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  Johann nestroy - der talisman

Johann Nestroy – Der Talisman     „Der Talisman“ ist eine Posse mit Gesang in drei Akten.   Was ist eine Posse? Begriff aus der Tradition des Wiener Volkstheaters: niedere Komik, derbe Motive, mangelnde Tiefe musikalisch-mimische Ausgestaltung Lokal- und Publikumsbezogenheit: Spiegel der Wirklichkeit Þ Gesellschaftskritik Couplets: Gesangsnummern ® Erhaltung der Aktualität     Inhalt  Der Barbiergeselle Titus Feuerfuchs tut sich schwer in Leben und Gewerbe, denn er hat brandrote Haare. Dass dir Menschen gegen diese ein Vorurteil hegen, hat auch die Gänsemagd Salome Pockerl erfahren müssen, denn nicht einmal der hässlichste Bursche im Dorf möchte mit einer Rothaarigen zum Tanz gehen. So fühlt sie sich umso mehr zu dem Leidensgenossen Titus hingezogen. Doch mit diesem scheint das Schicksal Größeres vorzuhaben. Als er den scheugewordenen Gaul des Frisör Marquis zum Stehen bringt, schenkt dieser seinem Lebensretter eine schwarze Perücke.

Durch diese gewinnt er die Gunst der Gärtnerswitwe Flora Baumscheer. Kurzerhand steckt sie den Dunkellockigen in die Kleider des verstorbenen Mannes und macht ihn zum Gartenaufseher. Als solchen erblickt ihn die Kammerfrau Constantia, die ebenfalls unter der Bürde ihres Witwentums leidet. Der Schwarzkopf gefällt ihr und so beordnet sie ihn als Obstlieferant ins Schloss. Inzwischen hat Titus den Dienst bei der Gärtnerin mit der Uniform und Stellung eines Jägermeisters vertauscht. Der Frisör Marquis, der seit langem ein Auge auf Constantia geworfen hat, wittert in Titus den Rivalen und nimmt dem Nebenbuhler kurzerhand, während dieser schläft, die schwarze Perücke vom Kopf.

Inzwischen ist der Ruf des neuen Jägermeisters bis zur Frau von Cypressenburg und ihrer Tochter Emma gedrungen. Als die beiden herannahen, stülpt sich Titus, der einen raschen Griff in Marquis’ Bestände getan hat, in verzweifelter Eile statt einer schwarzen eine blonde Perücke über. Doch der Blondschopf gefällt der schriftstellernden Witwe und so ernennt sie ihn zu ihrem Sekretär. Als er bei einer Abendgesellschaft aus den Memoiren seiner Gebieterin vorlesen soll, wird er von den racheschnaubenden Witwen und dem Frisör als Perückendieb entlarvt und mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt. Der schwerreiche Bierversilberer Spund, Titus’ Onkel, der sich bisher kaum um den rothaarigen Neffen gekümmert hat, ist ihm nachgereist. Er will ihm in der Stadt einen Barbierladen einrichten, damit der Außenseiter der Familie keine Unehre mache.

Als er Salome begegnet, schickt diese ihn aufs Schloss, wo sie denkt, dass Titus sich aufhält. Als man erfährt, dass der Hinausgeworfene einen so reichen Onkel hat, beeilt man sich natürlich, ihn zurückzurufen. Doch bevor Titus sich wieder auf den Weg ins Schloss macht, verbirgt er seine fatalen roten Haare noch unter der grauen Perücke des seligen Gärtnermeisters Baumscheer. Auf die Frage Spunds hin, was den mit seinen roten Haaren geschehen sei, beteuert er, der Kummer über das bisherige lieblose Verhalten des Onkels habe ihn frühzeitig ergrauen lassen. Gerührt will Spund ihn zum Universalerben einsetzen und die Witwen schöpfen neue Hoffnung. Doch als der Notar das Testament in Kraft setzen will, wird Titus abermals entlarvt.

