch, der mit seiner Ankündigung, Premiere nicht weiter aus seinem Programmstock mit Premiumfilmen zu versorgen, die Existenz des Senders aufs Spiel und damit wiederum auf den Verhandlungstisch setzte, wurde auf der anderen Seite Bertelsmann unter Druck gesetzt.
Zur Erklärung der Unternehmenshandlungen im Digitalbereich wird davon ausgegangen, daß die eher zögerliche, skeptische Haltung des Bertelsmannkonzerns hinsichtlich eines diesbezüglichen Engagements gegenüber eines fast überhasteten, riskanten Engagements der KirchGruppe teilweise in der unterschiedlichen Struktur der beiden Akteure begründet liegt. Zum einen spielt die Organisation der Konzerne im allgemeinen eine Rolle. Der dezentrale, in allen medialen Geschäftsfeldern tätige und demokratisch organisierte Bertelsmannkonzern gab und gibt kraft dieser Struktur nach außen kein einheitliches Bild ab. Demgegenüber kann der von Kirch gegründete und auf die Person Leo Kirchs zugeschnittene Unternehmenskomplex auch bei Entscheidungen der Tragweite des rigorosen Einstiegs in das digitale Pay-TV wenig zerstritten sein. Dennoch lassen sich die Handlungen von Kirch nur dann hinreichend erklären, wenn man im besonderen die kirchspezifische Eigenschaft des “Gamblers” hinzuzieht, die sich in einer risikobeladenen betriebswirtschaftlichen Vorgehensweise niederschlägt (vgl.
etwa Glotz in der Woche 23/98: 3).
Die Pläne sahen vor, DF1 und DSFplus in Premiere aufgehen zu lassen, das nach dem Wegfall von canal+ (Anteil: 37,5%) zwischen Bertelsmann und Kirch paritätisch aufgeteilt werden und zur digitalen Plattform ausgebaut werden sollte. Die Pay-TV-Rechte beider Unternehmen sollten Premiere zur Verfügung gestellt werden. Die Anlaufverluste von DF1 sollte CLT/UFA im Gegenzug zur Hälfte übernehmen. Mit dieser Vereinbarung koppelte man den vorhandenen Filmrechtefundus des DF1 mit dem ansehnlichen Abonenntenstamm von Premiere (1,6 Mio.), überdies wurde die preisgestaltende Konkurrenzsituation im Handel um Pay-TV Rechte gemildert.
Bertelsmann und Telekom akzeptierten Kirchs Conditional-Access-(CA) und Decoder-Technologie und sollten an der Softwareentwicklungsfirma BetaResearch von Kirch zu je einem Drittel beteiligt werden. Mit der Einigung auf diesen Quasi-Standard war ein Element der Zugangskontrolle der Unternehmen verbunden, die über ihre Lizenzpolitik bei den Schnittstellen Beeinflussungen bis hin zur faktischen Zugangskontrolle hätten ausüben können.
In einer seperaten Verständigung mit der Telekom einigten sich die Akteure über die Einspeisung des digitalen Fernsehangebotes in die Kabelnetze, wobei die Telekom eine für Programmanbieter neutrale technische Plattform betreiben sollte ohne selbst Anbieter von Inhalten zu werden (siehe Kleinsteuber/Rosenbach, 1998:10).
2.2.2 Die Verhandlungen mit und die Entscheidung der EU-Kommission
Die nunmehr vereinbarte Fusion und die Zusammenarbeit mit der Telekom waren von der EU-Kommission nach den wettbewerbsrechtlichen Regelungen der Union zu genehmigen.
Sie wurde dabei vom beratenden Ausschuß, in dem die Kartellämter der Mitgliedstaaten zusammengefaßt sind, beraten (siehe Abbildung).
Abbildung 2: Schaubild der Akteurskonstellation bei der "Bertelkirch"-Entscheidung
Frühzeitig war vor allem an den Stellungnahmen des Wettbewerbskommissars van Miert abzulesen, daß die Pläne - zumal in der vorliegenden Form - wahrscheinlich nicht die Zustimmung der Kommission wird finden können. So untersagte er bis zur Entscheidung der Kommission in dieser Frage die Vermarktung der planmäßig gemeinsamen d-box durch Premiere digital ausgerechnet im Weihnachtsgeschäft 1997.
Spätestens von diesem Zeitpunkt an betrieben die beteiligten Unternehmen intensiv Überzeugungsarbeit und Kompromißsuche. Bertelsmann beispielsweise brachte folgende Argumente für die geplante Fusion hervor:
“Durch den Abbau von Markteintrittsbarrieren [gemeint ist wohl die durch die Fusion attraktiv werdende Anschaffung von Dekodern, sowie die durch die Vereinbarungen für den Kunden gewonnene Sicherheit bzgl. der technischen Standards; H.
P.] wird eine offene diskriminierungsfreie Struktur für zukünftige Wettbewerber erst geschaffen.” Argumentiert wird in diesem Zusammenhang mit Frankreich, wo auch zu einem späteren Zeitpunkt neue Wettbewerber in den Pay-TV Markt drangen. Zum anderen werden “europäische Anbieter nach Durchdringung ihrer Teilmärkte (...
