Körper im 20. jh
Körper im 20. Jahrhundert
Inhaltsverzeichnis:
1) Veränderungen Ende des 19.Jahrhunderts
2) Maschinenzeitalter
3) Raum als Element der Skulptur
4) Traum, Realität: Surrealität
5) Körper im zweiten Weltkrieg
6) Oberfläche und Struktur
7) Assemblage: der zusammengesetzte Körper
8) Das Abwegige und das Unheimliche
9) Körper und ich
1) Veränderungen Ende des 19. Jahrhunderts
Edgar Degas (1834 - 1917), Paul Gauguin (1848 - 1903) und Auguste Rodin (1840 -1917) zeigten in ihren Figuren die bedeutendsten Veränderungen in der Darstellung des Körpers im 20. Jh.
Edgar Degas schuf 1881 die "kleine Tänzerin".
Er verwendete dafür verschiedene organische Materialien, wie zum Beispiel Wachs, echtes Haar und Stoff. Dadurch, daß er alle diese Materialien in einer Figur gebrauchte, brach er traditionelle Grenzen zwischen den Materialien. Die "kleine Tänzerin" erinnert an spanische und karnevaleske Figuren aus Wachs. Sie nimmt einige Anliege der Body Art vorweg.
Es gibt keine vorgeschriebenen Materialien mehr.
Paul Gauguins Oviri (übersetzt "Wilde"), 1894 entstanden, zeigt ebenfalls eine Abkehr von der Tradition.
Sie ist aus Steingut, was sein Interesse an anderen Kulturen bezeugt. Sie erinnert an fernöstliche, afrikanische oder präkolumbianische Volkskunst. Gauguin zeigt die Offenheit für fremde, "primitive" Kulturen als Inspiration für die Bildhauer des zwanzigsten Jahrhunderts.
Auguste Rodin (1840 - 1917) beschäftigte sich in seinen Figuren mit Körperteilen, die er als eigenes Motiv ansah. Ähnlich wie bei den Impressionisten bediente er sich der Ausschnittstechnik.
Weitere Veränderungen in der Darstellung des Körpers brachten die beiden Weltkriege und das Vordringen von Maschinen in viele Bereiche des Lebens.
Die Entwicklungen der Malerei (zum Beispiel Impressionisten: Ausschnittstechnik) beeinflußten die Bildhauer des 20. Jahrhunderts.
2) Maschinenzeitalter
Eine wichtige Stufe der Befreiung von traditionellen Zwängen zeigt der "Jünglingstorso" des rumänischen Bildhauers Constantin Brancusi (1876 - 1957), entstanden 1924. Er ist noch natürlichen Formen verhaftet (die ursprüngliche Version ist eine gewachsene Astgabel). Das ist für Brancusi der Ausdruck der spirituellen, unveränderlichen Substanz, d. h.
das Material, das für eine Figur verwendet wurde, ist ein Ausdrucksmittel. Brancusis damaliges Ziel, " der Welt der Sinne den ewigen Typus flüchtiger Foremen zurückugeben", zeigt sich in dieser Figur sehr deutlich: Es ist sowohl Körperteil als auch ein Sympol der männlichen Sexualität.
Der "Jünglingstorso" wurde ebenfalls vom Maschinenzeitalter beeinflußt: Seine Flächen kommen ohne die Hand des Künstlers aus, wie die Teile einer Maschine.
Die futuristische Bewegung, 1909 in Italien von dem Dichter Filippo Marinetti gegründet, versuchte Dynamik, Geschwindigkeit, Kraft und Moderne an Stelle der verknöcherten bisherigen Strukturen zu bringen. Umberto Boccioni (1882 - 1916) - er war eine der Schlüsselfiguren der Bewegung - schuf 1913 "Forme uniche della continuità nello spazio" ("Urformen der Bewegung im Raum").
Sie sahen den Menschen als eine Fusion von Organischem und Technischen, eine bewegliche Maschine im Raum.
"Urformen der Bewegung im Raum" kann man als Vorläufer des Cyborgs bezeichnen. Sie ist aus verschiedenen abstrakten Flächen zusammengesetzt (Verbindung mit Kubismus und Divisionismus der Malerei). Sie zeigt die aufeinanderfolgenden Stadien der menschlichen Bewegung in einer Figur. Das weist auch auf eine Verbindung zu Experimenten in der Photographie hin (Bewegungsstudien von Étienne Jules Marey (1830 - 1904) und Eadweard Muybridge (1830 - 1904).
3) Raum als Element der Skulptur
Zitat Naum Gabo: "Bis jetzt haben Bildhauer der Masse den Vorzug gegeben und einer so wichtigen Komponente von Masse wie dem Raum wenig oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt ..
. wir betrachten ihn als absolutes skulpturales Element."
Naum Gabo war Mitglied der konstruktovistischen Bewegung in Rußland. Der "Torso" von Antoine Pevsner, entstanden 1924 - 1926, ist rein aus Flächen zusammengesetzt und erst wenn man den leeren Raum mit betrachtet, ergibt sich die Form eines Körpers. Diese Stilrichtung wurde von den Kubisten inspiriert (zum Beispiel Picassos "Gitarre" von 1912).
