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Intern: Leseliste: Ansichten eines Clowns Es war schon dunkel, als Hans Schnier, Clown und Sohn eines reichen Braunkohleunternehmers, sein Zimmer in einer Bonner Wohnung betrat. Er war ein gerade arbeitsloser Clown geworden, denn er hatte sich während eines Stückes sein Knie stark verletzt. Außerdem war er, seit Marie ihn verlassen hatte, ein Trinker, was seinen Wert für eine Aufführung drastisch drückte. Denn nichts ist mitleiderregender als ein besoffener Clown, der über die Bühne humpelt. Und ein Clown der Mitleid erregt bedrückt die Menschen anstatt sie auf zu heitern. Hans Schnier wurde Clown gegen den Willen seiner reichen Eltern.

Das nicht um sie zu ärgern, sondern um seiner Begabung freien Lauf zu lassen. Er war ein Clown, der den Papst, Gary Cooper und Alec Guinness als die einzigen wirklichen Christen betrachtete. Er war selbst nicht katholisch. Das war einer der Gründe, an denen seine Beziehung zu Marie zerbrach. Marie war die streng katholisch erzogene Tochter eines Ladenbesitzers in Bonn. Hans lebte mit ihr in "Sünde", da sie miteinander geschlafen hatten, aber nicht verheiratet waren.

Er war streng monogam. Die einzige Frau bei der er es sich anders überlegen hätte können, war Monika Silvs. Seine Monogamie und natürlich auch seine grenzenlose Liebe zu Marie waren die Auslöser für sein Alkoholproblem. Marie hatte sich, wenn sie in Bonn gewesen waren, im Katholischen Kreis aufgehalten, wo sie auch oft Hans mitgenommen hatte um ihn zum konvertieren zu bewegen. Auch Züpfner, der jetzige Mann Maries, war ein Mitglied des Kreises. Ihre Heirat mit Züpfner, den Hans nicht leiden konnte, machte sie zur "First Lady des Katholizismus in Deutschland".

Sie hielt sich gerade mit ihm in Rom auf, denn sie hatten eine Audienz beim Papst. Marie wollte von Hans immer, dass er ein schriftliches Zugeständnis abgibt, das besagt, dass er verpflichtet ist, ihre Kinder katholisch zu erziehen. Er wollte es Anfangs nicht, da er durch die Besuche im Katholischen Kreis ein sehr schlechtes Bild vom katholischen Glauben bekommen hatte. Als er dann aber zustimmte, war Marie beleidigt gewesen, da sie dachte, er hätte es nur gesagt, um sie zufrieden zu stimmen. Er hatte es wirklich getan, um ihr etwas Gutes zu tun. Da war sie noch mehr beleidigt gewesen.

Marie hatte auch einmal eine Fehlgeburt gehabt, die sie ihm zu verschweigen versucht hatte. Er konnte sich seine Heimreise nur noch mit knapper Not leisten, da er sich bei der Verhandlung über seine Gage von 200 Mark auf ein Ticket erste Klasse nach Bonn, Taxifahrt und eine Flasche Cognac hinabhandeln hat lassen. Er wurde von Kostert, dem Auftraggeber, dann auch noch um das erste Klasse Ticket geprellt, darum hatte er kein Geld mehr für das Taxi für die Heimfahrt. Doch gerade heute hätte er ein Taxi gebraucht, da er ja eine schwere Knieverletzung hatte. Er bekam kurz darauf einen Telegramm von seinem Manager Zohnerer, das besagte, dass Zohnerer noch anrufen würde. Während er auf den Anruf wartete, blätterte er im Telefonbuch um zu sehen, wen er noch sprechen müsse.