) auf die jeweiligen anderen Heimmärkte drängen können und so einen europaweiten Wettbewerb herstellen.”
Für den Fall des Scheitern der Pläne wird eine zweite Argumentationslinie aufgeführt: Es wird die Gefahr einer Dominanz von US-Anbietern beschworen, die “im Gegensatz zu deutschen Anbietern auf einen funktionierenden Heimatmarkt und umfangreiche Programmressourcen zurückgreifen, die sie auch in Europa verwerten können.” Zusammenfassend: “Wenn Wettbewerb bereits beim Einstieg in eine neue Technologie zur Bedingung gemacht wird, besteht die Wahrscheinlichkeit, daß die eigenen Player verhindert werden, der Markt Anbietern von außen überlassen wird und die Arbeitsplätze außerhalb Europas geschaffen werden.”
Im Laufe der Verhandlungen ging die Allianz weitere Zusagen ein. So erklärte sie sich bereit, 25% von BetaResearch “freizuhalten”, die Einrichtung eines technischen Sachverständigenrates, der allen mit digitalen Fernsehen Befaßten offensteht, sollte beraten, in Zweifelsfällen sollte eine unabhängige Schiedsinstanz entscheiden; CA- und Dekoder-Hersteller-Lizenzen wollten die Beteiligten an jedem interessierten Unternehmen vergeben. Bertelsmann, Kirch und die Telekom erklärten sich überdies bereit, Premiereprogramme (allerdings ohne die Möglichkeit, diese zu entbündeln) durch andere Kabelnetzbetreiber vermarkten zu lassen.
Bezüglich des Rechtehandels konnten sich Bertelsmann und Kirch bei entsprechender Nachfrage Dritter auf die Weitergabe eines Viertels ihrer Film- und Sportrechte verständigen.
Van Miert schlug in der Schlußphase der hektischen Pendeldiplomatie vor, den privaten Kabelnetzbetreibern unter Mitwirkung der Telekom eine Plattform zu schaffen, auf der sie einen Zugang zu Premiere (digital) mit entsprechenden Zugriff auf die Programme bekommen hätten. Dabei machte sich der Wettbewerbskommissar im wesentlichen die Position des Verbandes der privaten Kabelnetzbetreiber (ANGA) zu eigen, welche argumentierte, eine neutrale Plattform sei nur möglich, wenn sie von allen Netzbetreibern betrieben wird (siehe MedienDialog 7/97: 11). Der Kompromißvorschlag wurde von Kirch und der Telekom angenommen, von Bertelsmann jedoch als zu weitreichend abgelehnt. Damit war die Grundlage für den einstimmig negativen Bescheid der Kommission gelegt. Insbesondere argumentierte sie dabei, daß es auch auf neuen Märkten eine Chance auf Wettbewerb geben müsse, diese Chance aber aufgrund der vereinbarten Konstellation so gut wie nicht bestehe, weder hinsichtlich der Dekodertechnik noch der Entwicklung einer alternativen Programmplattform oder der Durchsetzung neuer Vermarktungsanbieter.
So liegen beispielsweise alle Pay-TV-Rechte bei CLT-Ufa und Kirch. Ein neuer Veranstalter müßte zunächst Ausstrahlungsrechte erwerben, braucht aber, um hier Erfolg zu haben, bereits einen Stamm an Abonnenten, da die Möglichkeit der (Rechte-)Einnahmen und damit das Interesse an Verhandlungen seitens der großen Studios erst mit wachsender Anzahl der potentiellen Seher steigt. Hohe Investitionen der privaten Kabelnetzbetreiber wären notwendig, um eine alternative Technikplattform für digitales Kabelfernsehen zu entwickeln. Diese aber würden nur getätigt, wenn entsprechende Marktdurchdringungschancen bestehen würden, die wiederum äußerst gering zu sein scheinen.
Bei dem neuen Markt des Pay-TV findet sich somit eine Situation wieder, die der Struktur eines Dilemmas ähnlich ist: Zum einen erklärt sich die Zusammenarbeit der im Fernseh- und Netzbereich potentesten, und sich im übrigen teilweise ablehnend gegenüberstehenden Veranstaltergruppen aus den Umständen heraus (sehr hohe Investitionen, inhärenter Druck auf technische Standardisierung) sowie den teuren fehlgeschlagenen Versuchen der einzelnen zuvor (ClubRTL, DF1). Die angestrebte Zusammenarbeit ist Ausdruck einer Einsicht und nicht das Ergebnis von ins Auge gefaßter Marktabschottung und -beherrschung (so sie auch von den Beteiligten dankend in Kauf genommen werden mag).
Auf der anderen Seite steht die EU-Kommission, die auf der Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Regelungen auch auf einem neuen Markt Wettbewerb einfordert und (zu Recht) eine starke Betonung darauf legt, wie die Bedingungen aussehen müssen, respektive wie sie nicht aussehen dürfen, um den Markt für Wettbewerber offen zu halten. Daher lautet die zentrale Frage, wie unter den gegebenen gesetzlichen Vorschriften überhaupt dieser schwierige Markt erschlossen werden kann. Die schwierige, weil investitionsintensive Markterschließung im allgemeinen, sowie die deutsche Marktsituation mit einem zentralen Netzverwalter und zwei Rechteinhabern/Programmveranstaltern im Besonderen lassen schon in Ermangelung anderer Akteure eine grundsätzlich andere Alternative zum abgelehnten Vorgehen als unrealistisch erscheinen. Sogesehen liegt das Problem der rechtlich unbedenklichen Einführung des digitalen Fernsehens mittels Pay-TV auch in der deutschen Unternehmensstruktur eines Quasi- Duo- (Veranstalter) bzw. Quasi-Monopols (Netzbetreiber) begründet.