4) Traum, Realität: Surrealität
Zwischen 1913 und 1916 formierte sich dei Dada - Bewegung.
Sie lehnte Prozesse des rationalen Verstehens ab, da diese durch die Auswirkungen des ersten Weltkrieges keine Relevanz mehr hatten. Diese Kernaussage übernahmen dei Surrealisten. Sie glaubten an die Auflösung von Traum und Wirklichkeit in die Surrealität. Das bedeutet für die Darstellung des Körpers, das dieser nicht mehr bewußt geordnet in den Werken auftaucht. Der Körper ist nicht mehr eindeutig zu erkenne. Er ist aber noch immer wichtiger Träger von Wünschen, Gefühlen, Phantasien und Ängsten.
An der "Femme égorgée" ("Frau mit durchschnittener Kehle"), entstanden 1932, von Alberto Giacommetti (1901 - 1966) - er trat der Bewegung in den 30er Jahren bei - erkennt man die Anliegen der Surrealisten sehr genau. Der Körper der Frau ist nicht direkt zu erkennen. Das Nebeneinander von runden, weiblichen Formen und scharfen, eckigen Auswüchsen deutet sexuelle Gewalt an. Dieses Thema spielt in den Werken der Surrealisten eine wesentliche Rolle. Die Figur liegt auf der selben Ebene wie der Betrachter. Damit ist er dem Werk viel näher und es wird irgendwie zum "Eingreifen" aufgefordert.
Durch die beweglich wirkenden Auswüchse scheint die Skulptur im Raum beweglich zu sein.
5) Körper im zweiten Weltkrieg
Während im übrigen Europa und in Amerika die Surrealisten aufblühten, fand in Deutschland eine Renaissance der Antike statt. Joseph Thorak (1889 - 1952) und Arno Breker (1900 - 1991) folgten antiken Vorbildern um "den männlichen Charakter des Nationalsozialismus, die Kräfte von Ordnung, Mut und heroischem Kampf" - so wie es der Kunsthistoriker Walter Horn beschrieb - auszudrücken. Diese Skulpturen dienten dazu die Stärke der Nazionalsozialisten auszudrücken.
6) Oberfläche und Struktur
Eine Verbindung zwischen Surrealismus und Konstruktivismus bildeten die beiden Bildhauer Barbara Hepworth (1903 - 1975) und Henry Moore (1898 - 1986). "Vitalität ist kein physisches, organisches Attribut von Skulptur - sie ist spirituelles inneres Leben.
", Zitat von Hepworth. Sie experimentierte mit der Oberfläche und der inneren Struktur ihrer Plastiken. Im Gegensatz zu Hepworth verwendete Henry Moore den menschlichen Körper als Motiv. Eines seiner Ziele war die "Treue zum Material", d. h. die Form des Werks ist an die Eigenschaften des Materials gebunden.
Sein Militärdienst hatte einen großen Einfluß auf seine Werke. "Das Thema einer zerstörten und gottlosen Landschaft, die Unmenschlichkeit der Menschen und die erlösende Kraft der Kunst" waren seine bildhauerischen Visionen. Er beschäftigte sich immer wieder mit mütterlichen Symbolen, die er meist in der freien Natur ausstellte. Moores Absichten Raum und Masse als austauschbar darzustellen fand in der "Liegenden", entstanden 1951, Ausdruck. Die Inschriften an den Flächen erzeugen ein Gefühl der Spannung. In seinen Figuren kommen häufig Fruchtbarkeitssymbole vor.
Seine Arbeiten beeinflußten viele jüngere Bildhauer der Nachkriegszeit.
7) Assemblage: der zusammengesetzte Körper
Assemblage ist ein "Gattungsbegriff, der alle Formen von zusammengesetzter Kunst und Methoden der Gegenüberstellung einschließt.", Zitat von dem Kurator des New Yorker Museum of Modern Art. Die Assemblage - Künstler setzten ihre Figuren aus verschieden Teilen und Materialien zusammen. Der Körper ist ebenfalls eine Ansammlung verschiedener Komponenten. Mitte der 50er Jahre bildete sich in den USA die "Garage".
Die Künstler drückten mit ihren Figuren ihren Zweifel an bestehenden kulturellen Werten und am Vietnamkrieg aus. Sie stellten den Körper in ein Umfeld aus Abfall und Wiederverwertung mit dem Hintergrund: " Die Wahrheit der Dinge läßt sich am besten aus dem Abfall lesen", Zitat des Philosophen Roland Barthes. Wie bei den Surrealisten mußte der Körper aber nicht in erkennbarer Weise dargestellt werden sondern wurde oft nur angedeuted. Ein Künstler der amerikanischen Westküste, der mit Abfall der Industrie und Konsumkultur arbeitete war Ed Kienholz (1927 - 1994). Seine Werke waren gesellschaftskritisch. In "the State Hospital", entstanden 1966, zeigt er den hoffnungslosen Zustand des Eingesperrtseins.
Man spürt den Einfluß des Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik.
