Monatsbericht nr
Monatsbericht Nr.9 Montag 01.04. - Dienstag 30.04.1996
Fotografieren ohne Automatik – Teil 1
Sie sind die Dinosaurier, eine aussterbende Spezies in der Fototechnik.
Was vielleicht etwas respektlos klingen mag, ist keinesfalls so gemeint. Mechanische, manuell zu bedienende SLR - Kameras haben auch heute in einer von Elektronik und Autofokus beherrschten Fotowelt ihre Existenzberechtigung.
Von dem knappen Dutzend der auf dem Markt angebotenen Modelle nehme ich die sechs Spitzenmodelle genauer unter die Lupe.
Kameras, die ganz ohne Automatik auskommen, bei denen fast alles manuell eingestellt werden muß und deren Funktionen mechanisch ablaufen, sind nach wie vor gefragt. Immerhin haben nahezu alle namhaften Hersteller mindestens ein mechanisches Modell in ihrer Programmpalette. Ich habe mir die attraktiven Modelle der Spitzenklasse genauer angesehen, jeweils drei Modelle stelle ich in diesem und in dem nächsten Monatsbericht vor.
Es geht los mit der Contax S2, der Leica R 6.2 und der Olympus OM - 3 Ti.
Mechanische Kameras werden heute in erster Linie von Profifotografen (was jedoch nicht heißt, daß Profis in erster Linie mit mechanischen Kameras arbeiten!) und in technisch - wissenschaftlichen Bereichen eingesetzt.
Für den engagierten Hobbyfotografen, dem diese Art der Fotografie Zeit und Muße abverlangt, bedeutet sie nicht nur die Einstellung von Zeit und Blende, sondern auch gleichzeitig die Auseinandersetzung mit dem Motiv und eine Rückbesinnung auf das Wesentliche.
Für Liebhaber der Fotografie und Kenner der Fotoszene hat der Name Contax einen ganz besonderen Klang und wird meistens mit Begriffen wie Carl Zeiss oder Zeiss Ikon in einem Atemzug genannt. Erinnerungen an Pioniere der deutschen Fotoindustrie und an Spitzenkameras gleichen Namens, in den 50ern konzipiert.
Lange Zeit war der Name Contax von der Bildfläche verschwunden und lebte nur noch in den Köpfen fotobegeisterter Profi- und Hobbyfotografen weiter, bis er 1974 in Kooperation mit dem japanischen Kamerahersteller Yashica wieder zu neuem Leben erweckt wurde. Inzwischen ordnen Berufs- und ambitionierte Hobbyfotografen dem traditionsreichen Namen wieder Kameraprodukte erster Güte zu.
Auch heute, Jahrzehnte, nach denen die erste Contax auf den Markt kam, sind Kameras mit diesem Namen der Inbegriff von Qualität und Präzision. In der aktuellen Contax-Produktpalette sind zwei mechanische Modelle vertreten: die S2 und das Schwestermodell S2b. Zwischen den beiden Schwestern gibt es nur zwei geringfügige Unterschiede: Die silberfarbene S2 arbeitet mit Spotmessung, die schwarze S2b mit einer mittenbetonten Meßcharakteristik.
Da sie sich ansonsten wie eineiige Zwillinge gleichen, beziehe ich mich in der folgenden Beschreibung nur mehr auf die S2.
Die Contax ist kompromißlos für härteste Dauerbeanspruchung konzipiert. Boden-, Deck- und Frontplatte sind aus extrem widerstandsfähigem, korrosionsbeständigem und leichtem Titan gefertigt – optimaler Schutz für die hochpräzise Mechanik im Innern.
Vor dem Eindringen von Staub und Feuchtigkeit schützen eine Reihe von Gummidichtungen. Alle Bedienungselemente der handlichen S2 sind ergonomisch ausgeformt und griffgünstig angeordnet.
Der vertikal ablaufende Metallamellen - Schlitzverschluß umfaßt einen Verschlußzeitenbereich von 1 bis 1/4000 s sowie B. Die Blitzsynchronzeit der S2 beträgt 1/250 s.
Der Sucher zeigt rechts neben dem Sucherbild die Verschlußzeiten. Außerdem befinden sich hier auch die Warnsymbole für Über - und Unterbelichtung sowie das Blitzsymbol für die Blitzbereitschaft.
Die Filmempfindlichkeit kann von ISO 12/12° bis ISO 6400/39° eingestellt werden.
Für den Belichtungsmesser sind zwei Alkali - Knopfzellen (LR 44) oder alternativ zwei Silberoxid-Knopfzellen (SR 44) erforderlich. Die Batteriekontrolle wird automatisch bei ungenügender Spannungsabgabe aktiviert und durch eine blinkende Diode im Sucher angezeigt.