3.
Konflikte im Umfeld der Einführung des digitalen Fernsehens
In der Abbildung 3 sind die zentralen Konflikte in einem Schaubild dargestellt, die im Zusammenhang mit digitalem Fernsehen aufgetreten sind.
Abbildung 3: Ausgewählte Konflikte im Umfeld der Etablierung des Digitalen Fernsehens
Trotz gescheiterter Fusion von DF1 mit Premiere hielten Bertelsmann und Kirch an dem Plan fest, Premiere paritätisch aufzuteilen und so durch internen Wachstum des Senders zu einem gedeihlichen digitalen Programmbouquet zu gelangen. Damit allerdings ist eine Struktur geschafft, wie sie ähnlich von der EU-Kommission zuvor abgelehnt wurde. Diese Konstellation läßt die Klage der Landesmedienanstalten über die EU-Entscheidung plausibel werden. Die Landesmedienanstalten sehen sich mit dem Verbot der Fusion dennoch vor der gleichen Situation stehend und sprechen daher der Entscheidung den konstruktiven Charakter ab: Die Frage, wie digitales Pay-TV rechtlich unbedenklich durchgesetzt werden kann wird nicht beantwortet (vgl. auch Handelsblatt, 29.
5.98). Die Landesmedienanstalten haben eigene ordnungspolitische Vorstellungen zur Verwirklichung eines chancengleichen und diskriminierungsfreien Zugangs entwickelt und sehen in der bloßen Verhinderung der Allianz kein Fortkommen für die angestrebte technische Urbarmachung digitaler Fernsehübertragung. Das Mitglied der Monopolkommission Möschel kritisiert, daß die schwierige, spezifisch deutsche Situation hinsichtlich des Pay-TVs unzureichend berücksichtigt wurde und mutmaßt, daß die Kommission das Aufsichtskontrollverfahren DF1/Premiere dazu mißbraucht hat, “um insbesondere der Telekom Schwierigkeiten zu machen”, ihr “die Verfügung über das Fernsehkabel zu nehmen und anderen zuzuteilen” (siehe MedienDialog, 6/98: 2).
Mit der Anzeige der geplanten Anteilsaufstockungen an Premiere beim Bundeskartellamt ist eine Verlagerung der Entscheidungskompetenz weg von der EU eingetreten. Denkbar ist, daß bei dem zu erwartenden Negativurteil des Amtes (eine Abmahnung an die Unternehmen erfolgte bereits) der Wirtschaftsminister mit der Begründung, hier gehe es um eine Schlüsseltechnologie, die Entscheidung des Kartellamtes aussetzt.
Die politischen Reaktionen auf die Brüsseler Entscheidung (siehe epd-Medien 41+42/98: 14-18) lassen entsprechend erkennen, daß der Konflikt um das digitale Pay-TV im Kern als Zielkonflikt zwischen Wettbewerbs-/Ordnungspolitik auf der einen und Industrie-/Zukunftspolitik auf der anderen Seite verstanden wird. Dabei läßt sich grob sagen, daß Parteien links der Mitte das Gewicht auf die Ordnungspolitik legen, diejenigen rechts der Mitte hingegen im Zweifel die Industriepolitik im Auge haben.
Im Zuge der Brüsseler Entscheidung wurde überdies grundsätzlich die Frage nach den Kompetenzen der EU aufgeworfen, die - wie Kritiker monieren - demokratisch nicht legitimiert mit weitreichenden Folgen auf die Schlüsseltechnologien eines Mitgliedstaates Einfluß nehmen.
Im Umfeld des digitalen Fernsehens tritt auch der Konflikt zwischen der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) und den Landesmedienanstalten zu Tage. Allgemein beklagt die KEK, daß sich aus der gängigen Praxis der Landesmedienanstalten, aufgrund landesrechtlicher Versuchsklauseln Sendegenehmigungen zu erteilen, eine faktisch bundesweite Kabelverbreitung digitaler Fernsehprogramme ergibt, “wobei die kumulative Wirkung von landesrechtlichen Versuchsgenehmigungen dieses Ergebnis schafft.” (KEK, 1998: 37)
In einem gesonderten Prüffall im Rahmen der Veranstaltung digitalen Fernsehens gibt es einen Konflikt zwischen der KEK und der Bayerischen Landesanstalt für neue Medien (BLM) um das Programm “Discovery”, bei dem Kirch sich mit 50% einzukaufen gedenkt (siehe KEK, 1998: 13f.