Einen ähnlichen Stil hatte George Segal (geboren 1924). Er stellte unbemalte Figuren in "echt" möblierte Umgebung und zeigte so seine Visionen vom Stadtleben. Als Beispiel dafür "Diner", entstanden 1964 - 1966.
Ein weiterer Künstler, der mit der Assemblagetechnik gearbeitet hat, war Duane Hanson (1925 - 1996). Seine Figuren (als Beispiel "Sunbather with black Bikini", entstanden 1989) waren sehr lebensecht modelliert, daher zählt er eher zum Hyperrealismus.
Man kann seinen Stil zur Pop Art zählen, da er mit seinen Werken die amerikanische Überflußgesellschaft kritisiert. Aufgrund der starken Realitätsnähe seiner Figuren hatten sie immer mit dem Beigeschmack der Wachsfigurenkabinette zu Kämpfen.
8) Das Abwegige und das Unheimliche
Einen Teil der Assemblage - Arbeiten dei in den 60er Jahren entstanden sind dem "Fremden", wie es die Psychoanalytikerin Julia Kristeva bezeichnet, zugeordnet. "Das Fremde" ist das, was "Identität, System, Ordnung stört. Das keine Grenzen, Positionen, Regeln respektiert. Das Zwischenreich, das Ambivalente, das Zusammengesetzte.
" In die "Fremde" lassen sich zeitgenössische, feministische oder homosexuelle Figuren einordnen. Die Künstler verwendeten für ihre Skulpturen ungewöhnliche und tabuisierte Materialien. Diese Richtung beschäftigte sich mit der Verletzlichkeit und Vergänglichkeit des menschlichen Körpers. Robert Gober (geboren 1954) verwendet für seine Skulpturen meist Wachs, was die Vergänglichkeit betont. Seine Werke sind durchdrungen von seiner Homosexualität. Sie stehen im Gegensatz zu der dominanten, heterosexuellen Kultur.
Gober versieht seine Körperfragmente mit zusätzlichen Elementen, wie zum Beispiel mit Abflußlöchern oder mit einer Kerze (in "Ohne Titel", entstanden 1991). Elemente wie Abflußlöcher spielen auf Körperflüssigkeiten und Körperfunktionen an. In Zeiten von Aids und moralischen Dispositionen, beispielsweise Homosexualität, ist das Bewußtsein für die Funktionen des Körpers wieder im Mittelpunkt. Dies zeigt sich in den Werken von Kiki Smith (zum Beispiel "Pee Body", entstanden 1992, in der sie sich mit den Ausscheidungen des Körpers und mit seinen Funktionen auseinandersetzt.) und Robert Gober.
9) Körper und ich
Etliche zeitgenössische Künstler verwenden ihren eigenen Körper als Schauplatz, Quelle und Thema ihrer Werke, in dem sie ihn Einflüßen, Veränderungen und Wirkungen aussetzen.
Diese Bewegung soll das Gefühl für den Körper als das "Ich" übermitteln. Die Wurzeln liegen in der Performance - Kunst der 60er, in denen lebende Körper verwendet wurden. Diese Entwicklung führte zu sehr skurrilen Werken verschiedener Künstler.
Die französische Multi - Media - Künstlerin Orlan, die ihren Körper als "Rohmaterial" für kosmetische Operationen verwendet, um das jetztige System von Schönheit zu untergraben. Sie verwandelt den Operationssaal in einen Saal einer künstlerischen Performance (beispielsweise Kartonfiguren) und liest während der Operation aus den psychoanlytischen Schriften von Lacan, Artaud und Kristeva vor. Die Lesung und Operation wird live in ausgewählte Galerien übertragen.
Ihr Projekt mit dem Namen "Reinkarnation der hl. Orlan" wird im Jahr 2000 seinen Höhepunkt erreichen. Sie wird sich die größte Nase, die in ihrem Gesicht Halt findet aufsetzen lassen.
Manche Werke verweisen auch auf die Furcht vor Ausscheidungen des Körpers, wie Blut, Exkremente oder Speichel. Diese Werke behandeln meist das Thema Aids.
Der englische Bildhauer Antony Gormley (geboren 1950) benutzt für seine Skulpturen ein Modell seines Körpers.
"Mein Körper ist der Sitz meines Wesens. Im Körper versuche ich eine Sprache zu finden, welche die Schranken von Rasse, Glaube und Sprache überwindet, aber immer noch von den Wurzeln der Identität handelt.", Zitat von Gormley. Er verwendet für seine Projekte unter anderem den großen Maßstab, um "unseren Körper in der Welt zu spüren." Ein Beispiel ist "Angel of the North, entstanden 1995 - 1996.
Mark Quinn (geboren 1964) hat für sein Werk "Self", entstanden 1991, fünf Liter seines eigenen Blutes verwendet.
Daraus formte er seinen eigenen Kopf. Diese Figur zeigt eindeutig, daß der Körper der Sitz der "Ich" ist. Es spielt auf die Fähigkeit des Körpers an seinen lebenswichtigen Saft wiederherzustellen und gleichzeitig das Rohmaterial für einen anderen organischen Körper zu sein.
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