Gedichtinterpretation
Gedichtinterpretation
Seitdem die Industrialisierung Anfang des 19. Jh. immer weiter fortschritt und materielle Dinge wie eine höhere Produktivität, gekoppelt mit mehr Arbeit und weniger Freizeit immer weiter in den Vordergrund traten, verlor das gefühlsbetonte und emotionale im Leben immer mehr Anbedeutung. Es kam regelrecht zu einer Werteveränderung bzw. – neudefinition. Zu dieser Zeit, genauer gesagt von 1804 -1816 bildete sich eine Gegenströmung zur Aufklärung heraus: die Romantik – in diesem Fall die Hochromantik.
Als eine der wichtigsten literarischen Zeitabschnitte diente die Literatur dieser Zeit als Gegenpol und Ausgleich zu der vergleichbar gefühlskalten und einer nicht an Gefühlen Anteil nehmenden Industrie. Romane, Märchen und auch Novellen sollten die Phantasie und Gefühle des Menschen betonen und neu beleben, ihnen wieder Ausdruckskraft und Bedeutung verleihen. Zum zentralen Thema avancierte die Natur und die Beschreibung ihrer Wirkung auf den Menschen, meistens als Medium zur Umschreibung des menschlichen Gefühlslebens.
Als ein gutes Beispiel für die Eigenschaften dieser Kunstepoche ist das Gedicht „Das zerbrochene Ringlein“ von Joseph von Eichendorff anzusehen. Eichendorff, der 1788 in Oberschlesien geboren wurde, von 1805-1807 Jura studierte und 1857 in Neiße verstarb, gehörte mit zu den bedeutendsten Schriftstellern seiner Zeit.
In diesem Werk geht es um eine verflossene Liebe.
Das lyrischen Ich beschreibt voller Kummer und Schmerz, wie sehr ihm das Herz gebrochen wurde und es nun unfähig ist, irgend etwas zu tun oder sich für etwas zu entscheiden. Der einzige Ausweg scheint nur der Tod.
Als ich dieses Werkes das erste mal gelesen hatte, konnte ich mich sofort in die Lage des lyrischen Ichs hinein versetzen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass mir selber derartige Dinge widerfahren sind. Dieser Eindruck ging sogar soweit, dass ich für die erzählende Person ein Mitgefühl und phasenweise sogar regelrechtes Mitleid empfand. Ich fühlte mich in meiner Position als Leser machtlos, da ich gerne dem lyrischen Ich bei der Bewältigung seiner Probleme geholfen hätte.
Die innere Berührung des Erzählers hatte sich während des Lesens bis zum Ende des Werkes vollkommen auf mich übertragen. Die Wortwahl des Autors ist sehr einfach, so dass Eichendorffs Werk für mich sehr leicht verständlich ist.
Dieses Gedicht ist der Gattung der Gedanken- oder auch Liebeslyrik zuzuordnen. Es ist in Form eines Volksliedes verfasst. Dies lässt sich formal zum einen daran erkennen, dass das Gedicht in fünf 4-zeilige Strophen aufgebaut ist. Zum anderen sind die Verse im 3-hebigen Jambus in einer einfachen Sprache verfasst, was früher und heute noch dazu dient, dass dieses Gedicht bzw.
die Volkslieder leicht zu lesen und zu merken sind. Ein weiteres Merkmal dieses Werkes als Volkslied ist der Kreuzreim, mit dem Reimschema a b a b, was ebenfalls häufig beim Schreiben derartiger Gedichte verwendet wurde. Der erste und dritte Vers jeder Strophe ist ein weiblicher Reim, das heißt, dass die Endsilbe betont ist. Der zweite und vierte Vers ist in männlicher Form verfasst, so dass die Endsilbe betont wird. Somit bewirkt der Autor, dass der Rhythmus des Gedichtes zwar von Zeile zu Zeile verändert wird, jedoch wiederholt sich dieses Schema über das gesamte Werk. Die Verwendung von Großbuchstaben am Anfang jeder Zeile bewirkt, dass der Leser bei der Lektüre dieses poetischen Werkes nicht in eine monotone Leseweise verfällt, sondern sich bei jeder Zeile neu konzentriert um den Sinn bzw.
die Intention von Joseph von Eichendorff besser verstehen zu können. Es fehlen ebenfalls auch Appositionen, wodurch ein flüssiger, unkomplizierter Satzablauf gewährleistet wird.
