Johann wolfgang von goethe
Johann Wolfgang von Goethe 08.08.00
Verfasser: Ralf Kirchhof
Interpretatorische Arbeit zu "Die Leiden des jungen Werther"
Aufgabenstellung: In welchem Zusammenhang stehen die Natur und Gefühle mit seiner Seele. - Betrachtung der Natur als Spiegel seiner Seele (Rolle der Natur)
Die meisten die heute "Die Leiden des jungen Werther" lesen wird kaum bewußt, wie bahnbrechend Goethes Roman zu seiner Zeit war. Ohne den Roman Goethes würde es heute wahrscheinlich nur schwer Romane dieser Gattung geben, die wir als Romane bezeichnen. Es ging für den Gebildeten um die Mitte des 18.
Jahrhunderts um Haupt- und Staatsaktionen, erschröckliche Heldentaten und Abenteuer, welche teils als Geschichtsroman, aber auch mit sozial-aufklärerischem Anspruch geschrieben waren. "Die Leiden des jungen Werther" verbindet lebendige Bilder aus dem bürgerlichem Leben mit der Geschichte einer Seele. Die Stellung dieses Werkes war bedeutend in der deutschen Romanschaffung des 18. Jahrhunderts. Durch 'Werther' ist der neuzeitliche deutsche Roman erst geschaffen worden und erscheint hier als Roman der Seele und zugleich als bildhafte Beobachtung des Lebens und der Welt.
In dem Roman spielen die Natur und deren Leitmotive und Symbolik eine große Rolle und verdeutlichen die jeweiligen Gefühle Werthers.
Die Bilder der Natur sind eine Art Spiegelbild seiner Gesellschaftlichen Zwänge und Probleme. Diese in der Person Werthers angelegte Tragik wird schon am Anfang des Romans deutlich, in der glückhaftesten Phase seiner Handlung. Die Klage über seine "Armut" und "Eingeschränktheit" steht in demselben Brief, der mit den Worten beginnt: "ich lebe so glückliche Tage, wie sie Gott seinen Heiligen aufspart" (21. Juni). Ein tief in ihm angelegtes Ungenügen in der Welt drückt sich aus in den Antithesen "Hier" und "Dort", "Nähe" und "Ferne". In Werthers Fernwehsucht verbildlicht sich Jenseitssehnsucht.
Auf seinen Wanderwegen sucht er mit Vorliebe Anhöhen und Aussichtspunkte auf. Schon in seiner Jugendheimat hatte er einen solchen Platz. "stundenlang konnt' ich hier sitzen und mich hinüber sehnen, mit inniger Seele". Der Ausblick "hinüber", in eine Ferne jenseits aller Begrenzung, in Wälder und Täler, "die sich meinen Augen so freundlich dämmernd darstellten" auf einen "sanften Fluß" oder einfach "die weite Aussicht" folgt immer perspektivischen Fluchtlinien ins Grenzenlose. Farben haben diese Landschaftsbilder selten, meistens nur Konturen, langwellige Linienführungen, "ineinander gekettete Hügel und vertrauliche Täler". Die andeutende Umrißhaftigkeit mutet mitunter geradezu abstrakt an.
"Dort das Wäldchen! - Ach, könntest du dich in seine Schatten mischen! - Dort die Spitze des Berges! - Ach, könntest du von da die weite Gegend überschauen!". Die Ach-Ausrufe im Konjunktiv - eine Art Unwirklichkeit der Vergeblichkeit - gipfeln in dem Wunsch nach einer Selbstauflösung bzw. Verschmelzung in der Landschaft: "Ach, könnte ich mich in ihnen verlieren!". Die Jenseitsziele der Seele bleiben aber weiterhin unbestimmt. Die Bezeichnungen "lieb" und "mein" erscheinen häufig bei den Ortsangaben - "das liebe Tal", "mein Wahlheim" und scheinen im Gegensatz zur Fernsehnsucht ein heimeliges Diesseitsgefühl, ein liebendes Aufgehen im Gegenwärtigen ausdrücken. Aber auch in dieser innigen Liebesbeziehung zur Landschaft ist etwas Weltflüchtiges.
In anderen Momenten wieder gerät das Bild der Landschaft ins Fließen. "Da schwimmt alles vor meinen Sinnen", "alles schwimmt und schwankt so vor meiner Seele, dass ich keinen Umriß packen kann". Es sind Momente träumerischer Selbst- und Weltentrückung, in denen Werthers Welt ins Fließen gerät. Um solche Zustände seelischer Entgrenzung wieder heraufzubeschwören, sucht er nach Fluchtlinien, die ihn aus dem Gefühl der Einschränkung herausführen. In der Metaphorik von "Nähe" und "Ferne" verbildlicht sich Werthers existentielle Tragik. Er will den rauschhaft erlebten Momenten mit der Natur eine Art Dauer verleihen.
