Stadtgedichte im wandel der stilrichtungen
Großstadtlyrik im Wandel der Stilrichtungen
1.Historische Entwicklung
Im Laufe der Epochen hat sich die Form der Stadtgedichte sehr verändert. Während in den früheren Epochen wie etwa Mittelalter bis Romantik und Klassik (Bsp.: Friederich Hölderins „Heidelberg“) Gedichte über Städte eher als Landschaftsbeschreibungen gesehen werden können bzw. die Städte nur der Ort eines Geschehnisses waren. Auch die realistischen Dichter widmeten sich den Städten eher in Form einer Naturbeschreibung wenn auch mit subjektiven Elementen (Bsp.
: Storms „Die Stadt“). In Frankreich trat dann, vor allem auf dem Boden der imperialen Weltstadt Paris, in Charles Baudelaires und Emile Zolas Tagen zum ersten Mal das Phänomen der Großstadtlyrik auf. Diese war allerdings geprägt vom Symbolismus, der Décadence und dem Fin de siècle. Nach dem Krieg in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Deutschland ein literarisch vergleichbares Phänomen. Im Gegensatz zur französischen Großstadtlyrik war die neue Deutsche anfangs eine naturalistische Stadtlyrik.
Naturalistische Großstadtlyrik
Diese Dichtung basiert nicht auf dem Erlebnis eines Einzelnen oder auf einem Menschheitsschicksal, sondern beruft sich auf die Unterschicht, es war eine soziale Dichtung. Um 1905 wohnten bereits 11,5 Millionen Deutsche in Städten mit über 100 000 Einwohnern; dies nahm natürlich auch einen beträchtlichen Einfluß auf das kulturelle Leben der damaligen Zeit. . Berlin war zur Weltstadt geworden und als solche bildete sie einerseits einen geistigen Anziehungspunkt, insbesondere für die neue Dichtergeneration, andererseits einen Sammelplatz für Gestrandete, Enttäuschte, Elend Erleidende – für die Unterschicht. Eines der Grundthemen der Großstadtlyrik war auch die Schilderung des großstädtischen Elends und des moralischen Verfalls. In dieser naturalistischen Großstadtlyrik findet sich allerdings auch ein „sozialistischer“ Unterton.
Anhand der Tatsache das diese Lyrik das Einzelschicksal zwischen Tausend anderen behandelt könnte man auch von einer soziologischen Lyrik sprechen. Obwohl die meisten naturalistischen Dichter von bürgerlicher Herkunft waren bewegte sie doch die Misere des neuen Großstadtmilieus; das einen enormen Kontrast zu der Welt ihrer Kindheit bildete. Dadurch entstand der sozialkritische Aspekt der naturalistischen Literatur.
Großstadtlyrik im Impressionismus
Bürgerliche Dichter wie etwa Stefan Georg, Hugo von Hofmannsthal, Friedrich Nietzsche und Rainer Maria Rilke (Ausnahme: Auszüge aus Rilkes „Stundenbuch“ ) übersahen die dunklen Seiten der städtischen Existenz und verharmlosten sie mittels Momentanaufnahmen und impressionistischer Stimmungsbilder. Die unernste Abhandlung der impressionistischen Dichtung bildete wohl den Tiefpunkt der sozialen Großstadtdichtung, da der eigentliche Grundgedanke der sozialen Dichtung im Impressionismus beinahe verlorenging.
Expressionistische Großstadtlyrik
Ihre zweite Blütezeit erlebte die Großstadtlyrik dann zur Zeit des Expressionismus (ca.
1910-1920). Expressionistischen Dichtern gelang es das Wesen der Großstädte zu erfassen und dann in Worten zu manifestieren. Sie gaben die häßlichen Seiten der Großstädte „ungeschminkt“ wieder und scheuten auch nicht zurück vor Details. Anders zum naturalistischen Stil fanden die Expressionisten Gefallen am Extravaganten, entdeckten ihre Lust am Grotesken und den Spaß am Schockierenden. Außerdem wechselten die Inhalte der Lyrik. Bediente man sich im Naturalismus noch solcher Themen wie Proletariat, Armut, Wohnelend, schlechte Arbeitsbedingungen und anderer sozialer Faktoren so wendete sich man im Expressionismus eher dem Zerfall und Untergang der Städte im 1.
Weltkrieg zu. Themen wie die Kontamination der Städte durch den Tod (und den Krieg im Allgemeinen) findet man auch bei weniger bekannten Expressionisten als Georg Heym und Georg Trakel. Die oftmals verwendeten Ausdrücke Hohlheit und Kahlheit, Kälte und Härte, Stein und Mauer, Qual und Tod sind Sinnbilder der expressionistischen Dichtung für die „Gefangenheit“ und Verzweiflung der Großtädtler. Die Großstadt dient nur als Demonstrationsobjekt des expressionistischen Grundgedankens des Weltendes. Die Expressionisten verwendeten vor allem die Stilmittel der Allegorie (Übertreibung), Metaphern, Personifikationen etc. um die von ihnen gewünschte Überzeichnung, Verzerrung, Ironisierung zu erreichen (Bsp.
: Alfred Lichtensteins „Die Stadt“).
Großstadtlyrik von den 20er Jahren bis 1933: Neue Sachlichkeit (+ Arbeiterdichtung )
In den 20er Jahren wurden dann zwei neue, gegensätzliche, Kapitel im Buch der Großstadtlyrik geschrieben. Einerseits die Arbeiterdichtung in der die Großstadt als häßliche, düstere und schmutzige Industriestadt beschrieben wurde. Anderseits die neu-sachliche Dichtung (unter anderem von dem Dichterkreis um Erich Kästner). Diese Dichter beschrieben die Großstadt ähnlich ihren naturalistischen Vorgänger allerdings „malten sie ihre Bilder in helleren Farbtönen“. Die Großstadt wird nicht mehr nur auf ihr Elend reduziert sondern auf Grund ihrer selbst als Phänomen erkannt.