Er schrieb auch die Namen derer auf, die er im Notfall um Geld bitten konnte. Er rief also seine Mutter an, mit der er nicht so besonders zu Rand kam, da sie seine Schwester Henriette in den Tod geschickt hatte. Am Telefon erfuhr er dann, dass sein Bruder Leo (für ihn unfassbar) eine Karriere als Theologe angestrebt hatte. Hans hatte außerdem noch eine unglaubliche Begabung: Er konnte Gerüche durchs Telefon wahrnehmen, außer bei seiner Mutter, da eins ihrer Prinzipien war "eine Dame strömt keinerlei Art von Geruch aus". Henriette war Hans’ Schwester und seine Eltern hatten sie in den Krieg geschickt, um "unsere heilige Deutsche Erde" gegen diese "jüdischen Yankees" zu verteidigen. Er hätte sie gerne noch einmal gesehen oder nur ein Wort von ihr gehört.

Am Ende des Krieges, ungefähr zur gleichen Zeit als Henriette bei Leverkusen fiel, hätte Hans, im Alter von zehn Jahren, eingesperrt werden sollen, da er einen Nazioffizier einen "Scheiss Nazi" geschimpft hatte. Er hatte das getan, als sich ein Kind, Georg, mit einer Panzerfaust in die Luft sprengte und Herbert Kalicks Kommentar zu diesem Unfall war nur: "Zum Glück war Georg ja ein Waisenkind." Der einzige, der versucht hatte ihn nach diesem Vorfall zu schützen, war sein Vater, denn nicht einmal seine Mutter hatte etwas zu seiner Verteidigung beigetragen. Bei seinem Telefonat erkundigte er sich auch nach seinem Großvater, der ihm und Marie öfter Geld geschickt hatte. Obwohl sie immer Probleme mit den Verrechnungsschecks gehabt hatten, war ihnen jeder Pfennig willkommen. Auch in der Zeit, in der Hans 200 bis 300 Mark pro Auftritt verdiente.


Als er auflegte, mußte er an Marie denken, die er schon seit der Schule kannte und liebte. Sie war die Tochter eines nicht sehr wohlhabenden Witwes und Geschäftsmanns, der schon verschieden war. Er mußte auch an sein erstes Mal mit ihr denken, als sie danach die Bettwäsche gewaschen hatte, um es geheim zu halten. Doch es war ihnen nicht gelungen, es zu verheimlichen, also sagte er es auch gleich seinem Bruder Leo. Sein Bruder Leo war ein wunderbarer Klavierspieler. Er spielte oft Chopin für die Beiden.

Nach dem Telefonat mit seiner Mutter rief er seinen Bruder im Konvikt an, um von ihm Geld zu bekommen, da er wußte, wenn er mit seinem Job so weiter machen würde, würde er bald kein Geld mehr haben, da er nie welches gespart hatte. Das bereute er schon jetzt, da er sehr bald und sehr leicht in der Gosse landen konnte. Dann rief Zohnerer, sein Manager, ihn an. Hans mußte sofort anständig einstecken, da er ja an seiner mißlichen Lage zum Großteil selbst schuld war. Wenn auch nur an der seiner Karriere als Clown. Zohnerer legte ihm nahe, für mindestens ein halbes Jahr zu pausieren und neue Nummern einzustudieren.

Dafür müsse er jeden Tag mindesten acht Stunden üben und mit seiner Sauferei aufhören. Zohnerer sagte ihm auch, dass er sich sein Geld derweil von seinem Vater leihen sollte, da der ja nicht gerader der Ärmsten einer war. Plötzlich läutete die Türklingel und der Aufzug kam nach oben, sein Vater stieg aus und kam zu ihm in die Wohnung. Sie sprachen sich beide aus und erzählten einander, was sich seit ihrem letzten Treffen ereignet hatte. Hans sprach seinen Vater, der einzige in seiner Familie, der ihn verstand, bald wegen des Geldes an. Er wollte Anfangs tausend Mark, die ihm aber sein Vater nicht geben wollte.