Das scheitern dieses Versuchs stößt ihn in eine archaisch wilde Verzweiflung.
Auf der anderen Seite ist die Hütte im Werther der ersehnte Rast- und Ruhepunkt. "So sehnt sich der unruhige Vagabund zuletzt wieder nach seinem Vaterland und findet in seiner Hütte [...] die Wonne, die er in der Welt so vergeblich suchte".
Die Hütte gewährt ihm Beschränkung im engen Kreis. Diese Sehnsucht nach Einkehr im Umgrenzten steht nur scheinbar im Gegensatz zu Werthers Flucht aus der Einengung. Im Brief vom 22. Mai klagt Werther zum Beispiel noch über die Einschränkung und Einsperrung im sinn- und ziellosen Kreis des bürgerlichen Erwerbslebens, aber schon im nächsten Brief beschreibt er seine Neigung, "sich anzubauen [...
], an einem vertraulichen Ort ein 'Hüttchen' aufzuschlagen und da mit aller Einschränkung zu herbergen". Im "Hüttchenidyll" von Waldheim findet Werther wieder zu seiner Zeichenkunst zurück. Er ist in seinem Vorsatz bestärkt, sich "künftig allein an die Natur zu halten. Sie allein ist unendlich reich, und sie allein bildet den großen Künstler". Sein Waldheim weitet sich zum unendlichen Raum ursprünglichen Lebens. Werther sieht sein Inneres endlich ganz im Einklang mit dem Äußeren.
In der Enge und "Eingeschränktheit" von Waldheim fühlt er sich befreit, während er sich in der großräumigen Welt der höfischen Gesellschaft in einen "Käfig" gesperrt sieht. Hier in Waldheim, welches "nahe am Himmel liegt", darf er alle Manieren und Verhaltensnormen seiner Kaste vergessen. Hier pflückt er sich selbst seine Zuckererbsen im Wirtsgarten, setzt sie aufs Herdfeuer, liest Homer und fühlt sich in patriarchalische Urzeiten zurückversetzt. Die Standesunterschiede sind aufgehoben und die Gewohnheiten des Bedientwerdens sind abgelegt. Die Einkehr ins Dörfliche wird zur Protestgebärde gegen die Gesellschaft dieser Zeit. Werther fühlt sich hier wieder als Künstler, als Genie und befreit von aller Regelhaftigkeit.
Eine der ersten Handlungen Werthers nach der Ankunft in der Stadt Lottes ist zum Beispiel der Besuch der Gartenanlagen eines verstorbenen Grafen. "Der Garten ist einfach, und man fühlt gleich beim Eintritt, dass nicht ein wissenschaftlicher Gärtner, sondern ein fühlendes Herz den Plan gezeichnet hat". "Bald werde ich Herr vom Garten sein", sagt sich Werther. Er fühlt sich als Herr des Garten Eden. Dieser Garten verklammert rahmenhaft den ersten mit dem letzten Brief des Buches. Vor seiner Abreise in die Residenz trifft sich Werther dort noch einmal mit Lotte und Albert am Abend im Schatten hoher Kastanien.
Die Landschaft verdunkelt sich und im Mondschein, zwischen den hohen Buchenwänden überkommt Werther "ein Gefühl von Tod und Zukunft". Die Stimmung von Abschied und Todesahnung mischt sich mit der Szenerie des nächtlichen Parks. Der Garten wird zur Bühne der Seele, zu einem melancholischen Gefühlsschauplatz. Werther liebt solche Schatten-plätze wie die Linden von Waldheim und die Brunnengrotte vor dem Ort. Die hellen, heiteren Frühlingsbilder wie in den Briefen vom 4. und 10 Mai sind eher die Ausnahme und Kontrast.
Der Pfarrgarten mit seinen Nußbäumen weckt Heimatgefühle in ihm. Einer dieser Bäume ist zur Geburt der alten Pfarrfrau gepflanzt worden. Der das Leben eines Menschen überdauernde Baum wird zum Symbol für seine Verwurzelung in der Natur. Werthers Naturvorstellung ist geradezu magisch. Alles ist beseelt, jedes Lebewesen möchte er "näher an seinem Herzen fühlen". Bäume sind für ihn Wahrzeichen der Ruhe, der Heimkehr und Einkehr.
Bei der Reise in seinen Heimatort sucht er als erstes die Linde vor dem Ort auf, wo er sich vor langer Zeit geborgen gefühlt hatte. Unter den Linden am Kirchplatz, einem Ort der so vertraulich ist, will er schließlich begraben sein. So wird ihm der Baum zum Sinnbild der letzten Einkehr , zum Sinnbild des Todes.
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