Dadurch entsteht auch mehr Vielfalt in den beschriebenen Großstadtmotiven. Die verschiedenen Seiten der Städte, sowie auch aktuelle Ereignisse und politische Themen werden in einer Art Erzählgedicht verschiedenartig beschrieben. Die Bandbreite geht über heiter-ironisch, spöttisch-gefühlvoll bis zu abgrundtief pessimistisch. Die Devise dieser Zeit war „Schnauze mit Herz“. Dies wirkte sich folgendermaßen aus, daß man in den Gedichten sowohl Nachsicht mit den menschlichen Schwächen, sowie beißende Persiflage, als auch unverhüllte Beschimpfung und revolutionären Appell findet. Des weiteren stehen das Mitgefühl mit dem „kleinen Mann“ und die Solidarität mit den „Ausgenützten“ im Gegensatz zu dem Haß auf die Mächtigen, die Unterdrücker usw.
In dieser Epoche veränderte sich auch die Sprache der Großstadtlyrik. Anders als früher konzentrierte man sich weniger auf die Stilmittel als auf die Sprache selbst. Die Autoren übersprangen die Sprachbarriere einer stilisierten Hochliteratur und wandten sich der Alltagssprache (sogar Umgangssprache) zu. Sie strebten Einfachheit in der Sprachgestalt, sowie Klarheit in der Argumentation an; daraus ergab sich dann auch die einfache Verständlichkeit der Lyrik der Neuen-Sachlichkeit.
2. Beispiele von Stadtgedichten aus Zeiten vor der Großstadtlyrik
2.
1. Romantik/Klassik
Heidelberg von Friedrich Hölderin (1770-1843)
Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust,
Mutter nennen und dir schenken ein kunstloses Lied,
Du, der Vaterlandstädte
Ländlichschönste, so viel ich sah.
Wie der Vogel des Waldes über die Gipfel fliegt,
schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt,
Leicht und kräftig die Brücke,
Die von Wagen und Menschen tönt.
Wie von Göttern gesandt, fesselt‘ ein Zauber einst
Auf der Brücke mich an, da ich vorüber ging,
Und herein in die Berge
Mir die reizende Ferne schien,
Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog,
Traurigfroh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön,
Liebend unterzugehen,
In die Fluten der Zeit sich wirft.
Quellen hattest du ihm, hattest dem Flüchtigen
Kühle Schatten geschenkt, und die Gestade sahn
All ihm nach, und es bebte
Aus den Wellen ihr liebliches Bild.
Aber schwer in das Tal hing die gigantische,
Schicksalskundige Burg, nieder bis auf den Grund
Von den Wettern zerissen,
doch die ewige Sonne goß
Ihr verjüngendes Licht über das alternde
Riesenbild, und umher grünte lebendiger
Efeu, freundliche Wälder
Rauschten über die Burg herab.
Sträuche blühten herab, bis wo im heitern Tal,
An den Hügel gelehnt, oder dem Ufer hold,
Deine fröhlichen Gassen
Unter duftenden Gärten ruhn.
Friedrich Hölderin ist ein Dichter der nicht eindeutig einer Stilrichtung zugeordnet werden kann. Er verfaßte sowohl romantische als auch klassische Texte. Das Gedicht „Heidelberg“ ist allerdings der Romantik zuzuschreiben.
Dies läßt sich schon durch die ungewöhnliche Form des Gedichtes erklären. Es besitzt kein Reimschema, diese Tatsache kann darauf zurückgeführt werden, das in der Romantik die Form zugunsten des Inhaltes vernachlässigt wurde.
Das Versmaß des Gedichtes ist auch nicht einheitlich und daher nicht genau definierbar. Das Gedicht besteht aus acht ineinander übergehenden Strophen zu je vier Zeilen.
Der Text beinhaltet archaisierendes Wortgut, zum Beispiel: Gestade, hold. In der Romantik war die Musikalität und Klangschönheit der Sprache von großer Bedeutung und die Form der Texte volksliednah wie in keiner andren Epoche. Der Titel „Heidelberg“ läßt noch nicht auf einen so gefühlsbetonten Text schließen.
Hölderin beschreibt mit einer uneingeschränkten Subjektivität die Stadt Heidelberg und ihre Umgebung.
In dem Gedicht finden sich zahllose romantische Themen. Schon in der ersten Strophe spielt der Dichter auf das Nationalgefühl seiner Zeit an indem er schreibt: „ Du, der Vaterlandstädte ländlichschönste, so viel ich sah.“ Seine hingebungsvolle Liebe für Heidelberg bringt Hölderin dadurch zum Ausdruck, daß er die Stadt „Mutter“ nennen möchte, Zitat (1.Strophe, Zeilen 1-2): „Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust, Mutter nennen“. In der zweiten Strophe wird eine Brücke durch einen Vergleich zu etwas lebendigem gemacht bzw. personifiziert, Zitat (Zeilen 1-2) „Wie der Vogel des Waldes über Gipfel fliegt, schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt, leicht und kräftig die Brücke, die von Wagen und Menschen tönt.
“. In dieser Strophe finden sich auch zwei Verbmetapher: „schwingt sich über den Strom,...,leicht und kräftig die Brücke“ und „..
.die Brücke, die von Wagen und Menschen tönt.“ und ein Vergleich: „Wie der Vogel des Waldes über Gipfel fliegt, schwingt sich der Strom...“.