Frau von Cypressenburg gelingt es zwar noch, den Zorn des Bierversilberes zu besänftigen, doch Titus erklärt, er verzichte auf die Erbschaft und sei zufrieden, wenn Spund ihm zu einem Barbierladen verhelfe. Und damit könne er auch diejenigen nicht heiraten, die rote Haare nur an einem Universalerben verzeihlich fänden. Somit wähle er die Salome, denn die werde ihm seine Haarfarbe niemals zum Vorwurf machen.    Motiv und Stoff  Das in der Dummheit und Voreingenommenheit der Menschen begründete Vorurteil gegenüber Personen mit rotem Haar ist ein an vielen Stellen des Talisman thematisiertes und variiertes Motiv des Stücks. Der seit dem Altertum immer wiederkehrende Aberglaube von der moralischen Minderwertigkeit der Rothaarigen dient Nestroy zum Vorwand seiner Satire. Sie richtet sich allgemein gegen jegliche Entstehung von Vorurteilen und ihre Auswirkungen auf den einzelnen und die Gesellschaft.

Der Volksglaube interpretiert, dass rote Haare die Folge eines Fluchs seien, der auf dem einzelnen oder seiner Familie lastet. Die Verbreitung des Aberglaubens führte zur unberechtigten Ächtung und Isolation der Rothaarigen durch die Gesellschaft. Entweder antwortet man auf die gesellschaftliche Isolierung seinerseits mit Hass -und entspricht damit vielleicht dem Vorurteil- oder man begegnet der Forderung der anderen durch „unauffällige“ Angleichung an die „Norm“. ® Anzeige aus dem Donauwörther Wochenblatt vom 25.1.1834, in: Cersowsky, Peter: Johann Nestroy – Eine Einführung, S.


70. Ebenso ist Titus Feuerfuchs durch seinen „Talisman“ in der Lage, vom Außenseiter zum gesellschaftlich Anerkannten zu werden, muss aber zum Schluss erkennen, dass eine nur äußerliche Anpassung nichts ändert und vor allem das bestehende Vorurteil nicht aufhebt. Der heitere Lustspielschluss verheißt durch Titus und die rothaarige Salome eine ganz andere Lösung des Problems.    Vorlage für den „Talisman“  Für fast alle Stücke Nestroys hat man fremde Vorlagen ausfindig gemacht. Zwischen 1848 und 1850 beeinflusste besonders das französische Vaudeville (Singspiel) die Wiener Theater und damit auch Nestroys Werk. Nestroy stieß durch eigene Lektüre, Rezensionen in den Zeitungen oder Hinweise von Freunden auf für ihn interessante Vorlagen.

Darüber hinaus reisten Wiener Theaterdirektoren nach Paris, um geeignete Vaudevilles aus dem neuesten Spielplan nach Wien zu holen. Der „Talisman“ ist eine geschickte Bearbeitung einer rasch vergessenen französischen Comédie-Vaudeville namens „Bonaventure“ zweier nicht weniger rasch vergessenen Librettisten (Duperty und de Courcy), von der Nestroy erfuhr, weil die „Wiener Theaterzeitung“ in jenen Jahren über das Pariser Théâtre du Vaudeville regelmäßig berichtete. Nestroys Bearbeitung ist dieser Vorlage weit überlegen.    Wiener Volkstheater  Nestroy gilt als der Vollender des biedermeierlichen Altwiener Volkstheaters. Er wurde am 7. Dezember 1801 in Wien geboren als Johann Nepomuk Eduard Andreas Nestroy.

Der Sohn eines Wiener Rechtsanwalts brach das Studium der Rechtswissenschaften nach einem Jahr ab und begann eine Sängerlaufbahn in Wien, die er zwischen 1822 und ’25 in Amsterdam fortsetzte. Unter den Rollen, die er dort spielte, überwogen die „seriösen“ (Sarastro in Mozarts Zauberflöte) bei weitem die komischen. Es folgten Engagements in der österreichischen Provinz, wobei er aufgrund eines Nachlassens der Tragfähigkeit seiner Stimme immer mehr als Schauspieler auftrat. Dabei zeigte er sich ebenfalls zuerst in ernsten Rollen des klassischen deutschen Repertoires (Gessler im „Tell“, Geist in Shakespeares „Hamlet“, Burleigh in „Maria Stuart“ von Schiller). Seine Leistungen auf diesem Gebiete wurden von der Kritik zwar anerkannt, verhalfen ihm aber nicht zu besonderen Erfolgen beim Publikum. Dagegen blühten ihm solche, wie er bald bemerken musste, in komischen Rollen.