). Die Prüfung der KEK im Rahmen des Lizenzierungsverfahrens überzog die Zeitvorstellungen der BLM. Sie rief aufgrund dessen die Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten (KDLM) an; eine 1997 mit dem Rundfunkstaatsvertrag eingeführte Institution, die Entscheidungen der KEK ggf. überstimmen kann (siehe §37 RStV). Die KEK argumentiert im Gegenzug, von den Landesmedienanstalten (als auch von Veranstaltern) nur sehr zögerlich die notwendigen Materialien zu erhalten. Im Falle von Kirch gehe es zudem darum, die verschiedenen Pläne der Gruppe im Zusammenhang zu prüfen (hier vor allem die Anteilaufstockung an Sat 1 durch Erwerb der Holtzbrinckanteile), um eine Aussage über die nach Vollendung der Pläne vorliegende Meinungsmacht zu treffen.
4. Regulierungsdebatten im Zuge der Digitalisierung
An der Digitalisierung von Rundfunkprogrammen knüpfen eine hohe Anzahl an ordnungspolitischen Fragen und Problemen an, die in drei Gruppen unterteilt werden können. Die übergeordnete Fragestellung ist jene nach der mit der Digitalisierung ggf. notwendig werdenden neuen Kommunikationsordnung. Hierauf wird im fünften Abschnitt eingegangen.
Konkreter sind hingegen die Fragen, die sich im direkten Zusammenhang mit dem Übergang von analoger zu digitaler Technik stellen (4.
1). Eine dritte Gruppe von ordnungspolitischen Problemen betrifft die Frage, welche Regelungen den chancengleichen und nichtdiskriminierenden Zugang von Veranstaltern und Netzbetreibern gewährleisten sollen (4.2).
4.1 Der Übergang von analoger zur digitalen Übertragung
Unabhängig vom Fortgang des Pay-TV Sektors wird die digitale Umstellung aufgrund der technischen Vorteile erfolgen. Allerdings wurde ein ‘natürlicher’ Motor für diese Umstellung - das nämlich zahlreiche Kunden von Abo-TV eine Umstellung auf das digitale Pay-TV mit dem Kauf eines Dekoders von sich aus mitmachen und damit den Übergang in den Gang setzen - mit der Brüsseler Entscheidung geschwächt.
Mit dem Beschluß des Bundeskabinetts vom 17.12.97 wurde die “Initiative Digitaler Rundfunk” eingesetzt, deren Besetzung (Vertreter des Witrschafts- Bildungs-/Forschungs- und Innenministerium, der Staatskanzleien der Länder, Netzbetreiber, öffentlich-rechtlichen Programmanbieter etc.) das Ziel der Initiative widerspiegelt: Auf breiter Basis und wenn möglich im Konsens der entscheidenden Akteure einen “Strategievorschlag” für den Übergang vom analogen zum digitalen Rundfunk in Deutschland zu entwickeln. Vor allem wurde mit dem im August 1998 vom Kabinett “zustimmend zur Kenntnis” genommenen Bericht der Initiative ein Zeitrahmen getrennt für terrestrische Sender, Kabel und Satellit für die Umstellung vereinbart, “für dessen Erreichen sich alle Beteiligten ungeteilt einsetzen.” (Kurzfassung des Berichts: 1) So soll die Digitalisierung der terrestrischen TV-Netze im Jahr 2010 abgeschlossen sein, “analoge TV-Übertragungen sollen bis dahin auslaufen.
” (Ebd. S.2) Für digitales Fernsehen über Kabel und Satellit soll bis spätestens 2010 “eine Marktdurchdringung mit Endgeräten, die auch digital empfangen können, von >95% je Versorgungsgebiet” erreicht und auf diese Weise der Markt für analoge Rundfunk- und weitere Dienstangebote substituiert werden (siehe ebd.). Das die Verbraucher nicht von vorneherein über die auf sie zukommenden Investitionen mit freudig-erhöhtem Pulsschlag reagieren werden scheint der Initiative bewußt, wenn sie den “Mehrwert der neuen Dienste und Geräte dem Kunden durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit” zu vermitteln trachtet (ebd. S.
5). Damit wird das zentrale Problem deutlich: Dem Bürger die politisch zuvorderst aus wirtschaftlichen Gründen (aber auch gesellschaftlich zu begründende) angestrebte Digitalisierung und die damit einher gehende Einstellung analoger Übertragung begreiflich zu machen, auch wenn er mit dem für ihn verfügbaren Fernsehangebot in der Regel vollauf zufrieden ist. Der Mehrwert der Dienste könnte zudem mit der steigenden Bedeutung des Internets bis zum Jahre 2010 nahe Null liegen.
Neben einer gemeinsamen Strategie, auf die sich Akteure aus Bund und Ländern sinnvollerweise mit der Initiative verpflichten, gibt es die politische Herausforderung, die bestehenden Gesetze und Richtlinien insbesondere zum Jugendschutz im herannahenden digitalen Zeitalter weiter Geltung zu verschaffen. Dabei läßt sich absehen, daß bei steigender Anzahl der Programme vor allem weitere Institutionen der Selbstkontrolle mit der Implementation entsprechender Vorschriften betraut werden.
Darüber hinaus wird mit der digitalen Übertragung der Signale die Frage nach der Rolle der öffentlich-rechtlichen Sender gestellt, z.