Die dritte Strophe vollzieht schon den Übergang ins Mystische, Sagenhafte und beinhaltet auch einen Anklang von Fernweh, Zitat (Zeilen 1, 3-4) „Wie von Göttern gesandt, fesselt‘ ein Zauber einst“, „Und herein in die Berge mir die reizende Ferne schien,“. Die vierte Strophe wird dominiert von der Beschreibung des Stromes von Heidelberg. Für dessen Darstellung als Jüngling bediente sich Hölderin einer Personifikation, Zitat (Zeile 1): „Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog,“ In dieser Strophe erkennt man sehr deutlich das schwärmerisch – innige Naturgefühl der Romantiker, Zitat (Zeilen 2-4) „Traurigfroh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön, Liebend unterzugehen, in die Fluten der Zeit sich wirft.“. In der fünften Strophe finden unterschwellig die ebenfalls typisch romantischen Themen des Verschwommenen, des Dunklen und das der Sehnsucht, Zitat ( Zeilen 2-4): „..
hattest dem Flüchtling kühle Schatten geschenkt, und die Gestade sahn all ihm nach, und es bebte aus den Wellen ihr lieblich Bild.“ Die sechste Strophe beinhaltet die Entdeckung der Vergangenheit, bzw. die Wiederauferstehung des Mittelalters, Zitat ( Zeilen 1-3): „Aber schwer in das Tal hing die gigantische, schicksalskundige Burg, nieder bis auf den Grund von Wettern zerrissen,...“.
Allerdings enthält diese Strophe auch ein Element das eher zur Klassik zu zählen ist, das Symbol für Klarheit, für den Tag: die Sonne, Zitat (Zeile 4): „Doch die ewige Sonne goß“. Dieses Element zieht sich bis in die siebente Strophe, Zitat (Zeile 1-2) „Ihr verjüngendes Licht über das alternde Riesenbild...“. Dieser Ausschnitt zeugt aber auch von der Sehnsucht nach Jugend.
Hölderin verwendete hier auch um der Sprache mehr Ausdruck zu verleihen Onamatopoesie, Zitat (Strophe 7, Zeile 3-4) „freundliche Wälder rauschten über die Burg herab.“ Es finden sich auch märchenhafte Themen in dieser Strophe: das alternde Riesenbild, der Efeu und die Burg. Den Ausklang des Gedichtes bildet die achte Strophe in der Dichter erneut auf die „Schönheit“ der Stadt eingeht, Zitat: „Sträuche blühten herab, bis wo im Tal, an den Hügel gelehnt, oder dem Ufer hold, deine fröhlichen Gassen unter duftenden Gärten ruhn“. In dieser Strophe vollzieht Hölderin erneut eine Personifikation, indem er Hügel, Gassen und Gärten bzw. die gesamte Stadt vermenschlicht.
Hölderin beschrieb eine Stadt auf die für die Romantik typische überschwengliche Art und Weise.
Heutzutage sind seine Ausschweifungen, Assoziationen bzw. Metaphern und Personifikationen vielleicht nicht mehr ganz nachvollziehbar, aber man erkennt auf den ersten Blick mit welcher Hingabe er die „Vaterlandschönste“ Stadt beschreibt. Ich finde das Gedicht äußerst interessant, da es einen Einblick gewährt in die „Welt der Romantik“.
2.2 Realismus
Die Stadt von Theodor Storm (1817-1888)
Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.
Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohne unterlaß;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
am Strande weht das Gras.
Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.
Das Gedicht „Die Stadt“ von Theodor Storm ist eindeutig im realistischen Still verfaßt da er die Stadt ohne Beschönigungen einfach so beschreibt wie sie ihm erscheint. Die Revolution von 1848 hatte auch in der Literatur ein Umdenken bewirkt. Die veränderte Szenerie bewirkte ein neues Bewußtsein. Die Dichter standen den Geschehnissen mit einem neuen geschärften Wirklichkeitsbewußtsein gegenüber. Die Dichtung der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts läßt sich auch als „so seins Dichtung“ charakterisieren, alles wird sozusagen wie in der Photographie durch einen etwas abschwächenden Filter gesehen.
Theodor Storm verwendete für das drei strophige Gedicht das Versmaß Jambus. Das Reimschema des Gedichtes ist abaab/cdccd/eaeea. Es finden sich auch unreine Reime in dem Gedicht zB.: Mai-Schrei, für-dir.
Strom bediente sich nur weniger Stilmittel um die Stadt am Meer zu beschreiben, trotzdem gelang es ihm sehr gut die Stimmung der Stadt für den Leser greifbar zu beschreiben. Es entsteht zum Beispiel ein sehr deutliches Bild von der Meeresstimmung indem er das Stillmittel der Onamatopoesie einsetzt, Zitat (1.
Strophe, Zeile 3) „braust das Meer“ ein weiteres Beispiel für Lautmalerei ist, Zitat (2.Strophe, Zeile 1) „rauscht kein Wald“. Das Gedicht beinhaltet auch eine Verbmetapher, Zitat (3.Strophe, Zeilen 3-4): „Der Jugend Zauber für und für ruht lächelnd noch auf dir“
„Die Stadt“ ist eigentlich eine Landschaftsbeschreibung. Das Thema einer Stadt am Meer findet sich auch in einigen von Storms Novellen. In „Der Schimmelreiter“, Aquis submerus“ und in „Hans und Heinz Kirch“ spielt das Meer eine große Rolle.
Der Dichter verleiht der „Landschaftsbeschreibung“ jedoch noch zusätzlichen Charakter indem er der objektiven Betrachtung der Stadt noch seine subjektive Betrachtungsweise in Form von Jugenderinnerungen beifügt. Die beschriebene Stadt ist nämlich Theodor Storms Heimatstadt Husum, die in Friesland an der Nordsee liegt. Husum gehörte zu Storms Lebzeiten zum Herzogtum Schleswig, das ein Teil von Dänemark war. Wahrscheinlich verbindet er so viele Gefühle mit seiner Heimatstadt, da er diese nach dem Kampf der Schleswig-Holsteiner um Unabhängigkeit von Dänemark für rund 15 Jahre verließ. Nachlesen kann man auch seine Liebe für seine norddeutsche Heimat anhand des Buches „Liederbuch dreier Freunde“, das Volkslieder der Heimat beinhaltet und welches er mit zwei Freunden 1843 veröffentlichte. Des weiteren veröffentlichte er mit den selben Freunden eine Sammlung von plattdeutschen Reimen und Sagen.