Während man „Das zerbrochene Ringlein“ liest, fallen Motive auf, die für den Inhalt von entscheidender Bedeutung sind, sich wiederholen und dabei wahrscheinlich das Nachvollziehen des Gedankenganges des lyrischen Ich unterstützen sollen. Derartige Motive sind Mühlrad, Feuer, Nacht, Schlacht, Ring und Treue. Sie beschreiben teils die Natur mit ihren typischen Eigenschaften, teils auch menschlichen Symbole in der Liebe.
Die gleiche Funktion haben auch die sehr expressiven aber auch empfindsamen Adjektive wie kühl, entzwei, blutig, still und dunkel und Verben wie zum Beispiel verschwunden, gewohnet, versprochen, gebrochen, sprang, singen, gehen, sterben liegen und fliegen.
Die erste Strophe dient dem Gedicht als kleine Einleitung. Kurz und knapp wird der Inhalt und die Problematik geschildert: die Liebste des lyrischen Ichs ist verschwunden. Es wird ebenfalls in einer für die Romantik typischen Form der Eindruck eines laufendem Mühlrades „in einem kühlen Grunde“ geschildert. Das laufende Rad hat eine Kreisform, und ein Punkt auf dem Rad kehrt beim Drehen periodisch wieder – dieses Symbol könnte eine Metapher für die Gedanken sein, in denen sich das lyrische Ich immer wieder mit der ehemaligen Liebsten beschäftigt. Das Rad läuft in dem „kühlen Grund“ - ein Ausdruck für die Gefühlskälte, die von Seiten der ‚verflossenen‘ Liebe ihm entgegengebracht werden. Jemand, der nichts mehr empfindet in Bezug auf Gefühle „kalt“.
Im letzten Vers der ersten Strophe sagt das lyrische Ich: „die dort gewohnet hat“. Dies kann bedeuten, dass es damit das ‚Wohnen im Herzen‘ meint – ein poetischer Ausdruck dafür, dass die beschriebene Person mal einen wichtigen Platz im Herzen des lyrischen Ichs eingenommen hat.
Unter Verwendung eines Emjabements spricht der Erzähler des Gedichtes in den ersten beiden Versen der zweiten Strophe zeilenübergreifend darüber, dass sich beide durch einen Ring die „Treu versprochen“ haben. Dieser Ring als Symbol der Treue wird noch in derselben Strophe wieder erwähnt. Jetzt steht er nicht mehr für die Bindung zwischen den beiden Liebenden, sonder für die Trennung des Paares, denn der Ring des lyrischen Ichs ist in zwei Teile gesprungen. In dieser Strophe treten die beiden gleichbedeutenden Motive aus der Überschrift wiederholt auf, was auf den eigentlichen Sachverhalt hindeuten soll: Den Treuebruch.
In der dritten Strophe redet das lyrische Ich zum ersten mal darüber, was es in seiner Zukunft gerne machen würde. Es möchte als ein Spielmann in der Welt reisen. Hier wird der Drang des Erzählers nach Freiheit deutlich, denn ein Spielmann ist ungebunden und frei von allen Verpflichtungen. Das lyrische Ich möchte auch „seine Weisen singen“, was bedeuten soll, dass es seinen Emotionen einfach ‚freien Lauf lassen‘ will. Das gehen von Haus zu Haus verdeutlicht ebenfalls den Wunsch nach keiner Bindung. Der Erzähler möchte dann weiter ziehen, wenn er es möchte und das Haus als Symbol für Niederlassung an einem Platz meiden, bzw.
immer nur kurz erleben.
Das Motiv der Freiheit wird in der vierten Strophe erneut aufgegriffen, diesmal in Form des symbolträchtigen Verbs „fliegen“ im Vers 13. Die Eigenschaft selbst fliegen zu können, ist für den Menschen schon lange Zeit einer der größten Wünsche, da das Abheben vom Erdboden gleich zu setzen ist mit dem Loslösen von allen irdischen Gesetzen und Verbindungen. Um die Aussagekraft, bzw. den Wunsch des lyrischen Ichs für den Leser noch ausdrucksvoller darzustellen, verwendet der Autor des Gedichtes das Oxymoron „als Reiter fliegen“. Dadurch, dass der Mensch schon alleine nicht fliegen kann, das lyrische Ich jedoch vorhat, mit einem Pferd zu fliegen, wird dieser geradezu unmöglich erscheinende Wunsch nach Freiheit noch stärker untermauert.