B. diejenige nach dem Grad der Spartisierung des Programmes. So äußerten in der Enquete-Kommission zur Zukunft der Medien die Vertreter von CDU/FDP (im Gegensatz zu SPD/Grüne) den Wunsch, der Bevorzugung der Öffentlich-Rechtlichen eine Gleichbehandlung mit den Privaten auch bei der Berücksichtigung von Übertragungswegen folgen zu lassen.
Allgemein ist im Zuge der technischen Umwälzungen politisch die Frage zu beantworten, wie groß der Anteil der Programme sein wird, den die Kabelnetzbetreiber zukünftig transportieren müssen (must carry) und unter welchen Aspekten (Meinungsvielfalt, Bevorzugung öffentlich-rechtlicher Sender?) die Landesmedienanstalten Programme als Must-carry Programme definieren sollen. Desweiteren werden Strukturvorgaben wie etwa die Berücksichtigung regionaler Programme für den Non-must-carry-Bereich diskutiert (siehe hierzu die Vorschläge der Länderchefs in MedienDialog 7 und 8/97).
4.
2 Ausgestaltung des chancengleichen Zugangs
Auf dem Weg zum Rezipienten durchläuft digitales Fernsehen mehrere neue Dienstleisungsebenen, an denen sich Zugangshindernisse herausbilden können. “Vornehmliches Ziel aller Regelungsversuche im Bereich des digitalen Fernsehens muß es sein, die Problematik der ‘Gatekeeper’ oder ‘Flaschenhälse’ durch die rechtliche Gewährleistung eines offenen Zugangs zu diesen Techniken zu überwinden.” (Holznagel/Schulz/Seufert, 1998: 5)
Zu diesen neuralgischen Punkten, an denen jene, die diese Dienstleistung vollbringen, potentiell die Macht zufällt, ob und welches Programmangebot unter welchen Bedingungen den Zuschauer erreicht, gehören folgende Dienstleistungen (siehe ebd.; zur Technik vgl. Eckstein in Tendenz IV/1997: 8ff.):
Multiplexing: Hier findet die durch die Digitalisierung der Signale möglich gewordene Reduktion der Daten statt, wodurch die Zusammenfassung mehrerer Programme zu einem Paket pro Übertragungskanal ermöglicht wird.
“Multiplexing kann insofern rundfunkrechtlich relevant werden, als die technische Bündelung Vorentscheidungen für die Verbreitung (...) setzt.” (Holznagel et al, 1998: 9)
Navigationssystem: Elektronischer Programmführer (EPG), Frage nach nichtdiskriminierender Berücksichtigung aller Programmeveranstalter (z.B.
durch “T.O.N.I.” der d-box) sowie Möglichkeit anderer Veranstalter, ihren EPG - ggf. samt Sonderfunktionen wie Lesezeichen - auf dem Dekoder abzubilden (Notwendigkeit einer Software-Schnittstelle - API).
Conditional Access: Sämtliche Systemkomponenten, die den Zugang von gebührenpflichtigen Programmen regeln. Hier werden je nach Hersteller der Dekoder unterschiedliche CA-Module verwendet. In Zukunft ist denkbar, mittels des sog. Symulcrypt-Verfahrens oder eines Common-Interface (CI) Dekodertyp und CA-Module voneinander unabhängig zu machen.
Bereits nach dem geltenden Rundfunkstaatsvertrag müssen die Anbieter solcher Dienste allen Veranstaltern zu chancengleichen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen diese Dienste anbieten (§53 I). Mit dem neuen Staatsvertrag (Entwurf vom 25.
6.1998) werden den Landesmedienanstalten voraussichtlich weitreichende Instrumentarien zugeteilt (z.B. Feststellung durch Bescheid, ob Dienste den genannten Anforderungen genügen), die die Zugangsfreiheit gewährleisten sollen. Die notwendigen Voraussetzung für die Zugangsfreiheit werden darüber hinaus im Entwurf dadurch angestrebt, daß Anbieter der benannten Dienste der zuständigen Landesmedienanstalt und Dritten, die ein berechtigtes Interesse geltend machen, alle technischen Parameter offenlegen müssen, “deren Kenntnis erforderlich ist, um den Zugang nach den Absätzen 1 [s.o.
] und 2 [betrifft die Anforderungen an Navigatoren] zu ermöglichen”.
Damit wird der wesentliche Unterschied zur Entscheidung der EU deutlich: Diese legte den Schwerpunkt auf die Schwierigkeiten, nach Vollziehen der Fusion Wettbewerb entstehen zu lassen. Dabei wurde auf die marktabschottenden Wirkungen, insbesondere auf die Möglichkeit der Allianz, Marktzutrittsbedingungen für andere Veranstalter zu diktieren, hingewiesen. Hier geht der Gesetzgeber das Problem von der anderen Seite an, indem er versucht, mit strukturellen Vorkehrungen, und das heißt in diesem Fall vor allem mit umfassenden Handlungsoptionen ausgestattete Landesmedienanstalten, die Option für künftigen Wettbewerb offenzuhalten, ohne ihn zu Beginn des digitalen Pay-TVs zwingend vorauszusetzen.
5. Folgen der Digitalisierung für die Medienpolitik
5.