Er beschreibt die Stadt am Meer als öde und drückend, Zitat (1. Strophe, Zeile 3,5) „Der Nebel drückt die Dächer schwer....eintönig um die Stadt“.
Er unterstreicht allerdings auch die Gefühle die er für seine alte Heimatstadt hat indem er schreibt, Zitat (3.Strophe) „Doch hängt mein ganzes Herz an dir, du graue Stadt am Meer; der Jugend Zauber für und für ruht lächelnd doch auf dir, auf dir du graue Stadt am Meer.“
Theodor Storm wollte, ganz im Stil des Realismus, einfach eine Stadt beschreiben so wie sie ist. Allerdings schmückt er die objektive Landschaftsbeschreibung noch mit subjektiven Bezügen (Erinnerungen) aus.
Das besondere an diesem Gedicht ist die großartige Stimmung die Storm erzeugte. Der eigentliche Inhalt rückt durch das erzeugte Stimmungsbild fast in den Hintergrund.
Mir gefällt das Gedicht, da es auf Grund des Stimmungsbildes ergreifend ist.
3. Beispiele für Großstadtlyrik aus verschiedenen Stilen
3.1. Naturalismus
Die singende Stadt von Karl Bröger
Aus Stahlgeleis und Eisenschienen klingt
das Lied, das uns die Stadt am Tage singt.
Es schüttern Hämmer, Eisen knirscht empört,
darin man Stimmen aus der Tiefe hört.
Es schrillt ihr Sang wie geller Tubaschrei,
nicht Hirtenflöte taugt ihm, nicht Schalmei.-
Doch wenn der Abend in die Nacht verrinnt,
die große Stadt sich auf sich selbst besinnt,
dann stehen alle Häuser schwarz und stumm
und rätselhafte Wesen gehen um.
Im Summen jeder Bogenlampe klagt
die Stadt ihr Leid, und bis es wieder tagt
irrt ihre Seele durch die Straßen hin,
uns sucht nach ihres Wesens tiefsten Sinn.
Sie singt ein Lied, so fern von Haß und Streit,
es summt darin von stummer stiller Seligkeit,
so singt sie fort, bis jäh im Frühgeleucht
ein Pfiff die Stadt aus ihrem Traum scheucht.-
Aus Stahlgeleis und Eisenschienen klingt
das Lied, das uns die Stadt am Tage singt.
Karl Brögers Gedicht „Die singende Stadt“ ist im naturalistischen Stil, der sogenannten „so-ist Dichtung“ verfaßt.
In dieser Zeit entstanden viele Beschreibungen des Großstadtlebens wobei die Dichter eine Vorliebe für das Häßliche hatten. Auch Bröger lag es offensichtlich daran die schlechte Situation, vor allem der sozialen Unterschicht, in den Großstädten zu schildern.
Das Gedicht ist in Jamben verfaßt und besteht aus vier Strophen. Wobei das Gedicht mit den beiden ersten Zeilen, mit denen es begonnen hat, auch wieder endet. Diese Wiederholung war wohl zur Heraushebung bzw. Unterstreichung dieser 2 Zeilen gedacht.
Diese Zeilen: „Aus Stahlgeleis und Eisenschienen klingt das Lied, das uns die Stadt am Tage singt“ bilden eigentlich auch die Gundaussage des Textes und stehen in direktem Zusammenhang zu dem Titel des Gedichtes „Die singende Stadt“. Das Reimschema des Gedichtes ist aa/bb cc dd/ff gg/hh/ii aa (z.B.: klingt/singt, empört/hört usw.). Alle Reime sind reine Reime.
Beim Lesen des Titels des Gedichtes wird die Erwartung auf ein „rhythmisches“ Gedicht geweckt.
„Die singende Stadt“ handelt von einer Großstadt die mittels eines „Liedes“ ihr Leid klagt bzw. der Autor beschreibt die verschiedenen Geräusche einer Stadt und ihr eigentliches Wesen. Da er dies, wie schon erwähnt, mittels eines Liedes vollbringt verwendet er selbstverständlich einige Metaphern und auch Personifikationen. Die Stadt selbst ist , wie man bereits im Titel erkennen kann, eine Personifikation. Gleich in der ersten Strophe finden sich eine Verb- und eine Adjektivmetapher, Zitat (Zeile 3): „Es schüttern Hämmer, Eisen knirscht empört“.
Auch der Abend der in die Nacht „verrinnt“ ist eine Verbmetapher, Zitat (3.Strophe, Zeilen 1-2): „Doch wenn der Abend in die Nacht verrinnt, die große Stadt sich auf sich selbst besinnt“, diese zweite Zeile der dritten Strophe zeugt wieder von der Personifikation der Stadt. Die stehenden Häuser der nächsten Zeile, Zitat (Zeile 3): „dann stehen alle Häuser schwarz und stumm“ bilden eine Verbmetapher. Die nächsten Zeilen beinhalten noch weitere Personifikationen der Stadt zum Beispiel, Zitat (Zeile 5-12): „Im Summen jeder Bogenlampe klagt die Stadt ihr Leid ...
irrt ihre Seele durch die Straßen hin, und sucht nach ihres Wesens tiefsten Sinn. Sie singt ein Lied ... so singt sie fort, bis jäh im Frühlgeleucht ein Pfiff die Stadt aus ihrem Traume scheucht.“ Wobei die letzte Zeile sich wohl auf die Stadt stellvertretend für ihre Bewohner bezieht.
Auffallend ist auch eine Art Parallelismus in dem Gedicht: „Es schüttern....es schrillt..
.es summt....“.
Alle diese Terme drücken einen „Klang“ aus, man könnte annehmen, daß der Autor hier bewußt eine Art Parallelismus verwendete um die Klänge mehr herauszuheben. Wobei die, die Klänge beschreibenden Wörter (schüttern, schrill, summt) ihrerseits ja schon von Onamatopoesie gezeichnet sind.
