Jana bülter, klasse fgy 3a
Jana Bülter
Oldenburg, 25. November 1998
Gedichtsinterpretation
„Die Bürgschaft“ (1798) von Johann Christoph Friedrich von Schiller
Historischer Kontext:
Um 1740: Zeitalter des Absolutismus (unbeschränkte Herrschaft eines Fürsten)
1756
bis 1763: Siebenjähriger Krieg (Konflikt zwischen den europäischen Großmächten)
1776: Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten
1782: Erfindung der Dampfmaschine
1789: Französische Revolution (bis 1799) (beseitigte das Regime Ludwigs XVI. und wirkte
1799: Erfindung der Papiermaschine tief auf das Europa des 19. Jhdts.)
Literaturepoche
Schillers Lyrik wurde maßgeblich von folgenden Epochen bestimmt:
„Sturm und Drang“ (1767-1785), gekennzeichnet durch jugendliche, revolutionäre Auflehnung gegen die erstarrte Aufklärung, Kult des schöpferischen Genies (vorbereitet durch Rousseau und Shakespeare);
„Klassik“ (1786-1805), gekennzeichnet durch den Bezug auf die griechische und römische Antike;
und „Romantik“ (1795-1835), gekennzeichnet durch fantasievolle, schwärmerische Lyrik. Seit 1770 Sammelbegriff für nördlich-germanische und südlich-romanische Kultur im Gegensatz zur Antike.
Biografie
1759: 10. November: Geburt in Marbach am Neckar
1764 - 1766: Elementarunterricht in Lorch
1767: Eintritt in die Lateinschule in Ludwigsburg
1773 - 1780: Militärische Pflanzschule (spätere Hohe Karlsschule)
1775: Übergang zum Studium der Medizin
1779: Erste Dissertation
1780: zweite Dissertation, Regimentsmedikus,
1781 - 1782: Militärarzt und Poet in Stuttgart
1787 - 1788: Aufenthalt in Weimar
1788: Erste Begegnung mit Goethe, Berufung als a.o. Professor für Geschichte nach Jena
1789: Umzug nach Jena, Freundschaft mit von Humboldt
1790: Eheschließung mit Charlotte von Lengefeld (die 2 Töchter mit in die Ehe brachte)
1791: Beginn einer schweren Erkrankung (vermutl. Kruppöse Pneumonie mit Rückenfellentzündung)
1794: Geburt des ersten Sohnes Karl, Beginn der Freundschaft mit Goethe, Besuch in Weimar
1799: Umzug nach Weimar
1805: Tod am 9. Mai in Weimar.
Die wichtigsten Werke: Die Räuber (1777-1780), Uraufführung der „Räuber“ (1782), Fiesko, Kabale und Liebe (1784), Don Carlos (1787). Der Infant von Spanien (1787), Götter Griechenlands (1788), Balladen („Das Balladenjahr“ 1797), weitere Balladen, u.a. Die Bürgschaft (1798), Wallenstein (1800), Die Jungfrau von Orleans (1801), Maria Stuart (1801), Die Braut von Messina (1803), Wilhelm Tell (1804)
Formanalyse
Die Ballade „Die Bürgschaft“ besteht aus 20 Strophen mit jeweils 7 Versen . Jeder Vers besteht aus 8 – 10 Silben. Darin sind enthalten:
Anaphern: 4.
Strophe (Verse 5 und 7) „ ... bis ich die Schwester den Gatten gefreit, ...
bis ich komme, ... „ 9. Strophe (Verse 2, 3, 5 und 6), 10. Strophe (Verse 1, 2 und 6), 12.
Strophe (Verse 1, 2, 6 und 7), 13. Strophe (Verse 1, 3, 4, 6 und 7), 14. Strophe (Verse 1, 2 und 4), 18. Strophe (Verse 1 und 2), 19. Strophe (Verse 1, 3 und 5);
Antithese: 19. Strophe (Vers 3) „ .
.. und weinen für Schmerzen und Freude.“
Enjambements: 1. Strophe (Verse 1-3), 2. Strophe (Verse 1-7), 3.
Strophe (Verse 1-2, 4-7), 4. Strophe (Verse 1-7), 5. Strophe (Verse 1-3, 4-7), 6. Strophe (Verse 1-3, 4-7), 7. Strophe (Verse 2-7), 8. Strophe (Verse 1-2, 4-7), 9.
Strophe (Verse 1-7), 10. Strophe (Verse 1-2, 3-7), 11. Strophe (Verse 2-3, 6-7), 12. Strophe (Verse 1-3, 4-7), 13. Strophe (Verse 1-7), 14. Strophe (Verse 1-6), 15.
Strophe (Verse 1-7), 16. Strophe (Verse 1-2, 4-7), 17. Strophe (Verse 1-3, 4-7), 18. Strophe (Verse 1-5), 19. Strophe (Verse 1-3, 4-7), 20. Strophe (Verse 1-5, 6-7);
Reihung: 13.
Strophe (Vers 4), „... aus dem Felsen, geschwätzig, schnell, springt murmelnd ...
“;
Apostrophe: 1. Strophe (Vers 4), „„Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!““, 8. Strophe (Vers 3), „„O hemme des Stromes Toben!““ 11. Strophe (Vers 5), 12. Strophe (Verse 4-7), 16. Strophe (Verse 1-2), 18.
Strophe (Vers 6);
Hyperbel: 6. Strophe (Vers 1), „„Da gießt unendlicher Regen ...““
Synästhesien: 12. Strophe (Vers 1), „Und die Sonne versendet glühenden Brand,.