Im zweiten Vers dieser Strophe hebt die erzählende Person mit „wohl in die blut’ge Schlacht,“ die möglichen Gefahren hervor, insbesondere durch den Gebrauch des Klimax „blutige Schlacht“. Obwohl das Substantiv „Schlacht“ schon allein stehend als Metapher für einen Konflikt oder eine Schwierigkeit gesehen werden kann, die dem lyrischen Ich begegnen könnte, soll das Adjektiv blut’ge den möglichen Umfang der Schlacht noch intensivieren bzw. noch stärker betonen. In den letzten zwei Versen der vierten Strophe zeigt die erzählende Person auf zwei unterschiedliche Weisen die Möglichkeit des völligen Alleinseins auf: Zum einen verwendet der Autor im dritten Vers das Oxymoron „stille Feuer“, was in der Realität niemals sein kann, da Feuer immer irgendwelche Geräusche wie z.B. knistern, krachen, brutzeln machen.
Dem lyrischen Ich dient dieses künstlerische Mittel dem Zweck, um das Feuer als Symbol für innere Bewegtheit und Spannung zwar zu betonen, jedoch auch darauf zu deuten, dass durch die Tatsache, dass niemand da ist um zu helfen auch niemand die inneren Schreie des Erzählers wahrnehmen kann und somit das Feuer still und ohne Erhörung bleibt. Zum anderen gebraucht Joseph von Eichendorff das Nachtmotiv in Verbindung mit einem Feld. Jemand, der in der Dunkelheit schon einmal auf einem Feld war, kennt das Gefühl, was mit dem Klimax „bei dunkler Nacht“ erzeugt wird: das Gefühl des absoluten Einsamkeit. Obwohl dem Leser schon bei dieser Steigerung des Nachtnomens, durch das eigentlich unnötige Adjektiv dunkel die Intention des lyrischen Ich klar geworden ist, nutzt es das „Feld“ als Symbol für eine weite, freie Fläche, ohne irgendwelche andere Personen.
Die letzte Strophe kann als eine Art Resümee angesehen werden. Das Motiv des laufenden Mühlrades tritt erneut auf.
Es soll Leser zeigen, dass für das lyrische Ich die Gedanken an die Trennung von seiner Liebsten immer noch gegenwärtig sind. Um aber auch die absolute und endgültige Folge von diesen Gedanken zu präsentieren setzt Eichendorff am Ende der ersten Zeile der fünften Strophe einen Doppelpunkt. Das lyrische Ich weiß im Grunde nach nicht, was es eigentlich will. Seine Aussage wird jedoch dadurch negiert, dass durch den Bindestrich am Ende dieser zweiten schon auf die dritte Zeile der letzten Strophe weiter geleitet wird, in der die erzählende Person aussagt, dass sie am liebsten sterben will. Dies tut sie unter Verwendung des Wunschmotivs „Ich möchte“ nun schon zum wiederholten mal in diesem Gedicht (in der dritten, vierten Strophe schon einmal am Anfang). Diese Todessehnsucht hat aber einen besonderen Grund: im Jenseits wäre es still.
Keine Geräusche, auch kein plätscherndes Mühlrad und somit auch keine Gedanken mehr an die Liebste. Diese Gedanken würden nicht nach und nach verschwinden, sondern sofort („da wär’s auf EINMAL still“). Das Seelenheil wäre für das lyrische Ich nur im Tod als einziger Ausweg möglich.
Somit ist dieses Werk auch eindeutig der Hochromantik zuzuordnen, da dort Volkslieder im Vordergrund standen.
Meinen ersten Eindruck kann ich eigentlich nur noch einmal wiederholen! Ich konnte mich aufgrund meiner eigenen persönlichen Erfahrungen sehr gut in das lyrische Ich und seiner Lage hineinversetzen.
Sehr gut finde ich, dass über den weiteren Verlauf, bzw.
das Leben des lyrischen Ichs nichts gesagt wird. Der Leser wird darüber im Dunkeln gelassen, was passiert ist: hat sich die erzählende Person umgebracht oder nicht. In meinen Augen lässt Joseph von Eichendorff das Ende aus dem Grunde offen, um den Leser selbst urteilen zu lassen. Der Mensch soll darüber nachdenken, wie man an der Stelle des lyrischen Ichs gehandelt hätte. Des Weiteren soll man für sich selber entscheiden, ob dieser Tod/Suizid moralisch vertretbar gewesen wäre und ich denke, dass das Gedicht „Das zerbrochene Ringlein“ von Joseph von Eichendorff aus diesem Grund auch eine belehrende Wirkung für den Leser haben soll.
Somit ist dieses Werk auch eindeutig der Hochromantik zuzuordnen, da dort Volkslieder und Märchen im Vordergrund standen.
Diese Werkgattung hat in jedem Fall immer eine Aussageabsicht und soll belehren. Wie schon das Märchen „Rotkäppchen“ der Gebrüder Grimm darauf hinwies nicht zu leichtgläubig zu sein, so soll dieses Werk den Menschen vor vorschnellen Handeln bewahren.
Wörter:1777
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