Karl Bröger wollte mit seinem Gedicht „Die singende Stadt“ das „Leiden“ einer Großstadt ausdrücken. Da er dies in Form eines Liedes, das die Stadt von ihren „Leiden“ „singt“ übermittelte, gelang ihm die Darstellung der Thematik meiner Meinung nach sehr gut.
3.2.
Impressionismus
Venedig von Friedrich Nietzsche
An der Brücke stand
Jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang:
Goldener Tropfen quoll’s
Über die zitternde Fläche weg.
Gondeln, Lichter, Musik-
Trunken schwamm’s in die Dämm’rung hinaus...
Meine Seele, ein Saitenspiel,
Sang sich, unsichtbar berührt,
Heimlich ein Gondellied dazu,
Zitternd vor bunter Seligkeit.
- Hörte jemand ihr zu ?...
„Venedig“ von Friedrich Nietsche ist ein typisch impressionistisches Stadtgedicht. Nietzsche beschreibt die Stadt der Gondolierris mittels Momentaufnahmen. Er bedient sich vor allem auch der Kraft der Farben um ein Stimmungsbild zu erzeugen.
Das Versmaß dieses Gedichtes entpricht nicht den bekannten Normen. Das Gedicht ist weiters in keinem festen Reimschema verfaßt. Nur 4 Strophen bilden reine Reime: „An der Brücke stand / Fernher kam Gesang“, „Heimlich ein Gondellied dazu / - Hört jemand ihr zu ?“. Nietzsches Gedicht „Venedig“ ist wie bereits erwähnt eine Beschreibung der Stadt der Gondolierris beruhend auf einer einzigen (kurzzeitigen / momentanen) Beobachtung des Dichters selbst. Nietzsche wollte die Atmosphäre der Lagunenstadt vermitteln und nicht eine ihrer unzähligen Sehenswürdigkeiten beschreiben wie wir sie in Stadtgedichten aus früheren Gedichten finden. Allerdings bildete „Venedig“ bzw.
die gesamte impressionistische Großstadtlyrik eine „Durststrecke“ der Großstadtlyrik , die ja eigentlich eine soziale Dichtung war. Der größte Unterschied zwischen Nietzsches impressionistischem Gedicht und Großstadtgedichten aus anderen Stilrichtungen ist, daß es auf der Erfahrung eines einzelnen beruht und nicht auf denen der Masse der Bevölkerung (bzw. der Unterschicht).
“Venedig“ handelt von Nietzsches subjektiven Gefühlserfahrungen in Venedig. Er beschreibt in der ersten Strophe seine Beobachtungen von dem Zusammenspiel von Wasser, Gondeln, Lichtern und Musik von einer Brücke aus, Zitat (1.Strophe, Zeilen 1-7): „An der Brüche stand jüngst ich in brauner Nacht.
Fernher kam Gesang: Goldener Tropfen quoll’s über die zitternde Fläche weg. Gondeln, Lichter, Musik – trunken schwamm’s in die Dämmerung hinaus...“ Die zweite Strophe zeugt von den Auswirkungen dieser Beobachtungen auf die Seele des Künstlers, Zitat (Zeile 1-4): „Meine Seele, ein Saitenspiel, sang sich, unsichtbar berührt, heimlich ein Gondellied dazu, zitternd vor bunter Seligkeit..
.“ . um die Wechselwirkungen des Lichtes auf das Wasser zu vermitteln, Zitat ( Zeile 4-5): „Goldener Tropfen quoll’s über die zitternde Fläche weg“, verglich Nietzsche die Reflektionen des künstlichen Lichtes auf dem Wasser mit Goldenen Tropfen und setzte das Wasser gleich einer zitternden Fläche. Der „Rausch“ der verschiedenen Effekte bzw der Worthäufung Zitat (1.Strophe, Zeile 6): “Gondeln, Lichter, Musik“ treibt dann ab in die Weiten der Dämmerung „Trunken schwamm’s in die Dämm’rung hinaus..
.“. Die Seele des einsamen Beobachters (Nietzsches selbst) personifiziert der Dichter mit einem Saitenspiel „Meine Seele, ein Saitenspiel“. Seine heimliche Ergriffenheit schildert der Dichter als „heimliches Gondellied“ und weiters beschreibt er die „Berührung“ seiner Seele als ihr Zittern „vor bunter Seligkeit“. Obwohl er die Auswirkungen der Beobachtungen auf ihn als heimlich ansieht stellt er in der letzten Zeile die Frage: „- Hört ihr jemand zu? “ Diese Frage läßt darauf schließen, daß seine Ergriffenheit erst dann von wenig Bedeutung war, wenn niemand da war mit dem er sie hätte teilen können. Aber da er sein Gefühlserlebnis ja auf Papier brachte erübrigt sich die Frage eigentlich.
Allerdings nützt es dem Dichter wenig wenn wir jetzt Interesse an seinen Gefühlen zeigen, seiner Seele aber damals niemand „zuhörte“.
Mir gefällt das Gedicht sehr gut da er seine subjektiven Gefühle in einem bestimmten Moment ausgezeichnet schildert. Außerdem gefällt mir die Tatsache das Nietzsche der Inhalt des Gedichtes anscheinend wichtiger war als dessen Form ( kein Versmaß etc.).
Ich denke der Dichter wollte eigentlich nur seine Gefühle vermitteln bzw. sein subjektives Stimmungsbild dieser Nacht in Venedig zeichnen.
3.3.Expressionismus
Die Stadt von Alfred Lichtenstein (1889-1914)
Ein weißer Vogel ist der große Himmel.
Hart unter ihn geduckt stiert eine Stadt.
Die Häuser sind halbtote Leute.
Griesgrämig glotzt ein dünner Droschkenschimmel.
Und Winde, magre Hunde, rennen matt.
An scharfen Ecken quietschen ihre Häute.
In einer Straße stöhnt ein irrer: Du, ach, du-
wenn ich dich endlich, o Geliebte, fände...
Ein Haufen um ihn staunt und grinst voll Spott.