Dann hörten sie auf über Geld zu reden, aber kurz bevor sein Vater gehen wollte zog er eine Mark aus seiner Tasche und spielte mit seinen Fingern daran herum. Aber sein Vater, den er übrigens zum ersten mal Vater genannt hatte, wollte nicht mehr übers Geld reden also ging er. Vorher hatte Hans ihn aber noch wegen seiner Fernsehauftritte gelobt, die ihn viel bekannter machten, als er durch Braunkohle allein nur werden konnte. Er lobte auch die Präzision, er war selbst Perfektionist, in seiner Mimik und Gestik. Auch seine gewählte Aussprache und die Art seine "Gegner" festzunageln gefiel Hans sehr gut. Zum Abschied honorierte Hans noch den Einsatz für Frau Wieneken, die er vor dem Erschießen gerettet hatte.

Frau Wieneken ist nämlich einmal am Ende des Kriegs mitten in der Nacht durch die Deutschen und Amerikanischen Linien gegangen, um von ihrem Cousin Brot zu holen. Hans machte seinem Vater auch noch einen großen Vorwurf: Er und sein Bruder waren nämlich nie wirklich satt geworden und darum waren sie freitags immer zu Wienkens gegangen, um sich dort die Bäuche voll zu schlagen. Es gab dort oft Kartoffelsalat, Leg’s und Hans’ Lieblingsspeise. Sie hatten als Kinder immer Hunger, wußten, dass sie reich waren, bekamen davon aber nie etwas zu sehen, da ihre Mutter so geizig war. Außerdem hielt ihre Mutter Geiz bei allen Schniers für ein gute Eigenschaft, die sie bereits perfektioniert hatte. Wenn sie freitags bei den Wienekens gewesen waren und Herr Wienekens, ein Platzwart, nach Hause gekommen war, wurden sie oft ins Kino geschickt.

Als sie dann in die kleine Wohnung zurück gekommen waren wurden die beiden Wienekens immer rot. Erst später, wie bei vielen Sachen, hatte Hans bemerkt, was wirklich los gewesen war wenn sie außer Haus waren. Danach rief er Bela Brosen, die Geliebte seines Vaters, an, um sie um Geld zu bitten. Doch bald bemerkte er, dass Bela zu dumm war, um ihm Geld zu besorgen. Dann rief er Monika Silvs an. Er wollte von ihr nur im Notfall Geld verlangen, aber der bestand noch nicht.

Sie plauderten ein bißchen und er ließ sich dann von ihr von Chopin die Mazurka B-Dur Opus 7 Nr. 1 vorspielen. Es klang gut, aber er mußte weinen, da es ihn an Marie erinnerte. Dann rief ihn Sabine Edmonds an. Sie war die Frau eines Clownkollegen, der schon vier Kinder hatte und mit seinem Geld selbst schwer auskam. Hans war oft mit Marie bei ihnen gewesen um ein bißchen auf die Kinder aufzupassen, da es oft Streit gegeben hatte, wenn es ums leidige Thema gegangen war.

Er sagte ihr also nur, dass sie ihn als Babysitter weiterempfehlen solle, obwohl er auch in diesem Beruf schon einen starken Tiefschlag hat hinnehmen müssen. Er dachte dann wieder daran, selbst Geld zu verdienen, nämlich als Straßenmusikant am Bahnhof unter seinem Fenster. Dann kam noch einen Anruf von Leo, der ihm sagte, dass er das Geld habe, aber nicht zu ihm kommen könne. Er warf dann seine letzte Mark vom Balkon und schaute ihr noch lange nach, da es das erste Mal war, dass ihm bewußt wurde, wie oft er in der Vergangenheit Geld verschwendet hatte. Aber es war auch das erste Mal, dass er ausgegebenem Geld nachtrauerte. Nun ging er ohne einzige Mark in den Taschen oder auf der Bank mit seiner Gitarre, seinem Charly Caplin Bowler und einem Kissen zu Bahnhof um dort für die nächsten Tage seinen Unterhalt zu bestreiten.

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