Abgerundet wird die praxisgerechte Ausstattung durch eine Abblendtaste, Schalter für Mehrfachbelichtungen, Zubehörschuh mit Mittenkontakt und zusätzlichem Blitzkontakt für Kabelanschluß sowie einen mechanischen Selbstauslöser mit zehn Sekunden Verzögerung.
Für das Gehäuse der Contax S2/S2b sind etwa 2200 Mark/Franken auf die Theke des Fotohändlers zu blättern.
Made in Germany: Leica R 6.2
Seit Jahren sind Leica - Kameras ein Synonym für Kameratechnik und Design vom Feinsten. Auch das aktuelle Modell R 6.2 macht da keine Ausnahme. Es ist kompakt und handlich.
Sämtliche Einstellringe, Drehknöpfe und Schalthebel sind griffgünstig und logisch angeordnet, so daß der Fotograf sein Motiv keinen Augenblick aus dem Blickfeld verliert.
Für die Belichtungsmessung stehen Spot - und Integralmessung zur Verfügung.
Die Umschaltung erfolgt mittels eines Wahlschalters, der unterhalb des Zeiteneinstellrades angeordnet ist. Die Belichtungswerte lassen sich um ± 2 Blenden in 1/3-Stufen mit der Override - Funktion korrigieren.
Der Abgleich von Belichtungszeit und Blende erfolgt mittels Nachführprinzip über eine Lichtwaage unterhalb des Sucherbildes.
Hier befinden sich auch die LED - Anzeigen für die eingestellte Belichtungszeit, X und B, die Symbole der gewählten Belichtungsmessung, Blitzbereitschaft und Belichtungskontrolle (durch Blinken des Blitzsymbols) sowie die Warnanzeigen bei unterschrittenem Meßbereich des Belichtungsmessers und ein Plus- oder Minus - Symbol bei aktiviertem Override.
Außerdem wird auch noch die vorgewählte Blende eingespiegelt. Bei Bedarf kann eine Sucherbeleuchtung für Zeit und Blende zugeschaltet werden.
Der mechanisch gesteuerte, vertikal ablaufende Lamellen - Schlitzverschluß ist für Verschlußzeiten von 1 Sekunde bis 1/2000 s sowie B ausgelegt. Die Synchronzeit beträgt 1/100 s. Die Einstellung der Verschlußzeiten erfolgt in ganzen Stufen. Die Filmempfindlichkeitseinstellung reicht von ISO 12/12° bis ISO 3200/36°.
Die Stromversorgung des Belichtungsmessers (3 Volt) erfolgt durch zwei Silberoxid-Knopfzellen oder alternativ eine Lithiumbatterie. Eine Batteriekontrolle ist ebenso vorhanden wie ein Selbstauslöser mit neun Sekunden Vorlauf, ein Okularverschluß und ein Dioptrienausgleich von ± 2 dpt. Um selbst geringste Vibrationen auszuschließen, zum Beispiel bei Stativaufnahmen mit Langzeitbelichtung, Teleobjektiven oder im Makrobereich, ist die R 6.2 mit einer Spiegelvorauslösung ausgestattet, die über einen separaten Drahtauslöseranschluß aktiviert wird. Die Leica R 6.2 ist wahlweise in Schwarz oder
silbern verchromt erhältlich und kostet rund 4200 Mark/Franken.
Moderner Oldie: Olympus OM - 3Ti
Die OM - 3Ti ist die Nachfolgerin der bewährten OM-3, deren Produktion kurzfristig eingestellt und, aufgrund zahlreicher Proteste und Wünsche seitens der Anwender, zur letzten photokina mit verbesserter Ausstattung wieder zum Leben erweckt wurde. Der Zusatz «Ti» in der Produktbezeichnung steht für Titan, aus dem besonders beanspruchte Gehäuseteile gefertigt sind. Durch die Verwendung dieses hochwertigen Materials – es ist sechsmal härter als Aluminium, aber wesentlich leichter – ist das OM - Gehäuse robust, leicht sowie enorm widerstandsfähig gegen Korrosion und extreme Temperaturen.
Zu den herausragenden Eigenschaften der Olympus gehört die einzigartige Belichtungsmessung. Neben mittenbetonter Integral - und Spotmessung stehen eine Multi-Spotmessung sowie Highlight - und Shadow - Messung zur Verfügung.
Mit der Multi - Spotmessung lassen sich maximal acht Punkte des Bildausschnitts anmessen.