Drei kleine Menschen spielen Blindekuh-
Auf alles legt die grauen Puderhände
Der Nachmittag, ein sanft verweinter Gott.
Alferd Lichtensteins Gedicht „Die Stadt“ ist dem expressionistischen Stil zuzuordnen. Es besteht aus vier Strophen und das Versmaß des Gedichtes ist ein Jambus. Alfred Lichtenstein schrieb das Gedicht in dem Reimschema abc/abc/def/def. Allerdings sind dies nicht immer reine Reime: Leute/Häute, Stadt/matt, du/Blindekuh.
Der Expressionismus hatte seine Blütezeit nach dem Ende des 1.
WK. Zu dieser Zeit spielte das wachsende Bedrohungsgefühl und die Vorahnung der unvermeidlichen Katastrophe eine große Rolle. Das Gedankengut dieser Ausdruckkunst ist geprägt von der Auflehnung gegen den „schönen Schein“ und dem Bruch mit der Tradition. Die Literatur dieser Stilrichtung will nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen ihrer Bemühungen für die Menschheit anerkannt werden. Alfred Lichtenstein beschreibt, ganz in der Manier dieser Stilrichtung, auf eine düstere Art und Weise das Stadtleben, bzw. einige Stadtszenen.
Die nach dem Krieg zerstörten Häuser setzt er gleich mit sterbenden Menschen: „Die Häuser sind halbtote alte Leute“. Daß, das Elend alle Stadtbewohner betrifft verdeutlicht er mit seinen Beschreibungen von verwahrlosten Tieren: „Griesgrämig glotzt ein dünner Droschkenschimmel. Und Winde, magre Hunde, rennen matt. An scharfen Ecken quietschen ihre Häute.“
Unter den Stilmitteln des Gedichtes findet sich unter anderem eine Verbmetapher: „Hart unter ihn geduckt stiert eine Stadt.“.
Lichtenstein verwendete auch Personifikationen um seinem Gedicht mehr Ausdruck zu verleihen: „Die Häuser sind halbtote Leute.“, „Der Nachmittag, ein sanft verweinter Gott“. Lichtenstein bediente sich auch des Stilmittels der Onamatopoesie um die düstere Stimmung zu unterstreichen: „An scharfen Ecken quietschen ihre Häute“. Dieser Satz beinhaltet noch ein weiteres Stilmittel nämlich die Hyperbel (Übertreibung). In der letzten Zeile der vierten Strophe wird der Nachmittag mit einem sanft verweintem Gott verglichen, Zitat: „der Nachmittag, ein sanft verweinter Gott“. Die Beschreibung des Gottes als sanft und verweint: „sanft verweinter Gott“ ist eine Beschönigung (ein Euphemismus) da das Wort „sanft“ die Bedeutung von „verweint“ mildert.
Im Grunde schildert Lichtensteins die Stadt als aussterbend und zukunftslos, bis auf den kleinen Hoffnungsschimmer verkörpert von dem weißen Vogel in Strophe eins Zitat (Zeile 1): „Ein weißer Vogel ist der große Himmel“. Daß dieser weiße Vogel vielleicht sogar eine Allegorie des Friedens ist, ist eine eher freie Interpretation und läßt sich nur auf Grund des Textes auch nicht beweisen. Etwas verwunderlich ist, daß er schreibt, Zitat (4.Strophe, Zeile 1): „Drei kleine Menschen spielen Blindekuh.“ und nicht „drei Kinder spielen Blindekuh“. Man könnte annehmen er spielt darauf an, daß der Krieg die Kinder „reifen“ läßt bzw.
ihnen ihre natürliche Kindheit raubt.
Albert Lichtenstein wollte mit diesem Gedicht zum Ausdruck bringen welche Trostlosigkeit nach dem 1.WK in den Städten herrschte.
Mir gefällt dieses Gedicht auf Grund seines „bedrohlichen – trostlosen“ Inhalts nicht, dennoch bin ich von Lichtensteins Kunst die Atmosphäre der Stadt zu vermitteln beeindruckt.
Neue Sachlichkeit
„Die Zeit fährt Auto“ von Erich Kästner
Die Städte wachsen. Und die Kurse steigen.
Wenn jemand Geld hat, hat er auch Kredit.
Die Konten reden. Die Bilanzen schweigen.
Die Menschen sperren aus. Die Menschen streiken.
Der Globus dreht sich.
Und wir drehen uns mit.
Die Zeit fährt Auto. Doch kein Mensch kann lenken.
Das Leben fliegt wie ein Gehöft vorbei.
Minister sprechen oft vom Steuersenken.
Wer weiß, ob sie im Ernste daran denken ?
Der Globus dreht sich und geht nicht entzwei.
Die Käufer kaufen. Und die Händler werben.
Das Geld kursiert, als sei das seine Pflicht.
Fabriken wachsen. Und Fabriken sterben.
Was gestern war, geht heute schon in Scherben.
Der Globus dreht sich. Doch man sieht es nicht.
Das Gedicht „Die Zeit fährt Auto“ wurde in den 20er Jahren geschrieben. Obwohl es bereits nach dem 1.WK entstanden ist und sich somit auf die sozialen Probleme bzw. Begebenheiten dieser Zeit bezieht hat es kaum an Aktualität verloren.
Das Lesen der Überschrift läßt wohl noch nicht auf ein gesellschaftskritisches Erzählgedicht schließen, „Die Zeit fährt Auto“ „entpuppt“ sich allerdings bei näherer Betrachtung als Persiflage auf den wirtschaftlichen Aufschwung (Deutschlands) nach dem 1.WK und die „Goldenen 20er“ die auch in unseren Breiten für eine zunehmende Industrialisierung und allgemeinen Fortschritt sorgten. Seine Grundaussage trifft jedoch heutzutage, im Zeitalter der Globalisierung und der Schnelllebigkeit , mehr zu denn je.