1 Eine neue Kommunikationsordnung?
Die Notwendigkeit einer neuen Kommunikationsordnung sehen ihre Befürworter vor allem darin, daß die alte zersplitterte Ordnung der Konvergenz von Medien-, Telekommunikations- und Informationstechnologie nicht länger zu entsprechen vermag. Die EU-Kommission wirft diese Frage, ob technische Konvergenz zu einer rechtlichen Konvergenz führen kann und ob sektorspezifische Regelungen wegfallen sollen in ihrem Grünbuch zur Konvergenz in europäischer Perspektive auf (vgl. zur Rolle der EU R. Dörr in epd-medien 58/1998, hier S.3). An dieser Konvergenz ist die Digitalisierung der Rundfunksignale insofern beteiligt, als sie damit die Übertragungsart der PCs übernimmt und darüber hinaus Interaktivität in einem ungleich höherem Ausmaß zuläßt.
Bundespräsident Herzog hat eine neue Medienordnung angemahnt, da im anderen Fall durch die Aufsicht der Länder über den Rundfunk und die des Bundes über die Telekommunikation zukünftig Verwirrung eintrete (siehe Tagesspiegel, 11.9.). Der Deutsche Beamten Bund fordert eine Bündelung von Zuständigkeiten und die Integration ressortspezifischer Ansätze (siehe DBB, 1998: 22f.). Staatsminister Pfeifer sieht ebenfalls Handlungsbedarf: “Wir sollten schnell für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in diesem Bereich eine neue Struktur schaffen, die entsprechend der technischen Konvergenz die erforderlichen Abstimmungen von rechtlichen und tatsächlichen Maßnahmen im Bund-Länder-Verhältnis, aber auch im Verhältnis zur Europäischen Union, schneller, effizienter und dynamischer (.
..) herbeiführt.” (Pfeifer, 1997: 8) Rüttgers erinnert an einen Vorschlag der Bundesregierung von 1995, zusammen mit den Ländern ein Gremium zu schaffen, das die “erforderlichen Abstimmungen zwischen Bund und Ländern, wie auch im Verhältnis Deutschlands zur Europäischen Union unterstützen” soll (Rüttgers, dokumentiert in der Beilage zum Medienspiegel 31/1998). Der amtierende DLM-Vorsitzende Hochstein fordert eine Stärkung zentraler Entscheidungsbefugnisse und regt ein Wegkommen vom bloßen Empfehlungscharakters der DLM-Beschlüsse hin zu einer größeren Verbindlichkeit derselben an (in epd-medien, 59/1998: 3). Stammler (Gastmitglied der SPD-Medienkommission) denkt - wie Rüttgers - über eine “erforderliche politische Abstimmung der Planungsprozesse und Grundsatzentscheidungen von Bund und Ländern” nach und empfiehlt als organisatorischen Rahmen einen gemeinsamen Kommunikationsrat von Bund und Ländern (siehe epd-medien, 62/1998: 6).
Auffallend an den Vorschlägen ist die Einigkeit darüber, daß eine Bündelung anzustreben sei bei weitgehender Vermeidung konkreter Umsetzungsanweisungen. Unstrittig ist erhöhter Abstimmungsbedarf zwischen Bund und Ländern aufgrund des Zusammenwachsens von Rundfunk und Telekommunikation - insbesondere bei den neuen Diensten - einerseits und eine internationale Verständigung über Fragen des Jugend- und Datenschutzes aufgrund der durch die digitalen Technik zusätzlich forcierten Internationalisierungsstrategien der Medienunternehmen andererseits.
5.2 Aufgabenverlagerung der Medienbehörden
Die Kabelnetzbetreiber - und hier vor allem die Telekom - steigen zu einem zentralen Akteur auf, da sie mit der wegfallenden Übertragungsknappheit zukünftig die Möglichkeit haben werden, neben den Must-carry Programmen selbst über die Belegung ihrer Übertragungsressourcen zu entscheiden; sie beerben damit teilweise die Aufgabe der Landesmedienanstalten. Das heißt, die aus der Knappheit resultierende gestaltende öffentliche Aufgabe der Landesmedienanstalten, bei der neben standortpolitischen Erwägungen der Aspekt der Vielfalt eine zentrale Rolle spielte, fällt weg. An ihre Stelle tritt nun mittels der erhöhten Frequenzökonomie gewonnener Spielraum, bei dem jenseits des must-carry-Bereiches betriebswirtschaftliche Überlegungen den Ausschlag für die tatsächliche Belegung der Plätze geben wird.
Die Entwicklung einer “neuen Rundfunkordnung” werden bereits von den Regelungen für Mediendienste vorweggenommen: Nach dem Mediendienstestaatsvertrag ist das Betreiben der Dienste grundsätzlich zulassungsfrei (siehe § 4). Diese neue Rundfunkordnung wird sich, so ist zu vermuten, dadurch kennzeichnen, daß die Medienkontrolleure sich weitestgehend ähnlich der Gewerbepolizei auf eine Mißbrauchsaufsicht beschränken. Sie werden nicht mehr selbst in dem Maße als Zuweiser von Übertragungskapazitäten und Lizenzgeber gestaltend tätig. Wahrscheinlich erscheint die Umwandlung des jetzigen Lizenzierungsverfahrens in eine bloße Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung, die den Programmveranstalter berechtigt, dem Netzbetreiber sein Programm zur Verbreitung anzubieten.