So können auch diffizile Helligkeitsunterschiede exakt ermittelt werden. Basierend auf diesen Meßergebnissen wird automatisch die optimale Belichtung berechnet und im Sucher angezeigt. Diese Meßmethode erweist sich vor allem in schwer einschätzbaren
Beleuchtungssituationen, beispielsweise bei starkem Gegenlicht oder extremen Reflexionen auf Wasseroberflächen beziehungsweise schneebedeckten Flächen, als besonders zuverlässig und vorteilhaft.
Einzigartig sind auch die Highlight - und Shadow - Kontrolle in Verbindung mit der Spotmessung. Bei Motiven mit geringem Kontrastumfang, zum Beispiel bei hellen Motiven vor hellem beziehungsweise dunklen Motiven vor dunklem Hintergrund, passiert es häufig, daß die Aufnahmen eher in Richtung Grau tendieren und keine vernünftige Trennung der einzelnen Bildpartien zu erkennen ist. Kurz: die Bilder wirken saft - und kraftlos.
Schuld an dieser «Misere» ist der Belichtungsmesser, der von Haus aus auf einen mittleren Grauwert justiert ist und das gleichmäßig helle beziehungsweise dunkle Umfeld durch eine gegensteuernde Belichtung ausgleichen will. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, genügt bei der OM - 3Ti ein kurzer Druck auf die Highlight - (bei hellen Motiven) beziehungsweise Shadow - Taste (bei dunklen Motiven), und die Belichtung wird automatisch korrigiert. Abgerundet wird die vielseitige Belichtungssteuerung durch eine Belichtungskorrektur von ±2 Blenden in 1/3-Stufen.
Die Olympus ist mit einem mechanisch gesteuerten Textil - Schlitzverschluß ausgestattet. Die Verschlußzeiten reichen von 1 bis zu 1/2000 s sowie B und lassen sich in ganzen Stufen einstellen. Die Synchronzeit beträgt 1/60 s bei Verwendung herkömmlicher Blitzgeräte.
In Verbindung mit dem Systemblitzgerät F-280 stehen alle Verschlußzeiten als Synchronzeiten zur Verfügung.
Die Filmempfindlichkeit kann von ISO 6/9° bis ISO 3200/36° eingestellt werden. Der Belichtungsabgleich erfolgt anhand eines LCD - Balkendiagramms unterhalb des Sucherbildes. Hier läßt sich blitzschnell die Tendenz der Belichtung erkennen und
korrigieren. Außerdem werden außerhalb des Sucherbildes auch alle anderen wichtigen Funktionen angezeigt. Eine Anzeige der eingestellten Blende fehlt jedoch.
Bei schlechten Lichtverhältnissen kann eine Sucherbeleuchtung zugeschaltet werden, die sich nach zehn Sekunden automatisch abschaltet.
Der Sucher ist mit einem Dioptrienausgleich von +1 bis –3 dpt. ausgestattet. Für die Stromversorgung des Belichtungsmessers werden zwei Silberoxid - Batterien vom Typ SR 44 benötigt. Die Batteriekontrolle informiert in drei Stufen mit optischen und akustischen Signalen über den Energiestatus. Das Olympus OM - 3Ti - Gehäuses schlägt mit etwa 3000 Mark/Franken zu Buche.
Nostalgie oder Nutzen?
Ist eine mechanische Kamera heutzutage altmodisch? Sicher nicht. Wer sich heute für eine rein mechanische Kamera entscheidet, hat seine guten Gründe. Zum einen sind es diejenigen Fotografen, die unter ungünstigsten klimatischen Bedingungen fotografieren müssen, sei es im tropisch - feuchten Regenwald, in den eisigen Weiten der Antarktis oder überall da, wo die batterieabhängige Elektronik nicht die erforderliche Zuverlässigkeit gewährleisten kann.
Zum anderen sind es die Puristen, die einfach Freude an der Feinmechanik und der handwerklichen Präzision haben.
Wer heute ein Top - Modell dieser Kamerakategorie sein eigen nennen möchte, muß schon etwas tiefer in die Tasche greifen.
Im Verhältnis zu den modernen, vollautomatischen Autofokuskameras scheinen die Anschaffungskosten auf den ersten Blick exorbitant hoch zu sein.
Das hat zwei Ursachen: Zum einen ist hochpräzise Feinmechanik, möglichst aus dem schwer zu bearbeitenden Werkstoff Titan, nur mit erheblich höherem Aufwand zu realisieren als in Großserie produzierte elektronische Bauteile. Zum anderen schlägt sich natürlich auch die geringere Fertigungsquote im Endpreis nieder.
Doch ganz gleich, ob die Kaufentscheidung mit dem Kopf oder aus dem Bauch heraus getroffen wird, in allen Fällen stellt eine mechanische Kamera einen reellen Gegenwert, eine langfristige Investition dar.
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