Das Gedicht ist in Jamben verfaßt und das Reimschema der ersten Strophe ist abaab, das der zweiten Strophe cdccdc effe . Alle Reime sind reine Reime. Erich Kästner beschreibt in diesem Gedicht eine „Großstadt - Gesellschaft“ die sich „besinnungslos“ mit dem Strom der Zeit bewegt ohne ihn eigentlich beeinflussen zu können, Zitat (2.
Strophe, Zeile 1): „Die Zeit fährt Auto. Doch kein Mensch kann lenken.“ Wir treiben dahin in der Schnelllebigkeit, Zitate (2. Strophe, Zeile 2, Zeilen 8-9): „Das Leben fliegt wie ein Gehöft vorbei“, „Fabriken wachsen. Und Fabriken Sterben. Was gestern war geht heute schon in Scherben.
“ Erich Kästner beschäftig sich auch mit „tagespolitischen Themen“ Zitat (2. Strophe, Zeilen 3-4): „Minister sprechen oft vom Steuersenken. Wer weiß ob sie im Ernste daran denken?“. Weiters behandelt er den Konjunkturaufschwung, Zitat (1.Strophe, Zeile 1) „Und die Kurse steigen“ , Zitat (2.Strophe, Zeilen 6-7): „Die Käufer kaufen.
Und die Händler werben. Das Geld kursiert, als sei es seine Pflicht.“. Erich Kästner deutet auch die Entstehung einer neuen sozialen Oberschicht, bedingt dadurch, daß nur die „Besseren“ von z.B.: Krediten profitierten, an, Zitat (1.
Strophe, Zeilen 2): „Wenn jemand Geld hat, hat er auch Kredit.“ Um seiner Gesellschaftskritik mehr Stimmung zu verleihen bediente sich Erich Kästner einiger Stilmittel obwohl in der Neuen Sachlichkeit die Stimmung eigentlich schon durch die einfache Sprache selbst erzeugt wurde. Auch das Gedicht „Die Zeit fährt Auto wurde nicht in hochstillisiertem Deutsch verfaßt sonder in einfachen kurzen Sätzen und der Sprache der Masse. Eine Form des Paradoxons findet sich in der 1.Strophe in der 3. Zeile: „Wenn jemand Geld hat, hat er auch Kredit.
“ In der anschließenden 4.Zeile findet sich eine Art Chiasmus (These – Antithese): „Die Konten reden. Die Bilanzen schweigen.“. Schon der Titel, der sich am Anfang der 2.Strophe wiederholt, beinhaltet eine Personifikation der Zeit, Zitat: „Die Zeit fährt Auto“.
Der in der 1. Zeile der 2.Strophe darauffolgende Satz, Zitat: „Doch kein Mensch kann lenken“, kann als Hyperbel (Übertreibung) gedeutet werden da es sicher Menschen gibt die
mit dem Streß bzw. der Schnelllebigkeit umgehen können. Betrachtet man diese Aussage allerdings vom Standpunkt aus, daß der Mensch die Zeit nicht beeinflussen bzw. den Lauf der Zeit nicht manipulieren kann ist der Satz „Doch kein Mensch kann lenken“ durchaus zutreffend.
Als ich das Gedicht „Die Zeit fährt Auto“ zum ersten Mal gelesen habe, konnte ich gar nicht glauben, daß es von Erich Kästner bereits in den 20er Jahren verfaßt wurde, da es meiner Meinung nach eine exakte Beschreibung unseres heutigen Zeit ist. Ich bin sehr beeindruckt von Kästners Fähigkeit seine Beobachtungen in so treffende und doch einfach zuverstehende Wörter umzuwandeln.
Ich denke Erich Kästner wollte uns nur zeigen wie sich die Welt „um uns herum dreht“, „die Zeit Auto fährt“ und wir trotz unserer Errungenschaften (Wirtschaft, unsere Gesellschaft im Allgemeinen) diese Naturphänomene bzw. Gesetze “nie“ beeinflussen werden können. Weiters verweist er auch, wie schon erwähnt, auf die Schnelllebigkeit die in den 20er Jahren anscheinend schon herrschte.
Es wäre nicht Wien Josef Weinheber
War net Wien, wann net durt,
wo kan Gfrett is, ans wurdt.
Denn däs Gfrett ohne Grund
gibt uns Kern, hält uns gsund.
War net Wien, ging net gschwind
wieder amal der Wind,
daß der Staub wia net gscheiht
umanandreißt die Leut.
War net Wien, wolltst zum Bier
und es stößert mit dir
net a B’soffener z’samm
der da Feuer mächt ham.
War net Wien, wann net grad
aufgraben wurdt in der Stad,
Daß die Kübeln mit Teer
sperrn den Fremdenverkehr.
War net Wien, käm net glei
aner dasig vorbei,
der von d’Federn aufs Stroh
g’rutscht is, so oder so.
War net Wien, Pepi, wannst
raunzen mächst und net k a n n s t:
Denn das Gfrett ohne Grund
gibt uns Kern, hält uns gsund !
Josef Weinhebers Gedicht „Es wäre nicht Wien“ ist im Stil der Neuen-Sachlichkeit verfaßt.
Schon beim Lesen der Überschrift erkennt man, daß das Gedicht in Umgangssprache geschrieben ist - eine Sprachform die auch in der Neuen-Sachlichkeit verwendet wurde um volksnahe Gedichte zu verfassen. Das Gedicht „Es wäre nicht Wien“ besteht aus 5 Strophen zu je vier Zeilen, wobei sich die dritte und vierte Zeile der ersten Strophe am Ende der fünften Strophe wiederholen. Diese zwei Zeilen Zitat: „Denn däs Gfrett ohne Grund gibt uns Kern, hält uns gsund“ beschreiben die Ur-Wiener Mentalität. Das Reimschema des Gedichtes ist aa/bb, cc/dd, ee/ff, gg/hh, ii/bb. Das Versmaß des Gedichtes ist Anapest (uu-), Zitat (1.Strophe, Zeilen 1-2): „War ned Wien, wann ned durt, wo kan Gfrett, is ans wurdt.