In dem Maße, wie der direkte Einfluß bei der Auswahl aber auch Kontrolle der Programme sinkt wird sich ein neues Tätigkeitsfeld für die Landesmedienanstalten auftun. “Während sich das Rundfunkrecht bislang auf programminhaltliche Fragen (Werbung, Jugendschutz, Persönlichkeitsschutz) konzentrierte, ist es zunehmend Aufgabe der Rundfunkaufsicht, für einen fairen Zugang z.
B. zu Vertriebswegen und Programmrechten zu sorgen.” (Holznagel et al, 1998: 2) Zusätzlich werden die Landesmedienanstalten mit dem vierten Rundfunkstaatsvertrag verstärkt mit der Aufgabe betraut, Konzepte zur Medienkompetenz zu entwickeln und diese zu vermitteln. Idealerweise wird in anbetracht einer unübersehbaren Fülle an Informationsangeboten die medienpolitische Aufgabe der Landesmedienanstalten ersetzt durch ein aufgeklärtes Publikum, das dem Angebot der Sender korrektiv-kritisch zur Seite steht und dieses damit letztlich positiv zu beeinflussen vermag.
5.3 Wirtschaftsgut Medien?
Unter Abschnitt 3 wurde die These aufgestellt, daß sich die Reaktionen von Mitgliedern der Parteien anhand ihrer Gewichtung beim Zielkonflikt Wettbewerbs-/Ordnungspolitik und Industriepolitik gut einordnen lassen.
Diese Gleichsetzung von Wettbewerbs- und der eigentlich strengeren Ordnungspolitik war dabei nur möglich, da die wettbewerbsrechtlichen Regelungen hinsichtlich der geplanten Fusion von DF1 und Premiere letztlich zu einem ‘härteren’ Urteil kommen konnte als die Prüfung nach den medienspezifischen Regelungen, die der Idee nach dem Verständnis der Medien als Kulturgut mit gesellschaftlicher Verantwortung Rechnung tragen sollen. Das Phänomen gibt es auch auf nationaler Ebene. Im Gegensatz zum Bundeskartellamt, das auch in neuen Märkten wie Pay-TV wettbewerbsrechtlich argumentieren kann, kann die KEK nach Maßgabe des Rundfunkstaatsvertrags nur den Zuschaueranteil nach dem Zuschaueranteilsmodell ermitteln (siehe auch Abbildung 5), bei dem nicht der Fernsehmarkt in Pay- und Free-TV unterteilt wird. Insofern spielt der gemessen an der Gesamtzuschaueranzahl zunächst geringe Anteil des Pay-TV Marktes eine untergeordnete Rolle. Das führt zu der paradoxen Situation, daß die Kommission - die ihrem Namen gemäß auf die Konzentration im Medienbereich achten soll und diese Aufgabe dem geschilderten Umstand verdankt, daß der sensibele Bereich der Medien strengere Strukturvoraussetzungen zu erfüllen hat als die für andere Märkte geltenden kartellrechtlichen Bestimmungen - gerade dort keine rechtlich ausreichende Handhabe besitzt, wo Zusammenarbeit von Konkurrenten stattfindet und wo die technischen Bedingungen für das zukünftige digitale Fernsehen wesentlich mitgestaltet werden. Auch hier geht die allgemeine Wettbewerbspolitik weiter als die medienspezifische Ordnungspolitik.
Henle (in Landesmedienanstalten, 1995: 81) schlug beispielsweise im Zuge seiner Überlegungen zur Fortentwicklung der Rechtsgrundlagen für entgeltfinanzierte Programme und digitales Fernsehen eigene Marktanteilsgrenzen vor, da kartellrechtliche Regelungen als Strukturvoraussetzung für Meinungspluralismus nicht ausreichten (siehe auch S. 16f.). Da nun ausgerechnet das Bundeskartellamt für die Anteilsaufstockungen an Premiere “die Bremse zieht” (vgl. Tagesspiegel, 9.9.
98: 17) könnte das im Umkehrschluß als ein Defizit medienspezifischer Strukturbestimmungen beim Pay-TV interpretiert werden.
Abbildung 5: Vereinfachtes Schaubild der deutschen Medienakteursstruktur
Diese Verkehrung der Auswirkungen von Kartellrecht und Medienkonzentrationskontrolle überdeckt den eigentlichen Grundsatzstreit, der sich hinter der Debatte um die Allianz von Bertelsmann und Kirch verbirgt: ob es - auch vor dem Hintergrund der neuen technischen Möglichkeiten - weiterhin zu rechtfertigen ist, dem Rundfunk eine rechtliche Sonderstellung zuzugestehen, die sich mit seiner Funktion für die öffentliche Meinungsbildung begründet. “Die inhaltliche Funktion der Medien hat (..) nur noch instrumentelle Bedeutung insoweit, als sie Nachfrage nach neuen digitalen Hard- und Software-Angeboten schafft. Medienpolitik wird so zum Unterfall einer vor allem ökonomisch orientierten Innovationspolitik, ohne eigenständigen Stellenwert.
