Hartmann von aue:
Hartmann von Aue: „Der arme Heinrich“
Textanalyse
In seiner Verserzählung „Der arme Heinrich“ berichtet der gelehrte Dienstmann Hartmann von Aue von einem Ritter namen Heinrich, der, wohlhabend und von guter Herkunft, von Aussatz befallen seinen Reichtum verschenkt und verkauft und sich auf einen Bauernhof eines seiner Bauern zurückzieht. Dort befreundet er sich mit der Tochter des Bauern, die sich um ihn und seine Krankheit kümmert und schließlich sogar bereit ist, für ihn zu sterben, um ihn heilen zu können. Kurz vor der Ermordung des Mädchens besinnt sich Heinrich und fährt mit ihr zurück zum Bauernhof, genest auf dieser Fahrt und nimmt schließlich das Mädchen zur Frau.
Die Tochter des Bauern ist ein gutherziges und fürsorgliches Mädchen, das sich, im Gegensatz zu allen übrigen Personen, zu ihrem Herrn Heinrich hingezogen und überaus verpflichtet fühlt. Es kümmert sich um ihn, pflegt ihn und wird so zu seiner einzigen Verbindung zur Aussenwelt, nachdem er von allen Freunden und Bekannten wegen seines Aussatzes verstossen wurde. Das Mädchen wird, dank ihrer kindlichen Liebe, zu seiner einzigen Chance, die Krankheit zu heilen und als tugendhafter und gesunder Ritter wieder in die Gesellschaft zurückzukehren.
Das Mädchen, das erst acht Jahre alt ist, als sich Heinrich auf den Hof seines Bauern zurückzieht, kümmert sich mit „liebevoller Fürsorge“ (V. 310) um diesen. Hartmann von Aue beschreibt ihr Verhalten als „kindliche Unbefangenheit“ (V. 322). Alle Erwachsenen, die Heinrich umgaben, als er gesund war, hatten ihn aufgrund seiner Krankheit verlassen. Angst vor Ansteckung und Ekel trieb die Menschen von ihm weg, im Gegensatz zu einem Kind, das noch unvoreingenommen der Welt gegenübersteht, das unbeirrt und unbeeinflußt einem Menschen gegenüber treten kann.
Die Tochter des Bauern wurde von ihren Eltern nicht dazu gebracht, sich von ihrem Herrn fernzuhalten, obwohl sie selbst nur mit äußester Vorsicht an Heinrich herantraten, was dazu führte, das sich das Mädchen „mit liebevollem Eifer“ (V. 326) ihm zuwenden konnte.
Sie „ließ ihn nie allein“ (V. 342 – 343) und Heinrich bedankte sich auf seine Weise bei ihr, indem er ihr Geschenke machte. „Er kaufte ihr alles, was er zu kaufen fand“ (V. 335), doch das Mädchen bewog alleine ihr „gutes Herz“ (V.
348), ihm zu helfen und bei ihm zu sein. Das ist kennzeichnend für den materialistischen Ritter, der, wohlhabend und stets in guter Gesellschaft, Reichtümer schätzen kann. Doch die Tochter des Bauern interessiert sich nicht für materialistische Dinge, sondern es bewegen alleine Gefühle, ihrem Herrn zu dienen, was sie zu einem Gegenpol zu Heinrich macht. Für ein Kind bedeuten Liebe und Aufmerksamkeit noch viel mehr, als für einen erwachsenen Menschen. Die Liebe, die das Mädchen von ihren Eltern und von Heinrich empfängt, gibt es genauso zurück, ohne etwas dafür haben zu wollen. Obwohl Kinder allgemein leicht durch Geschenke zu beeinflussen und sogar zu gewinnen sind, ist es bei der Tochter des Bauern nicht das Ausschlaggebende für ihre Zuneigung zu Heinrich.
Das Mädchen wird als „hübsch“ (V. 311) beschrieben, und das es „die Tochter des Königs“ (V. 314) sein könnte. Jedoch ist sie nur die Tochter eines etwas wohlhabenderen Bauern, und somit ein Kind, das früh an Arbeit und die Härte des Lebens gewöhnt ist. Doch auch unter diesen Voraussetzungen behält sie ihre kindliche Leichtfertigkeit. „Sie aber lief jederzeit zu ihm und nur noch zu ihm“ (V.
318 – 319), was von ihren Eltern, die im Gegensatz zu dem Mädchen die Arbeit vorschoben, um Heinrich aus dem Weg gehen und ihn meiden zu können, soweit es der Anstand erlaubte, gewährt wurde. Für Heinrich, der aufgrund seiner adligen Herkunft sich vorher nur in gehobenen Kreisen aufhielt, war diese Bauerntochter somit fast der einzige Kontakt und die einzige Vertraute, die er nach einiger Zeit seine „kleine Braut nannte“. Obwohl es eigentlich in seinem Stand nicht möglich gewesen wäre, eine Bauerntochter zu heiraten, zeigt sich hier einerseits, dass Heinrich bereits mit seinem Standesleben abgeschlossen hatte, und andererseits, dass das Mädchen, da es ihn gewähren ließ, bereit ist, alles für ihn zu geben oder auch aufzugeben.
Hartmann von Aue erwähnt in seiner Erzählung nie den Namen des Kindes. Somit wäre denkbar, das dieses Kind allgemein für alle Kinder, für die Kindheit stehen soll, die unbeschwert und unvoreingenommen allem gegenüber tritt. Sie ist ein Gegenpol zu Heinrich, der als Erwachsener in gehobenen Kreisen auf seinen guten Ruf und seine Stellung achten muß.
Als Ritter hat er bestimmten Verpflichtungen, wie der Ehre in seinem gesellschaftlichen Kreise durch Kämpfe oder Minnegesang, nachzukommen. Reichtum und Ansehen spielen in seinem gewohnten Kreise eine wichtige Rolle. Doch als er aus diesem Kreise aufgrund seiner Krankheit ausgestoßen wird, gerät er an ein kleines Mädchen, das ihn so annimmt wie er ist, der ihr „rein und gesund“ (V. 344) erscheint. Damit wird deutlich, das für ein Kind es keine Rolle spielt, was man als Mensch an Reichtum und Ansehen zu bieten hat, sondern was er ihm an „Zuneigung“ und „freundlichen Worten“ (V. 308) entgegenbringt, wie Heinrich es bei dem Mädchen tut.
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