So sah er sich durch eine Macht, die stärker war als sein Wollen, unwiderstehlich zu den burleskkomischen Rollen abgedrängt, wie sie die Altwiener Volkskomödie in schier unübersehbarer Fülle aufwies und noch immer hervorbrachte. Aber es sollte sich bald zeigen, dass Nestroys Übertritt zum „komischen Fach“ mehr bedeutete als einen Wechsel im Repertoire eines beliebigen Schauspielers, denn die Altwiener Volkskomödie war weit mehr als eine vorübergehende Liebhaberei oder Spezialität: sie war in Wirklichkeit die volkstümliche Gestaltung einer Weltanschauung, an der Generationen gearbeitet hatten. Das entscheidende Merkmal der Altwiener Volkskomödie ist ihre tiefe Verwurzelung mit dem Wiener, ja dem österreichischen Volksleben überhaupt. Von Stranitzky, der ersten fassbaren Gestalt des Wiener Volkstheaters, fehlte es in Wien nie an einem repräsentativem Volkskomiker, für den fingerfertige, aber volksverbundene und genialische Librettisten Hunderte von Stücken schrieben. In ihnen kam es zu einer dramatischen Auseinandersetzung des Volksgeistes mit den Ideologien der Oberschicht. Auf der Höhe der Entwicklung mussten Raimund und Nestroy allerdings selbst zur Feder greifen.

In einer theatralischen Abreaktion der Spannung zwischen „Bildung“ und volkstümlichem Empfinden bemüht sich die komische Figur, d.h. der „einfache Mann aus dem Volke“ um Anpassung an das jeweilig geltende Ideal und „versagt“ dabei in einer Art, dass dadurch gewisse Hohlheiten in dieser Ideologie gleichsam automatisch erkennbar werden. Das hat zur Folge, dass nicht nur die einfachen Leute, sondern auch die Vornehmen lachen müssen und beide sich im Lachen, d.h. im Menschlichen, finden.

Obwohl die Gesellschaft damals kurz vor der Julirevolution von 1830 stand, war Nestroy kein Mensch des Vormärz mehr. Das Neue, aber auch Besondere an Nestroys Komik war seine oft erschreckende Aggressivität auf der Bühne. Seinen Rollen verlieh er oft einen Anflug von Hohn und einen Zusatz von Schärfe. Oft wurde ihm vorgeworfen, er mache sich über das Volk nur lustig. Das lag ihm ganz fern. Über die Menschen im allgemeinen machte er sich lustig, und einfache Leute aus dem Volke wählte er als Repräsentanten des Menschlichen nur deshalb, weil das eben zur Tradition der Volkskomödie gehörte, die Darstellung erleichterte, auch Zensurschwierigkeiten verringerte.

Diese Eigenart Nestroys bewirkte eine grundsätzliche Veränderung des Altwiener Volksstückes, das auf eine fast hundertfünfzigjährige Vergangenheit zurückblickte.     Quellenangabe: Hein, Jürgen: Erläuterungen und Dokumente zum „Talisman“, Reclam, Ditzingen, 1987; Nestroy, Johann: Der Talisman, Reclam, Ditzingen, 1996; Cersowsky, Peter: Johann Nestroy – Eine Einführung, Wilhelm Fink Verlag München, 1992; Stumpf, Christl: Johann Nestroy – Der Talisman, Diesterweg, Frankfurt am Main, 1977; Basil, Otto: Johann Nestroy, Rowohlt, Hamburg, 1975; Bachmaier, Helmut und Stängle, Gotthard: Die großen Klassiker – Nestroy (Band 32), Andreas & Andreas, Salzburg, 1984; https://gutenberg.aol.de/autoren/nestroy.htm              

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