” (Stammler in epd-medien 62/1998, 3f.). Mit zunehmender Kompetenzverlagerung zur EU wird sich die Schwerpunktverlagerung vom Kultur- zum Wirtschaftsgut beschleunigen, da sie ihre Entscheidungen vornehmlich auf Grundlage der Bestimmungen zum freien Binnenmarkt fällt. Mit der Verlagerung des Wettbewerbs auf eine internationale Ebene wird zusätzlich der medienspezifische und ggf. aus ökonomischer Sicht einzwängende Ordnungsrahmen hinterfragt.
Fazit
Die flächendeckende Digitalisierung des Rundfunks wird eintreten und die heutige Organisation von Medienpolitik selbst grundlegend in Frage stellen.
Die ordnungspolitische Herausforderung besteht heute in der Umstellung auf die digitale Technik, nach deren Abschluß die Ordnungspolitik an Handlungsspielraum verlieren wird.
Es ist abzusehen, daß sich Medienpolitik reorganisiert, dabei werden sowohl Zentralisierung innerhalb der Bundesrepublik als auch eine stärkere internationale Verständigung etwa zum Jugendschutz eine Rolle spielen. Mit der Zunahme der Programme wird die Organisationsform der Selbstkontrolle von Programmen als Kontrollgrundprinzip an Gewicht gewinnen.
Mit der gescheiterten Allianz von Telekom, CLT/UFA und Kirch wird die Entwicklung zur Digitalisierung verzögert, dem steht jedoch die Bewahrung von ordnungspolitischen Handlungsspielräumen bei der Art und Weise der zu erfolgenden Umstellung entgegen.
Mit der absehbaren Programmvermehrung wird die Mangelverwaltung der Landesmedienanstalten bei der Kabelbelegung zu einer bloßen Mißbrauchsaufsicht. Nicht zuletzt deshalb wird eine zentrale Aufgabe der Gesellschaft werden, Medienkompetenz zu entwickeln (und zu vermitteln) um - wenn schon die Instrumentarien auf der Programm-Angebotsseite fehlen - auf der Nachfrageseite einen sinnvollen Umgang mit der Programm- und Informationsflut zu schulen.
Im Konflikt mit der Fusion von DF1 mit Premiere zeigte sich die Flexibilität der Argumentation mit Wettbewerb. Denn dieser wurde von Befürwortern und Kritikern der Entscheidung als Begründung für ihre Einstellung herangezogen. Ersteren ist der Wettbewerb auch im Pay-TV Bereich wichtig, letztere sehen den Standort Deutschland, aber auch den Standort Europa durch die Verhinderung des Vorhabens gegenüber den USA weiter ins Hintertreffen fallen. Es ist daher letztendlich eine Frage der Ebene, auf die der Wettbewerb stattfinden soll. Ähnlich flexibel ließ sich mit der anzustrebenden Meinungsvielfalt argumentieren: Hier die Sorge vor einer durch die Allianz verursachte Zusammenballung von Meinungsmacht, dort die Sorge vor ‘kulturimperialistischen’ Folgen des Engagements der großen amerikanischen Studios in Folge der mißglückten Fusion.
Im großen und ganzen geht der Prozeß der Digitalisierung an den Parteien vorbei.
Obgleich der revolutionären Entwicklungen im Bereich der Medientechniken unstreitig eine große (auch gesellschaftliche) Bedeutung beizumessen ist, findet eine Diskussion über die ordnungspolitischen Erfordernisse außerhalb der direkt zuständigen Stellen so gut wie nicht statt; die Parteien setzen das Thema nicht auf die politische Agenda. Geprägt wird die Meinungsbildung auf diesem diffizilen Feld vorrangig durch Kommissionen (des Bundestages oder der Parteienstiftungen) und diversen medienpolitischen zumeist von den Landesmedienanstalten organisierten Foren. Der Bereich ist den Parteien eher an- als eingegliedert. Das Thema scheint nahezu vollständig dem für andere Politikfelder typischen öffentlich ausgetragenen parteipolitischen Streit entzogen zu sein. Zwei Gründe können hierfür verantwortlich sein: Zum einen findet das tägliche medienpolitische Geschäft außerhalb der Legislative statt, die Exekutive hingegen ist aufgrund der weitgehenden Eigenständigkeit der Landesmedienanstalten der Legislative ein Stück weit entzogen. Medienpolitik findet zudem kompetenzgemäß in den Ländern statt; dort allerdings vorrangig als Standortpolitik und nicht als eine die sucht, Ordnungsrahmen normativ zu entwerfen und durchzusetzen.
Zum anderen sind die im Zusammenhang mit der Digitalisierung zu erörternden Fragen hochkomplex und für eine Zuspitzung in aller Regel ungeeignet.
Mit dem Thema wird Neuland betreten, die Suche nach Antworten - und das Aufwerfen der mit der Entwicklung verbundenen Fragen - muß hier idealerweise in breit besetzten Kommissionen mit (interdisziplinären) Sachverstand auch jenseits der Parteien stattfinden. Die diese Einschätzung entsprechend vorzufindende Organisation der Meinungsbildung ist daher Ausdruck des Neuen, auf das es noch keine politischen Konzepte gibt.
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