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  Die karriere des großen katers hat ihren zenit erreicht

Thomas Hürlimann: Der grosse Kater  Der große Kater" · ein Titel, der zunächst an alkoholische Verfehlungen denken läßt - ist in Tat und Wahrheit eine Mischung aus Politroman, Eheporträt, Mediensatire, vermischt mit mythologischen und biblischen Motiven.     Inhaltsangabe:   20 Stunden im Leben des Schweizer Bundespräsidenten. Die Karriere des großen Katers hat ihren Zenit erreicht. Als Bundespräsident empfängt er König Juan Carlos und Königin Sofía von Spanien, zeigt ihnen das Land und lädt sie zum Frackdiner. Doch bevor das Diner beginnt, überfällt den Präsidenten ein ungutes Gefühl. Er wähnt sich bedroht, und tatsächlich – der Chef seiner Sicherheitspolizei hat eine feine Intrige gesponnen.

Im Schatten des glanzvollen Staatsbesuchs will er den Präsidenten stürzen. Ein gnadenloser Kampf bricht aus. Die öffentliche Krise, in welche der grosse Kater hineinschlittert, wird bald zur privaten.   Beide, Kater und der Chef der Sicherheitspolizei kennen sich seit ihrer Jugend. Gemeinsam kamen sie nach oben, und nur einmal wurde ihre Erzfreundschaft getrübt – als sich der junge Kater in die Braut des Freundes verliebte und diese zu seiner Frau gewann. Sie heißt Marie und ist die heimliche Hauptfigur in Hürlimanns Roman.

  Denn gerade diese Marie ist das zentrale Element im Plan des Geheimdienstchefs. Sie revoltiert beim Festbankett mit dem Königspaar gegen den geplanten Besuch mit Königin Sophia in einem Kinderkrankenhaus: Der Sohn des Präsidentenehepaares stirbt dort einen grausamen Krebstod. Die öffentliche Zuschaustellung des Sohnes soll dem Präsidenten die Karriere retten, befürchtet Marie. Dabei kann der grosse Kater gar nichts für die missliche Situation. Längst sind dem Bundespräsidenten die Fäden aus der Hand genommen worden. Speziell / Interessant   Hürlimann schreibt zwar über den Bundespräsidenten, der gleichzeitig auch sein Vater ist, doch die politische Szenerie dient allenfalls als Kulisse.

Auch geht es nicht um Abrechnung, wenn gleich durchsickert, dass er nicht mit allen Werken seines Vaters einverstanden ist. Im Vordergrund stehen die existentiellen Krisen, die der »große Kater«, wie sich der Bundespräsident selbst nennt, in den Tagen des Staatsbesuches zu durchleben hat. »Er war am Ende«, so lautet bereits der zweite Satz des Romans und kündigt den unaufhaltsamen Auflösungsprozeß des Staatsoberhauptes an.   Der Bundespräsident wird nicht ohne Sympathie, aber durchaus kritisch dargestellt. Es wird gezeigt, wie der junge Parteipolitiker - dessen Ziel allein Karriere heißt - geschickt und gerissen auf der ideologischen Klaviatur des patriarchalisch-konservativen, katholischen Weltbildes seiner Wahlklientel spielt. So klettert man, läßt Hürlimann zwischen den Zeilen anklingen, auf der politischen Erfolgsleiter nach oben.

  Kompositorisch verbindet Thomas Hürlimann in "Der große Kater" zwei Zeitebenen und Handlungsstränge miteinander. Auf der Gegenwartsebene stellt er den Verlauf des Staatsbesuches dar, dann wieder berichtet er in Rückblenden von der alten Freundschaft und Rivalität des Bundespräsidenten und seines Sicherheitspolizeichefes Pfiff:   Detailliert legt Hürlimann Schicht um Schicht einer komplexen Persönlichkeit frei, taucht ab in die Kindheit, Schulzeit und die Anfänge der politischen Laufbahn. So erfährt der Leser auch wie der Bundespräsident mit sieben Jahren zum Kater wurde.   => Textstelle   Gerade seine tierischen Eigenschaften machen jedoch dem Kater das Leben schwer. In der Klosterschule, welche er besuchte ist Anpassung gefragt, die Zöglinge sollen zu »Vasenmenschen« erzogen werden, zu »Massenware« und »Mittelwesen«, mit denen sich Staat machen läßt. Erziehung und Karriere zielen gerade darauf ab, »sein Katerwesen abzutöten«.

Die tierischen Eigenschaften sind es jedoch, die den »großen Kater« zum Menschen werden lassen. Und da Katzen ja bekanntlich neun Leben haben, kann sich Kater oft aus misslichen Situationen befreien und bringt sogar den Staatsbesuch noch respektabel über die Bühne. Interessant ist auch, dass Hürlimann noch weitererzählt, wo die Handlung schon lange nicht mehr trägt und die Bewegung nach dem Ende der politischen Intrige in den persönlichen Verfall übergeht. Die Ehe war schon zur Zeit des Staatsbesuches nur noch ein Schattenspiel. Danach ist sie ganz zerbrochen, auch wenn sich eine Scheidung nicht mehr lohnte. Diese findet innerhalb der eigenen vier Wände statt.