“
In „Es wär ned Wien“ beschreibt Josef Weinheber die Eigenarten der Stadt und seiner Einwohner. Da er dieses Gedicht in Wiener Mundart verfaßt hat ist die Beschreibung noch realitätsnäher. Ebenso wie Kästner verwendet Josef Weinheber in seinem Gedicht nur „einfache Sprache“ und kurze Sätze. Um das Gedicht vielleicht noch verständlicher zu machen benutzte der Dichter kaum Stilmittel. Auffallend ist jedoch der gleichlautende Satzanfang (Anapher) jeder der fünf Strophen, Zitat: „War net Wien..
.“ und der allgemeine These – Antithese Aufbau jeder Strophe, Zitat (1.Strophe, Zeilen 1-2): „War net Wien, wann net durt, wo kan Gfrett is ans wurdt.“.
Josef Weinheber beschreibt mit einem satirischen Untertun die verschiedensten Wiener Alltagssituationen. Er nimmt die „Wiener Art“ auf liebenswürdige Weise „aufs Korn“.
Ich finde das Gedicht sehr unterhaltend, da seine Beschreibungen von Wien und seinen „eigentümlichen Bewohnern“ meiner Meinung nach sehr zutreffend sind.
Arbeiterdichtung
Fabrikheimgang von Oskar Maria Graf
Nun wieder hat uns dieses Brüllgehäuses Fluchttor ausgespien,
lahmrückig und zermürbt wie todgeschundne Horde Vieh.
Und klare Nacht wirft sich auf uns wie Fußtritt oder Schrei
von Hohn und Schuld.
Wir haben einen Tag ans schwarze Kreuz der Zeit geschlagen
und wissen nicht für wen, wozu und wie.
Vom dunklen Himmel hängen löchrige Wände vieler Häuser
und spitze Lichter dolchen auf uns ein.
Wir haben keines mitbekommen auf die Welt.
Uns hat das Stampfen dumpfzerschriener Räume ausgelöscht
und jeder Atemzug von uns stöhnt Joch.
Doch manchmal zittern unter unseren Füßen wirbelnd Harfenzungen,
wenn vor uns viel zu müde Straßen in den Abgrund stürzen...
Oskar Maria Graf beschrieb auf die düstere und häßliche Art und Weise der Arbeiterdichtung den Alltag von Industrie bzw. Fabrikarbeitern.
Das Gedicht reimt sich nicht und hat kein festes Versmaß. Hinter diesem unkonventionellen Aufbau könnte Grafs Absicht stecken, das Häßliche des Arbeiterlebens noch hervorzuheben indem er das Gedicht nicht in einer „schönen Hülle verpackte“. Schon das Lesen des Titels des Gedichtes „Fabrikheimgang“ läßt auf ein Arbeitergedicht schließen. Das Gedicht hat keine rein äußerliche Unterteilung in Strophen, beim Lesen erkennt man allerdings, daß es aus drei Teilen besteht. Graf verwendete auch obsolete Wörter z.B.
: Joch, Harfenzungen.
Das Gedicht handelt von dem Nachhauseweg von Fabrikarbeitern nach einem langen anstrengenden Arbeitstag. Graf schildert das harte Los der Arbeiter und die schlechten Arbeitsbedienungen. Er beschäftigt sich auch mit der von ihnen empfundene Trostlosigkeit ihres Daseins, Zitat (Anfang des 2.Teiles): „Wir haben einen Tag ans schwarze Kreuz der zeit geschlagen und wissen nicht für wen, wozu und wie.“.
Die Schrecklichkeit der Fabrik wird gleich am Beginn des Gedichtes deutlich, als Graf die Fabrik mit einem Brüllgehäuse gleichsetzt, Zitat: „Nun wieder hat uns dieses Brüllgehäuses Fluchttor ausgespien.“. Die Tatsache, daß die Arbeiter nach einem Arbeitstag „fix und fertig“ sind zeigt Graf anhand eines Vergleiches mit einer Horde Vieh, Zitat: „wie eine todgeschundne Horde Vieh“. Mittels der Anapher (betreffend Zeile 5 und 9), Zitat: „Wir haben...
,Wir haben....“ wird eine Art Kontinuität erzeugt, die man vielleicht auch auf den täglich wiederkehrenden Fabriksalltag umlegen könnte. Die klare Nacht (Ende des 1.
Teils) wird personifiziert als „Tortur“ die sich auf die Leute wirft, Zitat: „Und klare Nacht wirft sich auf uns wie Fußtritt oder Schrei, von Hohn und Schuld.“ Die Zeilen sieben bis acht beschreiben die Häuser der Fabrikarbeiter, die in der dunklen Nacht vom Himmel zuhängen scheinen, und die Lichter der Häuser, die die heimkehrenden Arbeiter treffen, Zitat: „Vom dunklen Himmel hängen löchrige Wände vieler Häuser und spitze Lichter dolchen auf uns ein.“. Die „dolchenden Lichter“ bilden eine Personifikation. Die „lebenszerstörende“ Wirkung der Fabriksarbeit beschreibt Graf am Ende des zweiten Teils, Zitat: „Uns hat das Stampfen dumpfzerschriener Räume ausgelöscht und jeder Atemzug von uns stöhnt Joch.“.
Doch das Ende des Gedichtes bildet einen Lichtblick in der düsteren trostlosen Arbeiterwelt, Zitat: „Doch manchmal zittern unter unseren Füßen wirbelnd Harfenzungen, wenn vor uns viel zu müde Straßen in den Abgrund stürzen.“. Diese Abschließende Zeile beinhaltet die Personifikation von Straßen.
Oskar Maria Graf wollte mit diesem Gedicht die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und die schlechten Verhältnisse, in denen Arbeitern leben aufzeigen.
Meiner Meinung nach ist es Ihm recht gut gelungen dies zu vermitteln obwohl ich zugeben muß das ich seinen Gedankenbildern nicht immer folgen konnte (à die zitternden Harfenzungen).
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