..“, 13. Strophe (Vers 1und 2),
„...
da sprudelt es silberhell / ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,...“
Metrum:
Kadenz: In allen Strophen ist die Kadenz im 1., 4. und 5.
Vers männlich und im 2.und 3., 6. und 7. Vers weiblich.
Reimstellung: In allen Strophen ist ein umarmender Reim verbunden mit einem Paarreim.
Identische Reime: 17. Strophe (Verse 1 und 4), 20. Strophe (Verse 1 und 5).
Personifizierung: 6. Strophe (Vers 4) „..
. mit wanderndem Stab, ...“, 13. Strophe (Verse 4-5), „.
.. aus dem Felsen, geschwätzig schnell, springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell, ...“, 14.
Strophe (Verse 1 und 2), „Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün und malt auf den glänzenden Matten ...“, 15. Strophe (Vers 2), „..
. ihn jagen der Sorge Qualen; ...“;
Interpretationsangebot
Schiller sah seine Aufgabe als Dichter seiner Zeit, „die verlorene Natur des Menschen vor Augen“ zu bringen. Das „Gebaren“ der Freunde wird in der Ballade selbst eine „Wundermähr“ (vgl.
Strophe 19, Vers 5) genannt, und eine Wundermär ist es auch, dass ihr Beispiel einen entmenschten Tyrannen zur Menschlichkeit zurückführt.
Den Stoff für diese Ballade erhielt Schiller von seinem Freund Goethe aus den Erzählungen des „Hyginus“.
Das „Übernommene“ sowohl wie das „Erfundene“ und „Gedachte“ der Ballade müssen in den Zusammenhang der Entstehungszeit gerückt werden, in die Zeitgeschichte und in die des Schiller'schen Denkens.
Neun Jahre vor der Fertigstellung der „Bürgschaft“ war der Sturm auf die Bastille, fünf Jahre vorher war Ludwig XVI. enthauptet worden, seit der Hinrichtung Dantons und Robespierres waren vier Jahre vergangen..
Nach Schillers Meinung war die Französische Revolution gescheitert. Er ging davon aus, dass nur die „ästhetische Erziehung des Menschen“ die Voraussetzungen für die Einrichtung einer vernünftigen Ordnung des Staates schaffen würde.
Entsprechend beginnt die Ballade mit einem gescheiterten Revolutionsversuch, dem misslungenen Attentat auf einen Alleinherrscher, dessen Bösartigkeit im Gedicht mehrfach hervorgehoben wird.
Der verhaftete Attentäter nimmt sein Urteil in der Ballade, entgegen der Überlieferung, bemerkenswert bereitwillig an und nennt seinen Versuch eines gewaltsamen Attentates sogar ein „frevelndes Streben“ (4. Strophe, Vers 3). Diese Darstellung könnte den Überlegungen Schillers entsprungen sein, der in „Die Staatsverbesserer“ feststellte: „So schlimm steht es wahrlich noch nicht um des Staates Gesundheit, dass er die Kur bei euch wage auf Leben und Tod.
“ (vgl. Kurzfassung der Xenien, zit. von Jürgen Stenzel, in „Gedichte und Interpretationen“, s. Lit.). Der nur auf Gewalt gegründete Staat verhindere wenigstens die Anarchie und sichere die Existenz des physischen Menschen.
Während der Tyrann in der „Bürgschaft“ die Annahme eines Bürgen sogleich mit der sadistischen Empfehlung zum Verrat am Freunde verbindet, ist dem Attentäter und dessen Freund das Sittengesetz zur fraglosen Natur geworden. Dabei wird deutlich, dem Dichter geht es nicht um Psychologie, sondern um ideales Verhalten: Die feindliche und rohe Natur des reissenden Stromes (6. Strophe), der „raubenden Rotte“ (11. Strophe), der glühenden Sonne (12. Strophe) überwindet der Held mit der letzten Kraft, die ihm der Gedanke an den Freund verleiht.
Eben dieses reine und ideale Handeln bewirkt das, was Schiller von wahrer Poesie sich versprach: die Wiedergeburt der „Menschheit“.
Das vorher seine rohe Sensationsgier „gaffend“ (18. Strophe) befriedigende Volk äußert jene wunderbare Rührung, „da sieht man kein Auge tränenleer“ (19. Strophe). Dasselbe widerfährt dem Tyrannen, der vorher an dieses Ideal nicht glauben wollte, nun „ein menschliches Rühren“ spürt und damit gleichsam von Tyrannen zum Menschen verwandelt wird. Folgerichtig bittet er nun um Freundschaft; Freundschaft, die sich nicht befehlen lässt, sie kann nur frei gewährt werden.
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit , das hat Gewalt nicht zu erreichen vermocht.
Dabei wird Schillers Überzeugung deutlich, dass Menschen zu Menschen werden, „wo die Idee der Menschheit sich der Erfahrung offenbart. In der Tat ist für den realistischen Idealisten Schiller jedes wahrhaft poetische Kunstwerk eine Wundermär, denn es ist der einzige Ort, an welchem die Idee in die Welt der Erfahrung zu treten vermag.“ (Stenzel, ebd.).
Quellenangaben
Friedrich Burschell: Friedrich Schiller in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Hamburg 1987.
Eberhard Hermes: Abitur Wissen – Lyrik. Frankfurt 1997.
Eva-Maria Kabisch: Literaturgeschichte. Leipzig 1997.
Ludwig Reiners: Der ewige Brunnen. Ein Hausbuch der deutschen Dichtung.
München 1990.
Wulf Segebrecht (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen – Klassik und Romantik. Stuttgart 194.
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