Die Frau besitzt den oberen Stock, im Erdgeschoss dämmert der grosse Kater, seinen privaten Stützpfeiler und des öffentlichen Amtes beraubt, vor sich hin.   Interpretation   Um den Roman interpretieren zu können, muss man zuerst nach dem Leitthema und den Leitfragen des Romans suchen. Was sind die Beweggründe politischen Handelns? Kann der Kampf um Macht und Machterhalt die Ausschlachtung des Privaten rechtfertigen? Wird Politik, statt zu informieren und aufzuklären, nicht mehr und mehr zur medialen Inszenierung? Ist Präsentation in den Medien mittlerweile nicht wichtiger als der politische Inhalt? Ist der Politiker ein Spieler? Diese Frage möchte ich nun versuchen zu beantworten.   Die Beweggründe des politischen Handelns sind nicht, dass man etwas verbessern will, dies wird zwar auch von Kater immer wieder gesagt, aber eigentlich handelt man aus Ehrgeiz und Karrieregeilheit. Man will an die Macht und jene dann mit allen Mitteln verteidigen. Rechtfertigung der Ausschlachtung des Privaten:   Zu Beginn seiner Karriere nutzte Kater sogar das aller Privateste aus, um seine Konkurrenz auszuschalten.

Ehefrau und Kinder mussten für Propagandazwecke herhalten – und da drei Kinder den Beifall des Wahlvolkes fanden, musste noch ein drittes gezeugt werden. Gegen diese medienwirksam inszenierte Vereinnahmung, gegen die öffentliche Ausstellung der Familie als Altarbild des politischen Erfolgs läßt Hürlimann Marie opponieren. Im letzten Augenblick erscheint sie doch noch zum Staatsdiner, allerdings nur, um bei Tisch - nach einem theologischen Gespräch über Gut und Böse als Handlungsmotiv des Politikers - ihren Mann bloßzustellen:   => Textstelle   Zu den Medien kann ich nur soviel sagen: Des Autors Blick ins Machtzentrum Helvetiens offenbart die Entmachtung der Handelnden. Politik und Medien werden als theatralische Inszenierung dargestellt: Der Bundespräsident und seine Berater benutzen die `Medien` wie umgekehrt die `Medien` die Politik. Was über die `Medien` zum Zwecke der Machtsicherung als Täuschung oder Intrige in den Kreislauf der öffentlichen Meinung eingespeist wird, ist in der Regel nur noch schwer zu korrigieren, die künstlich produzierte Fassadenrealität kaum noch rückrufbar. Auch bekommt man den Eindruck, dass die Inhalte an Bedeutung verlieren.

    Motiv des Spielers? Was ist ein Spieler? Dazu möchte ich euch eine Textstelle vorlesen:   Um einen Spieler zu erkennen hat Kater in seinem Arbeitszimmer einen Schachbretteppich. Jene die den Teppich beachten und sich wie Schachfiguren genau in den Feldern bewegen werden als Spieler identifiziert, als Hasardeure. Kater ist von grundauf eigentlich kein Spieler. Angesichts der verfahrenen Situation wird er zu einem. Er wähnt sich in einem Schachspiel. Dazu zwei Textstellen: Ein Dilemma wie im Schachspiel: entweder verliert er Frau und Familie oder seinen Posten - oder beides.

Wehren kann er sich nicht mehr: Matt in drei Zügen. Oder ein anderes Beispiel: Wie einst Abraham muß Kater nun ein "Ersatzopfer" für seinen Sohn suchen. Er findet es in sich selbst.   Er will also nun selber untergehen, sich zerstören. Insofern hat eine Wandlung stattgefunden vom nicht Spieler- zum Spieler.       Persönlicher Lektüreeindruck / Empfehlung   Es ist ein Buch über Aufstieg und Niedergang eines Politikers.

Davon gibt es mehrere. Aber in der Erzählperspektive Hürlimanns, der vieles von seinem Vater weiß, das der Öffentlichkeit verborgen blieb und viele Schauplätze aus dem eigenen Leben kennt, wird das Drama zwischen Politischem und Privatem erst richtig spannend. Bewundernswert ist, wie Hürlimann Elemente des Politthrillers mit denen des Psychodramas verknüpft, und mehr noch, daß er den Mut hat, weiterzuerzählen, wo die Handlung schon zu ende ist. Es ist die Zuneigung des Erzählers zu seinem Helden, die dieses gewagte Unterfangen gelingen läßt. Der Roman wirkt zwar gelegentlich überkonstruiert und hat leichte Anklänge ans Melodramatische. Diese Klippen überwindet Hürlimann jedoch durch eine sprachmächtige, kräftige Prosa.

Und der Roman auch das macht ihn lesenswert, verteidigt das Menschliche gegen die Macht und die Medien.   Ich kann den Roman also auch jenen empfehlen, die sich nicht besonders für Politik interessieren, denn spannend ist er allemal.

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